Verschlagwortet: Weltkrieg II.

Erich Sturk: Erinnerungen an die Humboldtschule in Geestemünde

Erin­ne­run­gen an die Hum­boldt­schu­le in Geest­e­mün­de” – das ist eine Chro­nik des Auf­bau­zu­ges der Hum­boldt­schu­le des Jahr­gan­ges 1943 – 1947 aus der Feder des ehe­ma­li­gen Schü­lers Erich Sturk. Zunächst erin­nert Erich Sturk an die Pla­nung und an den Bau der Hum­boldt­schu­le in Geest­e­mün­de. Anschlie­ßend erzählt er in beein­dru­cken­der und oft­mals in bedrü­cken­der Wei­se, was er dort als Schü­ler erlebt hat. 

Die Humboldtschule in Geestemünde

Im Jah­re 1924 wur­de von der soge­nann­ten Volks­schul­de­pu­ta­ti­on der Stadt Geest­e­mün­de der Bau einer Volks­schu­le in der Schil­ler­stra­ße in Geest­e­mün­de beschlos­sen. Die­sem Beschluss ging eine Pla­nungs­pha­se vor­aus, die sich bis in die Zeit vor dem 1. Welt­krieg zurück erstreckt. Der Plan begrün­de­te sich auf der Not­wen­dig­keit, die Klas­sen­fre­quenz in den vor­han­de­nen Schu­len Geest­e­mün­des zu sen­ken und gleich­zei­tig das Bil­dungs­an­ge­bot zu erhöhen.

Die lan­ge Pla­nungs­pha­se erklärt sich aus dem Aus­bruch des 1. Welt­krie­ges und der nach­fol­gen­den Infla­ti­on, die den Bau­be­ginn wie­der­um ver­zö­ger­te. Unter der Lei­tung von Stadt­bau­rat Dr. Wil­helm Kunz ent­stan­den die Vor­ent­wür­fe und die Kos­ten­schät­zun­gen. Im Jah­re 1928 konn­te mit den Vor­ar­bei­ten begon­nen wer­den. Die ein­set­zen­de Wirt­schafts­kri­se Ende der zwan­zi­ger Jah­re ver­zö­ger­te den Bau­be­ginn erneut, da die erfor­der­li­chen Gel­der für den Bau der Schu­le von der Stadt nicht auf­ge­bracht wer­den konnten.

Die Humboldtschule in Geestemünde

Dank der Bewil­li­gung einer bean­trag­ten Staats­hil­fe konn­te die Schu­le im April 1930 durch den dama­li­gen Ober­bür­ger­meis­ter Wal­ter Deli­us der Öffent­lich­keit über­ge­ben wer­den. Unter der Lei­tung von Rek­tor Graue ent­schloss sich das dama­li­ge Schul­kol­le­gi­um, der neu­en Schu­le den Namen Hum­boldt­schu­le zu geben.

Es war von vorn­her­ein beab­sich­tigt, der Volks­schu­le geho­be­ne Bil­dungs­klas­sen für einen mitt­le­ren Bil­dungs­gang anzu­glie­dern. So ent­stan­den 1933 vier geho­be­ne Klas­sen, die soge­nann­ten G‑Klassen. Die Auf­nah­me­be­din­gun­gen für den G‑Zweig und die Leis­tungs­an­for­de­run­gen waren schon damals sehr hoch. Die Wie­der­ho­lung eines Schul­jah­res war aus­ge­schlos­sen, wer die Anfor­de­run­gen nicht erfüll­te, muss­te den Zweig ver­las­sen und zur Volks­schu­le zurückkehren.

Die Humboldtschule in Geestemünde

In der dama­li­gen Stadt Weser­mün­de gab es in den drei­ßi­ger Jah­ren drei Schu­len mit dem G‑Zweig. Die­ses waren in Geest­e­mün­de die Hum­boldt­schu­le, in Mit­te die Pes­ta­loz­zi­schu­le und in Lehe die Kör­ner­schu­le. Die Schü­ler­schaft für die­sen Zweig kam bei der Hum­boldt­schu­le aus den bestehen­den Geest­e­mün­der Volks­schu­len, der Her­mann-Löns-Schu­le, der Alt­geest­e­mün­der Mäd­chen­schu­le, der Neu­markt­schu­le, der All­mers­schu­le und aus dem Volks­schul­zweig der Hum­boldt­schu­le. Gleich­zei­tig stand der Zweig begab­ten Schü­lern aus den Wuls­dor­fer Schu­len und den Schu­len des süd­li­chen Land­krei­ses offen.

Am 15. Dez. 1939 wur­de auf Anord­nung des Reichs­mi­nis­ters für Wis­sen­schaft, Erzie­hung und Volks­bil­dung der G‑Zweig in den soge­nann­ten Auf­bau­zug umge­wan­delt. Das Ziel die­ser Schul­re­form war es, eine Alter­na­ti­ve zu den Ober­schu­len und Gym­na­si­en zu bil­den und den Schul­ab­gän­gern damit bes­se­re Berufs­chan­cen zu bie­ten. Die Vor­aus­set­zun­gen für die­se Plä­ne war ein hoch­qua­li­fi­zier­ter Lehr­kör­per und ein Lehr­plan, der erhöh­te Anfor­de­run­gen an die Fächer Deutsch, Lei­bes­er­zie­hung, Lebens­kun­de , Geschich­te und Musik beinhal­te­te. Im Zuge des dama­li­gen Zeit­geis­tes kam die poli­ti­sche Erzie­hung hinzu.

Die Humboldtschule in Geestemünde

Für uns Schü­ler der Gebur­ten­jahr­gän­ge 1930/31 waren die Vor­aus­set­zun­gen für die Auf­nah­me in den Auf­bau­zug ein guter Noten­quer­schnitt und sowie eine Emp­feh­lung des Schul­lei­ters als Ver­merk im letz­ten Schul­zeug­nis der Volks­schu­le. Gleich­zei­tig muss­te der Nach­weis über die erfolg­rei­che Teil­nah­me an einem zwei­jäh­ri­gem vor­be­rei­ten­den Eng­lisch­un­ter­richts­kur­sus an der Volks­schu­le erbracht werden.

Im Auf­bau­zug wur­de als Erzie­hungs­form die Koedu­ka­ti­on prak­ti­ziert, d. h. Jun­gen und Mäd­chen wur­den gemein­sam unter­rich­tet. Die­se Form war für uns neu, da die Volks­schu­le nur eine nach Geschlech­tern getrenn­te Erzie­hung kann­te. Der Anteil an Jun­gen und Mäd­chen hielt sich die Waa­ge, die Sitz­plät­ze waren jedoch durch einen Gang getrennt.

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Der Lehr­kör­per des Jah­res 1943 bestand unter der Lei­tung von Rek­tor Graue aus den Damen Rothe (Zwie­bel), Beck­mann (Isa­bel­la), von Zobel (Zo — obel), die Eng­lisch­un­ter­richt erteil­ten, den Damen Mül­ler für Turn­un­ter­richt der Mäd­chen und Pas­sier für Musik, sowie den Her­ren Hage­mann (Ferd) als Klas­sen­leh­rer und Fach­leh­rer für Deutsch, Geschich­te und Erd­kun­de, Bra­se für Raum- und Natur­leh­re und Gabrich als Lei­ter der Leibeserziehung.

Die Humboldtschule in Geestemünde

Die vor­ste­hend genann­ten Fächer­be­zeich­nun­gen waren neu und stell­ten eine Ein­deut­schung der Begrif­fe wie Mathe­ma­tik, Phy­sik und Bio­lo­gie usw. dar. Beson­de­rer Wert wur­de auf die Lei­bes­er­zie­hung gelegt, die para­mi­li­tä­ri­schen Cha­rak­ter hat­te. Zu Beginn des Unter­richts muss­te die Klas­se antre­ten und der Klas­sen­äl­tes­te mach­te dem Leh­rer Mel­dung über die Zahl der ange­tre­te­nen Schü­ler und die Begrün­dung der Krank­mel­dun­gen. Ent­spre­chend hart war der Umgangs­ton. Wur­de ein Schü­ler beim Spre­chen mit dem Nach­barn oder bei einer ande­ren Unauf­merk­sam­keit erwischt, muss­te er mit der Auf­for­de­rung “Du robbst, Du Schwein, Du Sau­pe­sel.….” drei Ehren­run­den auf dem Bauch rob­bend um die Turn­hal­le dre­hen. Die glei­che stren­ge Erzie­hung herrsch­te beim Schwimm­un­ter­richt im dama­li­gen Mari­en­bad. Nach dem vor­an­ge­hen­den Duschen wur­de ange­tre­ten und der Kör­per auf Sau­ber­keit kon­trol­liert. Waren die Kri­te­ri­en nicht aus­rei­chend erfüllt, lau­te­te der Spruch “Du hast Dich wohl seit Dei­ner Geburt nicht gewa­schen. Zurück unter die Dusche, marsch, marsch… .”

Musik­un­ter­richt hat­ten wir bei Frau Pas­sier, die sich sehr enga­gier­te. Er fand im Musik­zim­mer der Schu­le statt, wo ein gro­ßer schwar­zer Flü­gel stand. Wenn wir kei­ne Lust zum Sin­gen hat­ten, baten wir Frau Pas­sier, uns den Erl­kö­nig vor­zu­tra­gen. Sie setz­te sich dann an den Flü­gel und sang und spiel­te, und ich habe es als wun­der­vol­le Inter­pre­ta­ti­on in Erinnerung.

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Die Unter­richts­zeit betrug an fünf Tagen der Woche jeweils sechs Ein­hei­ten á 45 Minu­ten und ging von 8.00 — 13.45 Uhr. Bei nächt­li­chen Flie­ger­alarm nach 22.00 Uhr begann der Unter­richt um 9.30 Uhr und die Ein­hei­ten wur­den in Kurz­stun­den umge­wan­delt, wobei die Fächer­kom­bi­na­ti­on bestehen blieb. Aber auch tags­über wur­de der Unter­richt oft durch alli­ier­te Bom­ber­ver­bän­de, die über die Deut­sche Bucht ein­flo­gen, unter­bro­chen, und der Luft­schutz­kel­ler der Schu­le muss­te auf­ge­sucht wer­den. Die Klas­sen­fre­quenz schwank­te dau­ernd, da eini­ge Klas­sen­ver­bän­de der Volks­schu­len erst Ende des Jah­res 1943 bzw. Anfang des Jah­res 1944 aus der Kin­der­land­ver­schi­ckung und den besetz­ten Ost­ge­bie­ten zurück­kehr­ten. Hin­zu kamen Sude­ten­deut­sche und Sie­ben­bür­ger Sach­sen, die dem Ruf “Heim ins Reich” gefolgt waren.

Die schu­li­schen Leis­tun­gen lit­ten auch unter den außer­schu­li­schen Belas­tun­gen durch den Dienst im Jung­volk bzw. im Jung­mä­del­bund mit vie­len Auf­ga­ben wie Spinnstoff‑, Alt­ma­te­ri­al- und Heil­kräu­ter­samm­lun­gen, Stra­ßen­samm­lun­gen für das Win­ter­hilfs­werk, zusätz­li­chen Füh­rer­dienst, Aus­bil­dung im Luft­schutz und Ein­be­ru­fun­gen zu Lehr­gän­gen in die Gebiets­füh­rer­schu­len Dib­ber­sen und Han­kens­büt­tel. In der Vor­weih­nachts­zeit wur­de Spiel­zeug gebas­telt, das an die Kin­der ver­teilt wur­de, deren Väter im Fel­de standen.

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Hin­zu kam ein Dienst als Brand­wa­che in der Schu­le, die tags­über nach Schul­schluss von den jün­ge­ren und nachts von den älte­ren Jahr­gän­gen gestellt wur­de, für mich ein Flug­mo­dell­bau­lehr­gang der Flie­ger-HJ bei dem Modell­bau­leh­rer Ernst Olter­mann in der Mit­tel­stras­se, ein Lehr­gang im Mor­sen, der in der Her­mann-Löns-Schu­le von der Nach­rich­ten-HJ unter Lei­tung eines Offi­ziers des Flug­ha­fens Wed­de­war­den erteilt wur­de und der Hilfs­ein­satz bei den Bom­ben­an­grif­fen in den Jah­ren 1943 und 1944.

Eine beson­de­re Leis­tung stell­te für mich der Dienst als Luft­schutz­mel­der in den Räu­men der Orts­grup­pe Neu­markt dar, zu dem ich abkom­man­diert war. Ich bekam einen Stahl­helm und eine Gas­mas­ke gestellt und muss­te mich bei Flie­ger­alarm auf der Dienst­stel­le der Orts­grup­pe in der Max-Diet­rich-Stra­ße ein­fin­den. Ein Aus­weis erlaub­te mir den Auf­ent­halt auf den Stra­ßen bei Flie­ger­alarm. Den Flä­chen­an­griff mit Spreng­bom­ben auf Geest­e­mün­de am 15. Juni 1944 erleb­te ich in der Dienst­stel­le, und ich muss­te gleich nach dem Angriff los­lau­fen und alle Schä­den im Bereich der Orts­grup­pe fest­stel­len und mel­den. Dabei kam ich mir natür­lich sehr wich­tig und unent­behr­lich vor.

