Bremerhaven bietet Immobilienspekulanten die Stirn
Den Zweiten Weltkrieg haben auch in Bremerhaven viele Gebäude aus der Gründerzeit überstanden. Nun werden einige aber Opfer eines anderen Gegners: der Ignoranz.
Was passiert eigentlich, wenn Eigentümer ihre Immobilien sich selbst überlassen. Dann kann man zusehen, wie die Natur die Spuren der Zivilisation ausradiert und sich die Erde zurück erobert.
Um sich dieses Schauspiel anzusehen, benötigt man kein Museum, keine Computer-Animation und man muss auch keine Flugreise in den Urwald unternehmen. Man muss in Bremerhaven nur in das Leher Quartier “Goethestraße” gehen und die Augen auf die alten Gebäude richten. Viele werden liebevoll saniert und gepflegt. Andere aber, die dem Eigentümer nicht den erhofften Spekulationsgewinn erbrachten, werden der Natur geschenkt.
Und was macht die Natur damit?
Sie lässt den Stahl verrosten, das Holz verfaulen, die Steine zerbröseln und die Dächer verrotten. Das dauert eine Weile, die Natur hat ja Zeit, viel Zeit. Aber irgendwann kommt der Winter. Und mit dem Winter kommt der Frost. Und der knackt das Dach an. Dann wartet die Natur auf das Frühjahr und schickt den Regen durch das undichte Dach in das Hausinnere.
Sobald die Pflanzen blühen erfreuen sie das Haus mit Samen – Kräuter, Gras und kleine Bäumchen wohnen nun in dem Haus. Deren Wurzeln werden von Jahr zu
Jahr mächtiger, suchen sich Platz und brechen die Steine auf. Gewürm, Käfer und Asseln, Pilze und Bakterien kommen zu Besuch und lassen sich Dachstuhl, Tapeten und Putz schmecken. Bald kommt der nächste Winter, der nächste Frost. Heizungsrohre platzen, der Dachstuhl bricht von der Schneelast ein, Balkone fallen in die Tiefe. Bald nisten auch die Vögel in der Ruine, vielleicht kommen die Fledermäuse dazu. Irgendwann ist von dem Haus nichts mehr zu sehen. Dann wachsen auf dem Grundstück Bäume.
Muss es soweit kommen? Darf man das, was uns unsere Vorfahren als Erbe hinterlassen haben, dem Zerfall preisgeben? Ich denke “nein”. Wir müssen es bewahren, wir müssen es bewahren für unsere Nachkommen: “Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen.” (Goethe in Faust).
Bremerhaven hat den Spekulanten, die ihre Häuser dem Verfall preisgeben, endlich den Kampf angesagt. Gebäude, bei denen eine Sanierung wirtschaftlich unsinnig wäre, darf die Stadt jetzt abreißen. Seit der Reform des Bundesbaugesetzbuches kann die Stadt die Eigentümer an den Abrisskosten beteiligen, damit diese nicht noch einen Vermögensvorteil aus einem beräumten Baugrundstück ziehen können. Die Abrisskosten für das Eckhauses Lutherstraße 24 etwa werden auf 100.000 Euro geschätzt. Der Eigentümer wird sich dann mit 20.000 Euro aus seinem nun beräumten Grundstück beteiligen müssen. Neben dem Eckhaus sollen nun die Eigentümer von zehn weiteren in der Lutherstraße belegenen Immobilien in die Pflicht genommen werden.
Quellen und weitere Informationen:
Hamburger Abendblatt vom 25. August 2006
Nordsee-Zeitung vom 28. Mai 2013
Sonntagsjournal vom 19. Mai 2013
Moin Hermann,
wie du sicher weißt, verfolge ich den Abriss der alten Gründerzeithäuser, die seit vielen Jahren als Spekulationsruinen vor sich hinrotten, mit einem weinenden und einem lachenden Auge. Das lachende Auge zeigt dabei allerdings eher ein verkniffenes Grinsen als ein fröhliches Lachen.
Es ist natürlich gut, wenn die Ruinen, die letztlich auch zu einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit werden, verschwinden. Allerdings hinterlässt jedes abgerissene Haus eine Lücke in einem seit der Gründung Bremerhavens historisch gewachsenen Stadtbild, um das andere Städte uns beneiden würden.
Abriss darf daher nicht zur städtebaulichen Universallösung werden. Wichtiger wären Bundesgesetze, die den Stadtverwaltungen ein frühzeitiges Eingreifen ermöglichen, mit denen eine beginnende Verwahrlosung “aufgegebener” Immobilien rechtzeitig aufhalten werden kann.
Das gilt insbesondere für die Wohngebiete in den Innenstädten, die den Städten ihre historisch gewachsenene Identität geben.
