Verschlagwortet: Deutsches Auswandererhaus

Von Wursten nach Amerika — Arbeit und Reichtum lockten

1866 muss­te die han­no­ver­sche Armee im Deut­schen Krieg gegen­über den preu­ßi­schen Trup­pen kapi­tu­lie­ren. Preu­ßen ent­thron­te die Wel­fen und annek­tier­te das König­reich Han­no­ver, das damit sei­ne Unab­hän­gig­keit ver­lor. Aus dem han­no­ver­schen Mili­tär wur­de das preu­ßi­schen X. Armee-Korps gebil­det.

Von Wursten nach Amerika

Wir treu­en Han­no­ve­ra­ner wol­len kei­ne preu­ßi­schen Sol­da­ten wer­den, deren Drill ist doch allen zu hart”, sind die über­lie­fer­ten Wor­te des Wre­mer Rudolf Theo­dor Lüt­jens. Und so zogen es auch vie­le Bewoh­ner des Lan­des Wurs­ten vor, ihrer Hei­mat den Rücken zu keh­ren und nach Ame­ri­ka auszuwandern.

In der Aus­ga­be vom 21. Janu­ar 1882 berich­te­te das Wurs­ter Wochen­blatt, dass “die Aus­wan­de­rung aus Wurs­ten nach Ame­ri­ka immer grö­ße­re Dimen­sio­nen annimmt. Außer vie­len Jugend­li­chen besteht die Zahl der Aus­wan­de­rer in letz­ter Zeit vor­wie­gend aus ver­hei­ra­te­ten Arbei­tern”. Die Haupt­ur­sa­che such­te die Zei­tung “in der Tat­sa­che des hier herr­schen­den Arbeitsmangels”.

Auswanderer

Die Aus­wan­de­rungs­wel­le stell­te für die preu­ßi­sche Armee ein gro­ßes Pro­blem dar, und die preu­ßi­schen Ver­ord­nun­gen beson­ders jun­gen Män­nern gegen­über wur­den erheb­lich ver­schärft. Das Wurs­ter Wochen­blatt wuss­te am 27. Juli 1867 zu berich­ten, dass sich kurz vor der Abfahrt ein ame­ri­ka­ni­scher Kapi­tän wei­ger­te, zwei kräf­ti­ge jun­ge Wurs­ter einem preu­ßi­schen Offi­zier aus­zu­lie­fern. Es bedurf­te der Dro­hung des Offi­ziers, das Schiff “mit Kano­nen in den Grund zu boh­ren”, damit der Kapi­tän ein­lenk­te und die bei­den Aus­wan­de­rer aus­lie­fer­te. Per­so­nen, die das Land ver­las­sen haben, um sich dem Mili­tär­dienst zu ent­zie­hen, konn­ten sich inner­halb von sechs Mona­ten den Behör­den stel­len. Nur dann soll­te ihnen auf­grund eines “Gna­den­er­las­ses” “Par­don gewährt werden”.

Auswanderer

Den­noch, der Haupt­grund für das enor­me Anwach­sen der Zahl der aus­wan­de­rungs­wil­li­gen Deut­schen lag nicht pri­mär im poli­ti­schen Bereich. Viel­mehr waren es die wirt­schaft­li­chen Nöte, dass Ende der 1860er Jah­re hun­dert­tau­sen­de Deut­sche ihre Hei­mat für immer ver­lie­ßen. Der nord­ame­ri­ka­ni­sche Bür­ger­krieg war 1865 been­det wor­den, und in den USA begann ein wirt­schaft­li­cher Auf­schwung. In den 1866 preu­ßisch gewor­de­nen Län­dern wie Hes­sen und Han­no­ver (Land Wurs­ten) flüch­te­ten vie­le jun­ge Men­schen förm­lich vor Steu­er­erhö­hun­gen und Ver­län­ge­rung der Wehrpflicht.

