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Lernen wie im Kaiserreich

Ler­nen wie im Kaiserreich

Da sit­zen sie in ihrer Mäd­chen­klas­se dicht neben­ein­an­der auf den alten Holz­bän­ken, mucks­mäus­chen­still, die Hän­de gefal­tet. “Wir dür­fen nur rein­ge­wa­schen, ordent­lich gekämmt und sau­ber geklei­det zur Schu­le kom­men”, for­dern die Regeln an der Wand. Wil­helm II. schrieb 1890, was er von der Schu­le erwar­tet: “Wir wol­len natio­na­le jun­ge Deut­sche erzie­hen.“Lernen wie im KaiserreichEs gab vie­le Regeln im Kai­ser­reich, und ganz beson­ders in der Schu­le: “Hän­de fal­ten, Schna­bel hal­ten, Kopf nicht stüt­zen, Ohren spit­zen”, das war eine wei­te­re Ver­hal­tens­vor­schrift, die den Kin­dern zu Kai­sers Zei­ten ein­ge­bläut wur­de. Die Leh­rer spra­chen die Kin­der im Befehls­ton wie auf dem Kaser­nen­platz an: “Set­zen!”, “Steh auf”, “Ruhe!”, “Hef­te zeigt!”. Die Kin­der hat­ten höf­lich und respekt­voll zu sein und wehe dem, der das nicht war.

Schule damals

In der Schu­le herr­sche Zucht und Ord­nung”, so lau­te­te ein Leit­spruch für Erzie­her. Kin­der soll­ten schon früh­zei­tig an Gehor­sam und Dis­zi­plin gewöhnt wer­den. Bei vie­len Leh­rern lag daher die Rute zur Züch­ti­gung immer griff­be­reit. Erzie­hung vor hun­dert Jah­ren  war eben ganz anders als heute.

Schule damals

Die Klas­sen­zim­mer waren eher trist ein­ge­rich­tet: Har­te Holz­bän­ke, Schie­fer­ta­feln und Tin­ten­fäs­ser waren das “Hand­werks­zeug” der Schü­ler. Geschrie­ben wur­de in Süt­ter­lin. Zunächst auf die Schie­fer­ta­fel, spä­ter mit einer Stahl­fe­der und Tin­te in das Schul­heft. Und Kai­ser Wil­helm schau­te zu — an der Wand hing natür­lich ein Por­trait von ihm.

Auszug aus einer alten Schulfibel

Über­haupt die Kai­ser­fa­mi­lie. Sie war in der Gesell­schaft sehr beliebt. Die Leh­rer lie­ßen den Kai­ser hoch­le­ben und Lob­lie­der auf ihn sin­gen. “Der Kai­ser ist ein lie­ber Mann, er wohnet in Ber­lin…”, mit die­sen Wor­ten beginnt ein Lied, das in den Volks­schu­len um 1900 viel gesun­gen wur­de. Es soll­te gera­de die Kin­der der ein­fa­chen Volks­schich­ten für die Mon­ar­chie begeis­tern. Auf­ga­be der Schu­le war es näm­lich, zu vater­län­di­scher Gesin­nung zu erzie­hen. Das hieß vor allem, die Treue zum Mon­ar­chen fes­ti­gen und Lie­be zum Vater­land wecken.

historisches Klassenzimmer

In der Fich­te­schu­le hat der 1985 gegrün­de­te “För­der­ver­ein der Schul­his­to­ri­schen Samm­lung” ein his­to­ri­sches Klas­sen­zim­mer ein­ge­rich­tet. Wer die­ses Klas­sen­zim­mer betritt, der begibt sich auf eine Zeit­rei­se weit über 100 Jah­re zurück in die Ver­gan­gen­heit. Die ältes­ten Expo­na­te, die der För­der­ver­ein lie­be­voll zusam­men­ge­tra­gen hat, stam­men aus der Mit­te des 19. Jahrhunderts.

Fichteschule

In dem his­to­ri­schen Klas­sen­zim­mer in der Fich­te­schu­le kön­nen Schü­ler aller Jahr­gangs­stu­fen – aber nach vor­he­ri­ger Anmel­dung auch Erwach­se­ne – erle­ben, wie unse­re Vor­fah­ren lern­ten. Das Wis­sen um ver­gan­ge­ne Schul­kul­tu­ren möch­te der “För­der­ver­ein der Schul­his­to­ri­schen Samm­lung” bewah­ren. Und so fin­det der inter­es­sier­te Besu­cher nicht nur das kom­plett ein­ge­rich­te­te Klas­sen­zim­mer vor. Auch authen­ti­sche Klei­dung, Arbeits­ma­te­ri­al, ech­te Schul­müt­zen und –ran­zen ver­voll­stän­digt die Samm­lung eben­so wie unzäh­li­ge Bücher. Und im Kel­le lie­gen noch vie­le unge­ho­be­ne Schät­ze, die vor allem aus den Schu­len der Stadt stammen.

Fichteschule Bild: HeinzSlominski.blogspot.de

Noch sind die meis­ten der 46 akti­ven Ver­eins­mit­glie­der im Schul­dienst tätig. Aber die Mit­glie­der wer­den weni­ger, die jun­gen Leh­rer fin­den kei­ne Zeit mehr, sich für die Samm­lung zu enga­gie­ren. So wür­de der Ver­ein ger­ne neue Mit­glie­der begrü­ßen kön­nen, damit das Wis­sen über die Geschich­te der See­stadt und ihre Ein­woh­ner immer wie­der wei­ter­ge­ge­ben wer­den kann.
Quel­len:
Schul­his­to­ri­sche Samm­lung Bremerhaven
Fly­er “Schul­his­to­ri­sche Samm­lung” als PDF-Datei
Nord­see-Zei­tung vom 16.12.2013

100 Jahre Schullandheim Barkhausen

Für Gene­ra­tio­nen von Bre­mer­ha­ve­ner Schü­lern ist das geschichts­träch­ti­ge Schul­land­heim Bark­hausen ein Ort vol­ler Erin­ne­run­gen. Zahl­rei­che Gäs­te­bü­cher geben dar­über Aus­kunft, wie prä­gend die unver­gess­li­chen Klas­sen­fahr­ten für die Jugend­li­chen waren. 

Schullandheim Barkhausen

Clamor Ehlert wohn­te in der Bre­mer­ha­ve­ner Bogen­stra­ße 17 und war Rek­tor der nahe­ge­le­ge­nen Goe­the­schu­le in der Grenz­stra­ße. Das Schul­ge­bäu­de gibt es schon lan­ge nicht mehr. Und nach dem Tode des Rek­tors geriet auch sein Name lang­sam in Ver­ges­sen­heit. Aber sei­ne Idee lebt wei­ter – das Schul­land­heim Barkhausen.

Das Schul­land­heim Bark­hausen liegt im 170 Kilo­me­ter ent­fern­ten Weser­berg­land. Dort, wo die Hun­te durch das Wie­hen­ge­bir­ge fließt, fin­det man die Dör­fer Bar­hau­sen und Lin­ne. Clamor Ehlert erblickt im Jah­re 1869 in Lin­ne das Licht der Welt und erlebt in die­ser Idyl­le glück­li­che Kind­heits­ta­ge. Als er nach Bre­mer­ha­ven zieht, um hier sein Lehr­amt anzu­tre­ten, lässt er sei­ne Kon­tak­te im Wie­hen­ge­bir­ge nicht abreißen.

Anfang des Jah­res 1917 erfährt Clamor Ehlert, dass die Pfar­rei in Bark­hausen ver­kauft wer­den soll. Die alte Dorf­pfar­rei befin­det sich auf einem 18.000 Qua­drat­me­ter gro­ßem Grund­stück mit einem üppi­gen Obst­baum­be­stand. Schul­di­rek­tor Clamor Ehlert hat die Idee, das 1780 erbau­te Pfarr­haus mit­samt dem gro­ßen Grund­stück zu erwer­ben und einem neu­en Zweck zuzu­füh­ren – aus dem Pfarr­haus soll ein Jugend­heim für Bre­mer­ha­vens Schü­ler wer­den. Die Stadt­kin­der sol­len das Land ken­nen­ler­nen, Pflan­zen- und Tier­ar­ten ent­de­cken, Ber­ge und Fluss­tä­ler erkun­den und mit Leib und See­le einen inten­si­ven Kon­takt zur Natur erleben.

Schullandheim Barkhausen

Drei Jah­re bevor die­se Idee in Clamor Ehlert her­an­reift, hat der letz­te Deut­sche Kai­ser in den Ers­ten Welt­krieg geführt. 1917 ist die Ver­sor­gung mit Lebens­mit­teln zusam­men­ge­bro­chen – in Bre­mer­ha­ven wird gehun­gert. Clamor Ehlert hat zwei Söh­ne ver­lo­ren – Opfer des Krie­ges, der nun schon fast drei Jah­re wütet.

Das Glück der eige­nen Kind­heit und die Trau­er um den Tod sei­ner Söh­ne trei­ben ihn an, für die Bre­mer­ha­ve­ner Jugend etwas Blei­ben­des zu schaf­fen. 15.000 Reichs­mark möch­te der Kir­chen­vor­stand von Bark­hausen für das Grund­stück mit der dar­auf ste­hen­den 130 Jah­re alten Pfar­rei haben. Soviel Geld hat Clamor Ehlert nicht zur Ver­fü­gung. Allei­ne kann er sei­ne Idee nicht realisieren.

Schullandheim Barkhausen

In Bre­mer­ha­ven gibt es seit 1884 den “Ver­ein zur För­de­rung des Volks­wohls”. Er betreibt in der Deich­stra­ße einen Kin­der­hort, in der Schif­fer­stra­ße ein Arbei­ter­heim, eine Volks­kü­che in der Geest­e­mün­der Anker­stra­ße und das Mari­en­bad. Da die Stadt am Ver­ein betei­ligt ist, trägt Clamor Ehlert sei­ne Idee Ober­bür­ger­meis­ter Wal­de­mar Becke vor. Am 4. März 1917 fährt eine Dele­ga­ti­on der Stadt nach Bark­hausen, besich­tigt die Lie­gen­schaf­ten und kehrt sicht­lich beein­druckt heim.

