Vom Bremerhavener Volksgarten zur ersten Stadthalle
In fast jeder Stadt gab es Gebäude, von denen heute kaum noch jemand etwas weiß. Nur noch alte Bilder und Ansichtskarten geben darüber Auskunft. Und nur noch antiquarische Bücher erzählen uns die zeitgenössischen Geschichten über die alten Häuser. Sonst würden sie wohl für immer aus unserer Erinnerung verschwinden.
Auch dass es einst in Bremerhaven in der Deichstraße einen “Volksgarten” gab, weiß heute kaum noch jemand:
Schon früh begann in Bremerhaven auch das kulturelle Leben. In den 1860er Jahren gab es bereits viele Gesangsvereine. Noch viel früher haben in Bremerhaven gelegentlich reisende Schauspielergruppen für Unterhaltung gesorgt. Zunächst wurde in einem Hinterhaus an der Fährstraße in den 1840er Jahren eine dauerhafte Unterhaltungsmöglichkeit eingerichtet. Später fanden die Vorstellungen in der Wirtschaft von Claus Meyn statt. Das war an der Ecke Bürgermeister-Smidt-Straße und Mittelstraße. Heute steht an dem Ort die Sparkasse.
Aber auch an anderen Orten wurde Theater gespielt. So stellte zum Beispiel der Schiffbauer Cornelius seinen Besitz an der Geeste zur Verfügung. Für Cornelius war seine “Kunstbude” ein gutes Geschäft, befand sich doch im Saal sein Schanktisch, an dem er während der Vorstellung Bier ausschenkte. An rot gestrichenen Tischen konnte man in aller Gemütsruhe sein Bier trinken und seine Pfeife rauchen, während auf der Bühne die Leidenschaften tobten. Sollte das Stück nach den Zwischenakten fortgeführt werden, soll Cornelius zur Bühne rübergebrüllt haben: “Noch nich wedder anfangen. De Herrens hefft eren Grog noch nich ut!” Und über den Köpfen der Zuschauer sausten auch schon mal Ratten durch das Gebälk.
1868 kaufte Musikdirektor Schwiefert das Grundstück des Cornelius und baute es großzügig zum wohl größten Saal- und Garten-Etablissement um – dem “Volksgarten” auf der Deichstraße. Neben einem großen Saal entstanden ein Konzertgarten und ein neues Theatergebäude. Hier fand fortan das Bremerhavener Gesellschaftsleben statt. Im Sommer waren im Kaffeegarten abends bei Lampionbeleuchtung Konzerte der beliebten Albert-Kapelle. Im großen Saal fanden Vereinsfeste, Bälle und Tanzunterricht statt.
Der Bürgerclub mit seinem Wohltätigkeitsbasar war besonders beliebt. Wochen vorher wurde gestrickt, gehäkelt und gestickt. Dann wurde im großen Saal eine Budenstadt aufgebaut, und es wurde alles verkauft. Aber an einem Stand konnte man keine Handarbeiten kaufen. Hier boten reizende Soubretten und beliebte Schauspielerinnen ihre lockenden Lippen zum Küssen an – aber es gab keinen Kuss unter zehn Mark für die Wohlfahrtskasse.
Subventionen bekam der Musikdirektor für sein “Stadtheater” nicht. Es war sein rein privates Unternehmen, um das sich die Stadt nicht kümmerte. Um einen zerschlissenen Vorhang ersetzen zu können, wurde zwischen den Akten ein Vorhang mit Reklame gezeigt. Die Reklame allein machte es bei der chronischen Kassenleere möglich, einen neuen Vorhang anzuschaffen.
Um die Zuschauer anzulocken, wurden vorwiegend unterhaltsame Stücke gespielt. Kabaretteinlagen, Varietévorstellungen und sogar Ringkämpfe gehörten zum Programm, um die Theaterkasse zu füllen.
Aber auch anspruchsvolle Aufführungen bekam man im “Stadttheater Bremerhaven” zusehen. Die Darbietungen des “Gemischten Chors” unter Musikdirektor Woltemas fand bei der Bremerhavener Bevölkerung große Zustimmung. Und ab 1872 gab es sogar Opern zu sehen. Mit Verdis “Troubadour” fing es an, und viele weitere bedeutende Werke folgten. Mit “Lohengrin” und “Tannenhäuser” standen in der Saison 1877 sogar Werke von Richard Wagner auf dem Spielplan.
Anfang der 1880er Jahre hat ein Konsortium den “Volksgarten” gekauft und an der Straßenseite ein großes Hauptgebäude bauen lassen. Gleichwohl fanden die Theateraufführungen weiterhin in den alten Räumen an der Geeste statt. 1903 wurde der Theatersaal wegen Feuergefahr geschlossen. Die Feuerpolizei verfügte den Abriss. Nun musste man auf die recht unzulängliche Bühne des großen Saales im “Volksgarten” ausweichen.
Zu Beginn der 1920er Jahre befasste sich die Stadt Bremerhaven mit dem Gedanken, eine schöne repräsentative Stadthalle zu bauen. Kongresse sollten hier tagen und Veranstaltungen abgehalten werden. So beschlossen die Stadtverordneten 1925, den “Volksgarten” entsprechend umzubauen. Nach den Plänen von Stadtbaurat Hagedorn entstand eine schöne und leistungsfähige Stadthalle mit einer Gartenanlage. Mittelpunkt war der vom alten “Volksgarten” übernommene große Saal mit seiner prachtvollen Akustik. Der Neue Saal mit 400 Sitzplätzen und eine Reihe von kleineren Sälen und Nebenräumen wurden neu gebaut.
