Leher Rathaus erstrahlt in neuem Glanz
Dort, wo der nördlichste Teil der Hafenstraße auf die Brookstraße trifft, begrüßt den Liebhaber schöner Gebäude das im neogotischen Stil erstellte Leher Rathaus. Schön sieht es nun wieder aus, nachdem die Sanierungsarbeiten an der so wunderbar verzierten Südfassade abgeschlossen sind.
Bereits am 30. Juni 1855 hat sich der Gemeindeausschuss des Flecken Lehe mit dem Neubau eines Rathauses befasst. Von diesem Ansinnen nahm man jedoch wieder Abstand. Der Bau eines Armenhauses für diejenigen Einwohner, “welche Unterstützung aus den Armen-Mitteln des Fleckens in Anspruch nehmen und welchen das Armen-Collegium nicht auf andere Weise Unterstützung oder Unterhalt gewährt”, schien den Verantwortlichen dringlicher zu sein.
So wurde für die Armen des Fleckens am alten Leher Marktplatz im Jahre 1865 ein ursprünglich schlichtes Gebäude errichtet. Einen Teil der Baukosten wurde über einen schon Jahre zuvor angelegten Armenhausfonds bestritten. Der Rest wurde durch Darlehensmittel der Leher Fleckensparkasse finanziert.
Allerdings diente das Gebäude nur wenige Jahre als Armenhaus. Nachdem der Flecken Lehe in der Wurster Straße ein neues Armenhaus gebaut hat, wurde das Gebäude am alten Leher Marktplatz an den Militärfiskus vermietet und seit 1872 als Kaserne für die Soldaten des 9. Schleswigschen Fuß-Artillerie-Regiments benutzt. Die Soldaten exerzierten auf dem Marktplatz und blieben bis 1887.
Ursprünglich hatte der Flecken Lehe kein eigenes Rathaus. Bis zum Jahre 1879 wurden die Geschicke der Gemeinde ehrenamtlich geleitet. Von 1868 bis 1879 befanden sich die Räume der Verwaltung im Hause der Fleckenvorsteher Johann Bohls und D. A. Janssen, danach im Hause des Fleckenvorstehers G. H. Bösch. Ab 1. Januar 1880 gab es einen hauptamtlichen Bürgermeister, Gustav Richard Fels. Der neu eingesetzte Magistrat und das Bürgervorsteher-Kollegium sollten ihre Tätigkeiten nun in neutralen Räumen verrichten. Der Magistrat Lehe arbeitete unter der Leitung von Bürgermeister Fels zunächst in den angemieteten Räumen des Hotels Helmerking.
Am 1. Oktober 1881 stellte Bürgermeister Fels den Antrag, im Frühjahr 1982 für die Gemeinde Lehe ein Rathaus bauen zu lassen. Nach langer Debatte wurde der Vorschlag abgelehnt. Schließlich wurde das vom Bäckermeister Eduard Wicht an der Ecke Batterie- und Johannesstraße (1925 in Hafenstraße umbenannt) erbaute Haus mit folgenden Räumlichkeiten angemietet: ein Büro zur Erledigung der schriftlichen Arbeiten, ein Zimmer für die Kassenstelle, ein Standesamtszimmer, einen Sitzungssaal, ein Arbeitszimmer für den Bürgermeister und ein Zimmer für die Sparkasse mit einem feuersicheren Raum und einem Vorzimmer. Als “Ratskeller” wurde im Kellergeschoss eine Schenkstube eingerichtet.
Als das Wicht’sche Haus zu klein wurde, übernahm die Verwaltung das “Armenhaus” (das darin untergebrachte Militär war 1. April 1887 nach Köln verlegt worden) und ließ es durch den Leher Architekten Carl Pogge zu einem Rathaus umbauen. Für die Verwaltung und für die Leher Sparkasse war das Erdgeschoss vorgesehen. Im Obergeschoss wurde eine Dienstwohnung für den Bürgermeister hergerichtet, und auch der Hausmeister wurde dort untergebracht.
Für den Außenbereich entwarf Carl Pogge eine reich gegliederte prunkvolle Putzfassade im Stile der Gotik: Der Eingangsbereich wird durch einen zaghaft hervorspringenden Mittelrisaliten mit einem spitzbogigen Portal gebildet. Säulen, die bis zum Giebel hinaufreichen und in Fialen enden, begrenzen auf beiden Seiten den Risaliten. Das Giebelfeld ist mit einem dreigliedrigen Fenster und einer darüber angeordneten großen Uhr gestaltet. Über der Brüstung fängt das Leher Wappen mit den gekreuzten Sensenblättern den Blick des Betrachters ein.
Am 3. August 1888 hielt Bürgermeister Augspurg die Weiherede. Nun hatte die Gemeinde endlich ein eigenes Rathaus, von dem der Bürgermeister glaubte, “es dürfte wohl nicht zweifelhaft sein, dass die Räumlichkeiten des Gemeindehauses für lange Zeiten, ja wohl für immer, den dienstlichen Zwecken genügende sind”. Doch er sollte sich irren. Lehe entwickelte sich, und die Aufgaben der Verwaltung nahmen stetig zu.
