Das war meine Werft – Folge 10
Von der Delphin-Werft zur maritimen Ruhezone
Wer von der Innenstadt kommend die Hafenstraße verlässt und rechts in die Straße Auf den Sülten einbiegt, findet sich plötzlich in einer Oase der Ruhe wieder. Auf den Sülten, das ist eher ein Gasse als eine Straße. Über altes Kopfsteinpflaster erreicht man am Ende der Gasse die Werftstraße. Hier lädt ein Parkplatz dazu ein, das Auto zu verlassen.
Dann sind es nur noch ein paar Schritte, und man steht auf einem Aussichtsplatz an der Geeste-Kaje — genau dort, wo sich Ende der 1870er Jahre an einem dicht an die Hafenstraße heranführenden Geestebogen ein kleine Bootswerft angesiedelt hat, die kleine Schiffe, Motorboote und Leichter baute und auch mit der Reparatur von Küsten- und Fischereifahrzeugen ihr Geld verdiente.
1895 übernahm Bernhard W. Riedemann den kleinen Betrieb und gab ihr den Namen Delphin-Werft Riedemann & Co. Die Werft auf ihrem 18.300 Quadratmeter großem Gelände wurde modernisiert und vergrößert und widmete sich dem Bau von Küstenschiffen, kleineren Segelschiffen und Leichtern. Der 1905 in die “Schiffswerft Delphin GmbH” umgewandelte Betrieb geriet 1908 in Konkurs und in den Besitz der Geestemünder Creditbank, die das Unternehmen ab 1910 als “Schiffsbaugesellschaft Unterweser mbH” weiterführen ließ. Es sollte vor dem Ersten Weltkrieg die letzte Werftgründung an der Unterweser gewesen sein.Zu dieser Zeit wurden die Anlage um ein 50 Meter lange, 15 Meter breite und 15 Meter hohe Helling mit einem elektrischen Fahrkran erweitert. Der Ingenieur Fritz Franz Maier entwickelte in der Unterweserwerft damals eine neu gestaltete Unterwasserschiffsform, die Mitte der 1920er Jahre als “Maierform” in die Geschichte des Schiffsbaus einging.
Während des Ersten Weltkrieges baute die Schiffbaugesellschaft Unterweser mehrere Frachtdampfer, einen Tankdampfer und etliche Fischdampfer, die die Kaiserliche Marine als Vorpostenboote einsetzte.Da die Zahl der Neubauten von Fischereifahrzeugen kontinuierlich anstieg, wurde 1918 im Fischereihafen ein Zweigbetrieb für Reparaturen der Fischdampfer eröffnet.
Neubauten wurden weiterhin im Hauptbetrieb aufgelegt. Im Zeitraum 1910 bis zum Ende des Ersten Weltkrieges wurden hier rund 100 Schiffe vom Stapel gelassen, davon 80 Fischereifahrzeuge. Auch das 75,90 Meter lange Frachtschiff “Bogata” wurde in diesen Jahren gebaut.Die dringenden Marineaufträge machten eine Kapazitätsausweitung notwendig. So beantragte die Werft noch kurz vor Kriegsende den Neubau eines Maschinen- und Kesselhauses. In der Kriegszeit durfte die Werft nur mit Zustimmung der Kriegsamtsstelle in Altona Baumaterialen für einen Neubau beziehen.
Auch nach dem Krieg nahm die Werft eine erfreuliche Entwicklung. 1920 wurde eine dreigeteilte Schiffbauhalle mit 2000 Quadratmeter Grundfläche erstellt. So war die Schiffbaugesellschaft Unterweser, die im Jahre 1919 bereits 400 Personen beschäftigte, der wichtigste Industriebetrieb in Lehe.
Vor diesem Hintergrund war die Leher Stadtverwaltung stets bemüht, der Werft Lösungen für eine Vergrößerung ihres Areals zu bieten. Man entschied sich, den sogenannten Reuterhamm für Industrieansiedelungen nutzbar zu machen. Nach der Geestebegradigung im Jahre 1894 war die ehemalige Halbinsel auf die Leher Seite der Geeste gerückt. Die Gemeinde Lehe erwarb von diesem Erweiterungsgebiet 75.000 Quadratmeter und verkaufte davon 19.000 Quadratmeter an die Schiffbaugesellschaft Unterweser weiter. Diese konnte sich mit ihren Anlagen nun bis zur Leher Chaussee hin ausdehnen.
In den Jahren 1920 bis 1923 ließ die Unterweserwerft sieben Frachtdampfer für deutsche Reedereien und fünf Schiffe mit einem modernen Turbinenantrieb für eine dänische Reederei vom Stapel laufen. Wichtigstes Produktionssegment blieb aber stets der Bau von Fischdampfern, von denen im gleichen Zeitraum 23 Fahrzeuge die Werft verließen.
1921 wurde das Unternehmen in eine Aktiengesellschaft mit einem Grundkapital von 600.000 Mark umgewandelt. Dadurch wurde die Kapitalbeschaffung vereinfacht, und das Unternehmen konnte weiter expandieren. So wurde im gleichen Jahr ein neuer Dampfkran angeschafft, 1923 wurde in eine neue Kupferschmiede und in eine Malerwerkstatt investiert. Zur gleichen Zeit wurde auch die moderne Schweißtechnik eingeführt.
Die Währungsreform des Jahres 1924, mit der die neue Reichsmark das durch die vorausgegangene Hyperinflation wertlos gewordene Papiergeld ablöste, traf auch die Unterweserwerft hart. So wurden 1925 nur noch einige Prähme und zwei Fischereifahrzeuge gebaut. Innerhalb eines Jahres musste hundert Arbeitern gekündigt werden, das war etwa ein Drittel der Belegschaft.