Was nützt es schließlich, wenn die einen Ruinen aus den Stadtbild verschwinden, während an anderen Orten die nächsten Schrottimmobilien schon nachwachsen, die dann irgendwann ebenfalls dem Abrissbagger zum Opfer fallen? Ein Spekulant, der ein intaktes Gebäude erwirbt, wird es mit Sicherheit an einen “Dummen” verkaufen können, der es vielleicht noch einen dritten “Dummen” unterjubeln kann … — Irgendeiner ist dann immer der Dumme, der darauf sitzen bleibt. So war es bisher, und ich bezweifle, dass sich daran in Zukunft etwas ändern wird. Die Dummen sterben nicht aus.
Meine Großmutter hat immer gesagt: “Eigentum verpflichtet.” Wenn ein Eigentümer seinen Pflichten nicht mehr nachkommen kann oder will, dann müssen die Stadtverwaltungen die Möglichkeit haben, solche Eigentümer von ihren Verpflichtungen zu entbinden. Dazu bräuchte es lediglich ein Gesetz, das es ihnen ermöglicht, die Besitzer von Immobilien, die sich noch retten ließen, zu zwingen, ihre Gebäude zum aktuellen Verkehrswert an die Stadtverwaltungen zu verkaufen. Das Geld, das dafür aufgebracht werden müsste, wäre besser angelegt, als die Kosten für einen Abriss, wenn nichts mehr zu retten ist. Das ist nach meiner Erkenntnis meistens dann der Fall, wenn es erst zur Zwangsversteigerung kommt und der nächste “Dumme” auf ein vermeintliches Schnäppchen hereinfällt.
Gruß,
juwi
Lieber Jürgen,
grundsätzlich gebe ich Dir Recht, dass Stadtverwaltungen eine Möglichkeit zum Eingreifen haben sollten. Aber: Ab welchem Zustand kann eine Immobile als verwahrlost bezeicnet werden? Wann gilt sie als “aufgegeben”. Für mich ist Eigentum in erster Linie durch das Grundgesetz geschützt. Erst in Absatz 3 des 14. Artikels erlauben die Verfasser des Grundgesetzes eine mit vielen Auflagen beschwerte Enteignung. Und das ist zunächst auch gut so, auch wenn es in einigen Fällen zu Mißständen führt.
Es gibt ja andere Möglichkeiten. Wenn Gefahr droht, kann die Varwaltung auf Kosten des Eigentümers alles tun, um die Gefahr abzuwenden. Zahlt der Eigentümer nicht, kann eine Zwangshypothek eingeklagt werden, die schließlich zu einer Zwangsversteigerung führen kann.
Es gibt aber noch weitere Aspekte zu berücksichtigen. Wird ein baufälliges Haus abgrissen, steigt zunächst der Grundstückswert — regelmäßig um die Abrißkosten. Aber natürlich nicht über den in dieser Lage üblichen Verkehrswert, der vom Gutachterausschuß ermittelt wurde. Aber ist der Verkehrswert des Gutachterausschusses wirklich der richtige Wert. Gutachterausschüsse ermitteln die Verkehrswerte aus den getätigten Verkäufen des vergangenen Jahres oder der vergangenen Jahre. Auf jeden Fall eine Zeitspanne, die in der Vergangenheit liegt. Welchen Wert hat aber ein Grundstück heute, wenn es die Verwaltung freihändig verkauft? Das zu sagen ist fast unmöglich. Somit sind Schadensersatzklagen des enteigneten Eigentümers vorprogrammiert. Bei einer Zwangsversteigerung gilt das nicht.
Ein Spekulant kann es auch nicht an einen Dummen verkaufen. Da muss der Dumme schon blöde sein. Ansonsten gilt: Bedarf ein Immobilienkauf einer Fremdfinanzierung, dann geht man zu seiner Sparkasse. Die Sparkasse ermittelt einen Beleihungswert. Der Beleihungswert soll den Wert darstellen, den die Sparkasse “unter Zugrundelegung aller wertmindernden Umstände voraussichtlich erzielen kann”. Und nur bis zu maximal 80 % des Beleihungswertes kann die Sparkasse als besicherten Kredit herauslegen. Alles darüber wäre ein unbesicherter Kredit. Da würde ein Kaufinteressent schon wach werden müssen. Manche sind aber schlauer als die Sparkasse und kaufen trotzdem — über eine andere Bank, meist über eine ortsunkundige Bank.
Zurück zu den Schrottimmobilien im Quartier Goehthestraße. Was kann eigentlich wertmäßig mit den Nachbargrundstücken passieren, wenn eine Schrottimmobile abgerissen wird. Die Nachbargrundstücke können eine Wertsteigerung erfahren, da das Wohngebiet nun wieder interessanter geworden ist für Mieter und für Eigentümer. Diese Wertsteigerung wurde aber vom Steuerzahler ermöglicht. Auf seine Kosten wurde die Schrottimmobilie ja abgerissen, wenn der Eigentümer als Zahler ausfällt. Also sollte man die nachbargrundstücke grundbuchlich mit einem “Sanierungsvermerk” in Abt. II des Grundbuches belasten. Wird der Grundbesitz irgendwann einmal veräußert, muß aus dem Verkaufserlös der Betrag, mit dem der Sanierungsvermerk das Grundstück belastet, an die Kommune ausgekehrt werden. Etliche Gemeinden verfahren bereits so.