Kategorie: Görlitzer StadtBILD

Die Jugendherbergen in Görlitz ab 1946

Die Jugend­her­ber­gen in Gör­litz ab 1946

Ob einen öst­li­chen Blick zur Lau­sit­zer Nei­ße mit der Gör­lit­zer Alt­stadt­brü­cke oder einen nord­öst­li­chen Blick auf die Peters­kir­che mit ihren zwei weit­hin erkenn­ba­ren Tür­men: Seit dem Jah­re 2011 bie­tet die Euro­pa-Jugend­her­ber­ge Gör­litz-Alt­stadt bei­des. Das Gör­lit­zer Monats­jour­nal Stadt­BILD hat in sei­ner Aus­ga­be Nr. 207 vom Okto­ber 2020 einen Auf­satz von Herrn Wolf­gang Stil­ler über die Jugend­her­ber­gen in Gör­litz ab 1946 veröffentlicht:

Die Jugendherbergen in Görlitz ab 1946

Vom “Loensche Gut” in den Schönhof

Das “Loen­sche Gut” auf der Kas­ta­ni­en­al­lee mit sei­nen Fel­dern wur­de im Jah­re 1833 von der Stadt Gör­litz erwor­ben. Es ent­stand ein Stadt­gut. Zunächst wur­de die­ses Objekt als Haus­halts­chu­le genutzt, und danach waren Ein­rich­tun­gen der SA und der NSDAP in die­sem Objekt. Zwi­schen 1945 und 1946 wur­de das Gut als Kin­der­heim und Flücht­lings­la­ger genutzt.

In den Jah­ren von 1946 bis 1951 dien­te das “Loen­sche Gut” als Jugend­her­ber­ge. Danach befand sich im Her­ren­haus das Lehr­lings­wohn­heim und die Berufs­schu­le des VEG Obst­pro­duk­ti­on Kun­ner­witz. Damit ent­stand das Erfor­der­nis, ein neu­es Objekt für eine Jugend­her­ber­ge in Gör­litz zu suchen.

Die Wahl fiel auf den Gör­lit­zer Schön­hof auf der Brü­der­stra­ße. In die­sem Objekt befand sich die Jugend­her­ber­ge ab etwa 1951 bis etwa 1978 mit ca. 60 Plät­zen. Danach erfolg­te Lehr­stand und die Sanie­rung und Umbau zum Schle­si­schen Muse­um, wel­ches 2006 ein­ge­weiht wurde.

Die Jugendherbergen in Görlitz ab 1946

In der Fol­ge­zeit zeig­ten sich jedoch Ände­run­gen der Nut­zungs­be­dürf­nis­se an einer sol­chen Ein­rich­tung. In und an die­sem Objekt auf der Brü­der­stra­ße gab es kei­ne Spiel- und Sport­mög­lich­kei­ten für die Kin­der und Jugend­li­chen. Hin­zu kam, dass die Aus­stat­tung die­ser Ein­rich­tung nicht mehr den gel­ten­den Anfor­de­run­gen ent­sprach. In allen Zim­mern gab es nur Ofen­hei­zun­gen, die mit einem erheb­li­chen Per­so­nal­auf­wand zu bedie­nen waren. Hin­zu kam ein erheb­li­cher Instand­set­zungs­auf­wand am Dach und in den Zimmern.

Die Ephraim Villa in Görlitz nach der Fertigstellung 1910

Es bestand somit die Auf­ga­be, ein Objekt zu suchen mit genü­gen­den Frei­flä­chen für Spiel- und Sport­mög­lich­kei­ten sowie die Ein­rich­tung von Grill­plät­zen. Außer­dem soll­te das neue Objekt an das öffent­li­che Nah­ver­kehrs­netz ange­schlos­sen sein, um den Bahn­hof und die his­to­ri­sche Innen­stadt zu erreichen.

Vom Schönhof  in die Ephraim Villa

Die Wahl fiel auf die Ephra­im Vil­la auf der Goe­the­stra­ße Nr. 17. Im Jah­re 1905 wur­de das Grund­stück Goe­the­stra­ße durch den Groß­kauf­mann Mar­tin Ephra­im erwor­ben und eine Vil­la nach den Plä­nen des Archi­tek­ten Pro­fes­sor Hugo Bär errich­tet und 1909 fer­tig­ge­stellt. Nach zwi­schen­zeit­li­cher Ver­pach­tung kauf­te die Vil­la 1922 der Kauf­mann Gus­tav Gla­ser. Nach sei­nem Tod im Jah­re 1950 gelang­te die­se Vil­la in den Besitz einer Erbengemeinschaft.

Im Grund­stück befan­den sich Miet­woh­nun­gen. Im Jah­re 1975 erwarb das Grund­stück die Stadt. Der Kauf war jedoch mit Pro­ble­men behaf­tet. Der Rechts­an­walt Dr Schwi­tal war Bevoll­mäch­tig­ter der Eigen­tü­mer (Erben­ge­mein­schaft) der Goe­the­stra­ße Nr. 17 und 17a und gleich­zei­tig Voll­zugs­be­auf­trag­ter für das Tes­ta­ment. Das Pro­blem bestand dar­in, dass im Tes­ta­ment ein Ver­mächt­nis ein­ge­tra­gen war mit dem Ver­merk, dass das Haus Goe­the­stra­ße Nr. 17a (frü­her Haus des Chauf­feurs der Fir­ma) an die­sen zu über­tra­gen sei.

Die Pro­ble­ma­tik bestand dar­in: Im Rechts­ver­hält­nis der DDR gab es den Pas­sus Ver­mächt­nis­se nicht. Die­ser Sach­ver­halt konn­te fol­gen­der­ma­ßen geklärt wer­den: Die Erben beka­men die Nr. 17a Goe­the­stra­ße zuge­spro­chen, und das Objekt der Vil­la wur­de recht­mä­ßig mit Notar- und Kauf­ver­trag für ca. 250.000,- Mark der DDR durch die Stadt erwor­ben. Damit konn­te durch die Stadt­ver­ord­ne­ten­ver­samm­lung der Beschluss zum Aus­bau einer Jugend­her­ber­ge beschlos­sen wer­den. Den Mie­tern in die­sem Grund­stück wur­den ande­re Woh­nun­gen in der Stadt angeboten.

Villa wird zur Jugendherberge umgebaut

Im Jah­re 1975 erfolg­te die Pla­nung und Pro­jek­tie­rung in Eigen­leis­tung der eige­nen Abtei­lung Sport­bau­ten des Rats­be­rei­ches Jugend­fra­gen und Sport unter der Lei­tung des Stadt­ra­tes Klaus Hoff­mann. Die Pla­nungs- und Aus­füh­rungs­kos­ten erfolg­ten aus Mit­teln der Stadt­ver­wal­tung und Zuschüs­sen des Son­der­fonds Jugend- und Sport des Rates des Bezir­kes Dres­den (Die­ser Son­der­fond wur­de gespeist aus Mit­teln von Lot­to und Toto Gewinnen).