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Das Flä­chen­bom­bar­de­ment wur­de im Juni fort­ge­setzt. Am 17. Juni erfolg­te der Angriff auf den Fische­rei­ha­fen und am 18. Juni der Angriff auf den Stadt­teil Lehe. Nach die­sen Angrif­fen wur­de ich zur Nach­rich­ten-HJ abkom­man­diert, und wir erhiel­ten die Auf­ga­be, das zer­stör­te Tele­fon­netz, das damals noch ein Frei­lei­tungs­netz war, durch Feld­te­le­fo­ne zu erset­zen, damit die Ein­satz­lei­tun­gen mit­ein­an­der kom­mu­ni­zie­ren konn­ten. Das Mate­ri­al hier­für hol­ten wir mit einem Hand­wa­gen vom Flug­platz Wed­de­war­den und von der Mari­ne­schu­le. Mit Lei­tern, Steig­ei­sen und Kabel­trom­meln aus­ge­stat­tet, ver­leg­ten wir ein pro­vi­so­ri­sches Frei­lei­tungs­netz auf den Stra­ßen, das alle wich­ti­gen Stel­len mit­ein­an­der ver­band. Die Ver­mitt­lung wur­de auf der Bann­dienst­stel­le in der Köper­stra­ße und im HJ-Heim im Saar­park ein­ge­rich­tet, und ich muss­te hier zusam­men mit ande­ren Kame­ra­den Ver­mitt­lungs­diens­te leisten.

Die außer­schu­li­sche Belas­tung, die natür­lich Aus­wir­kun­gen auf die schu­li­schen Leis­tun­gen hat­te, wur­de nicht von allen Kräf­ten des Lehr­kör­pers akzep­tiert. Ich erin­ne­re mich, dass sich unse­re dama­li­ge Eng­lisch­leh­re­rin, Fräu­lein von Zobel, von der Klas­se mit den Wor­ten ver­ab­schie­de­te: “Ich habe mich auf­grund der Faul­heit, die in den Klas­sen des Auf­bau­zu­ges herrscht, zur Volks­schu­le zurück­ver­set­zen lassen.”

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Eine Zäsur in der dama­li­gen Schul­zeit stellt der Beginn der Som­mer­fe­ri­en 1944 dar. Durch die Gefahr der sich meh­ren­den Flie­ger­an­grif­fe ent­schloss sich die Schul­ver­wal­tung, alle Schu­len im dama­li­gen Weser­mün­de zu schlie­ßen und die Kin­der aufs Land zu eva­ku­ie­ren. Für die Klas­sen der Hum­boldt­schu­le war der Raum Schee­ßel — Roten­burg vor­ge­se­hen. Wir ver­lie­ßen Bre­mer­ha­ven in einem Sam­mel­zug unter der Lei­tung unse­res Klas­sen­leh­rers Herrn Hage­mann und der HJ-Zug­be­glei­tung, Stamm­füh­rer Erich Boh­ling, in Rich­tung Roten­burg. Die Fahrt ging über Bre­mer­vör­de — Zeven, und ab Bre­mer­vör­de wur­den die ers­ten Klas­sen an den Bahn­hö­fen ausgesetzt.

Unser Fahrt­ziel war der Ort Lau­en­brück in der Nähe von Schee­ßel am Ran­de der Lüne­bur­ger Hei­de. Hier stand ein Acker­wa­gen bereit, auf den wir unser Gepäck ver­lu­den, und dann mar­schier­ten wir zum 4 km ent­fern­ten Ort Stem­men, einem klei­nen Bau­ern­dorf. Unter der Dorf­lin­de muss­ten wir uns auf­stel­len, und die Bau­ern, die uns auf­neh­men soll­ten, such­ten sich aus unse­ren Rei­hen ihr Pfle­ge­kind aus. Dass sie im Hin­ter­kopf den Gedan­ken an eine Arbeits­kraft hat­ten, wird die Ent­schei­dun­gen bei der Aus­wahl sicher­lich beein­flusst haben.

Ich kam auf einen Hof etwas außer­halb des Ortes, nahe der dama­li­gen Reichs­stra­ße 75. Mein “Zim­mer” war eine klei­ne Kam­mer, in der ein Bett stand und ein Stuhl Platz hat­te, auf den ich mei­nen Kof­fer stel­len konn­te. Nachts hör­te ich die Mäu­se unter mei­nem Bett knab­bern und die alli­ier­ten Bom­ber­ver­bän­de nach Ham­burg flie­gen. Wenn es gar zu sehr brumm­te, weck­te mich der Bau­er, und ich muss­te mich anzie­hen. Waschen konn­te ich mich drau­ßen unter der Pum­pe, der ein­zi­gen Was­ser­stel­le des Hofes, die Toi­let­te war ein Plumps­klo drau­ßen neben dem Schweinestall.

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Sonn­abends ging es abends zusam­men mit den fran­zö­si­schen Kriegs­ge­fan­ge­nen nach Wüm­me­tal, wo die Wüm­me eine Furt bil­de­te und man im seich­ten Was­ser ein Voll­bad neh­men konn­te. Mei­ne Haus­ge­nos­sen waren der Bau­er und sei­ne Frau, eine mir gleich­alt­ri­ge Toch­ter und drei pol­ni­sche Zivil­ar­bei­ter, die ihre Mahl­zei­ten an einem geson­der­ten Tisch ein­neh­men mussten.

Der Schul­un­ter­richt wur­de wie­der auf­ge­nom­men. Das Dorf besaß eine ein­klas­si­ge Volks­schu­le, und wir teil­ten uns die vor­han­de­nen zwei Klas­sen­räu­me mit der Dorf­ju­gend, die von dem Leh­rer Selig unter­rich­tet wur­de. Turn­un­ter­richt hat­ten wir gemein­sam in Form einer Art Schlacht­ball­spiel, das wir mit einem Medi­zin­ball aus­tru­gen. Herr Hage­mann unter­rich­te­te uns sou­ve­rän in allen Fächern bis auf Eng­lisch. Er fand bewun­derns­wer­ter Wei­se sogar noch die Zeit, uns Unter­richt in Ste­no­gra­phie zu geben. Zum Eng­lisch­un­ter­richt mar­schier­ten wir gemein­sam nach Lau­en­brück, wo Fräu­lein Beck­mann mit ihrer Klas­se unter­ge­bracht war und sie die Mög­lich­keit hat­te, uns nach­mit­tags zu unterrichten.

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Das Dorf lag in der Ein­flug­schnei­se der alli­ier­ten Flie­ger nach Ham­burg und Ber­lin, und wenn tags­über die Bom­ber­ver­bän­de in gro­ßer Höhe mit lan­gen Kon­dens­strei­fen hin­ter sich her­zie­hend das Dorf über­flo­gen, muss­ten wir den im Schul­hof befind­li­chen Split­ter­bun­ker auf­su­chen, wo der Unter­richt fort­ge­setzt wur­de. Meh­re­re Male erleb­ten wir, dass eine von den vier­mo­to­ri­gen Boing Fort­ress abstürz­te und die Besat­zun­gen gefan­gen genom­men wur­den. Anschlie­ßend durch­stö­ber­ten wir die Maschi­nen, schau­ten uns alles an und nah­men ver­bo­te­ner Wei­se Leucht­spur­mu­ni­ti­on der Bord­ka­no­nen an uns. Gott sei Dank ist damit nie etwas ernst­haf­tes pas­siert, obwohl ein­mal bei einem Bau­ern wun­der­sa­mer Wei­se der Koh­le­ofen explodierte.

Neben dem Unter­richt mach­ten wir Ern­te­ein­satz bei den Bau­ern oder wur­den gemein­sam zum Suchen von Kar­tof­fel­kä­fern oder zum Sam­meln von Buch­eckern ein­ge­setzt. Auch such­ten wir in den Wäl­dern nach Reser­ve­ka­nis­tern, die von den neu­er­dings ein­ge­setz­ten Focke Wulf 200, den ers­ten Düsen­jä­gern, bei ihren Abfang­ein­sät­zen abge­wor­fen wurden.

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Der Dienst im Jung­volk trat in den Hin­ter­grund. Wir wur­den zwar dem bestehen­den Jung­zug im Ort ein­ge­glie­dert, aber ein regel­mä­ßi­ger Dienst fand nicht statt. Die Bau­ern­jun­gen, deren Väter meis­tens ein­ge­zo­gen waren, hat­ten genug mit der Ern­te und der Arbeit auf dem Hof zu tun. Nur wenn grö­ße­re Ver­an­stal­tung geplant waren, muss­ten wir in Uni­form teil­neh­men. Ich erin­ne­re mich an einen Bann­ap­pell in Schee­ßel, bei dem der Bann­füh­rer in glü­hen­den Wor­ten den nahe bevor­ste­hen­den End­sieg ankün­dig­te und uns, die Jahr­gän­ge 1930/31 zu einer frei­wil­li­gen Mel­dung zum Dienst in der Waf­fen-SS, Divi­si­on Hit­ler­ju­gend auf­for­der­te. Es muss­te jedoch eine Ein­ver­ständ­nis­er­klä­rung der Eltern bei­gebracht wer­den, die kei­ner von uns erhielt.

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Um die Herbst­fe­ri­en gab es einen Kampf. Die Bau­ern woll­ten uns zur Kar­tof­fel­ern­te dabe­hal­ten, aber wir woll­ten natür­lich nach Hau­se zu unse­ren Eltern. Nach lan­gem Hin — und Her durf­ten wir am 16. Sep­tem­ber nach Weser­mün­de fah­ren. Es gab noch ein Hin­der­nis mit der Bahn, denn am Schal­ter durf­ten kei­ne Fahr­kar­ten aus­ge­ge­ben wer­den, wenn die Fahr­stre­cke mehr als 100 km betrug. Wir umgin­gen die­ses Pro­blem, lös­ten eine Fahr­kar­te bis Roten­burg, fuh­ren dort­hin und lös­ten dort eine Fahr­kar­te nach Weser­mün­de. Die Züge hat­ten einen fla­chen Güter­wa­gen mit einem dar­auf mon­tier­ten leich­ten Flak­ge­schütz hin­ter dem Ten­der und am Ende des Zuges — zur Abwehr feind­li­cher Tief­flie­ger, die oft und ger­ne die fah­ren­den Züge angrif­fen. Nach­dem ich glück­lich zu Hau­se ange­kom­men war, erfolg­te zwei Tage spä­ter, am 18. Sep­tem­ber 1944 der Groß­an­griff alli­ier­ter Bom­ber auf Bre­mer­ha­ven. Unser Haus brann­te nie­der, ich ver­brach­te die Nacht, im Split­ter­gra­ben vor dem Feu­er­sturm geschützt, auf dem Geest­e­mün­der Neumarkt.

Mit Been­di­gung der Herbst­fe­ri­en muss­ten wir nach Stem­men zurück, wenn wir in der Klas­se ver­blei­ben woll­ten. Der Platz auf dem Hof wur­de enger, aus­ge­bomb­te Fami­li­en aus Ham­burg, Bre­men und Weser­mün­de muss­ten auf­ge­nom­men wer­den, und im Janu­ar 1945 erreich­ten die ers­ten Flücht­lings­trecks aus Ost- und West­preu­ßen das Dorf.

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Die Schul­räu­me wur­den beschlag­nahmt und dien­ten nun­mehr einer flä­mi­schen Waf­fen- SS-Ein­heit als Unter­kunft. Herr Hage­mann bewirk­te, dass uns der Club­raum des Dorf­kru­ges vor­mit­tags zur Ver­fü­gung gestellt wur­de, und so fand der Unter­richt nun­mehr bei “Schul­ten Johann” statt. Drau­ßen mar­schier­ten schnei­dig und laut sin­gend die Fla­men vor­bei. Im Saal des Dorf­kru­ges waren die fran­zö­si­schen Kriegs­ge­fan­ge­nen unter­ge­bracht, die tags­über bei den Bau­ern arbei­te­ten und nachts von einem Volks­sturm­mann im Saal ein­ge­schlos­sen wur­den. Anschlie­ßend kamen sie durch die Fens­ter wie­der her­aus und tra­fen sich im Dorf.

Der Krieg kam näher, und Herr Hage­mann erhielt eine Ein­be­ru­fung zum Volks­sturm. Es gelang ihm jedoch, eine Frei­stel­lung zu erwir­ken. So konn­te der Unter­richt bis zu den Oster­fe­ri­en 1945 fort­ge­setzt wer­den. Neben all den erns­ten Ereig­nis­sen, die die Zeit und die Umstän­de mit sich brach­ten, gab es aber auch schö­ne Erleb­nis­se, an die ich mich ger­ne erinnere.

Zum einen war die­ses das haut­na­he Erle­ben der Natur, das für mich als Stadt­kind ein völ­lig neu­es Gefühl bedeu­te­te. Zum ande­ren war es das Gefühl der Not­ge­mein­schaft, das uns zusam­men­hal­ten ließ.