Am 12. Okto­ber 1917 wird die “Wie­ting-Stif­tung” aus dem Nach­lass des Kauf­manns Ernst Wie­ting gegrün­det und mit einem Stif­tungs­ka­pi­tal von 25.000 Reichs­mark aus­ge­stat­tet. Zweck der Stif­tung ist die “Errich­tung eines Jugend­hei­mes zur Erin­ne­rung an die im Welt­krieg gefal­le­nen Söh­ne Bre­mer­ha­ve­ner Eltern”. Die Ver­wal­tung des Hei­mes soll der “Ver­ein zur För­de­rung des Volks­wohls” über­neh­men. Die Stadt Bre­mer­ha­ven ver­pflich­tet sich, den Betrieb des Hei­mes mit jähr­lich 1.000 Reichs­mark zu bezuschussen.

Auch in der Bevöl­ke­rung erfährt Ehlert viel Zustim­mung und sam­melt uner­müd­lich Spen­den ein.  End­lich kann die Pfar­rei gekauft wer­den. Am 25. Juni 1918 öff­net das Schul­land­heim Bark­hausen sei­ne Türen für die ers­ten Besu­cher. Zur Ein­wei­hung trifft Clamor Ehlers mit 31 Bre­mer­ha­ve­ner Schü­lern ein. Für die meis­ten Kin­der war es die ers­te Ferienreise.

Kom­fort gibt es nicht. Die Toi­let­ten bestehen aus Plumps­klos zwi­schen Scheu­ne und Hüh­ner­stall. Das Was­ser wird aus dem Brun­nen gepumpt und in Ton­krü­ge ins Haus getra­gen. Die Zim­mer sind mit har­ten Feld­bet­ten aus­ge­stat­tet, dazu aus­ran­gier­te Mili­tär­spin­de und eiser­ne Waschgestelle.

Schullandheim Barkhausen

Wäh­rend ganz Deutsch­land Hun­ger lei­det, wer­den die ers­ten Besu­cher mor­gens, mit­tags und abends in der Die­le mit Zwie­back und Brot, Milch­sup­pe und Kek­sen, Grau­pen, Kohl und Steck­rü­ben, Sau­er­kraut, Salz­boh­nen und sonn­tags manch­mal mit Fleisch ver­wöhnt. Anna Kne­fel­kamp ist die ers­te “Heim­mut­ter” und bleibt es 40 Jahre.

Vier Wochen wer­den die Kin­der ver­wöhnt und neh­men zwei bis drei Kilo zu. “Wir wur­den hier herr­lich ver­pflegt,” ist im Gäs­te­buch zu lesen. Und ein 11-jäh­ri­ger Jun­ge ver­kün­det dort, “fast über fünf Kilo” zuge­legt zu haben.

Als am 18. Sep­tem­ber 1944 Bre­mer­ha­ven bom­bar­diert wird, ster­ben vie­le Kin­der in den ver­meint­lich siche­ren Luft­schutz­räu­men. Aber eini­ge weni­ge Schul­kin­der, fast alle neun Jah­re jung, sind in Sicher­heit: Sie hal­ten sich gera­de im Schul­land­heim Bark­hausen auf. Auch wäh­rend des Zwei­ten Welt­krie­ges besuch­ten Schul­klas­sen regel­mä­ßig das Heim.

Im Juni 1988 wird drei Tage lang das Bark­hausen-Jubi­lä­um gefei­ert. In 70 Jah­ren waren hier 70.000 Schü­ler zu Gast. Doch das Inter­es­se der jun­gen Leu­te an die länd­li­che Idyl­le schwin­det. Es droht die Schließung.

Schullandheim Barkhausen

Das Schul­land­heim Bark­hausen liegt im gleich­na­mi­gen Orts­teil Bark­hausen in der Gemein­de Bad Essen. Es wur­de bereits mehr­mals moder­ni­siert und bie­tet heu­te 64 Bet­ten an, ver­teilt auf vier Ein­zel­zim­mer und zehn Mehr­bett­zim­mer mit 4 – 10 Bet­ten. Mitt­ler­wei­le fah­ren aus dem gan­zen Bun­des­ge­biet Grup­pen in das Wiehengebirge.

Scha­de, dass das einst städ­ti­sche Schul­land­heim in den Bre­mer­ha­ve­ner Schu­len kaum noch Beach­tung zu fin­den scheint. Im ver­gan­ge­nen Jahr bega­ben sich nur noch acht Bre­mer­ha­ve­ner Klas­sen an die gemäch­lich dahin­plät­schern­de Hun­te, um die Dino­sau­ri­er­fähr­ten zu erkunden.

Ehe­ma­li­ge Bre­mer­ha­ve­ner Schü­ler dage­gen schwär­men noch heu­te von ihrer Klas­sen­fahrt in das Schul­land­heim Barkhausen.

Mike J. schwärmt: “Ich war drei­mal da, ein­mal von der Grund­schu­le (Goe­the­schu­le), ein­mal mit der OS (Pau­la-Moder­sohn-Schu­le) und ein­mal mit der Real­schu­le (auch Pau­la). Dino-Spu­ren, Flie­ger­quel­le, Extern-Stei­ne, Her­manns-Denk­mal, Adler­war­te, Jun­ker­haus, Bür­ger­meis­ter­he­xen­haus… Viel wan­dern, Son­nen­schein, Regen, kur­ze Näch­te — gute und schlech­te Erin­ne­run­gen. Das waren noch Zeiten!”

Schullandheim Barkhausen

Auch Lin­da Astrid B. ist im Schul­land­heim Bark­hausen gewe­sen: “Wir (Gaußschule/Herr Scholz), 5. oder 6. Klas­se, fuh­ren zusam­men mit zwei ame­ri­ka­ni­schen Schul­klas­sen. Die haben immer das Lied ‘Do, re, mi, fa, so, la,ti,do’ gesun­gen. Es wur­de viel gewan­dert, in der Hun­te Was­ser­müh­len gebaut und vom Leh­rer Ärger bekom­men, weil es zu ‘kalt’ für uns wäre. Wan­de­rung zu den Dino­sau­ri­er­spu­ren, Exstern­stei­ne erklom­men, Nacht­wan­de­run­gen. Das Adler­horst war lei­der geschlossen.”

Ein wei­te­rer Schü­ler erin­nert sich, dass er wohl 1974 dort gewe­sen ist. Die ver­stei­ner­ten Dino­sau­ri­er­spu­ren haben ihn fas­zi­niert. Aber er und sei­ne Schul­ka­me­ra­den zwei­fel­ten doch sehr die Echt­heit der Spu­ren an: “Damals waren wir Kids uns ziem­lich sicher, dass die “gefaket” waren. Die Plat­te mit den Spu­ren rag­te ja auf­recht aus dem Boden. Wel­cher Dino läuft die Wän­de hoch, frag­ten wir uns.”

Auch Horst-Die­ter B. denkt ger­ne an sei­ne Zeit im Schul­land­heim Bark­hausen zurück: “Wir waren 1963 dort, und unse­re Band ‘The Wuls­dor­fer Beat­les’ hat­te ihren ers­ten Auf­tritt. Damals muss­te jede Klas­se einen bun­ten Abend bestrei­ten. Unser Bei­trag war eben ein Auf­tritt der Fab Four, an den ich mich aller­dings nur sche­men­haft erin­nern kann. ‘I want to hold your Hand’ war gera­de her­aus gekom­men. Früh übt sich, denn aus die­ser Trup­pe ent­stand 2 Jah­re spä­ter eine klei­ne unschein­ba­re Band mit dem ‘Namen Black Beats’.”

Schullandheim Barkhausen

Regi­na Sch. weiß noch heu­te, wie ent­täuscht alle waren, als sie mit der 5. oder 6. Klas­se eine hal­be Tages­wan­de­rung zu den Flie­ger­quel­len unter­wegs war, um dann nur einen klei­nen Bach vorzufinden.

Im Jah­re 1975 fuhr Sil­ke St. mit der 5. Klas­se (Klas­sen­leh­rer Herr Schul­ze) der Gorch-Fock-Schu­le in das Wie­hen­ge­bir­ge: “Ich erin­ne­re mich an ein Mäd­chen­zim­mer zu sechst und unzäh­li­ge Mücken, die Frau Schul­ze (Ehe­frau des Klas­sen­leh­rers) immer mit Essig­was­ser behan­del­te, ohne gro­ßen Erfolg; der Juck­reiz war uner­träg­lich. Zu den Mahl­zei­ten gab es immer Hage­but­ten­tee, den ich seit damals nicht mehr getrun­ken habe. Lus­tig waren die Gemein­schafts­du­schen der Mädels mit Frau Schul­ze. Wir sind auch immer viel gewan­dert; am liebs­ten moch­te ich die Nacht­wan­de­run­gen mit Lager­feu­er, wo Würst­chen am Stock gegrillt wurden.”

Schullandheim Barkhausen

Vie­le wei­te­re Schü­ler aus Bre­mer­ha­ven erin­nern sich ger­ne an die Fahrt in das Schul­land­heim Bark­hausen. Eri­ka Sp. kann sich kaum noch erin­nern: “Ich war auch da, aber das war so lan­ge her, die Erin­ne­run­gen sind anschei­nend begra­ben. Es war aber eine schö­ne Zeit.” Eri­ka hat ganz tief gegra­ben und ein paar schö­ne Bil­der aus ihrem Kar­ton ans Tages­licht gebracht.

Arthur T. war bereits in den 1960er Jah­ren mit sei­ner Klas­se von der Pes­ta­loz­zi­schu­le dort (Klas­sen­leh­rer war Herr Scheidt­mann). Und Andre­as B. war Mit­te der 1970er Jah­re mit sei­ner Klas­se im Schul­land­heim Bark­hausen und hat mir eine Ansichts­kar­te von damals zur Ver­fü­gung gestellt:

Schullandheim Barkhausen

In die­sem Jahr kann das Schul­land­heim Bark­hausen sein 100-jäh­ri­ges Bestehen fei­ern. Die Zei­ten waren nicht immer ein­fach. 1996 woll­te die Stadt Bre­mer­ha­ven die belieb­te Ein­rich­tung end­gül­tig schließen. 

1999 kau­fen Ingrid und Karl Ehler­ding der Stadt Bre­mer­ha­ven das Schul­land­heim ab, nach­dem sie zuvor erfolg­los ver­sucht haben, das tra­di­tio­nel­le Haus durch Geld­spen­den zu ret­ten. Im Jah­re 2000 über­ga­ben sie die Trä­ger­schaft in die neu gegrün­de­te Ehler­ding-Stif­tung. Die Stif­tung ließ das Schul­land­heim umfang­reich umbauen.