Auswanderer

So such­ten mehr und mehr Men­schen ihr Glück im “weit­hin gelob­ten Land Ame­ri­ka”, um der Arbeits­lo­sig­keit zu ent­kom­men. Ande­re wie­der­um woll­ten ein­fach das schnel­le Geld machen und hat­ten gro­ße Träu­me. Es kur­sier­te näm­lich das Gerücht, dass es in Ame­ri­ka für alle genü­gend Arbeit gäbe und man sehr viel Geld ver­die­nen kön­ne. So prahl­te der Wre­mer Hein­rich Wede­kind bereits im Früh­jahr 1839, dass er jetzt sei­ne Sachen packen wol­le um über den gro­ßen Teich nach Ame­ri­ka aus­zu­wan­dern: “Das Gold liegt dort auf den Stra­ßen, wenn ich wie­der­kom­me, kau­fe ich mir einen Bau­ern­hof”, soll er sich ver­ab­schie­det haben. Nie­mand hat ihn jemals wie­der gesehen.

Auswanderer

Und so bezwei­fel­te auch die in Ham­burg erschei­nen­de Zei­tung “Omni­bus” in einem Arti­kel über die Aus­wan­de­run­gen, “dass sich alle Wün­sche auch wirk­lich erfül­len wer­den”. Aber nie­mand ließ sich von die­sen Zweif­lern auf­hal­ten. “Die tätigs­ten und kräf­tigs­ten Per­so­nen wan­dern nach Ame­ri­ka aus”, resi­gnier­te 1871 der Wre­mer Pas­tor Juli­us Schünemann.

Am 5. Febru­ar 2014 wuss­te die Nord­see-Zei­tung zu berich­ten, dass es tat­säch­lich vie­le Wurs­ter in den USA zu Wohl­stand gebracht haben. So soll der Aus­wan­de­rer Johann Lübs aus Wre­men 1880 nach Sav­an­nah im süd­li­chen US-Statt Geor­gia aus­ge­wan­dert und dort durch Immo­bi­li­en­ge­schäf­te zu gro­ßem Wohl­stand gekom­men sein. Er selbst habe im Zen­trum der Stadt Sav­an­nah eine Vil­la mit 22 Zim­mern bewohnt.

Quel­len:
Nord­see-Zei­tung vom 05.02.2014
de.wikipedia.org
Anja Ben­scheid und Alfred Kube:
Brü­cke nach Über­see, Sei­te 33
ISBN 3- 86509–501‑1
His­to­ri­sches Muse­um Bre­mer­ha­ven
Deut­sches Auswandererhaus

Sie haben den Holocaust überlebt – Deutsches Auswandererhaus kauft Bilderserie

Der am 30. März 1921 in Lin­dau am Boden­see gebo­re­ne ame­ri­ka­ni­sche  Foto­graf Cle­mens Kali­scher hat den Holo­caust über­lebt und in den Jah­ren 1947 und 1948 einen Bil­der­zy­klus erschaf­fen, dem er den Namen “Dis­pla­ced Per­sons” gab. Es ist ein foto­gra­fi­sches Erin­ne­rungs­werk über Men­schen, die den Holo­caust eben­falls über­lebt haben. Nun hat das Deut­sche Aus­wan­der­er­haus die Bil­der­se­rie erwor­ben und wird sie ab Mit­te Juli ausstellen.

Die Serie umfasst 30 ori­gi­na­le groß­for­ma­ti­ge Sil­ber­ge­la­ti­ne-Abzü­ge und zeigt die Ankunft von Holo­caust-Über­le­ben­den am Hafen von New York. Nach dem Ende des Zwei­ten Welt­krie­ges waren ins­ge­samt 550.000 Dis­pla­ced Per­sons über Bre­mer­ha­ven in die USA ausgewandert.

Displaced Persons von Kalischer

Ein grei­ses Paar steht an der Schiffs­re­ling und rich­tet sei­nen Blick gera­de­aus. Es ist im Halb­pro­fil zu sehen. Lie­be­voll umarmt er sei­ne Frau und deu­tet mit dem rech­ten Zei­ge­fin­ger nach vor­ne in Rich­tung Man­hat­tan. Erleich­te­rung, Hoff­nung und Zuver­sicht erstrahlt aus bei­den Gesich­tern, in denen ansons­ten das Leid der ver­gan­ge­nen Jah­re geschrie­ben steht. Sei­ne Hän­de ver­ra­ten, dass er schwer gear­bei­tet hat. Doch nun scheint es über­stan­den, ein neu­er Lebens­ab­schnitt kann beginnen.