Die Humboldtschule in Geestemünde

In schöns­ter Erin­ne­rung sind mir die win­ter­li­chen Sonn­tag­nach­mit­ta­ge auf der Die­le beim Bau­ern Hoops. Hier kamen wir beim Schein der Petro­le­um­lam­pe mit der Dorf­ju­gend zusam­men. Anne­gret Bäss­mann spiel­te auf dem Akkor­de­on, und wir tanz­ten dazu, wäh­rend die Kühe in den Ver­schlä­gen mit den Ket­ten ras­sel­ten und brumm­ten. Unser schöns­tes Lied war das Lied der KLV, das wohl von Mil­lio­nen Schul­kin­dern in allen Land­ver­schi­ckungs­la­gern des Deut­schen Rei­ches und der angren­zen­den Ost­ge­bie­te gesun­gen wur­de und mit dem ers­ten Vers begann:

 Abends am Lager­feu­er sit­zen wir,
geden­ken der Hei­mat und plau­dern von ihr.
Zu Vater und Mut­ter daheim
kehr’n die Gedan­ken ins Eltern­haus ein. 

Nach den Oster­fe­ri­en wur­de der Schul­un­ter­richt nicht wie­der auf­ge­nom­men. Die Front der eng­li­schen Trup­pen waren unse­rem Auf­ent­halts­ort bedenk­lich nahe gerückt. So ent­schloss sich unser Klas­sen­leh­rer, Herr Hage­mann, mit Unter­stüt­zung von einem ange­reis­ten Vater eines Mit­schü­lers zu einer aben­teu­er­li­chen Heim­rei­se mit drei ver­blie­be­nen Schü­lern. Sein Plan war, mit dem Fahr­rad Bre­mer­vör­de zu errei­chen und dort eine Fahr­ge­le­gen­heit mit dem Zug nach Weser­mün­de zu ergat­tern. Unse­re Polen auf dem Hof hat­ten heim­lich am Radio feind­li­che Pro­pa­gan­da­sen­der abge­hört und dabei ver­nom­men, dass um Bre­mer­vör­de schon Kämp­fe statt­fan­den. Trotz ihrer War­nun­gen schloss ich mich der Grup­pe an.

Die Humboldtschule in Geestemünde

Wir star­te­ten gegen Mit­tag in Stem­men und fuh­ren über die Land­stra­ßen, die voll­ge­stopft waren mit Pan­zern, Last­wa­gen und Sturm­ge­schüt­zen und den dazu­ge­hö­ri­gen Land­sern. Durch eine Pan­ne am Fahr­rad blieb ich zurück und ver­lor den Anschluss an die Grup­pe. Land­ser hal­fen mir beim Fli­cken des Rades, es wur­de spät, und ich hat­te den Mut ver­lo­ren, Bre­mer­vör­de bei Tages­licht zu errei­chen So ent­schloss ich mich, nach Zeven zu fah­ren. Alle Augen­bli­cke muss­te ich anhal­ten und vom Rad sprin­gen, da Tief­flie­ger in nied­ri­ger Höhe die Land­stra­ßen abflo­gen und auf alles schos­sen, was sich bewegte.

Ich erreich­te jedoch den Bahn­hof von Zeven vor Ein­bruch der Dun­kel­heit und muss­te dort den Luft­schutz­kel­ler auf­su­chen, da Flie­ger­alarm herrsch­te. Plötz­lich ging ein Rau­nen durch den Luft­schutz­raum: “Der Zug kommt!” Alles stürm­te nach drau­ßen, und es gelang mir, einen Platz im Zug zu fin­den. Bei der Ein­fahrt in Bre­mer­vör­de schau­te ich aus dem Fens­ter und sah die Grup­pe mit Herrn Hage­mann auf dem Bahn­steig ste­hen. Um Mit­ter­nacht erreich­te der Zug tat­säch­lich den Haupt­bahn­hof von Wesermünde.

Die Humboldtschule in Geestemünde

Am 8. Mai 1945 war mit der Kapi­tu­la­ti­on und mit dem Ein­marsch der High­land Divi­si­on in das Stadt­ge­biet der Krieg zu Ende. Die Wirr­nis­se der Zwi­schen­zeit stel­len eine Geschich­te für sich dar und gehö­ren nicht in die­se Chro­nik. Dazu gehört jedoch der Tod unse­res Rek­tors Graue in den letz­ten Kriegs­ta­gen: Er hat­te sich nach Kühr­stedt eva­ku­iert, um dort das Kriegs­en­de abzu­war­ten. Beim Beschuss des Dor­fes durch die Eng­län­der von Beder­ke­sa aus ver­ließ er das schüt­zen­de Haus und wur­de von einer kre­pie­ren­den Gra­na­te töd­lich verletzt.

Das Kriegs­en­de mit dem unglück­li­chen Aus­gang stellt erneut eine Zäsur für die Ent­wick­lung der Schu­le dar. Die Besat­zungs­macht setzt eine Mili­tär­re­gie­rung ein, die wie­der­um kom­mis­sa­risch eine Stadt­ver­wal­tung aus poli­tisch unbe­las­te­ten Leu­ten zusam­men­stellt. Die ers­ten Auf­ga­ben die­ser Ver­wal­tung sind die Rück­füh­rung und Unter­brin­gung der eva­ku­ier­ten Bevöl­ke­rung und deren Ver­sor­gung. Die Ver­wal­tung wird in die Pes­ta­loz­zi­schu­le ein­quar­tiert und nimmt hier ihre Arbeit auf. Die Schu­len blei­ben auf unbe­stimm­te Zeit geschlos­sen, da die Leh­rer­schaft durch die von der Mili­tär­re­gie­rung ein­ge­setz­ten soge­nann­ten Spruch­kam­mern erst auf ihre poli­ti­sche Unbe­denk­lich­keit geprüft wird. Außer­dem sind kei­ne Räum­lich­kei­ten vor­han­den, da die meis­ten Schu­len der Stadt zer­stört sind. Die Aus­sich­ten auf die Zukunft sind unge­wiss, da noch immer die Fest­set­zun­gen des Mor­genthau­pla­nes über die zukünf­ti­ge Neu­ord­nung Deutsch­lands Gül­tig­keit besit­zen. Das Deut­sche Reich ist in Besat­zungs­zo­nen auf­ge­teilt, und die zustän­di­gen Mili­tär­re­gie­run­gen haben hier die Bildungshoheit.

Die Ame­ri­ka­ner begin­nen mit der Umer­zie­hung der deut­schen Jugend, der “Ree­du­ca­ti­on” durch den GYA, den Ger­man Youth Akti­vi­ties und durch die Ein­rich­tung der soge­nann­ten Ame­ri­ka­häu­ser. In die­sen Insti­tu­tio­nen soll bei den Jugend­li­chen ein neu­es Demo­kra­tie­ver­ständ­nis auf­ge­baut werden.

Auf Ver­an­las­sung mei­nes Vaters begin­ne ich eine Tisch­ler­leh­re, aber da die Werk­statt zer­stört ist, ver­brin­ge ich mei­ne Lehr­zeit mit Trüm­mer­be­sei­ti­gung. Als im Herbst 1945 die Schu­len wie­der geöff­net wer­den, bre­che ich die Leh­re ab und keh­re zur Hum­boldt­schu­le zurück. Unse­re Leh­rer­schaft ist fast voll­stän­dig wie­der in alter Beset­zung anwe­send, die “Per­sil­schei­ne” sind erteilt. Hin­zu kom­men neue Lehr­kräf­te aus den ehe­ma­li­gen Mari­ne­schu­len und aus den Schu­len, die zer­stört sind.

Die Lei­tung der Schu­le wird Rek­tor Rabens anver­traut. Unse­re Klas­sen­leh­re­rin wird Frau Dr. Bohm vom Lyze­um Geest­e­mün­de mit dem Fach Deutsch. Geschich­te und Erd­kun­de unter­rich­tet Herr Hage­mann, Mathe­ma­tik Herr Karsch, Eng­lisch Fräu­lein Rothe, Phy­sik und Che­mie Herr Prenz­low und Zeich­nen und Musik das Leh­rer­ehe­paar Bier­mann. Die Klas­sen­fre­quenz schwankt zwi­schen 40 und 50 Schü­lern. Da die Pes­ta­loz­zi­schu­le durch die Stadt­ver­wal­tung und die Ame­ri­can High­school belegt ist, wer­den die Schü­ler die­ser Schu­le auf die Hum­boldt- und Kör­ner­schu­le ver­teilt. Das Kri­te­ri­um für die Umver­tei­lung, wer auf wel­che Schu­le kommt, stellt kurio­ser­wei­se das Vor­han­den­sein einer Stra­ßen­bahn­hal­te­stel­le in der Nähe der Woh­nung dar.

Der Unter­richt gestal­tet sich für den Lehr­kör­per sehr schwie­rig. Die alten Schul­bü­cher dür­fen aus poli­ti­schen Grün­den nicht benutzt wer­den, neue Schul­bü­cher gibt es nicht, Schreib­pa­pier ist eben­falls nicht zu bekom­men. So muss der Unter­richt aus dem Steg­reif gestal­tet wer­den. Die Über­be­le­gung der Schu­le erfor­dert die Ein­füh­rung des Schicht­un­ter­rich­tes, wobei sich die Klas­sen­ver­bän­de abwech­selnd den Unter­richts­raum tei­len. Die Kern­grup­pe unse­res Klas­sen­ver­ban­des erwei­tert sich um die zu uns gewech­sel­ten Schü­ler der Kör­ner- und Pes­ta­loz­zi­schu­le, um Flücht­lin­ge und ehe­ma­li­ge Flak­hel­fer und Militärdienstverpflichtete.

Wich­tigs­ter Teil der Schu­le für uns ist die Schul­spei­sung, die von der Besat­zungs­macht im Lau­fe des Jah­res 1946 ein­ge­führt wird. Aus Mit­teln der Hoo­ver­spei­sung wird in Groß­kü­chen abwech­selnd Erb­sen­sup­pe bezie­hungs­wei­se Milch­sup­pe berei­tet und in Ther­mos­kü­beln an die Schu­len gelie­fert. In der gro­ßen Pau­se erhält jeder Schü­ler hier­von einen soge­nann­ten Schlag. Die­ser Schlag stellt für vie­le Kin­der die Haupt­mahl­zeit des Tages dar. Grund dafür ist die knap­pe Ver­sor­gung der Bevöl­ke­rung mit Lebens­mit­teln, die im stren­gen und lan­gen Win­ter 19946/47 ihren Tief­punkt erreicht. Ich bin oft mit ande­ren Klas­sen­ka­me­ra­den zum Schul­schluss nach­mit­tags um 16.30 Uhr erneut in der Hoff­nung zur Schu­le gegan­gen, um von den Res­ten des Tages einen Nach­schlag zu erhalten.

Die Humboldtschule in Geestemünde

Außer­schu­li­sche Ver­pflich­tun­gen gab es auch zu die­ser Zeit. Um einen Anspruch auf Lebens­mit­tel­kar­ten zu erwir­ken, muss­ten Pflicht­stun­den bei der Ent­trüm­me­rung der Stadt nach­ge­wie­sen wer­den. Die­se Pflicht­stun­den wur­den im Klas­sen­ver­band abge­ar­bei­tet. Pflicht war auch der gemein­sa­me Besuch einer Aus­stel­lung der Gräu­el­ta­ten in den KZ’s, die in der Aula der Wil­helm-Raa­be-Schu­le auf­ge­baut war und die mich sehr scho­ckiert hat, und der Besuch meh­re­rer Film­ver­an­stal­tun­gen, die der Ree­du­ca­ti­on die­nen soll­ten. Kei­ne Pflicht, aber all­ge­mein üblich war an Win­ter­aben­den in der Däm­mer­stun­de das Besor­gen von Bun­ker­koh­le von den Zügen am Fische­rei­ha­fen, um daheim ein war­mes Zim­mer zu haben. Die­ses “Besor­gen” galt zu der Zeit als Kava­liers­de­likt und dien­te dem Überleben.

Mit Beginn des neu­en Schul­jah­res 1946 wech­sel­te die Beset­zung unse­res Lehr­kör­pers. Herr Nord­hoff war aus der Kriegs­ge­fan­gen­schaft zurück­ge­kehrt, hat­te sein Spruch­kam­mer­ver­fah­ren hin­ter sich gebracht und wur­de nun unser Klas­sen­leh­rer, der uns in Deutsch, Eng­lisch und Musik unter­rich­te­te. Auch der Turn­un­ter­richt wur­de wie­der auf­ge­nom­men, aber nur im Som­mer, da unse­re Turn­hal­le zer­stört war. Wir muss­ten daher zum Turn­un­ter­richt den Städ­ti­schen Sport­platz im Bür­ger­park auf­su­chen. Da sich für eine Stun­de der lan­ge Anmarsch nicht lohn­te, wur­de der Unter­richt alle 14 Tage auf einen Mitt­woch­vor­mit­tag gelegt und für drei Klas­sen gleich­zei­tig erteilt. Herrn Gabrichs Lieb­lings­sport­art war nun Hand- und Fuß­ball­spiel. Die Asse in die­ser Sport­art, Bagen­da und Gul­bis, stell­ten ihre Mann­schaf­ten auf und spiel­ten, wobei Herr Gabrich schieds­rich­ter­te. Der Rest der Klas­sen wur­de zum Lang­lauf­trai­ning auf die Aschen­bahn rund um den Sport­platz geschickt. Nun weiß ich auch, war­um mir Sport immer ver­hasst war!

