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Dokumentartheater inszeniert “Flucht — Ucieczka”

Das Thea­ter Das Letz­te Klein­od insze­niert Geschich­ten von Orten und Men­schen, die in Ver­ges­sen­heit gera­ten sind. Die doku­men­ta­ri­schen Insze­nie­run­gen wer­den meist nach den Erzäh­lun­gen von Zeit­zeu­gen gestal­tet und an den ori­gi­na­len Schau­plät­zen auf­ge­führt. Die Stü­cke spie­len am Strand, in Lager­räu­men oder ver­las­se­nen Guts­hö­fen.Dokumentartheater inszeniert "Flucht – Ucieczka"Der  Zwei­te Welt­krieg  ver­trieb  Mil­lio­nen  von  Men­schen  aus  ihrer  Hei­mat.  Das  Thea­ter  Das  Letz­te  Klein­od  ging zusam­men mit dem pol­ni­schen Thea­ter Gdy­nia Głów­na auf Spu­ren­su­che in Russ­land, Polen und Deutsch­land und befrag­te Zeit­zeu­gen, wie sie als Kind ihre Flucht erlebt haben. Aus den Geschich­ten ent­stand ein doku­men­ta­ri­sches Thea­ter­stück, das in die­sem Som­mer in einem Güter­zug vom 15. Juli bis 26. August 2016 an zehn Bahn­hö­fen in Polen und Deutsch­land gespielt wird.

Der  jun­ge  Rot­ar­mist  soll­te  ein  Lebens­mit­tel­la­ger  in  der  Nähe  der  umkämpf­ten  Stadt  Ber­lin  bewa­chen.  Aber  er ver­teil­te  das  Dosen­fleisch  statt­des­sen  an  die  hun­gern­den  Flücht­lin­ge.  Ein  rus­si­sches  Mäd­chen  flüch­te­te  mit  ihrer Fami­lie  vor  den  Deut­schen  aus  dem  zer­stör­ten  Wald­ai  und  bekam  schließ­lich  eine  Woh­nung  in  Königs­berg zuge­wie­sen. Doch zuerst muss­ten sie ein totes Pferd zur Sei­te schaf­fen, das im Trep­pen­haus des neu­en Quar­tiers lag. Eine Frank­fur­te­rin hat­te als klei­nes Kind mit­er­lebt, wie sich die kom­plet­te Beleg­schaft eines Guts­ho­fes in Ost­preu­ßen auf dem Dach­bo­den der Scheu­ne auf­häng­te. Auch ihre eige­ne Mut­ter nahm sich dabei das Leben. Das sind nur drei von Dut­zen­den von Geschich­ten, wel­che die Thea­ter­ma­cher auf ihrer Recher­che­rei­se sammelten.

Noch  heu­te  sind  die­se  Erleb­nis­se  bei  der  älte­ren  Gene­ra­ti­on  all­ge­gen­wär­tig.  Zeit­zeu­gen  in  Kali­nin­grad,  Gdy­nia, Frankfurt/Oder und Nie­der­sach­sen erzähl­ten von ihren trau­ma­ti­schen Erin­ne­run­gen. Jetzt sol­len die­se Erzäh­lun­gen an einem Ort insze­niert wer­den, der wie kein ande­rer für die Geschich­te der Flucht steht. Fast jeder der Zeit­zeu­gen erzähl­te von tage­lan­gen Trans­por­ten auf der Eisen­bahn. Das Stück wird des­halb in alten Güter­wag­gons auf­ge­führt, die für das Thea­ter­stück von einer slo­wa­ki­schen Bahn­ge­sell­schaft ange­mie­tet wur­den. Die Auf­füh­run­gen wer­den von Dar­stel­lern und Dar­stel­le­rin­nen aus Polen, Deutsch­land und Russ­land gespielt und fin­den an Güter­bahn­hö­fen zwi­schen Pom­mern und Nie­der­sach­sen statt. Die Vor­stel­lung wird vor­wie­gend in deut­scher Spra­che gespielt.

Dokumentartheater inszeniert "Flucht – Ucieczka"

An zehn Bahn­hö­fen macht der Zug Sta­ti­on, um das Stück zu prä­sen­tie­ren. Die Pre­mie­re fin­det am 15. Juli 2016 in Gdy­nia Orlo­wo statt. Dann geht es wei­ter nach  Pila, Poz­nán, Frankfurt/Oder und Berlin.

Am 9., 10. und 11. August steht das rol­len­de Thea­ter auf den Glei­sen des Lüne­bur­ger Muse­ums­bahn­ho­fes, An der Sol­tau­er Bahn. Anschlie­ßend steht Han­no­ver auf dem Spielplan.

Vom 18. bis zum 22. August macht der Zug auf der Colum­bus­ka­je in Bre­mer­ha­ven Sta­ti­on. Es fol­gen je zwei Aben­de im Muse­ums­bahn­hof Bad Beder­ke­sa (23. und 24. August 2016)und im Hei­mat­bahn­hof Geest­enseth (25. und 26. August 2016).