Quel­len:
A. Kro­ne: Die Ret­ter des Schul­land­hei­mes in Bark­hausen, Nord­see-Zei­tung v. 4.8.2006
A. Kro­ne: Bark­hausen: Die gute Idee in schlech­ter Zeit, Nord­see-Zei­tung v. 22.7.2009
T. Brock­mann: Herr­li­che Tage in Bark­hausen, Nord­see-Zei­tung v. 16.6.2018

Erich Sturk: Erinnerungen an die Humboldtschule in Geestemünde

Erin­ne­run­gen an die Hum­boldt­schu­le in Geest­e­mün­de” – das ist eine Chro­nik des Auf­bau­zu­ges der Hum­boldt­schu­le des Jahr­gan­ges 1943 – 1947 aus der Feder des ehe­ma­li­gen Schü­lers Erich Sturk. Zunächst erin­nert Erich Sturk an die Pla­nung und an den Bau der Hum­boldt­schu­le in Geest­e­mün­de. Anschlie­ßend erzählt er in beein­dru­cken­der und oft­mals in bedrü­cken­der Wei­se, was er dort als Schü­ler erlebt hat. 

Die Humboldtschule in Geestemünde

Im Jah­re 1924 wur­de von der soge­nann­ten Volks­schul­de­pu­ta­ti­on der Stadt Geest­e­mün­de der Bau einer Volks­schu­le in der Schil­ler­stra­ße in Geest­e­mün­de beschlos­sen. Die­sem Beschluss ging eine Pla­nungs­pha­se vor­aus, die sich bis in die Zeit vor dem 1. Welt­krieg zurück erstreckt. Der Plan begrün­de­te sich auf der Not­wen­dig­keit, die Klas­sen­fre­quenz in den vor­han­de­nen Schu­len Geest­e­mün­des zu sen­ken und gleich­zei­tig das Bil­dungs­an­ge­bot zu erhöhen.

Die lan­ge Pla­nungs­pha­se erklärt sich aus dem Aus­bruch des 1. Welt­krie­ges und der nach­fol­gen­den Infla­ti­on, die den Bau­be­ginn wie­der­um ver­zö­ger­te. Unter der Lei­tung von Stadt­bau­rat Dr. Wil­helm Kunz ent­stan­den die Vor­ent­wür­fe und die Kos­ten­schät­zun­gen. Im Jah­re 1928 konn­te mit den Vor­ar­bei­ten begon­nen wer­den. Die ein­set­zen­de Wirt­schafts­kri­se Ende der zwan­zi­ger Jah­re ver­zö­ger­te den Bau­be­ginn erneut, da die erfor­der­li­chen Gel­der für den Bau der Schu­le von der Stadt nicht auf­ge­bracht wer­den konnten.

Die Humboldtschule in Geestemünde

Dank der Bewil­li­gung einer bean­trag­ten Staats­hil­fe konn­te die Schu­le im April 1930 durch den dama­li­gen Ober­bür­ger­meis­ter Wal­ter Deli­us der Öffent­lich­keit über­ge­ben wer­den. Unter der Lei­tung von Rek­tor Graue ent­schloss sich das dama­li­ge Schul­kol­le­gi­um, der neu­en Schu­le den Namen Hum­boldt­schu­le zu geben.

Es war von vorn­her­ein beab­sich­tigt, der Volks­schu­le geho­be­ne Bil­dungs­klas­sen für einen mitt­le­ren Bil­dungs­gang anzu­glie­dern. So ent­stan­den 1933 vier geho­be­ne Klas­sen, die soge­nann­ten G‑Klassen. Die Auf­nah­me­be­din­gun­gen für den G‑Zweig und die Leis­tungs­an­for­de­run­gen waren schon damals sehr hoch. Die Wie­der­ho­lung eines Schul­jah­res war aus­ge­schlos­sen, wer die Anfor­de­run­gen nicht erfüll­te, muss­te den Zweig ver­las­sen und zur Volks­schu­le zurückkehren.

Die Humboldtschule in Geestemünde

In der dama­li­gen Stadt Weser­mün­de gab es in den drei­ßi­ger Jah­ren drei Schu­len mit dem G‑Zweig. Die­ses waren in Geest­e­mün­de die Hum­boldt­schu­le, in Mit­te die Pes­ta­loz­zi­schu­le und in Lehe die Kör­ner­schu­le. Die Schü­ler­schaft für die­sen Zweig kam bei der Hum­boldt­schu­le aus den bestehen­den Geest­e­mün­der Volks­schu­len, der Her­mann-Löns-Schu­le, der Alt­geest­e­mün­der Mäd­chen­schu­le, der Neu­markt­schu­le, der All­mers­schu­le und aus dem Volks­schul­zweig der Hum­boldt­schu­le. Gleich­zei­tig stand der Zweig begab­ten Schü­lern aus den Wuls­dor­fer Schu­len und den Schu­len des süd­li­chen Land­krei­ses offen.

Am 15. Dez. 1939 wur­de auf Anord­nung des Reichs­mi­nis­ters für Wis­sen­schaft, Erzie­hung und Volks­bil­dung der G‑Zweig in den soge­nann­ten Auf­bau­zug umge­wan­delt. Das Ziel die­ser Schul­re­form war es, eine Alter­na­ti­ve zu den Ober­schu­len und Gym­na­si­en zu bil­den und den Schul­ab­gän­gern damit bes­se­re Berufs­chan­cen zu bie­ten. Die Vor­aus­set­zun­gen für die­se Plä­ne war ein hoch­qua­li­fi­zier­ter Lehr­kör­per und ein Lehr­plan, der erhöh­te Anfor­de­run­gen an die Fächer Deutsch, Lei­bes­er­zie­hung, Lebens­kun­de , Geschich­te und Musik beinhal­te­te. Im Zuge des dama­li­gen Zeit­geis­tes kam die poli­ti­sche Erzie­hung hinzu.

Die Humboldtschule in Geestemünde

Für uns Schü­ler der Gebur­ten­jahr­gän­ge 1930/31 waren die Vor­aus­set­zun­gen für die Auf­nah­me in den Auf­bau­zug ein guter Noten­quer­schnitt und sowie eine Emp­feh­lung des Schul­lei­ters als Ver­merk im letz­ten Schul­zeug­nis der Volks­schu­le. Gleich­zei­tig muss­te der Nach­weis über die erfolg­rei­che Teil­nah­me an einem zwei­jäh­ri­gem vor­be­rei­ten­den Eng­lisch­un­ter­richts­kur­sus an der Volks­schu­le erbracht werden.

Im Auf­bau­zug wur­de als Erzie­hungs­form die Koedu­ka­ti­on prak­ti­ziert, d. h. Jun­gen und Mäd­chen wur­den gemein­sam unter­rich­tet. Die­se Form war für uns neu, da die Volks­schu­le nur eine nach Geschlech­tern getrenn­te Erzie­hung kann­te. Der Anteil an Jun­gen und Mäd­chen hielt sich die Waa­ge, die Sitz­plät­ze waren jedoch durch einen Gang getrennt.

Die Humboldtschule in Geestemünde

Der Lehr­kör­per des Jah­res 1943 bestand unter der Lei­tung von Rek­tor Graue aus den Damen Rothe (Zwie­bel), Beck­mann (Isa­bel­la), von Zobel (Zo — obel), die Eng­lisch­un­ter­richt erteil­ten, den Damen Mül­ler für Turn­un­ter­richt der Mäd­chen und Pas­sier für Musik, sowie den Her­ren Hage­mann (Ferd) als Klas­sen­leh­rer und Fach­leh­rer für Deutsch, Geschich­te und Erd­kun­de, Bra­se für Raum- und Natur­leh­re und Gabrich als Lei­ter der Leibeserziehung.

Die Humboldtschule in Geestemünde

Die vor­ste­hend genann­ten Fächer­be­zeich­nun­gen waren neu und stell­ten eine Ein­deut­schung der Begrif­fe wie Mathe­ma­tik, Phy­sik und Bio­lo­gie usw. dar. Beson­de­rer Wert wur­de auf die Lei­bes­er­zie­hung gelegt, die para­mi­li­tä­ri­schen Cha­rak­ter hat­te. Zu Beginn des Unter­richts muss­te die Klas­se antre­ten und der Klas­sen­äl­tes­te mach­te dem Leh­rer Mel­dung über die Zahl der ange­tre­te­nen Schü­ler und die Begrün­dung der Krank­mel­dun­gen. Ent­spre­chend hart war der Umgangs­ton. Wur­de ein Schü­ler beim Spre­chen mit dem Nach­barn oder bei einer ande­ren Unauf­merk­sam­keit erwischt, muss­te er mit der Auf­for­de­rung “Du robbst, Du Schwein, Du Sau­pe­sel.….” drei Ehren­run­den auf dem Bauch rob­bend um die Turn­hal­le dre­hen. Die glei­che stren­ge Erzie­hung herrsch­te beim Schwimm­un­ter­richt im dama­li­gen Mari­en­bad. Nach dem vor­an­ge­hen­den Duschen wur­de ange­tre­ten und der Kör­per auf Sau­ber­keit kon­trol­liert. Waren die Kri­te­ri­en nicht aus­rei­chend erfüllt, lau­te­te der Spruch “Du hast Dich wohl seit Dei­ner Geburt nicht gewa­schen. Zurück unter die Dusche, marsch, marsch… .”

Musik­un­ter­richt hat­ten wir bei Frau Pas­sier, die sich sehr enga­gier­te. Er fand im Musik­zim­mer der Schu­le statt, wo ein gro­ßer schwar­zer Flü­gel stand. Wenn wir kei­ne Lust zum Sin­gen hat­ten, baten wir Frau Pas­sier, uns den Erl­kö­nig vor­zu­tra­gen. Sie setz­te sich dann an den Flü­gel und sang und spiel­te, und ich habe es als wun­der­vol­le Inter­pre­ta­ti­on in Erinnerung.