Die Kos­ten der Bau­leis­tun­gen und Pro­jek­tie­rung belie­fen sich auf ca. 600.000,- Mark der DDR. Damit betru­gen die Gesamt­kos­ten für die Errich­tung der Jugend­her­ber­ge auf der Goe­the­stra­ße für den Kauf des Grund­stü­ckes, Bau- und Pro­jek­tie­rungs­kos­ten­kos­ten sowie Aus­stat­tung ca. 1 Mil­li­on Mark der DDR. Aus­füh­rungs­be­trie­be waren: Pro­duk­ti­ons­ge­nos­sen­schaft des Hand­werks (PGH) Vor­wärts Gör­litz, Eigen­leis­tung der Bau­bri­ga­de der Fach­ab­tei­lung Jugend- und Sport sowie durch wei­te­re ehren­amt­li­che Helfer.

Einbruch in die Villa

Die Ephraim Villa in Görlitz als Jugendherberge 1978

Im Foy­er der Vil­la befand sich ein gro­ßer Gobe­lin-Tep­pich, der für das Kul­tur­his­to­ri­sche Muse­um vor­ge­se­hen war. Eben­so wur­de ein ca. 2,20 x 2,40 Meter gro­ßer blei­ver­glas­ter Fens­ter­flü­gel aus­ge­baut und zur Vor­be­rei­tung einer Restau­ra­ti­on in einem Kel­ler­raum der Vil­la ein­ge­la­gert. In die­sen ver­schlos­se­nen Kel­ler­raum wur­de ein­ge­bro­chen und der Fens­ter­flü­gel gestoh­len. Hier muss­ten meh­re­re Leu­te mit Fahr­zeug zu Wer­ke gegan­gen sein, da das Fens­ter in die­ser Grö­ße und Gewicht nur mit 4 bis 6 Per­so­nen trans­por­tiert wer­den konn­te. Glei­cher­ma­ßen wur­de in dem Kel­ler ein Feu­er gelegt, bei dem der Gobe­lin-Tep­pich ver­sengt wur­de und somit für das Kul­tur­his­to­ri­sche Muse­um wert­los gewor­den war.

Bei der Kri­mi­nal­po­li­zei wur­de vom Stadt­rat Hoff­mann wegen Ein­bruch, Dieb­stahl und Brand­stif­tung Anzei­ge erstat­tet. Die Ermitt­lun­gen blie­ben bis heu­te ergeb­nis­los, und der Fall konn­te nicht auf­ge­klärt wer­den. Der Ver­bleib des blei­ver­glas­ten Fens­ters wur­de glei­cher­ma­ßen nicht auf­ge­klärt. Im Jah­re 1978 wur­de der Autor die­ses Arti­kels zum Stadt­rat für Jugend­fra­gen und Sport beru­fen. Ich war somit für die Fer­tig­stel­lung die­ses Objek­tes zustän­dig und verantwortlich.

Mein Vor­teil war es, dass die finan­zi­el­len Mit­tel sowie die Bau­ka­pa­zi­tä­ten im Haus­halt ein­ge­stellt und die Mate­ri­al­ka­pa­zi­tä­ten bilan­ziert und geplant waren. Der Bau zur Jugend­her­ber­ge konn­te zügig abge­schlos­sen wer­den. Im Sep­tem­ber 1978 war der Um- und Aus­bau zur Jugend­her­ber­ge been­det, und ich plan­te in der Stadt­hal­le ein gro­ßes Ban­kett mit allen am Bau betei­lig­ten Per­so­nen. Ein­la­dun­gen waren geschrie­ben, das Menü bestellt, Wim­pel gedruckt.

Bauabnahme wurde verweigert

Ausstattung in der Jugendherberge Ephraim Villa 1978

Eine Woche vor dem Ter­min die­ser Dan­kes­ver­an­stal­tung soll­te die Bau­ab­nah­me der Jugend­her­ber­ge erfol­gen. Die­se fand auch statt, aber die Frei­ga­be der Jugend­her­ber­ge wur­de nicht geneh­migt. Als Grund wur­de der nicht vor­han­de­ne zwei­te Ret­tungs­weg ange­ge­ben. Es lag mir aber eine gül­ti­ge mit grü­nem Stem­pel ver­se­he­ne Bau­ge­neh­mi­gung vor, und auf die­ser wur­de kein zwei­ter Ret­tungs­weg gefor­dert. Nun war guter Rat teuer.

Inner­halb des Objek­tes konn­te kei­ne Trep­pe rea­li­siert wer­den, da die Hal­le im Ein­gangs­be­reich bis in die 1. Eta­ge reich­te und unter Denk­mals­schutz stand. Eine Feu­er­lei­ter am Objekt wur­de auch nicht geneh­migt, da es sich um eine Kin­der­ein­rich­tung han­del­te. Die hin­zu gezo­ge­nen Fach­leu­te einig­ten sich dann dar­über, aus der ers­ten Eta­ge eine Stahl­trep­pe über den Bal­kon und dann wei­ter in den Hof zu bau­en. Wer macht das aber.

Wir hat­ten in unse­ren Ein­rich­tun­gen eine gut orga­ni­sier­te Fei­er­abend Arbeits­bri­ga­de aus dem Wag­gon­bau Gör­litz im Ein­satz. Des­sen Lei­ter war Herr Lau­er. Die­ser erklär­te sich bereit die Trep­pe zu bau­en. Mei­ne Bau­hand­wer­ker liqui­dier­ten in den obe­ren 2 Stock­wer­ken jeweils ein Zim­mer, besei­tig­ten die Fuß­bo­den­de­cken und bau­ten eine mono­li­thi­sche Trep­pe ein.

Zweiter Fluchtweg über neue Treppe

Görlitz Ephraim Villa im Jahre 2020

Von der ers­ten Eta­ge wur­de zum Bal­kon im Par­terre eine Stahl­trep­pe ein­ge­baut. Somit gab es den zwei­ten Ret­tungs­weg. Das hat­te jedoch zur Fol­ge, dass durch den Weg­fall von 2 Zim­mern für die Trep­pe wir nicht mehr die geplan­ten 100 Plät­ze rea­li­sie­ren konn­ten. Denn erst ab 100 Her­berg­splät­ze durf­ten wir eine zusätz­li­che Haus­halts­tel­le schaffen.

Nach dem Ein­bau der Trep­pe bestell­te ich erneut die Abnah­me­kom­mis­si­on und die Her­ber­ge wur­de im Kom­plex abge­nom­men. Das Ein­wei­hungs- und Eröff­nungs­da­tum konn­te ich somit belas­sen. Da mir bei der ers­ten Bau­ab­nah­me geneh­migt wur­de, nur die ers­te Eta­ge der Jugend­her­ber­ge zu bele­gen. Am 11. Sep­tem­ber 1978 zogen die ers­ten Gäs­te ein.

Görlitzer Jugendherberge Görlitz-Altstadt

Um die 100 Plät­ze wie­der zu errei­chen ent­schlos­sen wir uns, im Gelän­de der Her­ber­ge einen Dop­pel­bun­ga­low zu errich­ten. Die­sen boten wir dann Leh­rern und unse­ren Part­nern im Bezirk Dres­den im Aus­tausch als Urlaubs­do­mi­zil an. Somit konn­ten wie­der 100 Beher­ber­gungs­plät­ze geschaf­fen wer­den und die zusätz­li­che Haus­halts­tel­le durch das Jugend­her­bergs­we­sen Dres­den geneh­migt werden.