Alle Vor­stel­lun­gen begin­nen um 19 Uhr und um 20.30 Uhr. Tickets gibt es ab 26,40 €.

Vom Bremerhavener Volksgarten zur ersten Stadthalle

In fast jeder Stadt gab es Gebäu­de, von denen heu­te kaum noch jemand etwas weiß. Nur noch alte Bil­der und Ansichts­kar­ten geben dar­über Aus­kunft. Und nur noch anti­qua­ri­sche Bücher erzäh­len uns die zeit­ge­nös­si­schen Geschich­ten über die alten Häu­ser. Sonst wür­den sie wohl für immer aus unse­rer Erin­ne­rung verschwinden.

Auch dass es einst in Bre­mer­ha­ven in der Deich­stra­ße einen “Volks­gar­ten” gab, weiß heu­te kaum noch jemand:

Stadttheater und Volksgarten 1901 in der Deichstraße in Bremerhaven

Schon früh begann in Bre­mer­ha­ven auch das kul­tu­rel­le Leben. In den 1860er Jah­ren gab es bereits vie­le Gesangs­ver­ei­ne. Noch viel frü­her haben in Bre­mer­ha­ven gele­gent­lich rei­sen­de Schau­spie­ler­grup­pen  für Unter­hal­tung gesorgt. Zunächst wur­de in einem Hin­ter­haus an der  Fähr­stra­ße in den 1840er Jah­ren eine dau­er­haf­te Unter­hal­tungs­mög­lich­keit ein­ge­rich­tet. Spä­ter fan­den die Vor­stel­lun­gen in der Wirt­schaft von Claus Meyn statt. Das war an der Ecke Bür­ger­meis­ter-Smidt-Stra­ße und Mit­tel­stra­ße. Heu­te steht an dem Ort die Sparkasse.

Aber auch an ande­ren Orten wur­de Thea­ter gespielt. So stell­te zum Bei­spiel der Schiff­bau­er Cor­ne­li­us sei­nen Besitz an der Gees­te zur Ver­fü­gung. Für Cor­ne­li­us war sei­ne “Kunst­bu­de” ein gutes Geschäft, befand sich doch im Saal sein Schank­tisch, an dem er wäh­rend der Vor­stel­lung Bier aus­schenk­te. An rot gestri­che­nen Tischen  konn­te man in aller Gemüts­ru­he sein Bier trin­ken und sei­ne Pfei­fe rau­chen, wäh­rend auf der Büh­ne die Lei­den­schaf­ten tob­ten. Soll­te das Stück nach den Zwi­schen­ak­ten fort­ge­führt wer­den, soll Cor­ne­li­us zur Büh­ne rüber­ge­brüllt haben: “Noch nich wed­der anfan­gen. De Her­rens hefft eren Grog noch nich ut!” Und über den Köp­fen der Zuschau­er saus­ten auch schon mal Rat­ten durch das Gebälk.

Gruß aus dem Volksgarten Bremerhaven aus dem Jahre 1901

1868 kauf­te Musik­di­rek­tor Schwie­fert das Grund­stück des Cor­ne­li­us und bau­te es groß­zü­gig zum  wohl größ­ten Saal- und Gar­ten-Eta­blis­se­ment um – dem “Volks­gar­ten” auf der Deich­stra­ße. Neben einem gro­ßen Saal ent­stan­den ein Kon­zert­gar­ten und ein neu­es Thea­ter­ge­bäu­de. Hier fand fort­an das Bre­mer­ha­ve­ner Gesell­schafts­le­ben statt. Im Som­mer waren im Kaf­fee­gar­ten abends bei Lam­pion­be­leuch­tung Kon­zer­te der belieb­ten Albert-Kapel­le. Im gro­ßen Saal fan­den Ver­eins­fes­te, Bäl­le und Tanz­un­ter­richt statt.

Der Bür­ger­club mit sei­nem Wohl­tä­tig­keits­ba­sar war beson­ders beliebt. Wochen vor­her wur­de gestrickt, gehä­kelt und gestickt. Dann wur­de im gro­ßen Saal eine Buden­stadt auf­ge­baut, und es wur­de alles ver­kauft. Aber an einem Stand konn­te man kei­ne Hand­ar­bei­ten kau­fen. Hier boten rei­zen­de Sou­brett­en und belieb­te Schau­spie­le­rin­nen ihre locken­den Lip­pen zum Küs­sen an – aber es gab kei­nen Kuss unter zehn Mark für die Wohlfahrtskasse.

Sub­ven­tio­nen bekam der Musik­di­rek­tor für sein “Stad­thea­ter” nicht. Es war sein rein pri­va­tes Unter­neh­men, um das sich die Stadt nicht küm­mer­te.  Um einen zer­schlis­se­nen Vor­hang erset­zen zu kön­nen, wur­de zwi­schen den Akten ein Vor­hang mit Rekla­me gezeigt. Die Rekla­me allein mach­te es bei der chro­ni­schen Kas­sen­lee­re mög­lich, einen neu­en Vor­hang anzuschaffen.