Die Humboldtschule in Geestemünde

Die Unter­richts­zeit betrug an fünf Tagen der Woche jeweils sechs Ein­hei­ten á 45 Minu­ten und ging von 8.00 — 13.45 Uhr. Bei nächt­li­chen Flie­ger­alarm nach 22.00 Uhr begann der Unter­richt um 9.30 Uhr und die Ein­hei­ten wur­den in Kurz­stun­den umge­wan­delt, wobei die Fächer­kom­bi­na­ti­on bestehen blieb. Aber auch tags­über wur­de der Unter­richt oft durch alli­ier­te Bom­ber­ver­bän­de, die über die Deut­sche Bucht ein­flo­gen, unter­bro­chen, und der Luft­schutz­kel­ler der Schu­le muss­te auf­ge­sucht wer­den. Die Klas­sen­fre­quenz schwank­te dau­ernd, da eini­ge Klas­sen­ver­bän­de der Volks­schu­len erst Ende des Jah­res 1943 bzw. Anfang des Jah­res 1944 aus der Kin­der­land­ver­schi­ckung und den besetz­ten Ost­ge­bie­ten zurück­kehr­ten. Hin­zu kamen Sude­ten­deut­sche und Sie­ben­bür­ger Sach­sen, die dem Ruf “Heim ins Reich” gefolgt waren.

Die schu­li­schen Leis­tun­gen lit­ten auch unter den außer­schu­li­schen Belas­tun­gen durch den Dienst im Jung­volk bzw. im Jung­mä­del­bund mit vie­len Auf­ga­ben wie Spinnstoff‑, Alt­ma­te­ri­al- und Heil­kräu­ter­samm­lun­gen, Stra­ßen­samm­lun­gen für das Win­ter­hilfs­werk, zusätz­li­chen Füh­rer­dienst, Aus­bil­dung im Luft­schutz und Ein­be­ru­fun­gen zu Lehr­gän­gen in die Gebiets­füh­rer­schu­len Dib­ber­sen und Han­kens­büt­tel. In der Vor­weih­nachts­zeit wur­de Spiel­zeug gebas­telt, das an die Kin­der ver­teilt wur­de, deren Väter im Fel­de standen.

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Hin­zu kam ein Dienst als Brand­wa­che in der Schu­le, die tags­über nach Schul­schluss von den jün­ge­ren und nachts von den älte­ren Jahr­gän­gen gestellt wur­de, für mich ein Flug­mo­dell­bau­lehr­gang der Flie­ger-HJ bei dem Modell­bau­leh­rer Ernst Olter­mann in der Mit­tel­stras­se, ein Lehr­gang im Mor­sen, der in der Her­mann-Löns-Schu­le von der Nach­rich­ten-HJ unter Lei­tung eines Offi­ziers des Flug­ha­fens Wed­de­war­den erteilt wur­de und der Hilfs­ein­satz bei den Bom­ben­an­grif­fen in den Jah­ren 1943 und 1944.

Eine beson­de­re Leis­tung stell­te für mich der Dienst als Luft­schutz­mel­der in den Räu­men der Orts­grup­pe Neu­markt dar, zu dem ich abkom­man­diert war. Ich bekam einen Stahl­helm und eine Gas­mas­ke gestellt und muss­te mich bei Flie­ger­alarm auf der Dienst­stel­le der Orts­grup­pe in der Max-Diet­rich-Stra­ße ein­fin­den. Ein Aus­weis erlaub­te mir den Auf­ent­halt auf den Stra­ßen bei Flie­ger­alarm. Den Flä­chen­an­griff mit Spreng­bom­ben auf Geest­e­mün­de am 15. Juni 1944 erleb­te ich in der Dienst­stel­le, und ich muss­te gleich nach dem Angriff los­lau­fen und alle Schä­den im Bereich der Orts­grup­pe fest­stel­len und mel­den. Dabei kam ich mir natür­lich sehr wich­tig und unent­behr­lich vor.

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Das Flä­chen­bom­bar­de­ment wur­de im Juni fort­ge­setzt. Am 17. Juni erfolg­te der Angriff auf den Fische­rei­ha­fen und am 18. Juni der Angriff auf den Stadt­teil Lehe. Nach die­sen Angrif­fen wur­de ich zur Nach­rich­ten-HJ abkom­man­diert, und wir erhiel­ten die Auf­ga­be, das zer­stör­te Tele­fon­netz, das damals noch ein Frei­lei­tungs­netz war, durch Feld­te­le­fo­ne zu erset­zen, damit die Ein­satz­lei­tun­gen mit­ein­an­der kom­mu­ni­zie­ren konn­ten. Das Mate­ri­al hier­für hol­ten wir mit einem Hand­wa­gen vom Flug­platz Wed­de­war­den und von der Mari­ne­schu­le. Mit Lei­tern, Steig­ei­sen und Kabel­trom­meln aus­ge­stat­tet, ver­leg­ten wir ein pro­vi­so­ri­sches Frei­lei­tungs­netz auf den Stra­ßen, das alle wich­ti­gen Stel­len mit­ein­an­der ver­band. Die Ver­mitt­lung wur­de auf der Bann­dienst­stel­le in der Köper­stra­ße und im HJ-Heim im Saar­park ein­ge­rich­tet, und ich muss­te hier zusam­men mit ande­ren Kame­ra­den Ver­mitt­lungs­diens­te leisten.

Die außer­schu­li­sche Belas­tung, die natür­lich Aus­wir­kun­gen auf die schu­li­schen Leis­tun­gen hat­te, wur­de nicht von allen Kräf­ten des Lehr­kör­pers akzep­tiert. Ich erin­ne­re mich, dass sich unse­re dama­li­ge Eng­lisch­leh­re­rin, Fräu­lein von Zobel, von der Klas­se mit den Wor­ten ver­ab­schie­de­te: “Ich habe mich auf­grund der Faul­heit, die in den Klas­sen des Auf­bau­zu­ges herrscht, zur Volks­schu­le zurück­ver­set­zen lassen.”

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Eine Zäsur in der dama­li­gen Schul­zeit stellt der Beginn der Som­mer­fe­ri­en 1944 dar. Durch die Gefahr der sich meh­ren­den Flie­ger­an­grif­fe ent­schloss sich die Schul­ver­wal­tung, alle Schu­len im dama­li­gen Weser­mün­de zu schlie­ßen und die Kin­der aufs Land zu eva­ku­ie­ren. Für die Klas­sen der Hum­boldt­schu­le war der Raum Schee­ßel — Roten­burg vor­ge­se­hen. Wir ver­lie­ßen Bre­mer­ha­ven in einem Sam­mel­zug unter der Lei­tung unse­res Klas­sen­leh­rers Herrn Hage­mann und der HJ-Zug­be­glei­tung, Stamm­füh­rer Erich Boh­ling, in Rich­tung Roten­burg. Die Fahrt ging über Bre­mer­vör­de — Zeven, und ab Bre­mer­vör­de wur­den die ers­ten Klas­sen an den Bahn­hö­fen ausgesetzt.

Unser Fahrt­ziel war der Ort Lau­en­brück in der Nähe von Schee­ßel am Ran­de der Lüne­bur­ger Hei­de. Hier stand ein Acker­wa­gen bereit, auf den wir unser Gepäck ver­lu­den, und dann mar­schier­ten wir zum 4 km ent­fern­ten Ort Stem­men, einem klei­nen Bau­ern­dorf. Unter der Dorf­lin­de muss­ten wir uns auf­stel­len, und die Bau­ern, die uns auf­neh­men soll­ten, such­ten sich aus unse­ren Rei­hen ihr Pfle­ge­kind aus. Dass sie im Hin­ter­kopf den Gedan­ken an eine Arbeits­kraft hat­ten, wird die Ent­schei­dun­gen bei der Aus­wahl sicher­lich beein­flusst haben.

Ich kam auf einen Hof etwas außer­halb des Ortes, nahe der dama­li­gen Reichs­stra­ße 75. Mein “Zim­mer” war eine klei­ne Kam­mer, in der ein Bett stand und ein Stuhl Platz hat­te, auf den ich mei­nen Kof­fer stel­len konn­te. Nachts hör­te ich die Mäu­se unter mei­nem Bett knab­bern und die alli­ier­ten Bom­ber­ver­bän­de nach Ham­burg flie­gen. Wenn es gar zu sehr brumm­te, weck­te mich der Bau­er, und ich muss­te mich anzie­hen. Waschen konn­te ich mich drau­ßen unter der Pum­pe, der ein­zi­gen Was­ser­stel­le des Hofes, die Toi­let­te war ein Plumps­klo drau­ßen neben dem Schweinestall.

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Sonn­abends ging es abends zusam­men mit den fran­zö­si­schen Kriegs­ge­fan­ge­nen nach Wüm­me­tal, wo die Wüm­me eine Furt bil­de­te und man im seich­ten Was­ser ein Voll­bad neh­men konn­te. Mei­ne Haus­ge­nos­sen waren der Bau­er und sei­ne Frau, eine mir gleich­alt­ri­ge Toch­ter und drei pol­ni­sche Zivil­ar­bei­ter, die ihre Mahl­zei­ten an einem geson­der­ten Tisch ein­neh­men mussten.

Der Schul­un­ter­richt wur­de wie­der auf­ge­nom­men. Das Dorf besaß eine ein­klas­si­ge Volks­schu­le, und wir teil­ten uns die vor­han­de­nen zwei Klas­sen­räu­me mit der Dorf­ju­gend, die von dem Leh­rer Selig unter­rich­tet wur­de. Turn­un­ter­richt hat­ten wir gemein­sam in Form einer Art Schlacht­ball­spiel, das wir mit einem Medi­zin­ball aus­tru­gen. Herr Hage­mann unter­rich­te­te uns sou­ve­rän in allen Fächern bis auf Eng­lisch. Er fand bewun­derns­wer­ter Wei­se sogar noch die Zeit, uns Unter­richt in Ste­no­gra­phie zu geben. Zum Eng­lisch­un­ter­richt mar­schier­ten wir gemein­sam nach Lau­en­brück, wo Fräu­lein Beck­mann mit ihrer Klas­se unter­ge­bracht war und sie die Mög­lich­keit hat­te, uns nach­mit­tags zu unterrichten.

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Das Dorf lag in der Ein­flug­schnei­se der alli­ier­ten Flie­ger nach Ham­burg und Ber­lin, und wenn tags­über die Bom­ber­ver­bän­de in gro­ßer Höhe mit lan­gen Kon­dens­strei­fen hin­ter sich her­zie­hend das Dorf über­flo­gen, muss­ten wir den im Schul­hof befind­li­chen Split­ter­bun­ker auf­su­chen, wo der Unter­richt fort­ge­setzt wur­de. Meh­re­re Male erleb­ten wir, dass eine von den vier­mo­to­ri­gen Boing Fort­ress abstürz­te und die Besat­zun­gen gefan­gen genom­men wur­den. Anschlie­ßend durch­stö­ber­ten wir die Maschi­nen, schau­ten uns alles an und nah­men ver­bo­te­ner Wei­se Leucht­spur­mu­ni­ti­on der Bord­ka­no­nen an uns. Gott sei Dank ist damit nie etwas ernst­haf­tes pas­siert, obwohl ein­mal bei einem Bau­ern wun­der­sa­mer Wei­se der Koh­le­ofen explodierte.

