Die Geestemünder Eisengießerei und Maschinenfabrik tom Möhlen & Seebeck
Neben der 1876 gegründeten Seebeck-Werft gab es in Bremerhaven noch ein weiteres Unternehmen, das den Namen Seebeck im Firmennamen führte. Bei einem Spaziergang zum Friedhof Lehe III wurde ich auf das verlassene Wohnhaus Am Fleeth 1 aufmerksam. Neugierig trat ich näher und sah das stark patinierte Metallschild, das den Besuchern einst mitteilte, wer hier sein Zuhause hatte: Hans Seebeck.
Zunächst glaubte ich, dass hier ein Nachkomme des am 7. November 1845 geborenen Werftgründers Georg Dietrich Seebeck gewohnt haben mag. Doch bei meinen Recherchen im Internet bin ich auf einen anderen Seebeck gestoßen.
In “Dinglers Polytechnisches Journal” aus dem Jahre 1894 findet sich ein Hinweis, dass tom Möhlen und Seebeck “einen Kessel bauen mit Innenfeuerung und schräg liegendem Wasserrohrbündel (D. R. P. Nr. 71224 vom 4. März 1892) nach Fig. 49. Der Abzug der Rauchgase erfolgt entweder durch ein senkrechtes Rauchrohr in die Höhe oder durch eine seitlich angebrachte Rauchkammer. Die untere Feuerbüchse bildet den Verbrennungsraum, in der oberen Feuerbüchse sind Wasserrohre schräg angeordnet, welche, um ein leichteres Ausziehen derselben zu ermöglichen, oben erweitert sind.”
Auch die Patentschrift Nr. 140627 des Kaiserlichen Patentamtes gibt Auskunft, dass es in Geestemünde ein Unternehmen mit der Firmenbezeichnung “Maschinenfabrik und Eisengießerei tom Möhlen & Seebeck” gegeben hat. Mit dieser Patentschrift vom 24. April 1903 wurde ein “Stehender Dampfkessel…” patentiert.
Schließlich habe ich den Namen des Unternehmens tom Möhlen & Seebeck noch in vielen antiken Fachbüchern finden können. So zum Beispiel in der 1883 erschienen dritten Ausgabe des Werkes “Die Schiffsmaschine”. Verfasser war der 1904 verstorbene langjährige Maschinenbaudirektor der Kruppschen Germania-Werft Wilhelm Müller. Auf Seite 106 ist die Zeichnung eines “stehenden Feuerbüchskessels” abgebildet.
1885 gründete der Kupferschmied Friedrich August Seebeck mit dem Maschinendreher Adolph tom Möhlen in der heutigen Verdener Straße die “Eisengießerei und Maschinenfabrik tom Möhlen & Seebeck”.
Die “Eisengießerei und Maschinenfabrik tom Möhlen & Seebeck” wurde sehr erfolgreich und über Deutschlands Grenzen hinaus bekannt. Als die Hinterhofwerkstatt zu klein wurde, kaufte das junge Unternehmen am südöstlichen Ende des damaligen Querkanals in der heutigen Industriestraße ein Grundstück mit einem Gleisanschluss an die Eisenbahnstrecke Bremerhaven-Bremen. Das Grundstück wurde in den Jahren 1889 und 1890 mit einer Maschinenfabrik, einer Eisengießerei und mit einem Wohnhaus bebaut.
Die Auftragsbücher waren so voll, dass die Fabrik an ihre Kapazitätsgrenzen stieß und ein weiteres Grundstück an der verlängerten Industriestraße zwischen dem städtischen Gaswerk und der Tecklenborg-Werft hinzupachten musste.
Anders als auf dem älteren Betriebsteil, auf dem sich die Gießerei und der Maschinenbau befand, wurden auf dem neuen Gelände der Behälterbau und der Brücken- und Eisenhochbau angesiedelt. Aber auch auf diesem Grundstück stieß das expandierende Unternehmen an seine Grenzen, und weitere Grundstücke wurden hinzugepachtet. Es wurde ein Dampfhammer und 1913 eine Kranbahn mit einem elektrischen Laufkran investiert.
Friedrich August Seebeck und Adolph tom Möhlen wohnten in unmittelbarer Nähe zur Fabrik, gleich neben der Maschinenbauwerkstatt, in einem in die Fabrikanlagen integriertes dreistöckiges Etagenhaus. Im Erdgeschoss wurde das Kontor eingerichtet. Ferner war hier der Ausstellungsraum für die Präsentation der Produkte untergebracht. Schließlich gab es im Erdgeschoss noch einen großen Saal, in dem sich die zur Gießerei gehörige Formerei befand. Die Eigentümer bezogen jeweils eine Wohnung in den beiden Obergeschossen. Dieses Gebäude wurde im Jahre 1899 durch erweitert: Ein dreistöckiger Anbau wurde integriert und das Kontor den veränderten Bedingungen angepasst und vergrößert.