Als “Dis­pla­ced Per­sons“ hat das Paar 1948 den Hafen von New York erreicht. Wie Hun­dert­tau­sen­de ande­re, vor allem ost­eu­ro­päi­sche ehe­ma­li­ge jüdi­sche KZ-Häft­lin­ge, Zwangs­ar­bei­ter und Kriegs­ge­fan­ge­ne auch, sind sie nach dem Zwei­ten Welt­krieg in die USA gezo­gen, weil sie nicht in Euro­pa blei­ben woll­ten. Der deutsch­stäm­mi­ge Foto­graf Cle­mens Kali­scher, der 1933 sel­ber mit sei­ner jüdi­schen Fami­lie aus Euro­pa geflüch­tet war, hat die­se noch hei­mat­lo­sen Men­schen bei ihrer Ankunft in der Nähe von Bat­tery Park foto­gra­fiert. Dar­aus ent­stand der 30 Bil­der umfas­sen­de Zyklus “Dis­pla­ced Per­sons“, einer der ers­ten Seri­en des jun­gen Foto­gra­fen, der spä­ter für so renom­mier­te Publi­ka­tio­nen wie “News­week“ und “New York Times“ arbei­ten sollte.

Displaced Persons von Kalischer

Ein Paar in inni­ger Umar­mung. Er hält sie mit bei­den Hän­den fest, die Hüte ver­ber­gen die Gesich­ter. Es könn­te ein trau­ri­ger Abschied sein. Doch das Lächeln des in der Nähe ste­hen­den und die Sze­ne beob­ach­ten­den Pas­san­ten ver­rät, dass es sich um ein dank­ba­res, erleich­ter­tes Wie­der­se­hen han­deln muss.

Es gibt sehr weni­ge Künst­ler, die sich mit den Dis­pla­ced Per­sons so inten­siv aus­ein­an­der­ge­setzt haben wie Cle­mens Kali­scher. Sei­ne eige­ne Flucht als Jude vor dem natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Ter­ror, sei­ne Jah­re als Zwangs­ar­bei­ter in Frank­reich und sei­ne Ein­wan­de­rung in die USA 1942 spiel­ten eine gro­ße Rol­le im Umgang mit den hei­mat­lo­sen Über­le­ben­den des Holo­caust“, erklär­te Dr. Simo­ne Eick, Direk­to­rin des Deut­schen Aus­wan­der­er­hau­ses Bre­mer­ha­ven, bei der Vor­stel­lung der Foto­gra­fien. Das Muse­um hat den Zyklus jüngst für sei­ne Samm­lung erwor­ben. Er ergänzt die bereits in der Muse­ums­samm­lung vor­han­de­nen bio­gra­fi­schen Kon­vo­lu­te von Dis­pla­ced Persons.

Displaced Persons von Kalischer

Umar­mun­gen sind ein wie­der­keh­ren­des Motiv in der Serie, eben­so wie zwi­schen Kof­fern Sit­zen­de und War­ten­de – und Bli­cke vol­ler Erschöp­fung, aber auch Neu­gier auf das, was jetzt kom­men mag.

1921 in Lin­dau am Boden­see gebo­ren, war Cle­mens Kali­scher in den 1940er Jah­ren sel­ber noch ein Frem­der in New York. Wann auch immer nach dem Zwei­ten Welt­krieg ein Schiff ankam, ging er zum Hafen und mach­te Fotos. In einem Inter­view sag­te er ein­mal: „Ich sah die Angst und die Erwar­tun­gen in den Gesich­tern der Män­ner, Frau­en und Kin­der, und ich konn­te wirk­lich mit ihnen mit­füh­len, weil ich das glei­che erlebt hat­te. […] Ich war irgend­wie einer von ihnen und sie fühl­ten es, sie wuss­ten, dass ich nicht nur ein neu­gie­ri­ger Jour­na­list war.“ Cle­mens Kali­scher inter­pre­tiert und kom­men­tiert nicht – der Foto­graf hält Sze­nen und Men­schen fest, die der Betrach­ter nicht kennt, deren Geschich­ten er aber auto­ma­tisch wei­ter­zu­den­ken versucht.