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Mit Anbruch der Weih­nachts­fe­ri­en setz­te der Win­ter mit star­kem Frost und Schnee­fall ein. Der Janu­ar brach­te kla­res Frost­wet­ter mit Ost­wind und Tiefst­tem­pe­ra­tu­ren bis zu ‑18°, das sich bis weit in den März hin­ein hin­zog. Die in der Schu­le vor­han­de­nen Koh­le­vor­rä­te waren auf­ge­braucht, Nach­schub gab es nicht und so konn­te die Schu­le nicht mehr geheizt wer­den. Nach Ablauf der Weih­nachts­fe­ri­en ruh­te der Schul­be­trieb bis auf wei­te­res. Die Ver­tei­lung der Schul­spei­se wur­de fort­ge­setzt, und so gin­gen wir mit unse­rem Blech­napf jeden Mor­gen um 9.30 Uhr auf den Schul­hof, um uns unse­ren Schlag Sup­pe abzuholen.Herr Nord­hoff enga­gier­te sich in selbst­auf­op­fern­der Wei­se und kam jeden Mor­gen mit der Stra­ßen­bahn von Alt­wuls­dorf aus zur Schu­le gefah­ren. Nach­dem wir die Schul­spei­sung emp­fan­gen hat­ten, gin­gen wir mit ihm gemein­sam in den Klas­sen­raum, der Tem­pe­ra­tu­ren unter dem Gefrier­punkt hat­te. In Hut und Man­tel mit auf­ge­schla­ge­nem Kra­gen stand er eine Stun­de an der Schul­ta­fel und gab uns Unter­richt und Haus­auf­ga­ben und berei­te­te uns so auf die bevor­ste­hen­de Abschluss­prü­fung vor, die mit Ablauf des Schul­jah­res im März 1947 statt­fin­den sollte.

Die Hoff­nung auf einen erneu­ten Unter­richts­be­ginn erfüll­te sich nicht. Der Dau­er­frost hielt an, und als Prü­fungs­ter­min wur­de nach meh­re­ren Ver­schie­bun­gen der 20. März 1947 fest­ge­setzt. Prü­fungs­ort soll­te die Zwing­lischu­le in der Lan­gen Stra­ße in Lehe sein, die als eine der ältes­ten Schu­len der Stadt zur Behei­zung noch Koh­le­öfen besaß und so ein Raum für uns geheizt wer­den konn­te. Wer die Koh­le besorgt hat, weiß ich nicht. Aus­ge­rech­net in die­sen Tagen hat­te Tau­wet­ter ein­ge­setzt und die ver­eis­ten Stra­ßen­bahn­schie­nen über­flu­tet, so dass die Stra­ßen­bah­nen nicht fah­ren konn­ten. So tra­fen wir Geest­e­mün­der uns recht­zei­tig am Haupt­bahn­hof und mar­schier­ten gemein­sam über die Stra­ße der Frei­heit, die heu­ti­ge Stre­se­mann­stra­ße, in Rich­tung Lehe.

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Wir kamen auf­grund der schlech­ten Fuß­be­klei­dung mit durch­näss­ten Schu­hen dort an und hin­gen unse­re Schu­he und Strümp­fe zum Trock­nen an den rie­si­gen eiser­nen Ofen. Der Prü­fungs­aus­schuss, dem es ähn­lich ergan­gen war, mach­te es eben­so. Als Prü­fungs­aus­schuss unter dem Vor­sitz des Beauf­trag­ten des Sena­tors für Schu­len und Erzie­hung, Schul­rat Zim­mer­mann zeich­ne­ten Rek­tor Rabens, Herr Nord­hoff, Herr Hage­mann, Fräu­lein Rothe, Frau Dr. Bohm und Herr Prenz­low verantwortlich.

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Die schrift­li­che Prü­fung begann unter Herrn Rek­tor Rabens in Mathe­ma­tik unter strengs­ter Klau­sur. Wer vor Auf­re­gung zur Toi­let­te muss­te, konn­te die­ses nur in Beglei­tung eines Leh­rers ver­rich­ten. Es folg­ten die ande­ren Prü­fungs­fä­cher. Wer bei einer spä­te­ren Begut­ach­tung durch den Prü­fungs­aus­schuss mit einer Zen­sur zum Guten oder Schlech­ten auf der Kip­pe stand, wur­de münd­lich nach­ge­prüft. Ich muss an die­ser Stel­le für ihr Ver­hal­ten in der münd­li­chen Prü­fung lobend Fräu­lein Rothe erwäh­nen, die sich uns gegen­über loy­al zeig­te und durch ihre Mimik und durch geschick­te Zwi­schen­fra­gen man­che gespann­te Situa­ti­on rettete.

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Zur Beloh­nung für die Anstren­gun­gen stand der Klas­se in der Pau­se ein gan­zer Kübel Schul­spei­sung zum Sat­tes­sen bereit. Ent­spannt und in gelo­cker­ter Atmo­sphä­re tra­ten wir in hel­lem Son­nen­schein den Rück­weg nach Hau­se über die Hafen­stras­se an. Die offi­zi­el­le Schul­ent­las­sungs­fei­er fand am 29. März 1947 vor­mit­tags um 11.00 Uhr im Musik­zim­mer der Schu­le statt. Nach­mit­tags tra­fen wir uns noch ein­mal in der Schu­le, um mit Heiß­ge­tränk die bestan­de­ne Prü­fung zu begießen.

Die Humboldtschule in Geestemünde

Rück­bli­ckend möch­te ich noch ein­mal unse­rer Leh­rer­schaft mei­ne Hoch­ach­tung aus­drü­cken, die uns unter wid­rigs­ten Umstän­den ein Bil­dungs­ni­veau ver­mit­telt hat, das den heu­ti­gen schu­li­schen Leis­tun­gen in kei­ner Wei­se nach­steht. Die­ses Wis­sen kam uns in den1950er Auf­bau­jah­ren allen zu Gute und bil­de­te die Basis für unse­re beruf­li­che Kar­rie­re und stell­te für vie­le auch den Grund­stock für den zwei­ten Bil­dungs­weg dar. Ohne jeman­den zurück­zu­stel­len, möch­te ich die ruhi­ge, beson­ne­ne und väter­li­che Art des Herrn Hage­mann erwäh­nen, der uns durch all die schwe­ren Jah­re beglei­te­te und der mit sei­nem ver­steck­ten Humor man­che Eska­la­ti­on ver­mei­den half. Bei Herrn Rek­tor Rabens bewun­de­re ich die Art sei­ner Päd­ago­gik und Dia­lek­tik, mit der er den Unter­richt führ­te und sei­ne Auto­ri­tät zum Aus­druck brach­te. Ich mei­ne, dass er mit die­ser Art auch bei der heu­ti­gen Schul­ju­gend mit Erfolg bestehen könn­te!
Bre­mer­ha­ven, im Juli 1997 | Erich Sturk
Vie­len Dank an Herrn Erich Sturk, dass er die Leser des Deich­SPIE­GELS an sei­nen Erin­ne­run­gen an die Hum­boldt­schu­le teil­ha­ben lässt. 

Erich Sturk: Meine Schulzeit in der Allmersschule

In “Mei­ne Schul­zeit in der All­mers­schu­le” beschreibt der Geest­e­mün­der Erich Sturk sei­nen ers­ten Schul­tag in der All­mers­schu­le und sei­ne Erin­ne­run­gen an die ers­ten Schul­jah­re. Die Gebur­ten­jahr­gän­ge 1930/31, die auf­grund ihres Wohn­sit­zes zum Schul­be­zirk der All­mers­schu­le in Geest­e­mün­de gehör­ten, wur­den Ostern 1937 eingeschult. 

Allmersschule

Der dama­li­gen Klas­sen­fre­quenz ent­spre­chend wur­den zwei Klas­sen gebil­det, die Selek­ti­on wur­de ent­spre­chend den Anfangs­buch­sta­ben der Nach­na­men vor­ge­nom­men. Die Schü­ler mit den Anfangs­buch­sta­ben A — L kamen in die Klas­se 8 a zu Herrn Tin­ne­mey­er, der Rest in die Klas­se 8 b zu Herrn Lan­ge. Lei­ter der All­mers­schu­le war der­zeit Rek­tor Stelljes.

Zur Ein­schu­lung Ostern 1937 bekam ich eine Schul­tü­te, gefüllt mit Süßig­kei­ten, die mir den Ein­tritt in den Ernst des Lebens ver­sü­ßen soll­te. Ich bekam sie aber erst zu Hau­se über­reicht, damit, Zitat mei­ner Eltern, “den armen Kin­dern, die kei­ne bekom­men, nicht das Herz blutet.”

Die Ein­schu­lung begann mit einem Flag­gen­ap­pell, zu dem die gesam­te Schü­ler­schaft auf dem Schul­hof ange­tre­ten war und Rek­tor Stell­jes die Flag­ge hiss­te, wobei das Deutsch­land­lied und das Horst-Wes­sel-Lied gesun­gen wurde.

Der Schul­ran­zen, genannt “Tor­nis­ter”, wur­de auf dem Rücken getra­gen, um die Kör­per­hal­tung zu scho­nen. Er ent­hielt die Schul­fi­bel, (“Oh Hei­ni, bist Du dumm, rührst mit dem gan­zen Fin­ger im Tin­ten­fass her­um…“ und “Feri­en und lesen? Nein, wir sehen SA und SS…“), ein Rechen­buch, den Grif­fel­kas­ten mit ver­schie­de­nen Schie­fer­grif­feln und als Haupt­re­qui­sit die Schie­fer­ta­fel mit Schwamm­do­se und Tafel­lap­pen zum Säu­bern der Schie­fer­ta­fel. Alter­na­ti­ve Mit­schü­ler, die es auch damals schon gab, spuck­ten zu die­sem Zweck auf die Tafel und wisch­ten sie mit dem Ärmel ab.

Erinnerungsfoto

Die Unter­rich­tung wäh­rend der ers­ten vier Grund­schul­jah­re er- folg­te in allen Fächern durch den Klas­sen­leh­rer, in mei­nem Fall durch den Herrn Lan­ge. Ledig­lich der Turn­un­ter­richt erfolg­te zusam­men mit der Par­al­lel­klas­se durch den Herrn Tin­ne­mey­er, spä­ter durch Herrn Schos­sig. Haupt­fä­cher waren Schrei­ben, Lesen, Rech­nen, wobei das Üben der Schön­schrift in Süt­ter­lin erst auf Schie­fer­ta­feln, spä­ter mit Tin­te in Schul­hef­ten ein beson­de­res Ste­cken­pferd des Herrn Lan­ge war.

Neben­fä­cher waren Hei­mat­kun­de, Hei­mat­ge­schich­te und Reli­gi­on, wobei die Flüs­se des Har­zes, auf­ge­zählt in Ost- und West­rich­tung eine beson­de­re Bedeu­tung hat­ten, da Herr Lan­ge hier sei­ne Urlaubs­zeit ver­brach­te. Zur Hei­mat­ge­schich­te zähl­ten die Hei­mat­sa­gen des Hein­rich Mahler, sei­ner­zeit Rek­tor an der Her­mann-Löns-Schu­le. Ich erin­ne­re mich an den Dra­chen­stein in Don­nern und die Zwer­ge von Dünen­fähr, Orte, die ich sonn­tags mit mei­nen Eltern auf dem Fahr­rad auf­such­te, um mir ein Bild zu machen. Die Reli­gi­ons­stun­de lag am Schluss des Unter­rich­tes, wobei die “Gott­lo­sen” (Zitat Wil­helm Lan­ge) und die Katho­li­ken und Juden nach Hau­se gehen durften.

1937 Allmersschule Klassenfoto

Die All­mers­schu­le war eine acht­klas­si­ge Grund­schu­le für Jun­gen. Wer die ent­spre­chen­den Leis­tun­gen brach­te und des­sen Eltern das nöti­ge Schul­geld besa­ßen, konn­te nach der vier­ten Klas­se zur Ober­schu­le für Jun­gen, der heu­ti­gen Wil­helm-Raa­be-Schu­le, über­wech­seln. Die zwei­te Mög­lich­keit der Wei­ter­bil­dung bestand im Wech­sel nach der sechs­ten Klas­se zum Auf­bau­zug der Hum­boldt­schu­le, einer Ein­rich­tung der Reich­mi­nis­ters für Erzie­hung und Wis­sen­schaft als Alter­na­ti­ve zur Ober­schu­le. Zu die­sem Über­gang wur­den ent­spre­chen­de Schul­no­ten, eine Emp­feh­lung des Klas­sen­leh­rers und die erfolg­reich Teil­nah­me an einem zwei­jäh­ri­gen Eng­lisch­kur­sus, zusam­men mit den gleich­alt­ri­gen Mäd­chen der Neu­markt­schu­le, verlangt.

Die Erzie­hung war preu­ßisch streng. Mor­gens bei Schul­be­ginn betrat Herr Lan­ge die Klas­se und auf sei­nen Ruf hin “Zock, drei, vier” muss­ten wir alle gera­de und still mit gekreuz­ten Armen auf unse­rem Platz sit­zen. Das Leh­rer­pult stand auf einem erhöh­ten Podest, dane­ben ein Spuck­napf und ein Stahl­ge­stell mit Wasch­schüs­sel und Sei­fe. Bei­des wur­de vom Haus­meis­ter, dem Herrn Göld­ner, täg­lich gesäu­bert und frisch gefüllt. Über dem Pult hing an der Wand ein Füh­rer­bild, auf das bei ent­spre­chen­den Gele­gen­hei­ten mit den Wor­ten: “… und das im Ange­sich­te eures Füh­rers! Pfui, schämt Euch!“, hin­ge­wie­sen wurde.