Nicht nur der 1888 erfolgte Zollanschluss der Unterweserorte trug bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges zu der anhaltend gute Entwicklung der Firma tom Möhlen & Seebeck bei. Mit dem Regierungsantritt Kaiser Wilhelm II. und der Entlassung des Reichskanzlers Bismarck fand seit etwa Anfang der 1990er Jahre eine Belebung des Schiffbaues statt. Zusätzlich beeinflusste der Bau- und Wirtschaftsboom in den 1890er Jahren das Wachstum in der Schiffsbauindustrie, im Baugewerbe und auch in der Holzbearbeitung nachhaltig. So verzehnfachte sich zwischen den Jahren 1871 und 1912 die Beförderungsleistung der deutschen Handelsschifffahrt auf den Weltmeeren. Das Streckennetz der Eisenbahn verlängerte sich von 18.876 Kilometer im Jahre 1870 auf 63.378 Kilometer im Jahre 1913. Der Boom dieser Jahre schlug natürlich auch auf die Zuliefererbetriebe durch. Die Auftragsbücher der Maschinenfabriken und Gießereien waren gut gefüllt.
Die Anzahl der Beschäftigten geben Auskunft über das Wachstum der Firma tom Möhlen & Seebeck: Im Jahre 1892 waren 60 Arbeiter und 2 Kontoristen in der Firma tätig. Im Jahre 1900 waren es bereits 100 Arbeiter und 6 Kontoristen und Techniker. Und ab 1902 bildete sich eine fester Stamm von 100 bis 120 Arbeiter. Das bedingte natürlich auch ein Personalwachstum in der Verwaltung. 1908 beschäftigte der Betrieb insgesamt 12 Angestellte, Techniker und Werkführer.
Den anhaltenden Aufwärtstrend bezeugen auch die vielen Patente und Gebrauchsmuster-Eintragungen. So gibt etwa die damalige Fachzeitschrift “Glückauf” in ihrer Ausgabe vom 12. August 1911 darüber Auskunft, dass im Reichsanzeiger vom 10. Juli 1911 für tom Möhlen und Seebeck eine Gebrauchsmustereintragung für ein Füllrumpfverschluss bekannt gemacht wurde.
Neben einer dritten Dampfmaschine gab es im Werk zwei Elektromotoren, zwei Generatoren und etwa 50 Drehbänke. Die Firma tom Möhlen & Seebeck hat es geschafft. Das mittelständische gewordene Unternehmen bekam Aufträge aus dem ganzen Deutschen Reich. Auch im europäischen Ausland war die Firma tom Möhlen & Seebeck, die Armaturen, Dampfkessel, Druckbehälter, Pumpen, Kräne, Rudermaschinen und vieles mehr produzierte, als leistungsfähig und kompetent bekannt.
Doch mit der vorstehenden Aufzählung war der Angebotskatalog noch lange nicht erschöpft. tom Möhlen & Seebeck errichtete auch Eisenkonstruktionen. Straßen- und Eisenbahnbrücken, Anlegepontons, Slipanlagen, Schleusentore, Verladebrücken und Förderbänder und große Lager- und Montagehallen. Es gab wohl nichts Metallenes, was man bei tom Möhlen & Seebeck nicht ordern konnte.
Etwa seit der Wende zum 20. Jahrhundert begannen die Unternehmer, ihre Gewerbereiche von ihren Wohnbereichen zu trennen. Sie zogen nun ein Wohnumfeld abseits ihrer Fabriken vor. Wer es sich leisten konnte, baute eine Villa und hatte Dienstpersonal.
Als in Geestemünde nördlich des Holzhafens im Bereich der Hohenstaufenstraße ein Villenviertel entstand, zögerte Friedrich A. Seebeck nicht lange und ließ sich in der Hohenstaufenstraße 10 (später umnummeriert in 25) eine große Villa bauen. Sie schmiegte sich an die bereits in den Jahren 1907/1908 vom Bremer Architekten Heinz Stoffregen für den in England geborenen Reeder Edward Richardson in englischer Landhausarchitektur errichtete Villa an. Die beiden aneinander gelehnten Villen völlig unterschiedlichen Charakters bildeten ein für die Hohenstaufenstraße ungewöhnliches Ensemble.