Umar­mun­gen sind ein wie­der­keh­ren­des Motiv in der Serie, eben­so wie zwi­schen Kof­fern Sit­zen­de und War­ten­de – und Bli­cke vol­ler Erschöp­fung, aber auch Neu­gier auf das, was jetzt kom­men mag.

Das Deut­sche Aus­wan­der­er­haus Bre­mer­ha­ven stellt die Fotos im Rah­men der Son­der­aus­stel­lung “Dis­pla­ced Per­sons. Über­le­ben­de des Holo­caust 1938 – 1951“ vom 14. Juli bis 30. Novem­ber 2014 aus.

Fotos: C. Kali­scher, © Samm­lung Deut­sches Auswandererhaus

Quel­le:
Deut­sches Aus­wan­der­er­haus Bremerhaven

Deutsche in Australien — 1788 bis heute

Son­der­aus­stel­lung über 225 Jah­re
deut­sche Ein­wan­de­rung in Aus­tra­li­en:
30. Sep­tem­ber 2013 — 2. März 2014

24 lan­ge Wochen dau­er­te es in den meis­ten Fäl­len, um von Bre­mer­ha­ven nach Aus­tra­li­en zu segeln. Die beschwer­li­che und oft auch gefähr­li­che Rei­se unter­nah­men Mit­te des 19. Jahr­hun­derts vor allem jun­ge Män­ner, die vom schnel­len Reich­tum träum­ten. Das Gold des Fünf­ten Kon­ti­nents hat­te ab 1850 zahl­rei­che von ihnen ans ande­re Ende der Welt gelockt.

Deutsche in Australien

Die Geschich­te Aus­tra­li­ens als Ein­wan­de­rungs­land ist alt: Sie begann ver­mut­lich vor mehr als 40.000 Jah­ren mit den Abori­gi­nes, die von Neu­gui­nea aus den Fünf­ten Kon­ti­nent besie­del­ten. Euro­päi­sche Sied­ler erreich­ten das Land erst 1788. In der Bucht von Syd­ney grün­de­ten Bri­ten eine Kolo­nie für Sträf­lin­ge: New South Wales. Der Gold­rausch von 1851 brach­te dem an Boden­schät­zen rei­chen Land schließ­lich eine neu­zeit­li­che Mas­sen­ein­wan­de­rung – unter ihnen auch Deut­sche. Hun­dert Jah­re spä­ter erreich­te die deut­sche Ein­wan­de­rung ihren Höhe­punkt. Heu­te sind mehr als 90 Pro­zent der in Aus­tra­li­en leben­den Bevöl­ke­rung euro­päi­scher Abstammung.

Die Aus­stel­lung skiz­ziert 225 Jah­re deut­sche Ein­wan­de­rung auf dem Fünf­ten Kon­ti­nent. Sie zeigt, wel­chen Reiz Aus­tra­li­en über die Jahr­hun­der­te auf die Deut­schen aus­üb­te, was die Aus­wan­de­rer dort­hin führ­te und wie ihre Rei­se­rou­te aussah.

Deut­sches Aus­wan­der­er­haus
Colum­bus­str. 65
Bre­mer­ha­ven
Tele­fon: 0471–90220‑0
E‑Mail: info@dah-bremerhaven.de

Führung für Wissenshungrige — Go west, young man! — Mythos “Wilder Westen”

Mit dem „Wil­den Wes­ten“ ver­bin­det man im All­ge­mei­nen Cow­boys, India­ner und die durch Seri­en und Comic-Hef­te bekann­ten Aben­teu­er­ge­schich­ten wie „Lucky Luke“ und „Bonan­za“.