Gleichwohl war die Werft in den 1920er Jahren sehr innovativ. Sie spezialisierte sich auf die Herstellung von Trawlern und wurde im Volksmund fortan “Schellfisch-Werft” genannt. Und mit den in den Jahren 1927 bis 1929 gebauten Schiffen “Richard Ohlrogge”, “Albert Ballin” und “J. F. Schröder” für die Cuxhavener Hochseefischerei AG erwies sie sich als Pionier im Motorschiffbau. Die Sechszylinder-Viertaktmotoren leisteten 380 PS, 420 PS und 490 PS. Auch die Netzwinden wurden nun elektrisch angetrieben.
Aber es kam noch schlimmer. Der 24. Oktober 1929, der als “Schwarzer Donnerstag” in die Geschichte der Finanzwelt einging, war der Beginn der Weltwirtschaftskrise. Der Unterweserwerft gingen die Aufträge aus, 1930 gab es für nur noch rund hundert Arbeiter eine Beschäftigung. In diesem Jahr konnten noch die großen Fischdampfer “Sagitta” und “Spica” abgeliefert werden, aber dann gab es fast nichts mehr zu tun.
Wegen der schlechten Auftragslage musste die Aktiengesellschaft ihr auf 900.000 Reichsmark angewachsenes Stammkapital herabsetzen auf 450.000 Reichsmark.1933 erhielt die Werft aus dem Arbeitsbeschaffungsprogramm des Reiches den Bauauftrag für drei Heringslogger. Und 1936 konnte sie für die Biologische Anstalt auf Helgoland das Fischereiforschungsschiff “Makrele” bauen. Der Bug des Schiffes erhielt die Maierform, für den Antrieb wurden zwei Voith-Schneider-Propeller eingebaut, mit denen man das Fahrzeug ohne Ruder manövrieren konnte.
Ab 1939 befasste man sich mehr und mehr mit dem Neubau von Schiffen für die Kriegsmarine. U‑Jagdboote, Minensucher und Vorpostenboote bildeten nun das Programm. Von 1945 bis 1949 waren Neubauten in Deutschland nicht erlaubt. Man hielt sich mit Umbauten und Reparaturen über Wasser.
Aber ab 1949 entwickelte sich wieder ein reger Neubaubetrieb. Neben der Querhelgen- wurde eine Längshelgenanlage errichtet. Da die Schiffsbauten immer größer wurden, mussten die Längshelgen 1964 wieder entfernt werden, die beiden Querhelgen wurden verstärkt. Fragmente dieser Querhelgen sind noch heute am Geesteufer gut zu erkennen.Ab 1972 etwa begann auch in Deutschland die große Werftenkrise. Die Auftragszahlen für den Schiffbau gingen weltweit stark zurück. Die erste Ölkrise 1973/1974 verschärfte die Situation. Die Schiffe wurden jetzt in kostengünstigeren Ländern wie Japan und Südkorea gebaut. Auch die zweite Ölkrise der Jahre 1979/1980 traf die Werften schwer. So musste 1983 nicht nur die Bremer Werft AG Weser aufgeben.
Natürlich blieb von diesen Krisen auch die Schiffbaugesellschaft Unterweser nicht verschont. Sie fusionierte 1972 mit der Bremerhavener Schichauwerft zur Schichau Unterweser AG. Man baute jetzt RoRo-Schiffe, Offshore-Versorger und Containerschiffe. Große Aufträge für Auto-Passagierfähren und spektakuläre Fährschiffsumbauten folgten. Für diese Großbauten war der Werftbauplatz der Schichau Unterweser AG zu klein, sie entstanden auf dem Helgen des Bremer Vulkans. Als Folge wurde die Schichau Unterweser AG 1984 bis 1985 in den Bremer Vulkan Konzern eingegliedert.1989 fand die letzte Fusion statt, und zwar mit der Seebeckwerft zur Schichau Seebeckwerft AG. Doch ab 1994/1995 wurden auch bei der Bremer Vulkan Verbund AG die Probleme so groß, dass 1996 der Konkurs der Muttergesellschaft Bremer Vulkan nicht mehr abgewendet werden konnte. In diesen Strudel geriet auch die Schichau Seebeckwerft, die im selben Jahr Konkurs anmelden musste. Somit endete mit dem Konkurs der Bremer Vulkanwerft auch der letzte Schiffsbaubetrieb an der Geeste.
Solange hier Schiffe gebaut wurden, konnten in diesem Bereich nur Werftangehörige das Geesteufer erreichen. Im Rahmen der EU-Gemeinschaftsinitiative URBAN II wurden die Geesteufer in den Jahren 2000 bis 2006 umgestaltet und für die Allgemeinheit zugänglich gemacht. Die Bedeutung der Seestadt Bremerhaven als “Stadt am Wasser” kann man nun auch an dieser Stelle wahrnehmen.47 Kaiserlinden und 23 Silberweiden wurden am neu erstellten Geestewanderweg gepflanzt, und an der Kaje wurde ein neuer Aussichtsplatz mit einem maritimen Geländer gebaut. Sandstein- und Granitblöcke vom ehemaligen Werftgelände bieten dem Spaziergänger eine urige Sitzgelegenheit.
An einigen Abschnitten der Geeste wurden die alten Spundwände entfernt und die steilen Uferböschungen abgeflacht, um die Ansiedelung von Röhrichten und Halophyten zu fördern und damit der Artenvielfalt eine neue Chance zu geben.
Quellen:
Marc Fisser: Seeschiffbau an der Unterweser in der Weimarer Zeit
de.wikipedia.org
Da habe Ich 1977 gelernt, Schiffbau. Habe dann auf dem Helgen gearbeitet bei Meister Hammerstein