Friedrich A. Seebecks Villa lag mit ihrer Rückfront ziemlich genau gegenüber der Firma tom Möhlen & Seebeck, die sich ja zwischen Querkanal und Industriestraße befand. Nur die Eisenbahntrasse und die heutige Elbestraße trennten Villa und Fabrik. Gleichwohl war das soziale und räumliche Umfeld in der Hohenstaufenstraße ein ganz anderes.
Adolph tom Möhlen suchte sich in dieser Zeit ebenfalls ein Wohngrundstück außerhalb des Fabrikgeländes. Er wollte zurück in seinen Geburtsort Lehe. So ließ er in Speckenbüttel auf dem Grundstück Parkstraße 20 ebenfalls eine große Villa bauen. Den Einzug im Jahre 1911 erlebte er allerdings nicht mehr.
Mit der Übersiedelung Seebecks in seine neue Villa und dem etwa zur selben Zeit vorgenommenen Umzug tom Möhlens in sein großes Anwesen in der Parkstraße nahm der Bezug der Unternehmer zu ihrer Fabrik und zu den persönlichen Lebensbereichen der Geschäftspartner gleichermaßen ab. Die ursprüngliche Einheit von Wohnen und Arbeiten löste sich auf.
Nach dem Tode von tom Möhlen kaufte Friedrich A. Seebeck der Witwe ihre geerbten Firmenanteile ab und wurde Alleineigentümer. Den Firmennamen änderte er 1917 um in “Friedrich A. Seebeck”. Aber Ende 1918 starb auch er, und nun führte sein Sohn Hans das Unternehmen weiter. Im Jahre 1932 erfolgte eine erneute Umfirmierung, das Unternehmen hieß nun “Hans Seebeck Maschinenbau – Eisenbau GmbH”.
Als 1921 Lehe und Bremerhaven eine Gasgemeinschaft gründeten, wurde das im Jahre 1893 in Betrieb genommene Leher Gaswerk nicht mehr benötigt. Hans Seebeck kaufte das beim Friedhof Lehe III gelegene Grundstück Friedhofstraße 38 (später Am Fleeth 1) mit den darauf stehenden Anlagen und richtete dort seine Maschinenfabrik ein. Das Gelände verfügte über einen direkten Gleisanschluss an die Eisenbahnlinie Cuxhaven-Bremen und war groß genug, sämtliche Betriebsteile des Unternehmens aufzunehmen. Nach Abschluss der erforderlichen Umbauarbeiten siedelte 1925 der komplette Betrieb in die Friedhofstraße um. Hier standen den Mitarbeitern gut belichtete Fabrikhallen zur Verfügung, ein zweigeschossiges Verwaltungsgebäude entstand, ein Pförtnerhaus, Sozialräume und Lager und eine Kraftfahrzeughalle.
Hans Seebeck bezog in der Friedhofsstraße das freistehende zweieinhalbstöckige Beamtenwohnhaus des Gaswerks. Die elterliche Villa in der Hohenstaufenstraße blieb aber im Familienbesitz. Friedrich A. Seebecks Witwe wohnte hier mit einer Schwester von Hans Seebeck, der 1968 verstorbenen Musiklehrerin Anna Marie Seebeck.
Das von Seebeck aufgegebene Pachtgelände in der Industriestraße übernahm Mitte der 1920er Jahre das Wesermünder Gaswerk. Das firmeneigene Gelände am Querkanal verkaufte Hans Seebeck 1925 an den Konsum- und Sparverein Unterweser, der die Anlagen für seine Sparte “Kohlenlager” nutzte. In das Wohnhaus zogen nun Beschäftigte des Konsumvereins ein.
Im Mai 1933 lösten die Nationalsozialisten die Konsumvereine auf. Das Gelände kam in die Hände der Butter-Absatz-Zentrale Nordhannover. Die Maschinenbauhalle wurde durch ein großes Kühlhaus ersetzt. Alle anderen Anlagen wurden entfernt, nur das Wohnhaus und ein Lagergebäude blieben erhalten. 1970 wurde der gesamte Komplex aufgegeben, die Butter-Absatz-Zentrale zog in das Gewerbegebiet nach Wulsdorf um. 1986 wurde das Gelände eingeebnet. Verschiedene Supermärkte, Discounter und ein großer Parkplatz beherrschen nun das Bild.