Neben dem Unter­richt mach­ten wir Ern­te­ein­satz bei den Bau­ern oder wur­den gemein­sam zum Suchen von Kar­tof­fel­kä­fern oder zum Sam­meln von Buch­eckern ein­ge­setzt. Auch such­ten wir in den Wäl­dern nach Reser­ve­ka­nis­tern, die von den neu­er­dings ein­ge­setz­ten Focke Wulf 200, den ers­ten Düsen­jä­gern, bei ihren Abfang­ein­sät­zen abge­wor­fen wurden.

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Der Dienst im Jung­volk trat in den Hin­ter­grund. Wir wur­den zwar dem bestehen­den Jung­zug im Ort ein­ge­glie­dert, aber ein regel­mä­ßi­ger Dienst fand nicht statt. Die Bau­ern­jun­gen, deren Väter meis­tens ein­ge­zo­gen waren, hat­ten genug mit der Ern­te und der Arbeit auf dem Hof zu tun. Nur wenn grö­ße­re Ver­an­stal­tung geplant waren, muss­ten wir in Uni­form teil­neh­men. Ich erin­ne­re mich an einen Bann­ap­pell in Schee­ßel, bei dem der Bann­füh­rer in glü­hen­den Wor­ten den nahe bevor­ste­hen­den End­sieg ankün­dig­te und uns, die Jahr­gän­ge 1930/31 zu einer frei­wil­li­gen Mel­dung zum Dienst in der Waf­fen-SS, Divi­si­on Hit­ler­ju­gend auf­for­der­te. Es muss­te jedoch eine Ein­ver­ständ­nis­er­klä­rung der Eltern bei­gebracht wer­den, die kei­ner von uns erhielt.

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Um die Herbst­fe­ri­en gab es einen Kampf. Die Bau­ern woll­ten uns zur Kar­tof­fel­ern­te dabe­hal­ten, aber wir woll­ten natür­lich nach Hau­se zu unse­ren Eltern. Nach lan­gem Hin — und Her durf­ten wir am 16. Sep­tem­ber nach Weser­mün­de fah­ren. Es gab noch ein Hin­der­nis mit der Bahn, denn am Schal­ter durf­ten kei­ne Fahr­kar­ten aus­ge­ge­ben wer­den, wenn die Fahr­stre­cke mehr als 100 km betrug. Wir umgin­gen die­ses Pro­blem, lös­ten eine Fahr­kar­te bis Roten­burg, fuh­ren dort­hin und lös­ten dort eine Fahr­kar­te nach Weser­mün­de. Die Züge hat­ten einen fla­chen Güter­wa­gen mit einem dar­auf mon­tier­ten leich­ten Flak­ge­schütz hin­ter dem Ten­der und am Ende des Zuges — zur Abwehr feind­li­cher Tief­flie­ger, die oft und ger­ne die fah­ren­den Züge angrif­fen. Nach­dem ich glück­lich zu Hau­se ange­kom­men war, erfolg­te zwei Tage spä­ter, am 18. Sep­tem­ber 1944 der Groß­an­griff alli­ier­ter Bom­ber auf Bre­mer­ha­ven. Unser Haus brann­te nie­der, ich ver­brach­te die Nacht, im Split­ter­gra­ben vor dem Feu­er­sturm geschützt, auf dem Geest­e­mün­der Neumarkt.

Mit Been­di­gung der Herbst­fe­ri­en muss­ten wir nach Stem­men zurück, wenn wir in der Klas­se ver­blei­ben woll­ten. Der Platz auf dem Hof wur­de enger, aus­ge­bomb­te Fami­li­en aus Ham­burg, Bre­men und Weser­mün­de muss­ten auf­ge­nom­men wer­den, und im Janu­ar 1945 erreich­ten die ers­ten Flücht­lings­trecks aus Ost- und West­preu­ßen das Dorf.

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Die Schul­räu­me wur­den beschlag­nahmt und dien­ten nun­mehr einer flä­mi­schen Waf­fen- SS-Ein­heit als Unter­kunft. Herr Hage­mann bewirk­te, dass uns der Club­raum des Dorf­kru­ges vor­mit­tags zur Ver­fü­gung gestellt wur­de, und so fand der Unter­richt nun­mehr bei “Schul­ten Johann” statt. Drau­ßen mar­schier­ten schnei­dig und laut sin­gend die Fla­men vor­bei. Im Saal des Dorf­kru­ges waren die fran­zö­si­schen Kriegs­ge­fan­ge­nen unter­ge­bracht, die tags­über bei den Bau­ern arbei­te­ten und nachts von einem Volks­sturm­mann im Saal ein­ge­schlos­sen wur­den. Anschlie­ßend kamen sie durch die Fens­ter wie­der her­aus und tra­fen sich im Dorf.

Der Krieg kam näher, und Herr Hage­mann erhielt eine Ein­be­ru­fung zum Volks­sturm. Es gelang ihm jedoch, eine Frei­stel­lung zu erwir­ken. So konn­te der Unter­richt bis zu den Oster­fe­ri­en 1945 fort­ge­setzt wer­den. Neben all den erns­ten Ereig­nis­sen, die die Zeit und die Umstän­de mit sich brach­ten, gab es aber auch schö­ne Erleb­nis­se, an die ich mich ger­ne erinnere.

Zum einen war die­ses das haut­na­he Erle­ben der Natur, das für mich als Stadt­kind ein völ­lig neu­es Gefühl bedeu­te­te. Zum ande­ren war es das Gefühl der Not­ge­mein­schaft, das uns zusam­men­hal­ten ließ.

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In schöns­ter Erin­ne­rung sind mir die win­ter­li­chen Sonn­tag­nach­mit­ta­ge auf der Die­le beim Bau­ern Hoops. Hier kamen wir beim Schein der Petro­le­um­lam­pe mit der Dorf­ju­gend zusam­men. Anne­gret Bäss­mann spiel­te auf dem Akkor­de­on, und wir tanz­ten dazu, wäh­rend die Kühe in den Ver­schlä­gen mit den Ket­ten ras­sel­ten und brumm­ten. Unser schöns­tes Lied war das Lied der KLV, das wohl von Mil­lio­nen Schul­kin­dern in allen Land­ver­schi­ckungs­la­gern des Deut­schen Rei­ches und der angren­zen­den Ost­ge­bie­te gesun­gen wur­de und mit dem ers­ten Vers begann:

 Abends am Lager­feu­er sit­zen wir,
geden­ken der Hei­mat und plau­dern von ihr.
Zu Vater und Mut­ter daheim
kehr’n die Gedan­ken ins Eltern­haus ein. 

Nach den Oster­fe­ri­en wur­de der Schul­un­ter­richt nicht wie­der auf­ge­nom­men. Die Front der eng­li­schen Trup­pen waren unse­rem Auf­ent­halts­ort bedenk­lich nahe gerückt. So ent­schloss sich unser Klas­sen­leh­rer, Herr Hage­mann, mit Unter­stüt­zung von einem ange­reis­ten Vater eines Mit­schü­lers zu einer aben­teu­er­li­chen Heim­rei­se mit drei ver­blie­be­nen Schü­lern. Sein Plan war, mit dem Fahr­rad Bre­mer­vör­de zu errei­chen und dort eine Fahr­ge­le­gen­heit mit dem Zug nach Weser­mün­de zu ergat­tern. Unse­re Polen auf dem Hof hat­ten heim­lich am Radio feind­li­che Pro­pa­gan­da­sen­der abge­hört und dabei ver­nom­men, dass um Bre­mer­vör­de schon Kämp­fe statt­fan­den. Trotz ihrer War­nun­gen schloss ich mich der Grup­pe an.

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Wir star­te­ten gegen Mit­tag in Stem­men und fuh­ren über die Land­stra­ßen, die voll­ge­stopft waren mit Pan­zern, Last­wa­gen und Sturm­ge­schüt­zen und den dazu­ge­hö­ri­gen Land­sern. Durch eine Pan­ne am Fahr­rad blieb ich zurück und ver­lor den Anschluss an die Grup­pe. Land­ser hal­fen mir beim Fli­cken des Rades, es wur­de spät, und ich hat­te den Mut ver­lo­ren, Bre­mer­vör­de bei Tages­licht zu errei­chen So ent­schloss ich mich, nach Zeven zu fah­ren. Alle Augen­bli­cke muss­te ich anhal­ten und vom Rad sprin­gen, da Tief­flie­ger in nied­ri­ger Höhe die Land­stra­ßen abflo­gen und auf alles schos­sen, was sich bewegte.

Ich erreich­te jedoch den Bahn­hof von Zeven vor Ein­bruch der Dun­kel­heit und muss­te dort den Luft­schutz­kel­ler auf­su­chen, da Flie­ger­alarm herrsch­te. Plötz­lich ging ein Rau­nen durch den Luft­schutz­raum: “Der Zug kommt!” Alles stürm­te nach drau­ßen, und es gelang mir, einen Platz im Zug zu fin­den. Bei der Ein­fahrt in Bre­mer­vör­de schau­te ich aus dem Fens­ter und sah die Grup­pe mit Herrn Hage­mann auf dem Bahn­steig ste­hen. Um Mit­ter­nacht erreich­te der Zug tat­säch­lich den Haupt­bahn­hof von Wesermünde.

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Am 8. Mai 1945 war mit der Kapi­tu­la­ti­on und mit dem Ein­marsch der High­land Divi­si­on in das Stadt­ge­biet der Krieg zu Ende. Die Wirr­nis­se der Zwi­schen­zeit stel­len eine Geschich­te für sich dar und gehö­ren nicht in die­se Chro­nik. Dazu gehört jedoch der Tod unse­res Rek­tors Graue in den letz­ten Kriegs­ta­gen: Er hat­te sich nach Kühr­stedt eva­ku­iert, um dort das Kriegs­en­de abzu­war­ten. Beim Beschuss des Dor­fes durch die Eng­län­der von Beder­ke­sa aus ver­ließ er das schüt­zen­de Haus und wur­de von einer kre­pie­ren­den Gra­na­te töd­lich verletzt.