Am 30. April 1927 fand die Hundertjahrfeier Bremerhavens statt, und die Stadthalle an der Deichstraße wurde der Bevölkerung übergeben. 1.400 Besucher fanden in dem großen Saal Platz. Konzerte, Bälle, Ausstellungen, Varieté, Parteiversammlungen, sportliche Wettkämpfe und viele andere Veranstaltungen wurden hier abgehalten. Bei gutem Wetter ging man gern in den terrassenförmig für 1.500 Besuchern angelegten Konzertgarten am Geesteufer.
Leider war die Hundertjahrfeier auch das größte Ereignis, das in der Stadthalle gefeiert werden konnte. Nur 17 Jahre später fiel auch sie den Luftangriffen auf die Stadt zum Opfer. Nach dem Krieg wurde sie nicht wieder aufgebaut, heute steht an dieser Stelle die Goetheschule.
Quellen:
Georg Bessel: Geschichte Bremerhavens
Georg Bessel: Die ersten 100 Jahre Bremerhavens – von 1826 bis 1927
Harry Gabcke: Bremerhaven in zwei Jahrhunderten 1827 – 1918
Jürgen Krüger: Stadt und Leute Gestern und Heute, 150 Jahre Bremerhaven
Dort haben mein Großvater, Konsul Christian Frederik Jebsen und seine Frau, Elisabeth Jebsen, geb. Sichelschmidt aus Dortmund, “Kaffeesiert” Er ist aus Norwegen und hat sich 1901in Bremerhaven niedergelassen.
Ergänzend zur Stadthalle in der Deichstraße, auf dem Grundstück Deichstraße 43a/43b, links neben der Stadthalle/ Volksgarten standen bis zum September 1944 zwei Mehrfamilienhäuser mit jeweils 6 Wohnungen, und im Erdgeschoss auf der rechten Seite war das Kontor der Zimmerei Petermann, der auch Eigentümer der Häuser war.
Diese Häuser verfügten über eine Durchfahrt, und im Hof waren das Holzlager und die Werkstätten, ursprünglich besaß das Grundstück auch einen Zugang von der Wasserseite und später einen Steg an der Geeste.
Nach dem Krieg gab es von der Stadt keine Genehmigung die beiden Häuser wieder vollständig aufzubauen, so dass beim linken Gebäude nur das Erdgeschoss wieder hergestellt wurde und beim rechten Haus Erdgeschoss und 1. Stock, von der Pracht und Fassade war nicht viel geblieben, und so waren die Gebäude eher von sprödem Charme, aber boten Wohnraum und Zimmerei- und Werkstattbetrieb bis ca. 1977. Betrieben durch die Zimmermannmeister Arend Petermann, Sohn von Wilhelm Petermann und Enkel des Gründers. Nach dem Krieg wohnte dort die Familie 1999. Vorab hatte die Stadt von Ihrem ausgehandelten Vorkaufsrecht Gebrauch gemacht und ca. 2000 die beiden Gebäude nebst Holzlager und Werkstätten für die Errichtung des Geestewanderweges abgerissen. Die Ursprünge des Holzbetriebes an der Geeste und Deichstraße im Schatten der großen Kirche reichten bis zu den Anfängen der Stadt Bremerhaven in den Zeitraum ca. 1840 zurück, als Burchard W. Petermann aus Dibbersen an der Weser über Vegesack in die junge Stadt Bremerhaven übersiedelte, um mit Holz und Zimmerei sein Geschäft zu führen.
Hallo Herr Petermann,
vielen Dank für Ihren so ausführlichen und informativen Beitrag. Der DeichSPIEGEL lebt ja auch von den Kommentaren seiner Leser.
In der Deichstr.12 haben meine Großeltern bis zum 18.9.1944 gelebt. Großvater war Seelotse. Im Erdgeschoss war die LOTSENBÖRSE, das Stammlokal der Lotsen.
Habe noch eine Postkarte dieses Lokals.
Ich würde mich sehr über Fotos aus der Deichstr. freuen.
Liebe Grüße Ursula Rath
Hallo Frau Rath, auch ich bin auf der Suche nach weiteren Bildern aus der Deichstraße, insbesondere aus der Zeit vor 1945. Von dem Haus der Familie habe ich ein paar Bilder und mittlerweile sind noch ein paar Fotografien von Bremerhavener Fotografen veröffentlicht worden. Was mich interessiert ist das alte Aussehen und vielleicht auch ein paar Namen von Anwohnern und Geschäften in diesem Bereich.
Hallo Herr Petermann,viel kann ich nicht berichten, da ich alles nur aus Erzählungen kenne. Meine Großeltern hießen Johann und Margarete Schmitt Die Inhaberin der “Lotsen Stammkneipe” war Oma Wülken.
Mein Vater Hans Ludwig Schmitt besuchte die Raabe Schule
Dass es dort in der Deichstraße einmal eine Stadthalle gegeben hat, war mir wohl bekannt — allerdings längst nicht so detailreich, wie du es hier schilderst. Auch die Vorgeschichte dieses ehemaligen kulturellen Zentrums an der Geeste ist dir richtig gut gelungen.
Toller Bericht !!
Vielen Dank.