Die Jugend­her­ber­ge war damit in einer der schöns­ten Jugend­stil­vil­len von Gör­litz unter­ge­bracht. Sie ver­füg­te über 92 Bet­ten in Ein- bis Acht­bett­zim­mern in der Vil­la plus 8 Bet­ten im Dop­pel­bun­ga­low (gesamt 100 Bet­ten). Die Jugend­her­ber­ge auf der Goe­the­stra­ße wur­de dann spä­ter mit dem Titel “Schöns­te Jugend­her­ber­ge der DDR” geehrt.

Probleme nach der Wiedervereinigung

Jugendherberge Görlitz-Altstadt

Im Jah­re 1990 mit der deut­schen Wie­der­ver­ei­ni­gung wur­den die Struk­tu­ren im Jugend­her­bergs­we­sen völ­lig ver­än­dert. Die Über­nach­tungs­prei­se stie­gen über Nacht um das 36-fache. Im Jah­re 1994 stell­ten die eins­ti­gen Besit­zer der Ephra­im Vil­la einen Antrag auf Rück­über­tra­gung des Hau­ses, was zur Fol­ge hat­te, dass Inves­ti­tio­nen aller Art gestoppt wer­den muss­ten bis zur Klä­rung der Eigen­tums­ver­hält­nis­se. Im Jah­re 1996 wur­de der Antrag auf Rück­über­tra­gung an die frü­he­ren Eigen­tü­mer zurück­ge­wie­sen, da ja der Grund­stücks­er­werb durch die Stadt mit Notar­ver­trag rechts­gül­tig abge­schlos­sen war.

Inzwi­schen aber hat­ten sich die Nut­zungs­an­sprü­che der Jugend­li­chen für den Auf­ent­halt in Jugend­her­ber­gen erneut geän­dert. Der Trend ging wie­der in die Zen­tren der Städ­te. Daher wur­den Unter­su­chun­gen ange­stellt, ob sich in der his­to­ri­schen Alt­stadt ein geeig­ne­tes Objekt fin­den lie­ße. In der his­to­ri­schen Alt­stadt Peter­stra­ße 15 und Hain­wald 1 und 2 wur­den ent­spre­chen­de Objek­te gefunden.

Gera­de das unter Denk­mal­schutz ste­hen­de Gebäu­de Peter­stra­ße 15 war erheb­lich gefähr­det. Bereits im Dezem­ber 2005 war die rück­sei­ti­ge Fas­sa­de ein­ge­stürzt. Im Hin­ter­haus (Hain­wald 2) befand sich die ehe­ma­li­ge Fein­kost­fa­brik der Fir­ma Rei­be­tanz und im Haus Hain­wald 1 Ecke Neiß­stra­ße ein lan­ge leer ste­hen­des Inter­nat der Medi­zi­ni­schen Fach­schu­le. Für die­se Objek­te gab es kei­ne Nutzungsvorschläge.

Erneuter Umzug der Jugendherberge

Es war ein Glücks­um­stand, dass der Inves­tor Dr. Hans Peter Schlörb und Inge­borg Schlörb im Jah­re 2010 die Grund­stü­cke erwar­ben. Nun­mehr wur­den unter Lei­tung des Archi­tek­ten Wolf­gang Kück und unter der Bau­lei­tung des Archi­tek­ten Chris­ti­an Wei­se die­se Objek­te zur Jugend­her­ber­ge Gör­litz-Alt­stadt umge­baut. Dies war auch dadurch mög­lich, dass der Umbau die­ses Objek­tes durch die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land und den Frei­staat Sach­sen sowie durch die Gör­lit­zer Alt­stadt­stif­tung und durch die Deut­sche Stif­tung Denk­mal­schutz geför­dert wur­den. Die Inves­ti­ti­on betrug 4,5 Mil­lio­nen Euro.

Am 1.10.2009 wur­de Richt­fest gefei­ert und am 4.3.2011 wur­de das Objekt fei­er­lich über­ge­ben. Durch den Inves­tor wur­de das Objekt an das säch­si­sche jugend­her­bergs­we­sen ver­mie­tet. Im Objekt befin­den sich 47 Ein- und Mehr­bett­zim­mer mit hoch­wer­ti­ger Aus­stat­tung. Im Haus Peter­stra­ße 15 und Hain­wald 1 befin­den sich die Gäs­te­zim­mer und im Haus Hain­wald 2 (ehe­mals Rei­be­tanz) befin­den sich der Spei­se­saal sowie Veranstaltungsräume.

Moderne Ausstattung in der Görlitzer Ephraim Villa

Die ehe­ma­li­ge Jugend­her­ber­ge auf der Goe­the­stra­ße wur­de der WBG (jetzt Komm­woh­nen) über­ge­ben. Im Okto­ber 2010 wur­de der Geschäfts­be­trieb als Jugend­her­ber­ge ein­ge­stellt und es began­nen hoch­wer­ti­ge Sanie­rungs­ar­bei­ten unter Füh­rung der WBG Sanie­rungs- und Ent­wick­lungs­ge­sell­schaft Gör­litz mbH. Seit Mai des Jah­res 2011 wird der Geschäfts­be­trieb des Hau­ses Goe­the­stra­ße nun­mehr unter dem Namen ‚“Alte Her­ber­ge” für Über­nach­tun­gen, Tagun­gen, Fei­ern und wei­te­rer Ver­an­stal­tun­gen ein­schließ­lich Gas­tro­no­mie weitergeführt.

Im Jah­re 2015 wur­de der Name des Hau­ses erwei­tert und nann­te sich nun Alte Her­ber­ge “Vil­la Ephra­im”. Seit dem Jah­re 2018 nennt sich das Haus nur noch “Vil­la Ephra­im”. Damit soll zugleich an die Geschich­te des Hau­ses erin­nert wer­den. Der alte Dop­pel­bun­ga­low wur­de abge­bro­chen und an die­ser Stel­le ein moder­nes Gebäu­de mit Appar­te­ments errich­tet. Die “Ephra­im Vil­la” bie­tet wei­ter­hin preis­güns­ti­ge Beher­ber­gun­gen an und wird viel­fäl­tig für Fami­li­en­fei­ern genutzt.