Noch zu Bürgermeister Augspurgs Amtszeit begannen im Jahre 1905 die Vorbereitungen für einen Anbau. Im Jahre 1907 wurde das Leher Rathaus dann nach den Plänen des Stadtbaumeisters Heinrich Lagershausen auf der noch verfügbaren Grundstücksfläche erheblich vergrößert. Bei der rückseitigen Rathauserweiterung wurde auf die Architektur des Alten Rathauses Rücksicht genommen. Der mit einem Turm versehene dreigeschossige Erweiterungsbau mit seinem großen Sitzungssaal ist mit Blick von der Marktseite kaum zu erkennen.
Lehe wuchs in dieser Zeit so schnell, dass bald auch das erweiterte Rathaus zu klein wurde. Auch für die Leher Sparkasse wurden die Räumlichkeiten für einen geordneten Geschäftsbetrieb zu eng. Die Gemeinde Lehe entschied sich zum Bau eines Sparkassengebäudes an der Hafenstraße. Als es im Sommer 1917 bezugsfertig war, zog in den Doppelbau nicht nur die Sparkasse ein. Das Postamt, das Staatliche Kulturbauamt, das Stadtbauamt und das Standesamt fanden hier ebenfalls eine Bleibe.
Am 11. November 1924 fand die letzte Sitzung der Körperschaften der Stadt Lehe statt. Oberbürgermeister Dr. Schönewald hielt eine Abschiedsrede. Aus den Unterweserstädten Lehe und Geestemünde wurde Kraft preußischem Gesetz die Stadt Wesermünde. Damit endete die Geschichte der Stadt Lehe.
Nach dem Zweiten Weltkrieg zog die Bauverwaltung in das Gebäude, das 1984 unter Denkmalschutz gestellt wurde, ein. Als die Bauverwaltung im Jahre 2004 in das Technische Rathaus umzog, übernahm das neue Justizzentrum das Alte Rathaus. Arbeitsgericht und Nachlassgericht zogen ein. Auch das örtliche Jugendamt und den Betreuungsverein Bremerhaven findet man hier.
Im Laufe der Jahre nagte der Zahn der Zeit kräftig an der Gebäudeaußenhülle. Abplatzungen und Risse, die bis in die Innenräume reichten, wurden bei einer Begutachtung im Jahre 2013 festgestellt. Auch defekte Dachabschlüsse, undichte Fenster, defekte Mauerabdeckungen und durch eingedrungene Feuchtigkeit entstandene Schäden stellten die Gutachter fest.
Umfangreiche Sanierungsmaßnahmen für rund eine Millionen Euro wurden in den Jahren 2013 und 2014 an der West- und Nordfassade und an Teilen der Ostfassade vorgenommen. Dann wurden die Arbeiten eingestellt. Die Finanzierungsmittel waren ausgeschöpft. Aus Sicherheitsgründen musste der gesamte Bereich um die Südfassade abgesperrt werden. Es bestand die Gefahr, dass Mauer- oder andere Gebäudeteile herabfallen würden.
Im Mai 2017 konnte endlich mit den Sanierungsmaßnahmen an der Südfassade begonnen werden. Die Stadt Bremerhaven stellte 250.000 Euro zur Verfügung, weitere nicht zurück zu zahlende 100.000 Euro erhielt Bremerhaven aus dem Denkmalschutz-Sonderprogramm des Bundes zur Erhaltung von Kulturdenkmälern. Im Herbst 2017 waren die Arbeiten abgeschlossen. Die Fassade bekam ihren historischen cremefarbenen Anstrich zurück, ein dezenter Rotton hebt die Verzierungen hervor. Die Fenster wurden ausgewechselt, die Eingangstür aufgearbeitet.
Die Kosten für die noch erforderlichen Sanierungsarbeiten an der Ostseite haben die Architekten des stadteigenen Betriebes Seestadt Immobilien auf eine halbe Millionen Euro geschätzt.
Quellen:
A. Meyer: Armenhaus wurde Rathaus, Niederd. Heimatblatt Nr. 271 v. Juli 1972
A. Meyer:Kein Platz für die Verwaltung, Niederd. Heimatbl. Nr. 273 v. Sep 1972
Harry Gabcke: Bremerhaven früher – gestern — heute, Seiten 60 und 61
Harry Gabcke: Bremerhaven in alten Ansichten, Seite 137
Hermann Schröder: Geschichte der Stadt Lehe, Seiten 229 – 231
R. Donsbach: Sieht gut aus, ist aber morsch, Nordsee-Zeitung vom 20.08.2014
S. Schwan: Leher Wahrzeichen in Gefahr, Nordsee-Zeitung vom 19.10.2015
R. Donsbach: Jetzt ist Geld dafür da, Nordsee-Zeitung vom 25.10.2016
U. Kikker: Schmuckstück ist fertig, Nordsee-Zeitung vom 5.12.2017
Seestadt Immobilien: Sanierung der Eingangsfassade des … Rathauses Lehe
Landesamt für Denkmalpflege Bremen: Denkmaldatenbank