Auf dem Klas­sen­schrank lag ein wich­ti­ges Requi­sit, näm­lich ein Rohr­stock, genannt “der Gel­be”. Er dien­te als Zei­ge­stock und zur kör­per­li­chen Züch­ti­gung. War er durch zu häu­fi­ge Benut­zung ver­schlis­sen, wur­de ein Schü­ler zum Eisen­wa­ren­ge­schäft Daetz in die Georg­stra­ße geschickt, um einen neu­en “Gel­ben” zu besor­gen. Neben dem stän­dig gebrauch­tem “Zock drei vier” war es eine Eigen­art unse­res Kas­sen­leh­rers, bei schrift­li­chen Arbei­ten mit dem “Gel­ben” auf die Schü­ler­pul­te zu stei­gen und so, von Pult zu Pult schrei­tend, die Arbei­ten des Ein­zel­nen zu kon­trol­lie­ren und zu korrigieren.

Zuechtigung

Die Päd­ago­gik des Herrn Lan­ge bestand vor­wie­gend aus der “Pauk­me­tho­de”. Aus­wen­dig ler­nen von Gedich­ten und Pro­sa stand an ers­ter Stel­le und soll­te das Gedächt­nis schu­len. Bis jeder in der Klas­se das Gedicht “Die alte Wasch­frau” feh­ler­frei auf­sa­gen konn­te, muss­ten wir es rück­wärts üben und von hin­ten her auf­sa­gen. Die­se Metho­de, die sicher­lich bei jedem zeit­ge­mäß aus­ge­bil­de­ten Päd­ago­gen Kopf­schüt­teln her­vor­ruft, hat­te aber für das prak­ti­sche Leben auch ihre Vor­tei­le. So kann ich heu­te noch alle Prä­po­si­tio­nen und Kon­junk­tio­nen der Rei­he nach im Schlaf auf­sa­gen, die Qua­drat­wur­zel ohne Hil­fe eines Rechen­schie­bers oder eines Taschen­rech­ners zie­hen und Sät­ze “Dro­ben ste­het die Kapel­le, schaut ins tie­fe Tal hin­ab.…” nach Satz­ge­gen­stand und Satz­aus­sa­ge zergliedern.

Mit Kriegs­be­ginn am 1. Sep­tem­ber 1939 änder­te sich auch eini­ges im täg­li­chen Schul­ab­lauf. Im Kel­ler der Schu­le wur­de ein Luft­schutz­raum ein­ge­rich­tet, den wir bei den zuneh­men­den Flie­ger­alar­men auf­su­chen muss­ten, und 1941 fie­len die ers­ten Bom­ben in der Nähe der Schu­le in der Schil­ler- und Klop­stock­stra­ße. Genau gegen­über der Schu­le, in der All­mers­stra­ße, wur­de mit dem Bau eines Hoch­bun­kers begon­nen, der nach dem Krie­ge gesprengt wurde.

Jungvolk

Zum Unter­richt trat das Fach “Luft­schutz­übung” unter der Lei­tung des Leh­rers und stell­ver­tre­ten­den Rek­tors, Herrn Mey­er, hin­zu. Auf dem Schul­hof wur­de der Blind­gän­ger einer Stab­brand­bom­be gezün­det, und Herr Mey­er demons­trier­te, wie man die­se im Anfangs­sta­di­um anfas­sen und fort­wer­fen kann, tauch­te sie in einen Was­ser­ei­mer, ohne dass sie erlosch und deck­te sie dann mit Lösch­sand ab.

Bei nächt­li­chem Flie­ger­alarm nach 22.00 Uhr wur­de der Unter­richts­be­ginn auf 9.30 Uhr ver­legt und der Stun­den­plan in Kurz­stun­den umge­wan­delt. Ab 1943 wur­den die älte­ren Schü­ler zu einer so genann­ten Brand­wa­che ein­ge­teilt, die den Nach­mit­tag in der Schu­le ver­brin­gen muss­te. Die Milch- und Kakao­lie­fe­rung der Mol­ke­rei wur­de ein­ge­stellt, dafür wur­den Knä­cke­brot und Vit­amin­ta­blet­ten ver­teilt, letz­te­re abge­zählt in einer aus­ge­dien­ten Schulkreideverpackung.

Neben der Ein­gangs­trep­pe wur­de ein altes Ölfass auf­ge­stellt und dien­te der Kno­chen­samm­lung für das Win­ter­hilfs­werk, hin­zu kamen Samm­lun­gen von Sta­ni­ol (Sil­ber­pa­pier und alte Zahn­pas­ta­tu­ben) und Heil­kräu­tern. Mit Geld­samm­lun­gen soll­te dem VDA (Ver­ein für das Deutsch­tum im Aus­land) gehol­fen wer­den. Für 20 Pfg. bekam man eine VDA-Pla­ket­te mit den Wap­pen der Städ­te im Sude­ten­land, in Sie­ben­bür­gen, im Banat und in Böh­men und Mähren.

Zur Weih­nachts­zeit wur­de zu dem glei­chen Zweck eine VDA-Ker­ze ange­bo­ten, gro­ße blaue Wachs­ker­zen in einem hand­ge­schnitz­ten Holz­stän­der aus dem Erz­ge­bir­ge, die zu mor­gend­li­chen Fei­er­stun­den auf die Schul­bän­ke gestellt und ange­zün­det wur­den. Dazu wur­den Geschich­ten von Peter Ros­seg­ger (“Als ich das ers­te Mal auf dem Dampf­wa­gen fuhr…”) gele­sen, Gedich­te (Bana­ter Schwa­ben­lied “Es brennt ein Weh’ wie Kin­der­trä­nen bren­nen…”) auf­ge­sagt und Lie­der (“Hohe Nacht der kla­ren Ster­ne…”) gesun­gen. Es war sehr fei­er­lich, und die­se Stun­den sind mir in guter Erinnerung.

Hitlerjugend

Das Schul­ge­bäu­de dien­te nun nicht mehr allein dem schu­li­schen Unter­richt. Im Alter von zehn Jah­ren wur­de ich in das “Deut­sche Jung­volk” auf­ge­nom­men und kam in das Fähn­lein 8, das zur Orts­grup­pe Neu­markt gehör­te und sei­nen Dienst im Bereich der All­mers­schu­le abhielt. Auf dem Schul­hof wur­de exer­ziert, in der Turn­hal­le geturnt und in den Klas­sen­räu­men wur­den die Heima­ben­de abge­hal­ten. Hier­bei kam es oft zu Dif­fe­ren­zen mit dem Haus­meis­ter, der uns für die ihm ange­las­te­te Mehr­ar­beit aus ver­ständ­li­chen Grün­den nicht immer gut geson­nen war.

Auf­grund der sich häu­fen­den Flie­ger­alar­me und gele­gent­li­chen Bom­ben­ab­wür­fen alli­ier­ter Bom­ber begann 1942/43 das Pro­gramm der KLV, der Kin­der­land­ver­schi­ckung. Für mei­ne Klas­se war als Ziel der Kur­ort Zakop­a­ne im süd­li­chen Polen vor­ge­se­hen, und zusam­men mit der Par­al­lel­klas­se ging die Fahrt unter Lei­tung von Rek­tor Stell­jes dort­hin. Damit ging mei­ne Zeit in der All­mers­schu­le dem Ende zu. Ich soll­te auf Wunsch mei­ner Eltern in den Auf­bau­zug der Hum­boldt­schu­le über­wech­seln und erhielt im letz­ten Zeug­nis den gefor­der­ten Eig­nungs­ver­merk dazu.

Allmersschule

Am 18. Sep­tem­ber 1944 wur­de das Gebäu­de der All­mers­schu­le durch den Angriff alli­ier­ter Bom­ber zer­stört und brann­te voll­stän­dig aus. Die erhal­te­ne Rui­ne wur­de erst nach Ende des Krie­ges restau­riert und aus­ge­baut und dient seit dem wie­der der schu­li­schen Erzie­hung.
Bre­mer­ha­ven, im Janu­ar 2001 | Erich Sturk
Vie­len Dank an Herrn Erich Sturk, dass er die Leser des Deich­SPIE­GELS an sei­nen Erin­ne­run­gen an die All­mers­schu­le teil­ha­ben lässt.

Neue Heimat Westdeutschland. Deutsche Flüchtlinge nach dem Zweiten Weltkrieg

Am Sonn­tag, 21. Febru­ar 2016, bie­tet das Deut­sche Aus­wan­der­er­haus Bre­mer­ha­ven um 10.30 Uhr die the­ma­ti­sche Füh­rung “Neue Hei­mat West­deutsch­land. Deut­sche Flücht­lin­ge und Ver­trie­be­ne nach dem Zwei­ten Welt­krieg” an.

Neue Heimat Westdeutschland

Die­ser Krieg führ­te zu einer bei­spiel­los hohen Zahl von Zwangs­wan­de­run­gen, die ganz wesent­lich aus dem Erobe­rungs­krieg und spä­ter der Nie­der­la­ge des natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Deut­schen Rei­ches resul­tier­te. 12,5 Mil­lio­nen deut­sche Flücht­lin­ge und Ver­trie­be­ne gelang­ten bis 1950 in das geteil­te Deutsch­land, davon acht Mil­lio­nen in den Wes­ten. Teil­neh­mer des Rund­gangs durch die Dau­er­aus­stel­lung bekom­men Ein­bli­cke in die­ses beson­de­re Kapi­tel deut­scher Migrationsgeschichte.

Treff­punkt ist um 10.30 Uhr im Foy­er des Deut­schen Aus­wan­der­er­hau­ses, Colum­bus­stra­ße 65, 27568 Bre­mer­ha­ven. Eine Anmel­dung für die Fami­li­en­füh­rung ist erwünscht unter der Ruf­num­mer 0471/90220–0.

Preis: Ein­tritt in die Dau­er­aus­stel­lung zzgl. 3,00 €.
Wei­te­re Infor­ma­tio­nen:
www.dah-bremerhaven.de
Deut­sches Aus­wan­der­er­haus
Colum­bus­stra­ße 65
27568 Bre­mer­ha­ven
Pres­se­infor­ma­ti­on vom 15. Febru­ar 2016 

Erich Sturk: Erinnerungen an den 18. September 1944 in Bremerhaven

In “Erin­ne­run­gen an den 18. Sep­tem­ber 1944 in Bre­mer­ha­ven” beschreibt Leser Erich Sturk sei­ne Gedan­ken an den ver­hee­ren­den Luft­an­griff, in des­sen Ver­lauf Bom­ber der Roy­al Air Force inner­halb von 20 Minu­ten die heu­ti­gen Bre­mer­ha­ve­ner Stadt­tei­le Mit­te und Geest­e­mün­de fast kom­plett zer­stör­ten. Erich Sturk kann das Erleb­te nicht ver­ges­sen, und es ist ihm ein Her­zens­wunsch, dass sei­ne per­sön­li­chen Erin­ne­run­gen hier im Deich­SPIE­GEL ver­öf­fent­licht werden. 

Erinnerungen an den 18. September 1944

Ich war damals 13 Jah­re alt und wohn­te in mei­nem Eltern­haus in Weser­mün­de-Geest­e­mün­de, Bucht­stra­ße 8–10/Ecke Neu­markt­stra­ße. Weser­mün­de war bis zu die­sem Zeit­punkt im Gegen­satz zu ande­ren Groß­städ­ten von Groß­an­grif­fen der alli­ier­ten Bom­ber ver­schont geblie­ben. Zwar waren im Ver­lau­fe des Krie­ges schon eini­ge Bom­ben gefal­len, aber es han­del­te sich anschei­nend um Not­ab­wür­fe der Bom­ber beim Rück­flug von ihren Einsatzzielen.

Bereits 1940 war eine Stab­brand­bom­be auf unse­re Tisch­ler­werk­statt gefal­len, die das Dach und die Boden­de­cke durch­schlug und auf der Fur­nier­pres­se lie­gen blieb und aus­brann­te, ohne Scha­den anzu­rich­ten, da mein Vater den Feu­er­schein gese­hen hat­te und wir in die Werk­statt lie­fen und die Bom­be mit Lösch­sand abdeck­ten. Grö­ße­re Schä­den wur­den bei die­sen Not­ab­wür­fen in der Schil­ler­stra­ße, in Sur­hei­de und in Nordle­he verursacht.

Ab 1943 wur­den wir älte­ren Schü­ler zu einer Brand­wa­che in den Schu­len außer­halb der Schul­zeit ein­ge­teilt, nach­dem unser Schul­luft­schutz­wart, Herr Mey­er, uns ein­ge­wie­sen und an dem Blind­gän­ger einer Stab­brand­bom­be demons­triert hat­te, wie sie zu löschen war.