Nach­druck über die Gör­lit­zer Altstadtbrücke
Text und Bil­der mit freund­li­cher Geneh­mi­gung des Stadt­BILD-Ver­la­ges Gör­litz und Herrn Wolf­gang Stiller

Die Görlitzer Altstadtbrücke

Die Gör­lit­zer Altstadtbrücke

Gör­litz, an der wich­ti­gen Han­dels­stra­ße Via Regia, der Königs­stra­ße, gele­gen, war ein wich­ti­ger Schnitt­punkt von West nach Ost und von Nord nach Süd. Das Gör­lit­zer Monats­jour­nal Stadt­BILD hat in sei­nen Aus­ga­ben Nr. 56 vom Febru­ar 2008 und Nr. 57 vom März 2008 einen Auf­satz von Herrn Wolf­gang Stil­ler über die Gör­lit­zer Alt­stadt­brü­cke veröffentlicht:

Die Görlitzer Altstadtbrücke

Die Via Regia und die Görlitzer Altstadtbrücke (Neißebrücke)

Der Über­gang über die Nei­ße war nicht nur ein stra­te­gi­scher son­dern auch ein wirt­schaft­li­cher Fak­tor für die Stadt Gör­litz. Die Gör­lit­zer Alt­stadt­brü­cke (Nei­ße­brü­cke) hat ohne Zwei­fel schon vor der Grün­dung der Stadt bestan­den. Mit der Anla­ge der Stadt mögen das Wehr und die bei­den Müh­len (rechts an der Nei­ße die Drei­ra­den- und links die Vier­raden­müh­le) erbaut sein.

Die Brü­cke war aus Holz und erfor­der­te für den Nah- und Fern­ver­kehr fort­dau­ern­de Erneue­run­gen. Hoch­was­ser, Eis­gang und Feu­ers­brüns­te und star­ke Abnüt­zung zwan­gen zu dau­ern­der Für­sor­ge und Auf­wen­dung hoher Kos­ten. Mehr als ein­mal muss­te das gan­ze Brü­cken­bau­werk neu auf­ge­baut werden.

Um sie mög­lichst vor Wit­te­rungs­ein­flüs­sen zu schüt­zen, war die­se in ver­schie­de­nen Zei­ten mit einem Schin­del­dach bedeckt, wel­ches dann aber auch die Brü­cke stark belas­te­te. Ähn­lich war es mit dem Pflas­ter auf der Brü­cke, wel­ches anstel­le des Boh­len­be­la­ges ver­legt wurde.

Viele Aufzeichnungen über die Görlitzer Altstadtbrücke

Die Nach­rich­ten über die Brü­cke sind in den ver­schie­dens­ten Quel­len seit 1376 sehr reich­lich. Hier eini­ge Beispiele:

Mehr­mals fiel die Brü­cke gro­ßen Was­ser­flu­ten zum Opfer. Als man 1434 ziem­lich mit dem Neu­bau fer­tig war, kamen ein Eis­gang im Febru­ar und eine Hoch­flut am 30. Juli und zer­stör­ten die Brü­cke von neu­em. Ein gebau­ter Prahm und ein Not­steg auf Fäs­sern hiel­ten den Ver­kehr aufrecht.

1441 leg­te man die Brü­cke höher.

In der gro­ßen Feu­ers­brunst vom 12. Juni 1525 brann­ten nicht nur die nahe gele­ge­nen Gebäu­de son­dern auch die Brü­cke bis aufs Was­ser ab. Nach dem Bran­de wur­de sie inner­halb von 14 Tagen not­dürf­tig wie­der hergestellt.

Jetzt beschloss man, die Brü­cke in Stein zu bau­en, aber erst 1536 ließ man in Pen­zig (Pien­sk) Stei­ne dafür bre­chen. Man konn­te sich aber mit dem Werk­meis­ter Wen­del Roskopf nicht einig wer­den, wel­che Stel­le für den Brü­cken­bau geeig­net sei. Favo­ri­siert wur­de schon damals die Lage, wo die spä­te­re Alt­stadt­brü­cke ab 1906 gebaut wur­de. Der stei­ner­ne Bau unter­blieb jedoch damals.

Die Görlitzer Altstadtbrücke

Immer wieder Reparaturen

1545 hat man an der Brü­cke ange­fan­gen zu bau­en und die­sel­be zu fas­sen, drei Joche wur­den erneu­ert. Der Bau zog sich bis 1547 hin. Die Brü­cke erhielt ein Dach, und die Sei­ten blie­ben offen. Auch wur­de die Fahr­bahn gepflas­tert. Das Pflas­ter wur­de jedoch 1576 wie­der abge­ris­sen, und es wur­den Holz­boh­len verlegt.

Am 18. Juli 1622 ist das mit­tel­ste Joch der Brü­cke ein­ge­bro­chen und in die Nei­ße gefal­len, wobei acht Men­schen in gro­ße Gefahr gekom­men sind. Auch Jacob Böh­me, der den Unfall mit ange­se­hen hat, erwähnt ihn im 66. Send­schrei­ben. Erst am 17. Sep­tem­ber 1622 konn­te man wie­der über die Nei­ße­brü­cke fahren.

Wei­ter­hin Schlim­mes hat­te die Brü­cke bei der Bela­ge­rung 1641 erfah­ren. Erst wur­de ver­sucht, sie durch schwe­res Geschütz­feu­er unbrauch­bar zu machen, und schließ­lich wur­de sie durch Feu­er­werk angezündet…

Am 17. Dezem­ber 1642 war die Alt­stadt­brü­cke wie­der voll­stän­dig befahr­bar. 1659 wur­de die Brü­cke ganz neu gebaut und mit einem Schin­del­dach ver­se­hen, das Glei­che geschah noch­mals 1777.

1813 wur­de nach der Schlacht bei Baut­zen von den zurück­wei­chen­den Preu­ßen und Rus­sen früh am 23. Mai die Nei­ße­brü­cke ange­zün­det. Erst am 3. Juni 1813 war die­se wie­der befahrbar.

Am Abend des 1. Sep­tem­ber 1913 ver­such­ten die flüch­ten­den Trup­pen erneut, die Brü­cke durch Feu­er zu zer­stö­ren, jedoch blieb ein Teil der Brü­cke unver­sehrt. Bei einem neu­en Vor­stoß am 6. bis 9. Novem­ber arbei­te­ten die Fran­zo­sen rast­los an der Fer­tig­stel­lung der Brü­cke. Erst am 6. Okto­ber war sie leid­lich wie­der­her­ge­stellt, doch an ihrer end­gül­ti­gen Instand­set­zung wur­de noch wochen­lang gearbeitet.

Abriss und Neuaufbau

Die Stadt Gör­litz, die der Brü­cke einen Groß­teil ihres wirt­schaft­li­chen Empor­kom­mens ver­dank­te, muss­te natür­lich für ihre Unter­hal­tung sor­gen und bedeu­ten­de Kos­ten fort­lau­fend dafür auf­brin­gen. Da war es ein Segen für die Stadt und eine bedeu­ten­de Erleich­te­rung für die Stadt­kas­se, dass Ende 1830 die Brü­cke in den Besitz der Pro­vinz Schle­si­en überging.

Jetzt erfüll­te sich auch der Traum, an den man schon 1536 geglaubt hat­te, eine mas­si­ve Brü­cke zu erbau­en. Die Pro­vinz Schle­si­en erteil­te auch den Auf­trag, im Jah­re 1906/1907 eine neue Bogen­brü­cke aus Stahl zu errichten.

Die Görlitzer Altstadtbrücke

Im Neu­en Gör­lit­zer Anzei­ger vom 18. Juli 1907 ist nach­zu­le­sen: Gör­litz den 17. Juli 1907: Der letz­te Wagen hat heut früh 1/2 8 Uhr die alte Nei­ße­brü­cke pas­siert. Es war ein bela­de­ner Wagen der Vier­raden­müh­le, der die letz­te Fahrt über die­sen alt­his­to­ri­schen Ver­kehrs­weg aus­führ­te. Die alte Brü­cke ist jetzt für den Ver­kehr gesperrt wor­den, und man hat mit ihrem Abbruch begonnen.