Das Kriegs­en­de mit dem unglück­li­chen Aus­gang stellt erneut eine Zäsur für die Ent­wick­lung der Schu­le dar. Die Besat­zungs­macht setzt eine Mili­tär­re­gie­rung ein, die wie­der­um kom­mis­sa­risch eine Stadt­ver­wal­tung aus poli­tisch unbe­las­te­ten Leu­ten zusam­men­stellt. Die ers­ten Auf­ga­ben die­ser Ver­wal­tung sind die Rück­füh­rung und Unter­brin­gung der eva­ku­ier­ten Bevöl­ke­rung und deren Ver­sor­gung. Die Ver­wal­tung wird in die Pes­ta­loz­zi­schu­le ein­quar­tiert und nimmt hier ihre Arbeit auf. Die Schu­len blei­ben auf unbe­stimm­te Zeit geschlos­sen, da die Leh­rer­schaft durch die von der Mili­tär­re­gie­rung ein­ge­setz­ten soge­nann­ten Spruch­kam­mern erst auf ihre poli­ti­sche Unbe­denk­lich­keit geprüft wird. Außer­dem sind kei­ne Räum­lich­kei­ten vor­han­den, da die meis­ten Schu­len der Stadt zer­stört sind. Die Aus­sich­ten auf die Zukunft sind unge­wiss, da noch immer die Fest­set­zun­gen des Mor­genthau­pla­nes über die zukünf­ti­ge Neu­ord­nung Deutsch­lands Gül­tig­keit besit­zen. Das Deut­sche Reich ist in Besat­zungs­zo­nen auf­ge­teilt, und die zustän­di­gen Mili­tär­re­gie­run­gen haben hier die Bildungshoheit.

Die Ame­ri­ka­ner begin­nen mit der Umer­zie­hung der deut­schen Jugend, der “Ree­du­ca­ti­on” durch den GYA, den Ger­man Youth Akti­vi­ties und durch die Ein­rich­tung der soge­nann­ten Ame­ri­ka­häu­ser. In die­sen Insti­tu­tio­nen soll bei den Jugend­li­chen ein neu­es Demo­kra­tie­ver­ständ­nis auf­ge­baut werden.

Auf Ver­an­las­sung mei­nes Vaters begin­ne ich eine Tisch­ler­leh­re, aber da die Werk­statt zer­stört ist, ver­brin­ge ich mei­ne Lehr­zeit mit Trüm­mer­be­sei­ti­gung. Als im Herbst 1945 die Schu­len wie­der geöff­net wer­den, bre­che ich die Leh­re ab und keh­re zur Hum­boldt­schu­le zurück. Unse­re Leh­rer­schaft ist fast voll­stän­dig wie­der in alter Beset­zung anwe­send, die “Per­sil­schei­ne” sind erteilt. Hin­zu kom­men neue Lehr­kräf­te aus den ehe­ma­li­gen Mari­ne­schu­len und aus den Schu­len, die zer­stört sind.

Die Lei­tung der Schu­le wird Rek­tor Rabens anver­traut. Unse­re Klas­sen­leh­re­rin wird Frau Dr. Bohm vom Lyze­um Geest­e­mün­de mit dem Fach Deutsch. Geschich­te und Erd­kun­de unter­rich­tet Herr Hage­mann, Mathe­ma­tik Herr Karsch, Eng­lisch Fräu­lein Rothe, Phy­sik und Che­mie Herr Prenz­low und Zeich­nen und Musik das Leh­rer­ehe­paar Bier­mann. Die Klas­sen­fre­quenz schwankt zwi­schen 40 und 50 Schü­lern. Da die Pes­ta­loz­zi­schu­le durch die Stadt­ver­wal­tung und die Ame­ri­can High­school belegt ist, wer­den die Schü­ler die­ser Schu­le auf die Hum­boldt- und Kör­ner­schu­le ver­teilt. Das Kri­te­ri­um für die Umver­tei­lung, wer auf wel­che Schu­le kommt, stellt kurio­ser­wei­se das Vor­han­den­sein einer Stra­ßen­bahn­hal­te­stel­le in der Nähe der Woh­nung dar.

Der Unter­richt gestal­tet sich für den Lehr­kör­per sehr schwie­rig. Die alten Schul­bü­cher dür­fen aus poli­ti­schen Grün­den nicht benutzt wer­den, neue Schul­bü­cher gibt es nicht, Schreib­pa­pier ist eben­falls nicht zu bekom­men. So muss der Unter­richt aus dem Steg­reif gestal­tet wer­den. Die Über­be­le­gung der Schu­le erfor­dert die Ein­füh­rung des Schicht­un­ter­rich­tes, wobei sich die Klas­sen­ver­bän­de abwech­selnd den Unter­richts­raum tei­len. Die Kern­grup­pe unse­res Klas­sen­ver­ban­des erwei­tert sich um die zu uns gewech­sel­ten Schü­ler der Kör­ner- und Pes­ta­loz­zi­schu­le, um Flücht­lin­ge und ehe­ma­li­ge Flak­hel­fer und Militärdienstverpflichtete.

Wich­tigs­ter Teil der Schu­le für uns ist die Schul­spei­sung, die von der Besat­zungs­macht im Lau­fe des Jah­res 1946 ein­ge­führt wird. Aus Mit­teln der Hoo­ver­spei­sung wird in Groß­kü­chen abwech­selnd Erb­sen­sup­pe bezie­hungs­wei­se Milch­sup­pe berei­tet und in Ther­mos­kü­beln an die Schu­len gelie­fert. In der gro­ßen Pau­se erhält jeder Schü­ler hier­von einen soge­nann­ten Schlag. Die­ser Schlag stellt für vie­le Kin­der die Haupt­mahl­zeit des Tages dar. Grund dafür ist die knap­pe Ver­sor­gung der Bevöl­ke­rung mit Lebens­mit­teln, die im stren­gen und lan­gen Win­ter 19946/47 ihren Tief­punkt erreicht. Ich bin oft mit ande­ren Klas­sen­ka­me­ra­den zum Schul­schluss nach­mit­tags um 16.30 Uhr erneut in der Hoff­nung zur Schu­le gegan­gen, um von den Res­ten des Tages einen Nach­schlag zu erhalten.

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Außer­schu­li­sche Ver­pflich­tun­gen gab es auch zu die­ser Zeit. Um einen Anspruch auf Lebens­mit­tel­kar­ten zu erwir­ken, muss­ten Pflicht­stun­den bei der Ent­trüm­me­rung der Stadt nach­ge­wie­sen wer­den. Die­se Pflicht­stun­den wur­den im Klas­sen­ver­band abge­ar­bei­tet. Pflicht war auch der gemein­sa­me Besuch einer Aus­stel­lung der Gräu­el­ta­ten in den KZ’s, die in der Aula der Wil­helm-Raa­be-Schu­le auf­ge­baut war und die mich sehr scho­ckiert hat, und der Besuch meh­re­rer Film­ver­an­stal­tun­gen, die der Ree­du­ca­ti­on die­nen soll­ten. Kei­ne Pflicht, aber all­ge­mein üblich war an Win­ter­aben­den in der Däm­mer­stun­de das Besor­gen von Bun­ker­koh­le von den Zügen am Fische­rei­ha­fen, um daheim ein war­mes Zim­mer zu haben. Die­ses “Besor­gen” galt zu der Zeit als Kava­liers­de­likt und dien­te dem Überleben.

Mit Beginn des neu­en Schul­jah­res 1946 wech­sel­te die Beset­zung unse­res Lehr­kör­pers. Herr Nord­hoff war aus der Kriegs­ge­fan­gen­schaft zurück­ge­kehrt, hat­te sein Spruch­kam­mer­ver­fah­ren hin­ter sich gebracht und wur­de nun unser Klas­sen­leh­rer, der uns in Deutsch, Eng­lisch und Musik unter­rich­te­te. Auch der Turn­un­ter­richt wur­de wie­der auf­ge­nom­men, aber nur im Som­mer, da unse­re Turn­hal­le zer­stört war. Wir muss­ten daher zum Turn­un­ter­richt den Städ­ti­schen Sport­platz im Bür­ger­park auf­su­chen. Da sich für eine Stun­de der lan­ge Anmarsch nicht lohn­te, wur­de der Unter­richt alle 14 Tage auf einen Mitt­woch­vor­mit­tag gelegt und für drei Klas­sen gleich­zei­tig erteilt. Herrn Gabrichs Lieb­lings­sport­art war nun Hand- und Fuß­ball­spiel. Die Asse in die­ser Sport­art, Bagen­da und Gul­bis, stell­ten ihre Mann­schaf­ten auf und spiel­ten, wobei Herr Gabrich schieds­rich­ter­te. Der Rest der Klas­sen wur­de zum Lang­lauf­trai­ning auf die Aschen­bahn rund um den Sport­platz geschickt. Nun weiß ich auch, war­um mir Sport immer ver­hasst war!

Die Humboldtschule in Geestemünde

Mit Anbruch der Weih­nachts­fe­ri­en setz­te der Win­ter mit star­kem Frost und Schnee­fall ein. Der Janu­ar brach­te kla­res Frost­wet­ter mit Ost­wind und Tiefst­tem­pe­ra­tu­ren bis zu ‑18°, das sich bis weit in den März hin­ein hin­zog. Die in der Schu­le vor­han­de­nen Koh­le­vor­rä­te waren auf­ge­braucht, Nach­schub gab es nicht und so konn­te die Schu­le nicht mehr geheizt wer­den. Nach Ablauf der Weih­nachts­fe­ri­en ruh­te der Schul­be­trieb bis auf wei­te­res. Die Ver­tei­lung der Schul­spei­se wur­de fort­ge­setzt, und so gin­gen wir mit unse­rem Blech­napf jeden Mor­gen um 9.30 Uhr auf den Schul­hof, um uns unse­ren Schlag Sup­pe abzuholen.Herr Nord­hoff enga­gier­te sich in selbst­auf­op­fern­der Wei­se und kam jeden Mor­gen mit der Stra­ßen­bahn von Alt­wuls­dorf aus zur Schu­le gefah­ren. Nach­dem wir die Schul­spei­sung emp­fan­gen hat­ten, gin­gen wir mit ihm gemein­sam in den Klas­sen­raum, der Tem­pe­ra­tu­ren unter dem Gefrier­punkt hat­te. In Hut und Man­tel mit auf­ge­schla­ge­nem Kra­gen stand er eine Stun­de an der Schul­ta­fel und gab uns Unter­richt und Haus­auf­ga­ben und berei­te­te uns so auf die bevor­ste­hen­de Abschluss­prü­fung vor, die mit Ablauf des Schul­jah­res im März 1947 statt­fin­den sollte.