Im Herbst 1943 wech­sel­te ich von der All­mers­schu­le in den Auf­bau­zug der Hum­boldt­schu­le und wur­de von der dama­li­gen Kreis­lei­tung der Orts­grup­pe Neu­markt als Mel­der zuge­teilt. Für mich bedeu­te­te es, dass ich mit Stahl­helm und Gas­mas­ke zur Schu­le ging und mich bei Flie­ger­alarm im Büro der Ort­grup­pe ein­zu­fin­den hat­te, das sich in der Max-Died­rich-Stra­ße im Hau­se der Leih­bü­che­rei Hagen befand. Hier­für bekam ich einen Aus­weis, der mir erlaub­te, mich bei Alarm auf den Stra­ßen zu bewe­gen und auf den ich sehr stolz war.

Mein ers­ter gro­ßer Ein­satz fand am 15. Juni 1944 statt, als am Vor­mit­tag ein Flä­chen­bom­bar­de­ment auf den Stadt­teil Geest­e­mün­de erfolg­te. Ich erhielt vom Orts­grup­pen­lei­ter den Auf­trag, die ent­stan­de­nen Schä­den im Bereich der Orts­grup­pe Geest­e­mün­de zu ermit­teln und auf einem Mel­de­block fest­zu­hal­ten. Ich erin­ne­re mich an die unheim­li­che Stil­le, die auf den Stra­ßen herrsch­te und an den Geruch von Gas und Mör­tel­staub, der über dem Stadt­teil lag. Als ich in die Neu­markt­stra­ße kam, sah ich, dass eine Spreng­bom­be unser Haus knapp ver­fehlt hat­te und dass sich auf der Neu­markt­stra­ße ein gro­ßer Bom­ben­trich­ter befand.

Erinnerungen an den 18. September 1944

Die Angriffs­se­rie setz­te sich am 17. und 18. Juni mit Flä­chen­bom­bar­de­ments auf den Stadt­teil Lehe und auf den Fische­rei­ha­fen fort. Nach die­sen Angrif­fen wur­den wir vom Jung­volk aus zu Lösch- und Ber­gungs­ar­bei­ten ein­ge­setzt. Die ört­li­chen Tele­fon­lei­tun­gen bestan­den größ­ten­teils aus Frei­lei­tun­gen, die bei den Angrif­fen zer­stört wur­den, so dass eine Kom­mu­ni­ka­ti­on zwi­schen den Behör­den und Ein­satz­lei­tun­gen nicht mehr mög­lich war. Wir Jun­gen erhiel­ten den Auf­trag, in Zusam­men­ar­beit mit der Nach­rich­ten-HJ ein pro­vi­so­ri­sches Nach­rich­ten­netz aufzustellen.

Mit einem Hand­wa­gen zogen wir zum Flug­ha­fen Wed­de­war­den und erhiel­ten dort 2 Hand­ver­mitt­lun­gen, 25 Feld­fern­spre­cher und Rol­len mit Tele­fon­ka­beln. Mit dem Mate­ri­al konn­ten wir in den nächs­ten Tagen eine orts­über­grei­fen­de Ver­bin­dung aller wich­ti­gen Stel­len auf­bau­en. Die Ver­mitt­lun­gen befan­den sich in der Bann­dienst­stel­le in der Köper­stra­ße und im HJ-Heim Saar­park, wo wir anschlie­ßend abwech­selnd Ver­mitt­lungs­diens­te leisteten.

Die Angrif­fe auf die Stadt im Juni ver­an­lass­ten die Stadt­ver­wal­tung, die Schu­len zu schlie­ßen und die Schü­ler zu deren Sicher­heit im Rah­men der soge­nann­ten KLV (Kin­der­land­ver­schi­ckung) auf das plat­te Land zu schi­cken. Mit­te Juli 1944 ver­ließ ich mit mei­ner Klas­se, der A IV der Hum­boldt­schu­le, und mit unse­rem Klas­sen­leh­rer, dem Herrn Hage­mann, die Stadt mit einem Son­der­zug in Rich­tung Lüne­bur­ger Heide.

Vom Bahn­hof Bre­mer­vör­de ab ver­lie­ßen an jeder Sta­ti­on die ein­zel­nen Klas­sen den Zug zu ihren zuge­teil­ten Auf­ent­halts­or­ten. Wir ver­lie­ßen den Zug in Lau­en­brück im Kreis Roten­burg (Han) , ver­lu­den unser Gepäck auf einen bereit­ste­hen Acker­wa­gen und mar­schier­ten zu unse­rem Bestim­mungs­ort Stem­men, einem klei­nen Dorf am Ran­de der Lüne­bur­ger Hei­de, wo wir ver­teilt und von den Bau­ern in unse­re Quar­tie­re geführt wurden.

Hier ver­brach­ten wir den Som­mer mit Schul­un­ter­richt in der Dorf­schu­le, Ern­te­hil­fe, Kar­tof­fel­kä­fer- und Buch­eckern­samm­lun­gen und, wenn man Glück hat­te, mit dem Auf­fin­den von abge­wor­fe­nen Reser­ve­tanks der ers­ten Düsen­jä­ger, die zur Flug­ab­wehr auf dem Flug­platz Roten­burg ein­ge­setzt wur­den. Für das Auf­fin­den und Ablie­fern eines Tanks bekam man 10 RM. Nachts hör­te ich die Mäu­se unter mei­nem Bett nagen und die feind­li­chen Flie­ger in Rich­tung Ham­burg über mir brum­men, und wenn das Brum­men zu stark wur­de, weck­te mich der Bau­er, und wir such­ten einen pro­vi­so­ri­schen Split­ter­bun­ker auf, der sich auf dem Hof befand.

Erinnerungen an den 18. September 1944

Nach Ein­brin­gen der Kar­tof­fel­ern­te wur­de uns erlaubt, die Herbst­fe­ri­en zu Hau­se zu ver­brin­gen. Am Sonn­abend, dem 16. Sep­tem­ber 1944, fuh­ren wir gemein­sam mit unse­rem Klas­sen­leh­rer nach Weser­mün­de. Es war ein war­mer, son­ni­ger Herbst­tag, und ich erin­ne­re mich des hei­mat­li­chen Wohl­ge­fühls, das ich beim Ver­las­sen des Bahn­hofs Geest­e­mün­de emp­fand. Ich freu­te mich auf mein gemüt­li­ches Zim­mer zu Hau­se, das ich gegen mei­ne 4.00 qm gro­ße Kam­mer mit Bett und Stuhl beim Bau­ern tau­schen konn­te, und ich war der Hoff­nung, dass nach Ende der Feri­en der Krieg vor­über wäre und ich nicht in die Hei­de zurück müsste.

In die­ser Hoff­nung hat­te ich auch alle Sachen, die mir damals gehör­ten, mit­ge­nom­men und räum­te sie am dar­auf fol­gen­den Sonn­tag in alle Ruhe in mei­nem Zim­mer ein. Abends um halb zehn gab es wie immer Flie­ger­alarm, und wir such­ten den im Hau­se befind­li­chen Luft­schutz­kel­ler auf. Mon­tag, der 18. Sep­tem­ber 1944, war wie­der­um ein schö­ner son­ni­ger Herbst­tag, und ich genoss das Gefühl, zu Hau­se zu sein. Abends, gegen halb zehn, gab es wie üblich Flie­ger­alarm, und wir such­ten zusam­men mit den Haus­be­woh­nern den Luft­schutz­kel­ler auf.

Da unser Haus in der Umge­bung eines der größ­ten und wohl sta­bils­ten Häu­ser in der Umge­bung war, hat­te man in einem Bereich des Kel­lers einen soge­nann­ten „Öffent­li­chen Luft­schutz­raum“ mit Gas­schleu­se, Not­aus­gang, Feld­bet­ten, Che­mi­kal­toi­let­ten und allem not­wen­di­gen Zube­hör ein­ge­rich­tet, der ger­ne von den Anwoh­nern des nahe­lie­gen­den, soge­nann­ten Pasch­vier­tels, in dem sich nur klei­ne Häu­ser befan­den, auf­ge­sucht wur­de. Auch kamen oft Mari­ne­sol­da­ten, die sich in den umlie­gen­den Gast­stät­ten in der Ram­sau­er Stra­ße oder bei Café Reh­mann in der Georg­stra­ße auf­hiel­ten, hier­her. Mein Groß­va­ter war zusam­men mit einem Nach­barn, Herrn Dau­els­berg, als Luft­schutz­wart eingesetzt.

Zuerst ver­lief alles ganz nor­mal, und wir nah­men an, dass der Alarm nur den nach Ber­lin oder Ham­burg über der Deut­schen Bucht ein­flie­gen­den Bom­ber­ver­bän­den galt. Die Män­ner aus dem Hau­se und die Mari­ne­sol­da­ten stan­den im Hof vor der Haus­tür, rauch­ten und unter­hiel­ten sich, und ich stand natür­lich dabei. Die Flak schoss Sperr­feu­er, und als nach kur­zer Zeit der Flak­split­ter­re­gen begann, ging man in den Kel­ler zurück.

Das Brum­men der Flug­zeug­mo­to­ren wur­de jedoch unge­wöhn­lich stark, und nach kur­zer Zeit hör­te man die ers­ten Explo­sio­nen der Luft­mi­nen, die von den Bom­bern abge­wor­fen wur­den, um die Dächer auf­zu­rei­ßen und die Häu­ser für den Ein­satz der Brand­bom­ben vor­zu­be­rei­ten. Die Türen der Gas­schleu­sen wur­den geschlos­sen, und man hör­te die Bom­ben­ein­schlä­ge, wobei der Kel­ler­bo­den erzit­ter­te und das Licht fla­cker­te und erlosch. Frau Mül­ler, die bei uns im Hau­se wohn­te und schwer­hö­rig war, schau­te erschro­cken in unse­re Gesich­ter und frag­te, ob es schlimm sei.

Das nächs­te frem­de Geräusch war das Kla­cken der Stab­brand­bom­ben rings um das Haus und das Rol­len der Ben­zin­ka­nis­ter, die anschei­nend auf dem Dach­bo­den und auf dem Hof gelan­det waren. Nach eini­ger Zeit öff­ne­te mein Vater die Türen der Gas­schleu­se, und ich ging mit ihm auf den Kel­ler­gang hin­aus. Alle Fens­ter der Mie­ter­kel­ler waren von außen hell erleuch­tet, es knis­ter­te und ein star­ker Brand­ge­ruch mach­te sich bemerk­bar. Wir gin­gen in den Schutz­raum zurück und war­te­ten, bis die unab­läs­si­gen Explo­sio­nen nachließen.

Nach­dem es ruhi­ger gewor­den war, ging mein Vater aus dem Schutz­raum, um die Lage zu beur­tei­len. Er kam zurück und sag­te, dass das Haus und die Werk­statt in Flam­men stän­den. Eine Flucht über den Hof sei nicht mög­lich, da das dort gela­ger­te Holz, der Wagen­schup­pen und alle Zaun­pfäh­le brann­ten. Er ging noch ein­mal hin­aus, und ich folg­te ihm in unse­re Woh­nung im ers­ten Ober­ge­schoss. Im Trep­pen­haus, das aus einer höl­zer­nen, mit Lin­ole­um beleg­ten Trep­pe bestand, fie­len bereits bren­nen­de Tei­le bis ins Erd­ge­schoss. Ein Zugang zu den obe­ren Geschos­sen war nicht mehr möglich.

In unse­rer Woh­nung im Wohn­zim­mer war bereits ein gro­ßes Loch in der Decke, aus dem bren­nen­de Tei­le auf den polier­ten Wohn­zim­mer­tisch fie­len. Auto­ma­tisch zog mein Vater den Tisch bei Sei­te, da er es wohl als Tisch­ler­meis­ter nicht mit anse­hen konn­te, wie sein Meis­ter­werk ein Raub der Flam­men wur­de. Er rief mir zu, ich sol­le ver­su­chen, was ich an Wert­sa­chen tra­gen und in den Kel­ler brin­gen könn­te. Ich lief in mein Zim­mer, des­sen Fens­ter kei­ne Glas­schei­ben mehr hat­ten und wo sich die Gar­di­nen im ein­set­zen­den Feu­er­sturm auf­bau­sch­ten. Ich ergriff mei­ne Schul­ta­sche und mei­ne über alles gelieb­te Kod­ak Brow­ny, mei­ne 6 x 9 Foto — Box. Wir mach­ten den Weg noch eini­ge Male und brach­ten die Feder­bet­ten und ande­re wich­ti­ge Uten­si­li­en in den Kel­ler hinunter.

Mein Vater for­der­te die anwe­sen­den Mari­ne­sol­da­ten auf, mit nach oben zu kom­men und ret­ten zu hel­fen. Sie wag­ten sich ein­mal mit uns hin­auf, und plötz­lich waren sie ver­schwun­den. Dann war uns der Weg ver­sperrt, da mein Groß­va­ter wohl die Gefahr des bren­nen­den Trep­pen­hau­ses erkannt hat­te und den öffent­li­chen Luft­schutz­raum räu­men ließ. Die Leu­te kamen uns auf der Kel­ler­trep­pe ent­ge­gen und ver­lie­ßen das Haus zur Neu­markt­stra­ße hin durch die inzwi­schen glas­lo­sen Schau­fens­ter unse­res Möbel­ge­schäf­tes, da eine Flucht durch die Haus­tür über den Hof nicht mög­lich war.