Als Ersatz für die höl­zer­ne Brü­cke hat die Pro­vin­zi­al­ver­wal­tung Schle­si­ens bekannt­lich eine neue eiser­ne Brü­cke erbaut, die heu­te (Mitt­woch) dem Ver­kehr über­ge­ben wor­den ist. Nach­dem im Herbst 1905 die ent­spre­chen­den Vor­ar­bei­ten, Errich­tung des zum Bau not­wen­di­gen umfang­rei­chen Bau­zau­nes usw. aus­ge­führt wor­den waren, wur­de am 29. Janu­ar 1906 mit dem Bau einer neu­en Brü­cke begon­nen und nach ca. 18 Mona­ten Bau­ar­beit der impo­san­te Brü­cken­bau beendet.

640 Tonnen Eisen für die Görlitzer Altstadtbrücke

Die Pfei­ler wur­den nach dem Pro­jekt der Brü­cken­bau­an­stalt in Grün­berg auf pneu­ma­ti­scher Grün­dung gebaut. Die Eisen­kon­struk­ti­on nach dem Pro­jekt der Pro­vin­zi­al­ver­wal­tung ist eben­falls von der Fir­ma Beu­chelt erbaut worden.

Die Licht­wei­te der Brü­cke beträgt zwi­schen den Gelän­dern 14 1/2 Meter, die Stütz­wei­te 84 Meter. Die zu bei­den Seiten
der neu­en Nei­ße­brü­cke ange­bau­ten Fuß­we­ge sind jeder 3,75 Meter breit; die Fahr­bahn zwi­schen den Bord­stei­nen misst sie­ben Meter.

Das Sys­tem der Haupt­trä­ger sind die Fach­werk­bö­gen mit Spann­gurt. Die respek­ta­ble Zahl von 640 Ton­nen beträgt das Eisen­ge­wicht der Nei­ße­brü­cke. Die Bau­kos­ten der neu­en Nei­ße­brü­cke betra­gen unge­fähr 450 000,- Mark.

Die neue Brü­cke liegt 90 cm höher als die dane­ben ste­hen­de alte Brü­cke. Es ist dabei berück­sich­tigt wor­den, dass selbst bei einem höhe­ren Was­ser­stand, als er bei dem Hoch­was­ser im Jah­re 1897 zu ver­zeich­nen war, die neue Brü­cke hoch­was­ser­frei ist. An der alten Brü­cke muss­ten schon wie­der­holt grö­ße­re Repa­ra­tu­ren aus­ge­führt werden.

Die Görlitzer Altstadtbrücke

Bereicherung des Landschaftsbildes

Wenn die nach dem Hoch­was­ser im Jah­re 1897 noch mehr gestütz­ten Pfei­ler der alten Brü­cke abge­bro­chen sein wer­den, wird sich das groß­ar­ti­ge Bau­werk von den dane­ben gele­ge­nen Stra­ßen und den in der Nähe den Lauf der Nei­ße über­brü­cken­den Fuß­ste­gen noch vor­teil­haf­ter präsentieren.

An der neu­en Nei­ße­brü­cke wur­de beim Bau an der Bres­lau­er Stra­ße (Sei­te an der Drei­ra­den­müh­le, pol­ni­sche Sei­te) errich­te­ten Pfei­ler (rechts) ein ca. 1 Meter hohes Reli­ef­bild in Bron­ze ein­ge­las­sen. Das künst­le­risch aus­ge­führ­te Bild stell­te die Kir­che zum Hei­li­gen Geist und das dar­an gebau­te Wohn­haus, wie zwei ande­re Gebäu­de, die wegen des Brü­cken­bau­es abge­bro­chen wur­den, dar.

Fer­ner waren dar­auf das zur Drei­ra­den­müh­le gehö­ri­ge Betriebs­ge­bäu­de mit ver­zier­tem Gie­bel  sowie ein Teil der alten Nei­ße­brü­cke mit Gelän­der auf­ge­nom­men. Das Reli­ef­bild soll­te für alle Zei­ten die Pas­san­ten der Brü­cke an das ver­schwun­de­ne Stück Alt-Gör­litz erin­nern. Besit­zer der Brü­cke blieb bis 1913 die Pro­vin­zi­al­ver­wal­tung Schle­si­en, die die­se danach wie­der­um an die Stadt Gör­litz abgab.

Richard Jecht schreibt in sei­ner Topo­gra­phie über die neu erbau­te Brü­cke: „Die Ent­fer­nung der alten Holz­brü­cke mag eine Not­wen­dig­keit gewe­sen sein, das beschau­li­che, male­ri­sche Geprä­ge, das die Brü­cke dem Gelän­de an der Nei­ße gab, hat frei­lich arg gelit­ten. Man hät­te stei­ner­ne Bögen anwen­den sol­len und hät­te dadurch die alte Schön­heit erhal­ten und viel­leicht ver­stär­ken können.“

Sprengung und später Wiederaufbau

Im Mai 1945 wur­de die Brü­cke gesprengt und hin­ter­ließ an den umlie­gen­den Gebäu­den sowie an der Peters­kir­che erheb­li­che Schäden.

59 Jah­re soll­ten ver­ge­hen, bis ein neu­es Bau­werk an glei­cher Stel­le wie­der errich­tet wer­den konn­te. Wenn auch wie­der­um von der Pla­nung bis deren Rea­li­sie­rung vie­le Jah­re ins Land gegan­gen sind, so konn­te in den Jah­ren Mai 2003 bis Okto­ber 2004 die neue Alt­stadt­brü­cke errich­tet werden. 

Die Brü­cken­kon­struk­ti­on wur­de von der Stahl- und Brü­cken­bau Nies­ky GmbH gefer­tigt. Die Erd- und Beton­ar­bei­ten hat die Alpi­ne Bau Deutsch­land GmbH ausgeführt.

Die Stütz­wei­te beträgt 79,99 Meter. Da sich die Brü­cken­kon­struk­ti­on in deren Mit­te ver­jüngt, erge­ben sich unter­schied­li­che Brei­ten für ihre lich­te Brei­te. Die lich­te Wei­te zwi­schen den Gelän­dern beträgt an den Brü­cken­la­gern 10 Meter und in ihrem Schei­tel 8,50 Meter. Die Brei­ten der Bür­ger­stei­ge betra­gen an den Brü­cken­la­gern 3,25 Meter und in deren Schei­tel 2,52 Meter. Die Fahr­bahn ist durch­gän­gig 4,75 Meter breit. Das Gewicht der Brü­cke beträgt 410 Tonnen.

Die Bau­kos­ten betru­gen 3.061.722, 52 € davon 1.141.896,44 € För­de­rung aus dem Pro­gramm Inter­reg und 1.530.861,26 € durch das Land Sach­sen (Gesamt­för­der­mit­tel 2.672.757,60 €). Damit ver­blie­ben bei der Stadt Gör­litz 388.964,90 € Eigen­mit­tel­an­teil. Bau­herr, Eigen­tü­mer und Bau­last­trä­ger der Alt­stadt­brü­cke ist die Stadt Görlitz. 