Die Hoff­nung auf einen erneu­ten Unter­richts­be­ginn erfüll­te sich nicht. Der Dau­er­frost hielt an, und als Prü­fungs­ter­min wur­de nach meh­re­ren Ver­schie­bun­gen der 20. März 1947 fest­ge­setzt. Prü­fungs­ort soll­te die Zwing­lischu­le in der Lan­gen Stra­ße in Lehe sein, die als eine der ältes­ten Schu­len der Stadt zur Behei­zung noch Koh­le­öfen besaß und so ein Raum für uns geheizt wer­den konn­te. Wer die Koh­le besorgt hat, weiß ich nicht. Aus­ge­rech­net in die­sen Tagen hat­te Tau­wet­ter ein­ge­setzt und die ver­eis­ten Stra­ßen­bahn­schie­nen über­flu­tet, so dass die Stra­ßen­bah­nen nicht fah­ren konn­ten. So tra­fen wir Geest­e­mün­der uns recht­zei­tig am Haupt­bahn­hof und mar­schier­ten gemein­sam über die Stra­ße der Frei­heit, die heu­ti­ge Stre­se­mann­stra­ße, in Rich­tung Lehe.

Die Humboldtschule in Geestemünde

Wir kamen auf­grund der schlech­ten Fuß­be­klei­dung mit durch­näss­ten Schu­hen dort an und hin­gen unse­re Schu­he und Strümp­fe zum Trock­nen an den rie­si­gen eiser­nen Ofen. Der Prü­fungs­aus­schuss, dem es ähn­lich ergan­gen war, mach­te es eben­so. Als Prü­fungs­aus­schuss unter dem Vor­sitz des Beauf­trag­ten des Sena­tors für Schu­len und Erzie­hung, Schul­rat Zim­mer­mann zeich­ne­ten Rek­tor Rabens, Herr Nord­hoff, Herr Hage­mann, Fräu­lein Rothe, Frau Dr. Bohm und Herr Prenz­low verantwortlich.

Die Humboldtschule in Geestemünde

Die schrift­li­che Prü­fung begann unter Herrn Rek­tor Rabens in Mathe­ma­tik unter strengs­ter Klau­sur. Wer vor Auf­re­gung zur Toi­let­te muss­te, konn­te die­ses nur in Beglei­tung eines Leh­rers ver­rich­ten. Es folg­ten die ande­ren Prü­fungs­fä­cher. Wer bei einer spä­te­ren Begut­ach­tung durch den Prü­fungs­aus­schuss mit einer Zen­sur zum Guten oder Schlech­ten auf der Kip­pe stand, wur­de münd­lich nach­ge­prüft. Ich muss an die­ser Stel­le für ihr Ver­hal­ten in der münd­li­chen Prü­fung lobend Fräu­lein Rothe erwäh­nen, die sich uns gegen­über loy­al zeig­te und durch ihre Mimik und durch geschick­te Zwi­schen­fra­gen man­che gespann­te Situa­ti­on rettete.

Die Humboldtschule in Geestemünde

Zur Beloh­nung für die Anstren­gun­gen stand der Klas­se in der Pau­se ein gan­zer Kübel Schul­spei­sung zum Sat­tes­sen bereit. Ent­spannt und in gelo­cker­ter Atmo­sphä­re tra­ten wir in hel­lem Son­nen­schein den Rück­weg nach Hau­se über die Hafen­stras­se an. Die offi­zi­el­le Schul­ent­las­sungs­fei­er fand am 29. März 1947 vor­mit­tags um 11.00 Uhr im Musik­zim­mer der Schu­le statt. Nach­mit­tags tra­fen wir uns noch ein­mal in der Schu­le, um mit Heiß­ge­tränk die bestan­de­ne Prü­fung zu begießen.

Die Humboldtschule in Geestemünde

Rück­bli­ckend möch­te ich noch ein­mal unse­rer Leh­rer­schaft mei­ne Hoch­ach­tung aus­drü­cken, die uns unter wid­rigs­ten Umstän­den ein Bil­dungs­ni­veau ver­mit­telt hat, das den heu­ti­gen schu­li­schen Leis­tun­gen in kei­ner Wei­se nach­steht. Die­ses Wis­sen kam uns in den1950er Auf­bau­jah­ren allen zu Gute und bil­de­te die Basis für unse­re beruf­li­che Kar­rie­re und stell­te für vie­le auch den Grund­stock für den zwei­ten Bil­dungs­weg dar. Ohne jeman­den zurück­zu­stel­len, möch­te ich die ruhi­ge, beson­ne­ne und väter­li­che Art des Herrn Hage­mann erwäh­nen, der uns durch all die schwe­ren Jah­re beglei­te­te und der mit sei­nem ver­steck­ten Humor man­che Eska­la­ti­on ver­mei­den half. Bei Herrn Rek­tor Rabens bewun­de­re ich die Art sei­ner Päd­ago­gik und Dia­lek­tik, mit der er den Unter­richt führ­te und sei­ne Auto­ri­tät zum Aus­druck brach­te. Ich mei­ne, dass er mit die­ser Art auch bei der heu­ti­gen Schul­ju­gend mit Erfolg bestehen könn­te!
Bre­mer­ha­ven, im Juli 1997 | Erich Sturk
Vie­len Dank an Herrn Erich Sturk, dass er die Leser des Deich­SPIE­GELS an sei­nen Erin­ne­run­gen an die Hum­boldt­schu­le teil­ha­ben lässt. 

Erich Sturk: Meine Schulzeit in der Allmersschule

In “Mei­ne Schul­zeit in der All­mers­schu­le” beschreibt der Geest­e­mün­der Erich Sturk sei­nen ers­ten Schul­tag in der All­mers­schu­le und sei­ne Erin­ne­run­gen an die ers­ten Schul­jah­re. Die Gebur­ten­jahr­gän­ge 1930/31, die auf­grund ihres Wohn­sit­zes zum Schul­be­zirk der All­mers­schu­le in Geest­e­mün­de gehör­ten, wur­den Ostern 1937 eingeschult. 

Allmersschule

Der dama­li­gen Klas­sen­fre­quenz ent­spre­chend wur­den zwei Klas­sen gebil­det, die Selek­ti­on wur­de ent­spre­chend den Anfangs­buch­sta­ben der Nach­na­men vor­ge­nom­men. Die Schü­ler mit den Anfangs­buch­sta­ben A — L kamen in die Klas­se 8 a zu Herrn Tin­ne­mey­er, der Rest in die Klas­se 8 b zu Herrn Lan­ge. Lei­ter der All­mers­schu­le war der­zeit Rek­tor Stelljes.

Zur Ein­schu­lung Ostern 1937 bekam ich eine Schul­tü­te, gefüllt mit Süßig­kei­ten, die mir den Ein­tritt in den Ernst des Lebens ver­sü­ßen soll­te. Ich bekam sie aber erst zu Hau­se über­reicht, damit, Zitat mei­ner Eltern, “den armen Kin­dern, die kei­ne bekom­men, nicht das Herz blutet.”

Die Ein­schu­lung begann mit einem Flag­gen­ap­pell, zu dem die gesam­te Schü­ler­schaft auf dem Schul­hof ange­tre­ten war und Rek­tor Stell­jes die Flag­ge hiss­te, wobei das Deutsch­land­lied und das Horst-Wes­sel-Lied gesun­gen wurde.

Der Schul­ran­zen, genannt “Tor­nis­ter”, wur­de auf dem Rücken getra­gen, um die Kör­per­hal­tung zu scho­nen. Er ent­hielt die Schul­fi­bel, (“Oh Hei­ni, bist Du dumm, rührst mit dem gan­zen Fin­ger im Tin­ten­fass her­um…“ und “Feri­en und lesen? Nein, wir sehen SA und SS…“), ein Rechen­buch, den Grif­fel­kas­ten mit ver­schie­de­nen Schie­fer­grif­feln und als Haupt­re­qui­sit die Schie­fer­ta­fel mit Schwamm­do­se und Tafel­lap­pen zum Säu­bern der Schie­fer­ta­fel. Alter­na­ti­ve Mit­schü­ler, die es auch damals schon gab, spuck­ten zu die­sem Zweck auf die Tafel und wisch­ten sie mit dem Ärmel ab.

Erinnerungsfoto

Die Unter­rich­tung wäh­rend der ers­ten vier Grund­schul­jah­re er- folg­te in allen Fächern durch den Klas­sen­leh­rer, in mei­nem Fall durch den Herrn Lan­ge. Ledig­lich der Turn­un­ter­richt erfolg­te zusam­men mit der Par­al­lel­klas­se durch den Herrn Tin­ne­mey­er, spä­ter durch Herrn Schos­sig. Haupt­fä­cher waren Schrei­ben, Lesen, Rech­nen, wobei das Üben der Schön­schrift in Süt­ter­lin erst auf Schie­fer­ta­feln, spä­ter mit Tin­te in Schul­hef­ten ein beson­de­res Ste­cken­pferd des Herrn Lan­ge war.

Neben­fä­cher waren Hei­mat­kun­de, Hei­mat­ge­schich­te und Reli­gi­on, wobei die Flüs­se des Har­zes, auf­ge­zählt in Ost- und West­rich­tung eine beson­de­re Bedeu­tung hat­ten, da Herr Lan­ge hier sei­ne Urlaubs­zeit ver­brach­te. Zur Hei­mat­ge­schich­te zähl­ten die Hei­mat­sa­gen des Hein­rich Mahler, sei­ner­zeit Rek­tor an der Her­mann-Löns-Schu­le. Ich erin­ne­re mich an den Dra­chen­stein in Don­nern und die Zwer­ge von Dünen­fähr, Orte, die ich sonn­tags mit mei­nen Eltern auf dem Fahr­rad auf­such­te, um mir ein Bild zu machen. Die Reli­gi­ons­stun­de lag am Schluss des Unter­rich­tes, wobei die “Gott­lo­sen” (Zitat Wil­helm Lan­ge) und die Katho­li­ken und Juden nach Hau­se gehen durften.