"Wilder Westen"

In der the­ma­ti­schen Füh­rung wird die­ses roman­ti­sche Bild auf­ge­bro­chen: Dem Wild-West-Mythos wird die Ver­trei­bung und Ermor­dung der indi­ge­nen Bevöl­ke­rung gegen­über­ge­stellt. Außer­dem gibt die Füh­rung einen Ein­blick in die wich­tigs­ten Etap­pen der Expan­si­on nach Wes­ten und in die Besied­lung des nord­ame­ri­ka­ni­schen Kon­ti­nents im 19. Jahrhundert.

Anmel­dung tele­fo­nisch oder an der Kas­se ist erfor­der­lich.
Deut­sches Aus­wan­der­er­haus
Colum­bus­str. 65
Bre­mer­ha­ven
Tele­fon: 0471–90220‑0
E‑Mail: info@dah-bremerhaven.de

Sonn­tag, 15.09.2013, 15 Uhr
Füh­rung: Ein­tritt in die Dau­er­aus­stel­lung zuzgl. 3,00 €.

Führung für Kinder — Auf Entdeckungstour durchs Museum

War­um ver­las­sen so vie­le Men­schen ihre Hei­mat? Wie erleb­ten die Aus­wan­de­rer im 19. und 20. Jahr­hun­dert die Über­fahrt von Bre­mer­ha­ven nach New York? Und war­um kom­men ande­re nach Deutsch­land, um hier ein neu­es Leben zu beginnen?

Führung für Kinder - Auf Entdeckungstour durchs Museum

Wäh­rend des spie­le­ri­schen Rund­gangs durch die Aus­stel­lung wer­den nicht nur die­se Fra­gen beant­wor­tet. Auch das Kno­ten von Sei­len, das Rie­chen und Erra­ten von Medi­ka­men­ten aus der Bord­apo­the­ke, das Ertas­ten von Pro­vi­ant und vie­les mehr gehö­ren zu der Kin­der­füh­rung, die den Muse­ums­be­such zu einem wis­sens­rei­chen Aben­teu­er macht.

Die Teil­nah­me ist auf 15 Kin­der im Alter von 7 bis 12 Jah­ren begrenzt.

Deut­sches Aus­wan­der­er­haus
Colum­bus­str. 65
Bre­mer­ha­ven
Tele­fon: 0471–90220‑0
E‑Mail: info@dah-bremerhaven.de

Sonn­tag, 08.09.2013, 10:30 Uhr – 12:00 Uhr
Ein­tritt & Füh­rung: 9,50 €.

Der Gelbe Schein — Mädchenhandel 1860 bis 1930

Der Gelbe Schein — Mädchenhandel 1860 bis 1930

Mil­lio­nen Mäd­chen und jun­ge Frau­en aus Euro­pa ver­las­sen in den Jah­ren um 1900 ihre Hei­mat: Sie rei­sen aus Hes­sen nach Kali­for­ni­en, aus Russ­land nach New York oder aus Gali­zi­en nach Bue­nos Aires, um dort ihr Glück und eine neue Exis­tenz zu suchen. Für Zehn­tau­sen­de von ihnen führt der Weg in die Pro­sti­tu­ti­on. Der Bedarf an weib­li­cher Zuwen­dung und sexu­el­len Dienst­leis­tun­gen ist in den gro­ßen Ein­wan­der­er­zen­tren der Neu­en Welt enorm.

Der Gelbe ScheinDer Gel­be Schein. Mäd­chen­han­del 1860 bis 1930“ ist eine gemein­sa­me Aus­stel­lung der Stif­tung Neue Syn­ago­ge Ber­lin – Cen­trum Judai­cum und des Deut­schen Aus­wan­der­hau­ses Bremerhaven.

Sie greift ein bis­lang unge­schrie­be­nes und weit­ge­hend unbe­kann­tes Kapi­tel der euro­päi­schen Mas­sen­aus­wan­de­rung und auch der jüdi­schen Sozi­al­ge­schich­te auf. „Der Gel­be Schein“, ein umgangs­sprach­li­cher Aus­druck für den Pro­sti­tu­ier­ten-Aus­weis im vor­re­vo­lu­tio­nä­ren Russ­land, ist auch ein Sym­bol für die Zwangs­la­ge vie­ler jun­ger Frau­en in jener Zeit: Ein Umzug vom Stetl in Städ­te wie Mos­kau oder St.Petersburg war Jüdin­nen in Russ­land offi­zi­ell nur erlaubt, wenn sie sich als Pro­sti­tu­ier­te regis­trie­ren ließen.