Die Görlitzer Altstadtbrücke

Nun erfüll­te sich der Wunsch von Richard Jecht, indem die neue Brü­cke im fla­chen küh­nen Bogen die Nei­ße über­brückt und den herr­li­chen Blick auf die Kulis­se der Alt­stadt mit der Peters­kir­che wie­der unver­baut zulässt. Möge sie für alle Zei­ten als Sym­bol des Frie­dens und der Völ­ker­ver­stän­di­gung dienen.

Nach­druck über die Gör­lit­zer Altstadtbrücke
Text und Bil­der mit freund­li­cher Geneh­mi­gung des Stadt­BILD-Ver­la­ges Gör­litz und Herrn Wolf­gang Stiller

Die Görlitzer Kürschnerfamilie Thorer

Die Görlitzer Kürschnerfamilie Thorer

Die Gör­lit­zer Kürsch­nerfami­lie Thorer begrün­de­te den welt­wei­ten Rauch­wa­renhan­del in Leip­zig mit der Fir­ma Theo­dor Thorer, des­sen Wur­zeln in Gör­litz lagen. Das Gör­lit­zer Monats­jour­nal Stadt­BILD hat in sei­ner Aus­ga­be Nr. 63 vom Sep­tem­ber 2008 einen Auf­satz von Herrn Wolf­gang Stil­ler über die Gör­lit­zer Kürsch­ner­fa­mi­lie Thorer veröffentlicht:

Johann Caspar Thorer

Nicht nur so bekann­te Fir­men­grün­der oder Inha­ber wie Lüders, Rau­pach, Fischer, Kör­ner und Krau­se & Söh­ne präg­ten die wirt­schaft­li­che Ent­wick­lung der Stadt. Auch weni­ger bekann­te Per­sön­lich­kei­ten wie Com­mer­zi­en­rat, Stadt­rat und Stadt­äl­tes­ter Carl Juli­us Geiß­ler (Tex­til­fa­bri­kant) und sein Bru­der Ernst Fried­rich Geiß­ler (Vier­raden­müh­le und Braun­koh­len­gru­be Berz­dorf), die Kauf­leu­te Adolph Webel und Stadt­rat Felix Webel — um nur eini­ge zu nen­nen — soll­ten nicht in Ver­ges­sen­heit geraten.

Eine sol­che Fami­lie, die auch in der Stadt Gör­litz Beacht­li­ches geleis­tet hat, ist die Gör­lit­zer Kürsch­ner­fa­mi­lie Thorer. Die Fami­lie Thorer lässt sich bis 1618 zurück­ver­fol­gen. Ihr Ursprung liegt in Gera.

Tobias Friedrich Thorer auf Wanderschaft nach Görlitz

Ein Sohn von Johann Cas­par Thorer, Kürsch­ner­meis­ter in Gera (1698 — 1768), kam im Rah­men sei­ner Wan­der­schaft nach Gör­litz. Es war der Kürsch­ner­ge­sel­le Tobi­as Fried­rich Thorer (21.4.1732 — 22.5.1800).

Die Stadt mach­te auf ihn einen so wenig güns­ti­gen Ein­druck, dass er erklär­te, kei­ne 24 Stun­den blei­ben zu wol­len. Er muss aber bald ande­rer Ansicht gewor­den sein, denn als der Kürsch­ner­meis­ter Pabst­lö­be nach der Her­ber­ge um einen Gesel­len schick­te, nahm er nicht nur die Stel­le an, son­dern ver­hei­ra­te­te sich auch im April 1755 mit des­sen Toch­ter und ließ sich als Kürsch­ner­meis­ter in Gör­litz nie­der. Durch aus­ge­zeich­net fach­li­ches Kön­nen wur­de er als Obe­räl­tes­ter der Kürsch­ner­meis­ter in Gör­litz gewählt. 

Fischmarkt 8

Sei­ne Werk­statt befand sich am Fisch­markt 8. Fisch­markt 8 bestand ursprüng­lich aus zwei Häu­sern, näm­lich den Hypo­the­ken-Num­mern 57 und 58. Im öst­li­chen Haus (Hypo­the­ken-Num­mer 57) wohn­te Tobi­as Fried­rich Thorer.

Aus sei­ner Ehe gin­gen vier Söh­ne her­vor. Von die­sen waren drei Kürsch­ner­meis­ter in Görlitz:

Ima­nu­el Fried­rich Thorer (26.4.1772 — 19.3.1813) über­nahm das Geschäft sei­nes Vaters. Ima­nu­el ehe­lich­te Johan­ne Chris­tia­ne Geiß­ler, die Toch­ter des Tuch­wal­kermeis­ters Johann Gott­fried Geiß­ler (1734 — 1808). Johann Gott­fried Geiß­ler war der Groß­va­ter des Tuch­fa­bri­kan­ten Com­mer­zi­en­rat, Stadt­rat und Stadt­äl­tes­ten Carl Samu­el Geiß­ler und des­sen Bru­der Ernst Fried­rich Geiß­ler, Inha­ber der Vier­ra­demüh­le und des Braun­koh­le­wer­kes Berzdorf.

Handwerk 7

Carl Hein­rich Thorer (24.8.1756 — 23.4.1833), Kürsch­ner­meis­ter, war ein wei­te­rer Sohn von Tobi­as Fried­rich Thorer. Er war ver­ehe­licht mit Sophie Eleo­no­re, gebo­re­ne Schüss­ler. Sei­ne Kürsch­ner­fir­ma begrün­de­te er im Hand­werk 7 (Hypo­the­ken-Num­mer 362). Die­ses Geschäft hat er gemein­sam mit sei­nem Sohn Natha­na­el Hein­rich Thorer (19.5.1801 — 30.8.1849) betrie­ben. Natha­na­el war eben­falls Ältes­ter der Kürsch­ner­meis­ter in Görlitz.

Samuel Timotheus Fürchtegott Thorer studierte Medizin

Der zwei­te Sohn von Carl Hein­rich Thorer war Samu­el Timo­theus Fürch­te­gott Thorer, (25.4.1785 — 25.6.1846). Die­ser besuch­te zunächst das Gym­na­si­um in Gör­litz. Nach dem Abitur begab er sich 1815 auf die Uni­ver­si­tät Leip­zig und stu­dier­te Medi­zin. Er nahm auch Vor­le­sun­gen in Bota­nik, Zoo­lo­gie, Mine­ra­lo­gie, Che­mie, Phy­sik und Phi­lo­so­phie wahr.

Um sei­ne prak­ti­sche Aus­bil­dung zu voll­enden, ging er Ende 1817 nach Ber­lin und lern­te bei Hufe­land, Horn und Lie­bold. Das medi­zi­nisch-chir­ur­gi­sche Examen bestand er am 12.5 1918 mit vor­züg­li­chem Ergeb­nis. Im glei­chen Jahr erwarb er auch den Doktortitel.