Inzwi­schen hat­te sich der Brand des Trep­pen­hau­ses bis ins Erd­ge­schoss hin­ein aus­ge­brei­tet, und es wur­de daher auch für uns Haus­be­woh­ner die höchs­te Zeit, den Luft­schutz­raum zu ver­las­sen, da uns sonst der Weg ins Freie ver­sperrt sein wür­de. Mein Vater sag­te den fünf alten Damen, sie soll­ten ihre Woll­de­cken umhän­gen, das not­wen­digs­te Hand­ge­päck neh­men und ihm fol­gen. Er führ­te uns eben­falls durch das Möbel­ge­schäft und die zer­bro­che­nen Schau­fens­ter auf die Neu­markts­ra­ße. Von dort aus woll­ten wir ver­su­chen, den Neu­markt zu errei­chen, um in den dort vor­han­de­nen Split­ter­grä­ben Schutz zu finden.

Die Stra­ße war durch den Feu­er­schein der bren­nen­den Häu­ser in ein glut­ro­tes Licht getaucht, es hat­te sich ein Feu­er­sturm ent­facht, der einen Fun­ken­re­gen wie glü­hen­de Schnee­flo­cken vor sich her­trieb. Auf den Geh­we­gen und den Fahr­bah­nen steck­ten die Res­te der aus­ge­brann­ten Stab­brand­bom­ben wie Pil­ze im Wald­bo­den. Die zum Schutz umge­häng­ten Decken fin­gen durch den Fun­ken­re­gen sofort an zu schwe­len, und ich ver­such­te mit der blo­ßen Hand die Flo­cken abzu­schüt­teln. Wir erreich­ten die Split­ter­grä­ben, die in Höhe der Max-Died­rich-Stra­ße aus­ge­ho­ben waren und in die sich schon eine Men­schen­men­ge geflüch­tet hatte.

Wir fan­den einen frei­en Platz und ich half den alten Damen über den Schutz­wall in die Grä­ben zu gelan­gen. Um den Neu­markt her­um brann­ten alle Häu­ser, selbst das Dach des Was­ser­tur­mes stand in hel­len Flam­men. Ab und zu hör­te man star­ke Explo­si­ons­ge­räu­sche, und der Feu­er­sturm wur­de immer stär­ker und nahm einem die Luft zum Atmen. Ich wag­te den Weg zum Feu­er­lösch­teich, der sich hin­ter der Markt­hal­le zur Bül­ken­stras­se hin befand, und tauch­te die Woll­de­cken und Taschen­tü­cher dort ein und brach­te sie mei­ner Fami­lie, damit sie Schutz vor dem Fun­ken­re­gen hat­te und die nas­sen Taschen­tü­cher als Atem­schutz nut­zen konn­te. Immer mehr Men­schen kamen aus den anlie­gen­den Stra­ßen geflüch­tet und such­ten Schutz in den Grä­ben, und der Platz wur­de immer enger.

Das Zeit­ge­fühl war mir ver­lo­ren gegan­gen, und die Nacht schien mir end­los zu sein. Im Mor­gen­grau­en ließ der Feu­er­sturm etwas nach, und mein Vater wag­te den Weg zu unse­rem Haus. Er kam zurück und sag­te uns, es sei alles nie­der­ge­brannt, und wir wür­den ver­su­chen, einen Weg ins Freie zu fin­den. Ich lief noch ein­mal zum Feu­er­lösch­teich und durch­näss­te die Woll­de­cken. Wir häng­ten sie uns um und kro­chen aus den Gräben.

Zur Georg­stra­ße hin war uns der Weg durch die noch immer lodern­den Flam­men abge­schnit­ten, also über­quer­ten wir den Neu­markt in Rich­tung Was­ser­turm und gelang­ten über den Schul­hof der All­mers­schu­le zur Klop­stock­stra­ße und von dort zum Geest­e­mün­der Fried­hof. Hier hat­te der Brand nicht so stark gewü­tet, die Luft wur­de rei­ner, und ich begann, unter der nas­sen Woll­de­cke zu frie­ren. Mein Vater mach­te sich auf den Weg zur Hart­wig­stra­ße, wo mein Groß­va­ter einen Schre­ber­gar­ten besaß. Er kam zurück und sag­te, dass das Gar­ten­haus ste­hen geblie­ben war und wir dort Unter­schlupf fin­den wür­den. Wir bega­ben uns dort­hin und tra­fen dort auf mei­nen Groß­va­ter, der auf irgend­ei­nem Weg dort­hin gelangt war und gera­de Kaf­fee zube­rei­tet hat­te. Erschöpft lie­ßen wir uns nie­der, ich leg­te mich auf den Boden und schlief sofort ein.

Als ich gegen Mit­tag erwach­te, spür­te ich ein star­kes Bren­nen in den Augen und im Magen ein Übel­keits­ge­fühl. Mein Vater hat­te den Vor­mit­tag genutzt, um die Lage zu son­die­ren und hat­te dabei fest­ge­stellt, dass die NSV (Natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Volks­wohl­fahrt)  am Ein­gang des Bür­ger­parks auf dem Gelän­de des Café Roux eine Auf­fang­sta­ti­on mit Feld­kü­che und beleg­ten Bro­ten zur Ver­sor­gung ein­ge­rich­tet hatte.

Die Wie­se vor dem Café an der Hart­wig­stra­ße war vol­ler Men­schen, die in der nun war­men Son­ne mit ihren letz­ten Hab­se­lig­kei­ten lager­ten. Ich such­te eine DRK-Sta­ti­on auf und der anwe­sen­de Arzt stell­te bei mir eine Rauch­ver­gif­tung fest und ver­wies mich zur wei­te­ren Behand­lung an eine DRK-Sta­ti­on, die sich im alten Geest­e­mün­der Rat­haus in der heu­ti­gen Klus­smann­stra­ße befin­den soll­te. Ich mach­te mich am Nach­mit­tag auf den Weg dort­hin, durch die Bis­marck­stra­ße, an rau­chen­den Trüm­mern vor­bei und wur­de dort mit Augen­trop­fen behandelt.

Die dar­auf fol­gen­de Nacht ver­brach­ten wir alle im Gar­ten­haus an der Hart­wig­stra­ße. Am nächs­ten Mor­gen mach­te ich mich mit mei­nem Vater auf den Weg zu unse­rem Haus in der Bucht­stra­ße. Wir woll­ten ver­su­chen, in den Luft­schutz­kel­ler zu gelan­gen, um unse­re Sachen zu ber­gen. Die ein­ge­la­ger­ten Koh­len­vor­rä­te in den Mie­ter­kel­lern hat­ten jedoch Feu­er gefan­gen, der gan­ze Kel­ler glüh­te unter den Trüm­mern, und wir konn­ten nicht in den Schutz­raum vor­zu­drin­gen. Erst am nächs­ten Mor­gen gelang es uns zusam­men mit einem Ein­satz­trupp der Mari­ne, einen Zugang zu schaf­fen, und wir fan­den den Schutz­raum dank der ein­ge­bau­ten Abstei­fun­gen bis auf eine ver­brann­te Tür der Gas­schleu­se unver­sehrt vor.

Erinnerungen an den 18. September 1944

Es herrsch­te noch eine gro­ße Hit­ze dort unten, aber wir konn­ten unser Luft­schutz­ge­päck und die geret­te­ten Feder­bet­ten auf die Stra­ße brin­gen. Zu mei­ner gro­ßen Freu­de fand ich auch mei­ne Kod­ak­box unver­sehrt vor, in der sich noch ein Film befand, und ich mach­te ver­bo­te­ner­wei­se die anlie­gen­den Auf­nah­men von unse­rem Haus und der Umgebung.

Die Mari­ner durch­such­ten auch die Räu­me des öffent­li­chen Schutz­rau­mes und fan­den dort eine Lei­che, die dann als der Nacht­wäch­ter des gegen­über­lie­gen­den Kinos „Metro­pol“ iden­ti­fi­ziert wur­de. Er muss­te sich nach unse­rem Ver­las­sen der Schutz­räu­me dort­hin geflüch­tet haben und war dann dort erstickt. Es war die ers­te Lei­che, die ich mei­nem Leben sah, und es hat mich sehr erschüttert.

Die NSV orga­ni­sier­te die Eva­ku­ie­rung der obdach­lo­sen Ein­woh­ner in die umlie­gen­den Dör­fer und mei­ne Groß­el­tern gelang­ten dadurch in den Ort Hei­ne bei Stub­ben. Mei­ne Fami­lie und ich fan­den dann nach eini­gen Tagen Quar­tier bei einer befreun­de­ten Fami­lie in der Elsäs­ser Stra­ße, bei der wir die nächs­ten vier Jah­re gewohnt haben.
Bre­mer­ha­ven, im Juli 2004 | Erich Sturk

Vie­len Dank an Herrn Erich Sturk, dass er die Leser des Deich­SPIE­GELS an sei­nen Erin­ne­run­gen teil­ha­ben lässt.

Die Geschichte des Nordsee-Hotel in Bremerhaven

Wer etwas über die Anfän­ge des “Nord­see-Hotel” in Bre­mer­ha­ven wis­sen möch­te, muss im Geschichts­buch des Hotels weit zurück­blät­tern. Der Hotel­um­bau hat mich dazu bewo­gen, die in Bre­mer­ha­ven zur Ver­fü­gung ste­hen­de Lite­ra­tur zu durch­fors­ten.1864 Beermanns-Hotel, heute Nordsee-HotelDer Mau­rer und Bau­meis­ter Johann Hin­rich Eits war der sieb­te Ansied­ler, der der “obrig­keit­li­che Bekannt­ma­chung” des Bre­mer Senats vom 7. Juni 1830 gefolgt ist. Er kauf­te den Bau­platz Nr. 76, der sich an der Nord­sei­te des Markt­plat­zes an der Ecke der Leher Chaus­see befand. Hier ließ er sich 1831 ein zwei­stö­cki­ges Haus mit einem Gast­haus bau­en. Auf­grund sei­ner zahl­rei­chen poli­ti­schen und ehren­amt­li­chen Ver­pflich­tun­gen über­gab er den Gast­hof  schließ­lich an sei­ne Ehe­frau Meta, die ihn sehr erfolg­reich bewirt­schaf­te­te. Rei­sen­de aus Bre­men stie­gen hier ab um sich nach der etwa neun­stün­di­gen stra­pa­ziö­sen Fahrt mit der Schnell­drosch­ke zu erfri­schen und zu erholen.

Meta Eits starb 1847, und Johann Hin­rich Eits ver­pach­te­te sei­nen Gast­hof für die nächs­ten Jah­re. 1858 wur­de der Gast­hof umbe­nannt in “Twiet­mey­ers Hotel”. Albrecht Hein Twiet­mey­er kauf­te das Grund­stück dann auch im Jah­re 1864 sei­nem Ver­päch­ter Eits ab. Es soll­te aber nicht lan­ge sein Eigen­tum blei­ben, denn schon ein paar Jah­re spä­ter hieß das Haus “Beer­manns Hotel”.

1900_Beermanns-Hotel

Die Che­fin Johan­na Auro­ra Beer­mann mach­te den ehe­ma­li­gen Gast­hof zum ers­ten Hotel am Plat­ze. Hier logier­ten Ange­hö­ri­ge der sozia­len Ober­schicht. Sogar Gene­rä­le und Admi­rä­le quar­tier­ten sich in “Beer­manns Hotel” ein.

Im ers­ten Stock befand sich ein Ball­saal, in dem manch gro­ße Fes­te gefei­ert wur­den. Dar­un­ter natür­lich auch jeweils am 27. Janu­ar unter reger Betei­li­gung der Bre­mer­ha­ve­ner Reser­ve­of­fi­zie­re des Kai­sers Geburts­ta­ge. Die Spei­sen nahm man im maha­goni­ge­tä­fel­ten Spei­se­saal im Erd­ge­schoss zu sich, und zwar unter den Augen von Bür­ger­meis­ter Smidt. Der schau­te von einem Por­trät auf die Gäs­te hinab.

"Beermanns-Hotel" unter Leitung Blumenberger

Im Jah­re 1907 fand wie­der ein­mal ein Eigen­tü­mer­wech­sel statt. Die Ehe­leu­te Paul und Eli­sa­beth Blum­ber­ger über­nah­men das Haus für einen Kauf­preis von 300.000 Reichs­mark. Den Namen “Beer­manns Hotel” änder­ten sie nicht. Und die Rei­chen und Schö­nen kamen wei­ter­hin. Sta­pel­läu­fe wur­den hier gefei­ert und Schiffstau­fen, und ab 1911 kamen natür­lich auch die Künst­ler des neu­en Bre­mer­ha­ve­ner Stadt­thea­ters. Und die Thea­ter­lieb­ha­ber führ­ten nach der Vor­stel­lung ihre Beglei­te­rin­nen in das Restau­rant von “Beer­manns Hotel”.

"Beermanns-Hotel" unter Leitung Blumenberger

Ab 1912 mie­te­te “Zigar­ren Nie­mey­er” die an der Ecke zur “Bür­ger” gele­ge­nen Räu­me an und betrieb dar­in sein Tabak­wa­ren­ge­schäft. An der ande­ren Ende des Hau­ses gab es eine Schank­stu­be, in der sich fast nur Män­ner aufhielten.