Um die Zuschau­er anzu­lo­cken, wur­den vor­wie­gend unter­halt­sa­me Stü­cke gespielt. Kaba­rett­ein­la­gen, Varie­té­vor­stel­lun­gen und sogar Ring­kämp­fe gehör­ten zum Pro­gramm, um die Thea­ter­kas­se zu füllen.

1927 Stadthalle in der Deichstraße in Bremerhaven

Aber auch anspruchs­vol­le Auf­füh­run­gen bekam man im “Stadt­thea­ter Bre­mer­ha­ven” zuse­hen. Die Dar­bie­tun­gen des “Gemisch­ten Chors” unter Musik­di­rek­tor Wol­te­mas fand bei der Bre­mer­ha­ve­ner Bevöl­ke­rung gro­ße Zustim­mung. Und ab 1872 gab es sogar Opern zu sehen. Mit Ver­dis “Trou­ba­dour” fing es an, und vie­le wei­te­re bedeu­ten­de Wer­ke folg­ten. Mit “Lohen­grin” und “Tan­nen­häu­ser” stan­den in der Sai­son 1877 sogar Wer­ke von Richard Wag­ner auf dem Spielplan.

Anfang der 1880er Jah­re hat ein Kon­sor­ti­um den “Volks­gar­ten” gekauft und an der Stra­ßen­sei­te ein gro­ßes Haupt­ge­bäu­de bau­en las­sen. Gleich­wohl fan­den die Thea­ter­auf­füh­run­gen wei­ter­hin in den alten Räu­men an der Gees­te statt. 1903 wur­de der Thea­ter­saal wegen Feu­er­ge­fahr geschlos­sen. Die Feu­er­po­li­zei ver­füg­te den Abriss. Nun muss­te man auf die recht unzu­läng­li­che Büh­ne des gro­ßen Saa­les im “Volks­gar­ten” ausweichen.

1927 Straßenfront der Stadthalle in Bremerhaven in der Deichstraße

Zu Beginn der 1920er Jah­re befass­te sich die Stadt Bre­mer­ha­ven mit dem Gedan­ken, eine schö­ne reprä­sen­ta­ti­ve Stadt­hal­le zu bau­en. Kon­gres­se soll­ten hier tagen und Ver­an­stal­tun­gen abge­hal­ten wer­den. So beschlos­sen die Stadt­ver­ord­ne­ten 1925, den “Volks­gar­ten” ent­spre­chend umzu­bau­en. Nach den Plä­nen von Stadt­bau­rat Hage­dorn ent­stand eine schö­ne und leis­tungs­fä­hi­ge Stadt­hal­le mit einer Gar­ten­an­la­ge. Mit­tel­punkt war der vom alten “Volks­gar­ten” über­nom­me­ne gro­ße Saal mit sei­ner pracht­vol­len Akus­tik. Der Neue Saal mit 400 Sitz­plät­zen und eine Rei­he von klei­ne­ren Sälen und Neben­räu­men wur­den neu gebaut.

1927 Konzertgarten der Stadthalle in Bremerhaven

Am 30. April 1927 fand die Hun­dert­jahr­fei­er Bre­mer­ha­vens statt, und die Stadt­hal­le an der Deich­stra­ße wur­de der Bevöl­ke­rung über­ge­ben. 1.400 Besu­cher fan­den in dem gro­ßen Saal Platz. Kon­zer­te, Bäl­le, Aus­stel­lun­gen, Varie­té, Par­tei­ver­samm­lun­gen, sport­li­che Wett­kämp­fe und vie­le ande­re Ver­an­stal­tun­gen wur­den hier abge­hal­ten. Bei gutem Wet­ter ging man gern in den ter­ras­sen­för­mig für 1.500 Besu­chern ange­leg­ten Kon­zert­gar­ten am Geesteufer.

Lei­der war die Hun­dert­jahr­fei­er auch das größ­te Ereig­nis, das in der Stadt­hal­le gefei­ert wer­den konn­te. Nur 17 Jah­re spä­ter fiel auch sie den Luft­an­grif­fen auf die Stadt zum Opfer. Nach dem Krieg wur­de sie nicht wie­der auf­ge­baut, heu­te steht an die­ser Stel­le die Goetheschule.

Quel­len:
Georg Bes­sel: Geschich­te Bremerhavens
Georg Bes­sel: Die ers­ten 100 Jah­re Bre­mer­ha­vens – von 1826 bis 1927
Har­ry Gab­cke: Bre­mer­ha­ven in zwei Jahr­hun­der­ten 1827 – 1918
Jür­gen Krü­ger: Stadt und Leu­te Ges­tern und Heu­te, 150 Jah­re Bremerhaven