Zurück­ge­kehrt nach Gör­litz ließ sich Dr. Thorer als prak­ti­scher Arzt, Ope­ra­teur und Geburts­hel­fer nie­der. Er bedien­te sich auch zuneh­mend der homöo­pa­thi­schen Heil­me­tho­de, zu der sich ver­schie­de­ne Ärz­te Schle­si­ens  und der Ober­lau­sitz zu einem Ver­ein zusam­men­schlos­sen. In sei­ner Eigen­schaft als Vor­sit­zen­der die­ses Ver­ei­nes publi­zier­te er meh­re­re Bän­de Fachbücher.

Er begrün­de­te eine Fami­lie mit Anna Caro­li­ne gebo­re­ne Eich­holz. Aus die­ser Ehe gin­gen zwei Töch­ter hervor.

Dr. Thorer wur­de 1820 Mit­glied der Ober­lau­sit­zi­schen Gesell­schaft der Wis­sen­schaf­ten zu Gör­litz. Er wur­de bald danach Mit­glied des die Ver­wal­tung lei­ten­den Aus­schus­ses der Gesell­schaft. Im Jah­re 1833 wur­de Dr. Thorer Direk­tor der Gesell­schaft. Die­ses Amt führ­te er durch Wie­der­wahl bis zum Jah­re 1841 aus. Dr. Thorer gab ver­schie­de­ne Fach­bei­trä­ge her­aus, und es befin­den sich im Neu­en Lau­sit­zi­schen Maga­zin (NLM) zahl­rei­che Ver­öf­fent­li­chun­gen. Dr. Thorer ver­starb am 25. Juni 1845. Er wur­de am 28. Juni auf dem Nico­lai- Fried­hof beigesetzt.

Mitglied der Kürschnerfamilie Thorer wurde zum Stadtältesten ernannt

Ernst Friedrich Thorer

Aus der Ehe von Imma­nu­el Fried­rich Thorer gin­gen eben­falls 3 Söh­ne hervor.

Sein Sohn Ernst Fried­rich Thorer (20.3.1799 — 1.7.1878) erfreu­te sich einer güns­ti­gen Ver­mö­gens­la­ge. Er genoss nicht nur bei den Mit­glie­dern der Kürsch­ne­rin­nung, die ihn zum Ältes­ten der Kürsch­ner­meis­ter ernann­ten, gro­ßes Anse­hen. Auch bei der Gör­lit­zer Bür­ger­schaft im all­ge­mei­nen, da er als Mit­glied des Magis­trats der Stadt an der Ver­wal­tung sei­ner Hei­mat­stadt sehr regen Anteil nahm. Sei­ne Ver­diens­te wur­den dann auch durch die Ernen­nung zum Stadt­äl­tes­ten aner­kannt. Ernst Fried­rich erwarb im Jah­re 1825 das Grund­stück Brü­der­stra­ße 15 mit der Hypo­the­ken-Num­mer 15, und er bau­te das gan­ze Haus um. Im Jah­re 1843 kauf­te Ernst Fried­rich das Grund­stück Ober­markt 6/Ecke Stein­stra­ße. Bis 1803 war die­ses Gebäu­de ein ein­drucks­vol­ler Barock­bau (erbaut um 1680). 1803 fie­len die Gie­bel. Im Jah­re 1844 bau­te Ernst Fried­rich Thorer die­ses Gebäu­de von Grund auf neu, so wie es heu­te noch steht.

Brüderstraße 15

Im Jah­re 1854 wur­de das Grund­stück an sei­nen Sohn Theo­dor Ernst Thorer (26.5.1828 — 30.3.1894) ver­kauft. Die­ser ver­kauf­te das Grund­stück 1863 an sei­nen Schwa­ger, den Kauf­mann Fer­di­nand Walter.

Zugleich waren durch den Umbau von Ober­markt 6 auch die Grund­stü­cke Stein­stra­ße 1 und Stein­stra­ße 2 in sei­nen Besitz gelangt. Die letz­te Woh­nung von Ernst Fried­rich befand sich Grü­ner Gra­ben 9.

Obermarkt Ecke Steinstraße Kürschnerfamilie Thorer

Dabei läßt sich bei Richard Jecht in sei­ner Topo­gra­phie auf Sei­te 641 fol­gen­de Epi­so­de nach­le­sen: “Als im Jah­re 1848 die obe­re Lan­gen­gas­se durch Abbruch der Stadt­mau­er eine Öff­nung nach Wes­ten erhielt, da fass­ten weit­sich­ti­ge Män­ner wie Mau­rer­meis­ter Kieß­ler, Kürsch­ner­meis­ter Thorer, Stef­fel­bau­er und Ernst Her­mann Beschee­rer (Braue­rei­be­sit­zer Son­nen­stra­ße, jet­zi­ges Finanz­amt) den Ent­schluss, eine nähe­re Ver­bin­dung nach der Teich- und Brun­nen­stra­ße her­zu­stel­len. Sie lie­ßen beim Bau ihrer Häu­ser in den Jah­ren 1857 — 1862 für eine regel­mä­ßi­ge Stra­ßen­an­la­ge Raum und wand­ten sich 1860 an den Magis­trat um Ein­rich­tung einer öffent­li­chen Stra­ße (Son­nen­stra­ße).

Der Magis­trat erkann­te kein öffent­li­ches Bedürf­nis einer Stra­ße und ließ zeit­wei­se die Stra­ße für den öffent­li­chen Ver­kehr sper­ren und stell­te noch schwers­te Bedin­gun­gen an deren Anlie­ger. Da der Magis­trat eine öffent­li­che Benen­nung der Stra­ße ver­wei­ger­te, wur­de die­se durch die Bau­her­ren Pri­vat­stra­ße genannt. Erst im Jah­re 1868 fin­det man im Adress­buch den Namen Son­nen­stra­ße. Damit muß sich die Fami­lie Thorer als eine der vier Bau­her­ren an der Ein­rich­tung der Son­nen­stra­ße betei­ligt haben.

Folgt man dem Gör­lit­zer Hypo­the­ken­ver­zeich­nis von 1855, so wer­den auch für die Grund­stü­cke Grü­ner Gra­ben Num­mer 2 — 9 als Besit­zer Thorer/Frenzel ange­ge­ben. Wei­te­re Grund­stü­cke — wie bereits genannt Ober­markt 6, Stein­stra­ße 1, Schan­ze 14 und Som­mer­gas­se 4 — waren im Besitz die­ser Fami­lie (Som­mer­gas­se seit 1871 Moltkestraße).

Ecke Steinstraße Kürschnerfamilie Thorer

Ernst Fried­rich Thorer, noch rüs­tig in den bes­ten Man­nes­jah­ren, über­gab im Jah­re 1853 das Geschäft sei­nem Sohn, dem Kürsch­ner­meis­ter Theo­dor Ernst Thorer (26.5.1828 — 30.3.1894). Grün­de der Geschäfts­über­ga­be waren unter ande­rem die Ansprü­che, wel­che ande­re Unter­neh­mun­gen und sei­ne gemein­nüt­zi­ge Tätig­keit an sei­ne Per­son stell­ten. Ande­rer­seits woll­te er dem Ver­lan­gen sei­nes Soh­nes ent­ge­gen­wir­ken, nach Ame­ri­ka aus­zu­rei­sen, und ihn somit an sei­ne Hei­mat fesseln.