 Der Gelbe Schein

Auch in Öster­reich-Ungarn und im Deut­schen Reich hat­ten jun­ge Mäd­chen aus den ärme­ren Bevöl­ke­rungs­schich­ten oft kei­ne ande­re Über­le­bens­chan­ce, als ihren Kör­per zu ver­kau­fen. Eine Aus­wan­de­rung in die Neue Welt wur­de für sie fast immer zur ris­kan­ten Grat­wan­de­rung: Sie such­ten Arbeit in Pri­vat­haus­hal­ten, Gast­stät­ten oder Tanz­pa­läs­ten und lan­de­ten im Bor­dell. Mit Gewalt ver­schleppt, mit mär­chen­haf­ten Ver­spre­chen ver­führt oder aus frei­en Stü­cken? Die Dis­kus­si­on dar­über wur­de schon damals vehe­ment geführt.

In jah­re­lan­gen Recher­chen hat das Aus­stel­lungs­team um die Kura­to­rin Ire­ne Stra­ten­werth nach Spu­ren gesucht, die vom Leben die­ser Mäd­chen und jun­gen Frau­en erzäh­len – und von den Män­nern und Frau­en, die mit ihnen Geld ver­dien­ten. Oft ist nicht mehr als ein ein­zel­nes Frag­ment geblie­ben: ein Foto, ein Poli­zei- oder Gerichts­pro­to­koll, eine Zei­tungs­no­tiz, ein Brief. 

Und doch ent­steht aus den Fund­stü­cken aus Archi­ven, unter ande­rem in Ber­lin, Ham­burg, Genf und Wien, in Czer­no­witz, Odes­sa und Bue­nos Aires, eine berüh­ren­de Schau, gestal­tet und ein­ge­rich­tet von Stu­dio Andre­as Hel­ler, Archi­tects und Desi­gners in Ham­burg. Mit Bil­dern, Tex­ten, Land­kar­ten, Brie­fen und Audio­do­ku­men­ten gelingt eine Annä­he­rung an die Lebens­schick­sa­le der „allein aus­wan­dern­den Mäd­chen“. Erst­mals wer­den auch zwei in einem Archiv in St. Peters­burg auf­ge­fun­de­ne Vari­an­ten des „Gel­ben Scheins“ von 1875 und 1894 in Deutsch­land präsentiert.

Die Aus­stel­lung, die in Ber­lin und Bre­mer­ha­ven zeit­gleich, aber mit ver­schie­de­nen Schwer­punk­ten gezeigt wird, behan­delt auch einen wich­ti­gen Aus­schnitt der jüdi­schen Sozi­al­ge­schich­te: Fast vier Mil­lio­nen Juden wan­der­ten bis 1930 aus Ost­eu­ro­pa aus. Die meis­ten von ihnen gehör­ten zu den Ärms­ten der Armen.

Das Pro­jekt wird durch die Kul­tur­stif­tung des Bun­des ermög­licht. Die Aus­stel­lungs­er­öff­nung im Cen­trum Judai­cum Ber­lin fin­det am 19. August 2012 im Rah­men und mit Unter­stüt­zung der Jüdi­schen Kul­tur­ta­ge statt. Im Deut­schen Aus­wan­der­er­haus Bre­mer­ha­ven wird die Schau am  26. August 2012 eröff­net und ist ab dem 27. August für die Besu­cher zu sehen. Ein Begleit­band erscheint in der Schrif­ten­rei­he des Deut­schen Auswandererhauses.
Ter­mi­ne:
Sams­tag, 26. August 2012 bis Don­ners­tag, 28. Febru­ar 2013 

Deut­sches Aus­wan­der­er­haus
Colum­bus­stra­ße 65 
27568 Bre­mer­ha­ven