1937 Allmersschule Klassenfoto

Die All­mers­schu­le war eine acht­klas­si­ge Grund­schu­le für Jun­gen. Wer die ent­spre­chen­den Leis­tun­gen brach­te und des­sen Eltern das nöti­ge Schul­geld besa­ßen, konn­te nach der vier­ten Klas­se zur Ober­schu­le für Jun­gen, der heu­ti­gen Wil­helm-Raa­be-Schu­le, über­wech­seln. Die zwei­te Mög­lich­keit der Wei­ter­bil­dung bestand im Wech­sel nach der sechs­ten Klas­se zum Auf­bau­zug der Hum­boldt­schu­le, einer Ein­rich­tung der Reich­mi­nis­ters für Erzie­hung und Wis­sen­schaft als Alter­na­ti­ve zur Ober­schu­le. Zu die­sem Über­gang wur­den ent­spre­chen­de Schul­no­ten, eine Emp­feh­lung des Klas­sen­leh­rers und die erfolg­reich Teil­nah­me an einem zwei­jäh­ri­gen Eng­lisch­kur­sus, zusam­men mit den gleich­alt­ri­gen Mäd­chen der Neu­markt­schu­le, verlangt.

Die Erzie­hung war preu­ßisch streng. Mor­gens bei Schul­be­ginn betrat Herr Lan­ge die Klas­se und auf sei­nen Ruf hin “Zock, drei, vier” muss­ten wir alle gera­de und still mit gekreuz­ten Armen auf unse­rem Platz sit­zen. Das Leh­rer­pult stand auf einem erhöh­ten Podest, dane­ben ein Spuck­napf und ein Stahl­ge­stell mit Wasch­schüs­sel und Sei­fe. Bei­des wur­de vom Haus­meis­ter, dem Herrn Göld­ner, täg­lich gesäu­bert und frisch gefüllt. Über dem Pult hing an der Wand ein Füh­rer­bild, auf das bei ent­spre­chen­den Gele­gen­hei­ten mit den Wor­ten: “… und das im Ange­sich­te eures Füh­rers! Pfui, schämt Euch!“, hin­ge­wie­sen wurde.

Auf dem Klas­sen­schrank lag ein wich­ti­ges Requi­sit, näm­lich ein Rohr­stock, genannt “der Gel­be”. Er dien­te als Zei­ge­stock und zur kör­per­li­chen Züch­ti­gung. War er durch zu häu­fi­ge Benut­zung ver­schlis­sen, wur­de ein Schü­ler zum Eisen­wa­ren­ge­schäft Daetz in die Georg­stra­ße geschickt, um einen neu­en “Gel­ben” zu besor­gen. Neben dem stän­dig gebrauch­tem “Zock drei vier” war es eine Eigen­art unse­res Kas­sen­leh­rers, bei schrift­li­chen Arbei­ten mit dem “Gel­ben” auf die Schü­ler­pul­te zu stei­gen und so, von Pult zu Pult schrei­tend, die Arbei­ten des Ein­zel­nen zu kon­trol­lie­ren und zu korrigieren.

Zuechtigung

Die Päd­ago­gik des Herrn Lan­ge bestand vor­wie­gend aus der “Pauk­me­tho­de”. Aus­wen­dig ler­nen von Gedich­ten und Pro­sa stand an ers­ter Stel­le und soll­te das Gedächt­nis schu­len. Bis jeder in der Klas­se das Gedicht “Die alte Wasch­frau” feh­ler­frei auf­sa­gen konn­te, muss­ten wir es rück­wärts üben und von hin­ten her auf­sa­gen. Die­se Metho­de, die sicher­lich bei jedem zeit­ge­mäß aus­ge­bil­de­ten Päd­ago­gen Kopf­schüt­teln her­vor­ruft, hat­te aber für das prak­ti­sche Leben auch ihre Vor­tei­le. So kann ich heu­te noch alle Prä­po­si­tio­nen und Kon­junk­tio­nen der Rei­he nach im Schlaf auf­sa­gen, die Qua­drat­wur­zel ohne Hil­fe eines Rechen­schie­bers oder eines Taschen­rech­ners zie­hen und Sät­ze “Dro­ben ste­het die Kapel­le, schaut ins tie­fe Tal hin­ab.…” nach Satz­ge­gen­stand und Satz­aus­sa­ge zergliedern.

Mit Kriegs­be­ginn am 1. Sep­tem­ber 1939 änder­te sich auch eini­ges im täg­li­chen Schul­ab­lauf. Im Kel­ler der Schu­le wur­de ein Luft­schutz­raum ein­ge­rich­tet, den wir bei den zuneh­men­den Flie­ger­alar­men auf­su­chen muss­ten, und 1941 fie­len die ers­ten Bom­ben in der Nähe der Schu­le in der Schil­ler- und Klop­stock­stra­ße. Genau gegen­über der Schu­le, in der All­mers­stra­ße, wur­de mit dem Bau eines Hoch­bun­kers begon­nen, der nach dem Krie­ge gesprengt wurde.

Jungvolk

Zum Unter­richt trat das Fach “Luft­schutz­übung” unter der Lei­tung des Leh­rers und stell­ver­tre­ten­den Rek­tors, Herrn Mey­er, hin­zu. Auf dem Schul­hof wur­de der Blind­gän­ger einer Stab­brand­bom­be gezün­det, und Herr Mey­er demons­trier­te, wie man die­se im Anfangs­sta­di­um anfas­sen und fort­wer­fen kann, tauch­te sie in einen Was­ser­ei­mer, ohne dass sie erlosch und deck­te sie dann mit Lösch­sand ab.

Bei nächt­li­chem Flie­ger­alarm nach 22.00 Uhr wur­de der Unter­richts­be­ginn auf 9.30 Uhr ver­legt und der Stun­den­plan in Kurz­stun­den umge­wan­delt. Ab 1943 wur­den die älte­ren Schü­ler zu einer so genann­ten Brand­wa­che ein­ge­teilt, die den Nach­mit­tag in der Schu­le ver­brin­gen muss­te. Die Milch- und Kakao­lie­fe­rung der Mol­ke­rei wur­de ein­ge­stellt, dafür wur­den Knä­cke­brot und Vit­amin­ta­blet­ten ver­teilt, letz­te­re abge­zählt in einer aus­ge­dien­ten Schulkreideverpackung.

Neben der Ein­gangs­trep­pe wur­de ein altes Ölfass auf­ge­stellt und dien­te der Kno­chen­samm­lung für das Win­ter­hilfs­werk, hin­zu kamen Samm­lun­gen von Sta­ni­ol (Sil­ber­pa­pier und alte Zahn­pas­ta­tu­ben) und Heil­kräu­tern. Mit Geld­samm­lun­gen soll­te dem VDA (Ver­ein für das Deutsch­tum im Aus­land) gehol­fen wer­den. Für 20 Pfg. bekam man eine VDA-Pla­ket­te mit den Wap­pen der Städ­te im Sude­ten­land, in Sie­ben­bür­gen, im Banat und in Böh­men und Mähren.

Zur Weih­nachts­zeit wur­de zu dem glei­chen Zweck eine VDA-Ker­ze ange­bo­ten, gro­ße blaue Wachs­ker­zen in einem hand­ge­schnitz­ten Holz­stän­der aus dem Erz­ge­bir­ge, die zu mor­gend­li­chen Fei­er­stun­den auf die Schul­bän­ke gestellt und ange­zün­det wur­den. Dazu wur­den Geschich­ten von Peter Ros­seg­ger (“Als ich das ers­te Mal auf dem Dampf­wa­gen fuhr…”) gele­sen, Gedich­te (Bana­ter Schwa­ben­lied “Es brennt ein Weh’ wie Kin­der­trä­nen bren­nen…”) auf­ge­sagt und Lie­der (“Hohe Nacht der kla­ren Ster­ne…”) gesun­gen. Es war sehr fei­er­lich, und die­se Stun­den sind mir in guter Erinnerung.

Hitlerjugend

Das Schul­ge­bäu­de dien­te nun nicht mehr allein dem schu­li­schen Unter­richt. Im Alter von zehn Jah­ren wur­de ich in das “Deut­sche Jung­volk” auf­ge­nom­men und kam in das Fähn­lein 8, das zur Orts­grup­pe Neu­markt gehör­te und sei­nen Dienst im Bereich der All­mers­schu­le abhielt. Auf dem Schul­hof wur­de exer­ziert, in der Turn­hal­le geturnt und in den Klas­sen­räu­men wur­den die Heima­ben­de abge­hal­ten. Hier­bei kam es oft zu Dif­fe­ren­zen mit dem Haus­meis­ter, der uns für die ihm ange­las­te­te Mehr­ar­beit aus ver­ständ­li­chen Grün­den nicht immer gut geson­nen war.

Auf­grund der sich häu­fen­den Flie­ger­alar­me und gele­gent­li­chen Bom­ben­ab­wür­fen alli­ier­ter Bom­ber begann 1942/43 das Pro­gramm der KLV, der Kin­der­land­ver­schi­ckung. Für mei­ne Klas­se war als Ziel der Kur­ort Zakop­a­ne im süd­li­chen Polen vor­ge­se­hen, und zusam­men mit der Par­al­lel­klas­se ging die Fahrt unter Lei­tung von Rek­tor Stell­jes dort­hin. Damit ging mei­ne Zeit in der All­mers­schu­le dem Ende zu. Ich soll­te auf Wunsch mei­ner Eltern in den Auf­bau­zug der Hum­boldt­schu­le über­wech­seln und erhielt im letz­ten Zeug­nis den gefor­der­ten Eig­nungs­ver­merk dazu.

Allmersschule

Am 18. Sep­tem­ber 1944 wur­de das Gebäu­de der All­mers­schu­le durch den Angriff alli­ier­ter Bom­ber zer­stört und brann­te voll­stän­dig aus. Die erhal­te­ne Rui­ne wur­de erst nach Ende des Krie­ges restau­riert und aus­ge­baut und dient seit dem wie­der der schu­li­schen Erzie­hung.
Bre­mer­ha­ven, im Janu­ar 2001 | Erich Sturk
Vie­len Dank an Herrn Erich Sturk, dass er die Leser des Deich­SPIE­GELS an sei­nen Erin­ne­run­gen an die All­mers­schu­le teil­ha­ben lässt.