Die nächs­te “Über­nah­me” gab es am 1. Sep­tem­ber 1942. Der erst 25 Jah­re alte Wer­ner Naber kauf­te das Hotel für 225.000 Reichs­mark. 1944 hei­ra­te­te er sei­ne Frau Ursu­la, und gemein­sam wur­den die Gäs­te bekös­tigt. Aller­dings konn­te – bedingt durch die Kriegs­zeit — nur noch ein­fa­che Kost ser­viert wer­den. Und am 18. Sep­tem­ber 1944 soll­te im Hotel das letz­te Mit­tags­es­sen ser­viert werden.

Beermanns Hotel

Als es Nacht wur­de, kamen die bri­ti­schen Bom­ber und war­fen 420.000 Brand­bom­ben auf die Stadt. Alles wur­de in Schutt und Asche gelegt. “Beer­manns Hotel” wur­de eben­so wenig von den Bom­ben ver­schont, wie die ande­ren gro­ßen Hotels im Zen­trum der Stadt: “Her­manns Hotel” am Markt­platz, “Goss­lers Hotel” in der Bür­ger, “Hotel Excel­si­or” an der Ecke Lloydstraße/Bürger und “Lehr­kes Hotel” am Geest­e­mün­der Altmarkt.

Hotel Naber

Wer­ner Naber ließ sich nicht ent­mu­ti­gen. Nach der Zer­stö­rung von “Beer­manns Hotel” zog er zunächst in ein Not­ho­tel in der Bis­marck­stra­ße um und bau­te dann ein gut geführ­tes Haus mit Restau­rant am Wal­ter-Rathen­au-Platz (frü­her Sedan­platz) auf.

Hotel Naber

Die­ses wur­de nach Kriegs­en­de aber von der Besat­zungs­macht beschlag­nahmt. Die Hotel­si­tua­ti­on in Bre­mer­ha­ven war kata­stro­phal. Es gab für Rei­sen­de kaum noch Übernachtungsmöglichkeiten.

Hotelschiff Naber

Doch Wer­ner Naber hat­te eine Idee. Er kauf­te einen ehe­ma­li­gen schwe­di­schen Küs­ten­fah­rer und ließ ihn umbau­en. Wo es frü­her Lade­räu­me gab, fand man nun Gäs­te­ka­bi­nen und ein Restau­rant vor. Das Hotel­schiff war­te­te am Geest­e­mün­der Haupt­ka­nal auf Gäs­te. Zwei wei­te­re Hotel­schif­fe lagen im Alten Hafen. Das eine trug den Namen “Alter Hafen” und lag im süd­li­chen Teil und das ande­re hieß “Hein Mück” und lag im nörd­li­chen Teil des Alten Hafen.

Das waren aber alles nur Not­lö­sun­gen. Die Stadt Bre­mer­ha­ven woll­te ihren Gäs­ten wie­der ein nobles Hotel bie­ten kön­nen. Auch die US-Besat­zer dräng­ten auf ein inter­na­tio­na­les Hotel. Als Stand­ort ent­schied man sich für den Theo­dor-Heuss-Platz (frü­her Thea­ter­platz), gut gele­gen gegen­über dem Stadt­thea­ter und direkt an der Hauptgeschäftsstraße.

Auf­grund sei­ner Erfah­run­gen bat man Wer­ner Naber, die Füh­rung für das neue Hotel zu über­neh­men. Am 6. März 1957 fand die fei­er­li­che Eröff­nung des “Nord­see-Hotel” statt. Der Zweck­bau mit dem Charme der 1950er Jah­re erstreckt sich über die gesam­te Nord­sei­te des Plat­zes. Die Gäs­te wur­den in einer impo­san­ten Lob­by an einer teak­holz­ver­tä­fel­ten Rezep­ti­on empfangen.

1960_Nordsee-Hotel

Die Gäs­te­lis­te für das neue “Nord­see-Hotel” kann sich sehen las­sen. Poli­ti­ker, Star und Künst­ler stie­gen hier ab: Der spa­ni­sche König Juan Car­los, Bun­des­prä­si­dent Richard von Weiz­sä­cker, der  bay­ri­sche Minis­ter­prä­si­dent Franz Josef Strauß, Show­mas­ter Tho­mas Gott­schalk oder Film­stars wie Mari­ka Röck – sie alle lie­ßen sich im “Nord­see-Hotel” ver­wöh­nen. Auch Her­bert Weh­ner und Hel­mut Schmidt wur­den hier gese­hen, und Howard Car­penda­le, der im wei­ßen Bade­man­tel die Hotel­bar betrat um einen Absa­cker zu trin­ken. Und – natür­lich – der wohl­be­leib­te König von Ton­ga schau­te auch vor­bei, sei­ne Entou­ra­ge im Schlepptau.

"Nordsee-Hotel" Bremerhaven

Fast 60 lan­ge Jah­re war das Nord­see-Hotel, das die Bre­mer­ha­ve­ner immer nur das “Naber” nann­ten, das ers­te Haus am Plat­ze. Schon von wei­tem erkann­te man es an den Leucht­re­kla­men der Nach­kriegs­jah­re: Asbach Uralt und 4711. Wohl jeder Ver­ein und jeder Gesell­schafts­club fei­er­te hier sei­nen Ball und ließ sich in dem fei­nen Restau­rant mit Sil­ber­hau­ben ver­hüll­te Spei­sen servieren.

Aber die Zei­ten waren irgend­wann vor­bei. Um eine Insol­venz des Tra­di­ti­ons­ho­tels zu ver­hin­dern, kauf­te die Stadt Bre­mer­ha­ven im Jah­re 2003 der Betrei­ber­fa­mi­lie Naber das Hotel für 3,6 Mil­lio­nen Euro ab.  Sie woll­te den Betrieb bis zur Eröff­nung des Atlan­tik Hotel Sail City wei­ter­füh­ren. Und dann lief das Sail City dem “Nord­see-Hotel” den Rang ab, und das Tra­di­ti­ons­ho­tel ver­sank in einen Dorn­rös­chen­schlaf. Seit 2007 ist die Rezep­ti­on verwaist.

2010 tauch­ten neue Ideen für den gro­ßen Gebäu­de­kom­plex auf. Die Dieckell Ver­wal­tungs GmbH woll­te das “Nord­see-Hotel” für 780.000 Euro erwer­ben, es abrei­ßen und Platz für einen Neu­bau schaf­fen. Im Erd­ge­schoss soll­ten Läden und Restau­rants ent­ste­hen, dar­über drei Eta­gen Büros und zwei Geschos­se mit Miet­woh­nun­gen. Aus ver­schie­de­nen Grün­den wur­den die­se Plä­ne aber nicht realisiert.

2012 "Nordsee-Hotel"

Aber ein­mal noch soll­te das alt­ehr­wür­di­ge Haus im alten Glanz erstrah­len, ein­mal noch soll­ten sich hier Film­stars und Stern­chen ver­sam­meln. Im Spät­som­mer 2013 dreh­te hier der Regis­seur Ingo Haeb einen Kino­film mit dem Arbeits­ti­tel “Das Zim­mer­mäd­chen”, und das alte Gebäu­de erleb­te einen Hauch von Hol­ly­wood. Eini­ge Wochen spä­ter wur­de das Gebäu­de mit einem Bau­zaun abgesperrt.

2015 "Nordsee-Hotel"

Der Bre­mer­ha­ve­ner Bau­un­ter­neh­mer Horst Wüb­ben hat der Stadt Bre­mer­ha­ven das Grund­stück für 650.000 Euro abge­kauft – die Stadt hat­te es für 3,6 Mil­lio­nen Euro erwor­ben. Nun wird das Haus, das bis zu sei­ner Schlie­ßung 95 Zim­mer offe­rier­te, seit einem Jahr für rund 10 Mil­lio­nen Euro umge­baut, saniert und zu einem 3‑S­ter­ne-Hotel hergerichtet.

Nordsee-Hotel

Die Außen­fas­sa­de aus den 1950er Jah­ren wur­de nicht ver­än­dert. Aller­dings wur­de statt des ehe­mals gel­ben Farb­tons nun ein grau­er gewählt. Von innen wur­de das Gebäu­de kom­plett ent­kernt und moder­ni­siert. Die ehe­ma­li­gen Ball­sä­le und der Küchen­trakt an der Rück­sei­te des Hau­ses wur­den abge­ris­sen, um Platz für Hotel­park­plät­ze zu schaf­fen. Da das Hotel zukünf­tig ein Gar­ni-Hotel sein wird, ist die Groß­kü­che über­flüs­sig geworden.

Der Zeit­plan, pünkt­lich zur Sail 2015 neu zu eröff­nen, konn­te nicht ein­ge­hal­ten wer­den. Aber auf der Home­page des neu­en Nord­see-Hotels sind ab sofort Reser­vie­run­gen für die 102 Zim­mer mit Wir­kung vom 1. Sep­tem­ber 2015 möglich.
Quel­len:
Har­ry Gab­cke: “Bre­mer­ha­ven in zwei Jahr­hun­der­ten – 1827–1918”, Sei­te 20
Har­ry Gab­cke: “Bre­mer­ha­ven in zwei Jahr­hun­der­ten – 1948–1991”, Sei­te 56
Har­ry Gab­cke: “150 Jah­re Bre­mer­ha­ven, 1827–1977”, Sei­te 89
Man­fred Ernst: “Der Markt­platz”, Sei­ten 53–59
Rai­ner Dons­bach: “Visi­on für den Heuss­platz”, Nord­see-Zei­tung v. 27.11.2010
Rai­ner Dons­bach: “Es soll ein Hotel blei­ben”, NZ vom 12.07.2012
Rai­ner Dons­bach: “Kalbs­steak Sin­ga­pur u der König …”, NZ v 11.6.2013
Gert-Die­ter Mei­er: “Hauch von Hol­ly­wood im Naber”, NZ v. 20.8.2013
Rai­ner Dons­bach: “So kehrt hier das Leben zurück”, NZ v. 15.02.2014
Auf Kera­mik­fas­sa­de beim Umbau ver­zich­tet”, NZ v. 13.12.2014
Wolf­gang Naber: “Nabers Gäs­te­buch – His­to­ri­sches aus der Hotel­le­rie der Fami­lie Naber”, Vor­trag im His­to­ri­schen Muse­um am 6.3.2007

Film über das Kriegsende 1945 im Historischen Museum Bremerhaven

Kul­tur­bü­ro Bre­mer­ha­ven zeigt Film über das 
Kriegs­en­de in Bre­mer­ha­ven 1945

Am 8. Mai 2015 jährt sich zum 70. Mal der Jah­res­tag der Befrei­ung von der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Gewalt­herr­schaft. Zu die­sem Anlass ver­öf­fent­licht das Kul­tur­bü­ro Bre­mer­ha­ven eine neue DVD-Pro­duk­ti­on aus der Rei­he “Bre­mer­ha­ve­ner Bil­der­ge­dächt­nis”. Der Titel: Die Begeg­nung mit dem Feind — Kriegs­en­de in Bre­mer­ha­ven 1945.

Kriegsende 1945

Sie waren obrig­keits­hö­rig, unter­wür­fig, büro­kra­tisch, hoff­nungs­los und vol­ler Selbst­mit­leid – so erin­ner­te sich ein ehe­ma­li­ger ame­ri­ka­ni­scher Offi­zier an sei­ne ers­ten Kon­tak­te mit den Deut­schen, als er gegen Ende des Zwei­ten Welt­krie­ges mit sei­nen Kame­ra­den erst­mals die Gren­zen zum Deut­schen Reich überschritt.

Kriegsende 1945

Und wie wur­de das Kriegs­en­de in Bre­mer­ha­ven erlebt? Dar­über geben in dem Film vier Bre­mer­ha­ve­ner Zeit­zeu­gen, die das Kriegs­en­de in Bre­mer­ha­ven erlebt haben, Aus­kunft. Auch zwei ehe­ma­li­ge bri­ti­sche Sol­da­ten, die die Stadt am 7. Mai 1945 ein­ge­nom­men haben, kom­men zu Wort.

Die Mul­ti­me­dia-DVD ent­hält zusätz­lich his­to­ri­sche Film­aus­schnit­te, Fotos und Doku­men­te. Die Pro­duk­ti­on der DVD wur­de unter ande­rem durch das Stadt­ar­chiv Bre­mer­ha­ven, die Stadt­bild­stel­le Bre­mer­ha­ven und durch die Weser-Elbe-Spar­kas­se unterstützt.
Pre­mie­re­vor­füh­rung:
Sonn­tag, den 10. Mai 2015 | 10.30 Uhr
His­to­ri­sches Muse­um, An der Geeste 
Ein­tritt frei. Begrenz­te Platzzahl.

Kino­vor­füh­rung mit Ein­füh­rung und Gespräch: 
Diens­tag, 19. Mai 2015 | 18 Uhr im Cinemotion 
Kul­tur­bü­ro Bre­mer­ha­ven in Ver­bin­dung mit dem Kom­mu­na­len Kino.
Kar­ten: Tel. 0471/1428920

DVD-Edi­ti­on
Ab 19.05.2015
Die DVD „Die Begeg­nung mit dem Feind“  ist im Buch­han­del zu erhalten.