Mit dem frühen Tod von Hans Seebeck im November des Jahres 1945 und dem nicht aus dem Zweiten Weltkrieg zurückgekehrten Sohn Hans hatte das Unternehmen keine geregelte Nachfolge. Hans Seebecks Witwe Anna (1895 – 1980) übernahm die Verantwortung und führte den Betrieb mit weiteren Geschäftsführern zu neuen Erfolgen. Noch heute zeugt der 1956 für die Ausrüstungskaje der Rickmers-Werft auf der Geesthelle gebaute 35,5 Meter hohe vierbeinige Turmdrehkran von der Leistungsfähigkeit des Unternehmens “Hans Seebeck Maschinenbau – Eisenbau GmbH”. Dennoch geriet der Betrieb gegen Mitte der 1950er Jahre in Zahlungsschwierigkeiten. Die Probleme lösten sich durch die Aufnahme des Geestemünder Unternehmers J. Heinrich Kramer als weiterer Gesellschafter.
In einer 300 Quadratmeter großen Halle fertigte der Bootsbauunternehmer Gustav Kuhr serienmäßig geschlossene Rettungsboote aus Kunststoff. Die Halle brannte im Jahre 1962 mit allen Booten ab.
1996/1997 wurde das Gelände in Lehe aufgegeben und der Betrieb nach Wismar verlagert. Von dem ehemaligen weiträumigen Firmenkomplex beim Leher Friedhof ist nach einem Großbrand im August 2002 nicht mehr viel übrig geblieben. An der Haustür des verlassenen Wohnhauses zeugt noch ein Klingelschild von seinem früheren Bewohner Hans Seebeck. Der romantische naturbelassene Garten mit seinen großen alten Bäumen lädt noch heute zum Verweilen ein.
In dem ehemaligen Verwaltungsgebäude und dem mit diesem durch einen großen Torbogen verbundenen Garagentrakt haben die unter der Bezeichnung “Rock Cyklus“ zusammengeschlossenen Musikgruppen seit 1999 ein neues Domizil gefunden.
Quellen:
Dr. Hartmut Bickelmann, “Ein anderer Seebeck”, Niederd. Heimatblatt 08/2012
Hartmut Bickelmann, “Von Geestendorf nach Geestemünde”, Seiten 209, 211
Harry Gabcke, “Bremerhaven früher-gestern-heute”, Seiten 68 und 69
“Dinglers Polytechnisches Journal” aus dem Jahre 1894, Heft 9 Seiten 201, 202
Der Artikel hat uns sehr angesprochen. Zumal wir im ehem. Wohnhaus von Herrn tom Möhlen eingezogen sind. Die Hausnummer ist aber nicht 20 sondern 18. Falls es noch Originalunterlagen gibt, würden wir uns über eine Kontaktaufnahme sehr freuen.
Es freut mich sehr, daß Ihnen der Artikel gefällt. Ich würde Ihnen gerne Unterlagen zur Verfügung stellen, aber leider habe ich keine. Möglicherweise finden Sie etwas im Bremerhavener Stadtarchiv.
Hi, Gudrun. Wirklich interessant was in den vielen Jahren so abgelaufen ist. Wäre für Christine auch spannend gewesen. Aber der Zahn der Zeit arbeitet unaufhörlich. Siehe bei uns!! Liebe Grüsse Kurt
Zufällig fand ich diesen interessanten Artikel. Vielen Dank für den Bericht!
Ich wusste nichts von der Geschichte von Hans Seebeck, dabei habe ich von 1960 bis 63 eine Lehre als Techn. Zeichnerin für Maschinenbau gemacht.
Es hatte mir sehr gefallen, ich durfte z.B. einen großen Teil der Gangway am Kolumbuskai zeichnen, und besonderer Spaß machte mir das Jahr in der Werkstatt, weniger die Feilarbeiten .…,aber des Öfteren besuchte ich mit verschiedenen Meistern den Hafen, die Reparaturen erledigen mussten. Man zeigte mir, wie man die Riesenkrane bewegt!
Es war eine schöne Zeit.
Jetzt lebe ich seit langer Zeit schon in den USA, in San José , Kalifornien. Jedesmal wenn ich mit dem Zug nach Norddeutschland komme, schaue ich nach den Resten der Firma, wenn ich in Lehe vorbeifahre!
Guten Tag Frau Baumeister,
vielen Dank, dass Sie sich soviel Mühe gemacht und Ihre kleine Geschichte aufgeschrieben haben. Ich habe mich über Ihren Beitrag sehr gefreut. Und bestimmt gibt es irgendwann einen Leser, der sich an Sie erinnern wird. Liebe Grüße nach San José, Hermann Schwiebert
Danke Hermann für den Seebeck-Bericht. Für mich viel Neues dabei!!!
Grüße Ronny
Interessant ist, dass sich doch noch einige Leser an die Firma erinnern können. Wenn Du noch Wissen hast, auf das ich nicht eingegangen bin, würde ich mich freuen, wenn Du es mit mir teilen würdest.
Liebe Grüße Hermann