Theodor Ernst Thorer hatte das bedeutendste Geschäft am Platz 

Das Kürsch­ner­ge­schäft war das bedeu­tends­te in Gör­litz. Es betrieb nicht aus­schließ­lich die Kürsch­ne­rei son­dern ver­sorg­te auch die Kürsch­ner­meis­ter in Gör­litz und Umge­bung mit Rauch­wa­ren. Zu deren Ein­käu­fen hat­te schon sein Vater Ernst Fried­rich die Leip­zi­ger Mes­se regel­mä­ßig besucht.

Theo­dor Ernst hat­te sei­ne Aus­bil­dung nicht nur in der Hei­mat son­dern auch in frem­den Län­dern — vor allem in Frank­reich und Eng­land — genos­sen. In einem Brief an sei­nen Vater vom 27. Juni 1831 berich­te­te er von sei­nen Erleb­nis­sen auf sei­nen Stu­di­en­rei­sen, die ihn nach Lon­don, Lyon, Turin und Mai­land sowie über Vene­dig, Tri­est und Wien führten.

Nach der Geschäfts­über­nah­me besuch­te Theo­dor im Herbst 1853 erst­mals auf eige­ne Rech­nung die Leip­zi­ger Mes­se. Im dar­auf fol­gen­den Jah­re, genau 100 Jah­re nach­dem sein Urgroß­va­ter Tobi­as von Gera nach Gör­litz über­ge­sie­delt war, fuhr er von Gör­litz nach Gera, um Emma Hoff­mann als sei­ne Ehe­frau heimzuführen.

Theodor Ernst Thorer

Sei­ne Ehe­frau war eben­falls an der guten Ent­wick­lung des Geschäfts betei­ligt. Ins­ge­samt gebar sie 8 Kin­der, 7 Söh­ne und eine Toch­ter (4 davon in Gör­litz gebo­ren). An ihrem Lebens­abend kam sie in den Genuss von 7 Enkeln und 5 Urenkeln.

Die Freun­de von Theo­dor Thorer hat­ten ihren Weg nach Kana­da genom­men und sich in Mont­re­al ansäs­sig gemacht, wel­ches sich spä­ter als Glücks­um­stand für Theo­dor Ernst erwei­sen soll­te. In Mont­re­al grün­de­ten sie die Fir­ma Hae­us­gen & Gnae­din­ger, wel­che sich mit der Fabri­ka­ti­on von Pelz­werk im Groß­be­trieb befass­te. Zur Beschaf­fung ihres Bedarfs an euro­päi­schen und asia­ti­schen Fel­len wand­ten sich die­se an ihren Freund Theo­dor in Gör­litz. Das ver­an­lass­te ihn zu wei­te­ren Rei­sen, vor­nehm­lich nach Leipzig.

Die stän­di­gen Rei­sen berei­te­ten der Füh­rung sei­nes Geschäfts durch län­ge­re Abwe­sen­heit grö­ße­re Pro­ble­me. Hin­zu kam, ein Kürsch­ner­ge­schäft zur dama­li­gen Zeit in einer Pro­vinz­stadt zu füh­ren, stell­te kei­ne gro­ßen Ansprü­che. Und Theo­dor genoss auf sei­ne vie­len Rei­sen das Flair der Groß­städ­te Euro­pas mit ihren groß­zü­gi­gen Ver­hält­nis­sen. All das ver­an­lass­te ihn, das vom Vater über­nom­me­ne Geschäft 1862 an sei­nen Werk­füh­rer zu über­ge­ben, der es noch vie­le Jah­re unter der Fir­ma J. Wag­ner, Theo­dor Thorer Nachf. in Gör­litz führte.

Kürschnerfamilie Thorer begründet weltweites Unternehmen

Theo­dor Thorer selbst aber sie­del­te 1862 mit Frau und 4 Kin­dern noch vor der Oster­mes­se (die Leip­zi­ger Rauch­wa­ren­mes­se fand immer zu Ostern statt) nach Leip­zig-Goh­lis über. In Leip­zig eröff­ne­te er anfäng­lich in der Rauch­wa­ren­hal­le die Rauch­wa­ren­fir­ma Theo­dor Thorer, die sich als­bald zu einem welt­wei­ten Unter­neh­men ent­wi­ckel­te, wie ich an spä­te­rer Stel­le berich­ten werde.

Die ein­gangs genann­te Freund­schaft nach Kana­da ent­wi­ckel­te sich in der Fol­ge­zeit zu engen Geschäfts­be­zie­hun­gen. So erhielt Theo­dor von sei­nen Freun­den kana­di­sche Fel­le in Gegen­rech­nung, nament­lich Bisam, Biber, Otter, Ner­ze und Zobel. In den kom­men­den Jah­ren ent­wi­ckel­te sich aber vor­ran­gig der Per­sia­ner­pelz­han­del (Kara­kul- und Astra­ch­a­n­er­scha­fe und Breit­schwän­ze) zum Hauptgeschäft.

Der Bedarf dazu wur­de auf Mes­sen in Nisch­nij-Now­go­rod und Mos­kau, aber auch direkt aus Bucha­ra, Astra­chan und Afgha­ni­stan gedeckt. (Die Haupt­zucht­ge­bie­te lie­gen in Zen­tral­asi­en in Usbe­ki­stan — Bucha­ra — Turk­me­ni­stan, in Tei­len von Tadschi­ki­stan — in Euro­pa aber auch in der Ukrai­ne und in Mol­da­wi­en, in Afgha­ni­stan sind die Haupt­zucht­ge­bie­te in den Pro­vin­zen Anhol, Masar-i-Sche­rif, Mai­me­ne, Schi­berg­han, Acht­scha, Tasch­kurg­han, Kun­dus und Herat.) So betrug die Gesamt­ein­fuhr von Rauch­wa­ren auf dem Han­dels­platz Leip­zig um 1864 160 Mil­lio­nen Mark, und dar­an hat­ten asia­ti­sche Per­sia­ner­fel­le einen Anteil von 1.100.000 Stück.

Firmensignet Theodor Thorer

Paul Albert Thorer übernimmt die Geschäfte

In der Fol­ge­zeit tra­ten die Söh­ne von Theo­dor in das Geschäft ein:

Zunächst der ältes­te Ernst Alfred, 1855 in Gör­litz gebo­ren und 1910 in Leip­zig-Leutsch verstorben.
1875 hat­te sich sein zweit­äl­tes­ter Sohn Kurt Theo­dor, 1856 in Gör­litz gebo­ren (gestor­ben 14.11.1918), im Geschäft als Teil­ha­ber betätigt.
Ostern 1876 trat der drit­te Sohn Paul Albert, am 5.3.1858 eben­falls in Gör­litz gebo­ren, als Teil­ha­ber in die Fir­ma ein.

Um sei­ne Geschäf­te in Russ­land ordent­lich füh­ren zu kön­nen, erlern­te Paul Albert die rus­si­sche Spra­che und fuhr 1881 zum ers­ten Male zur Rauch­wa­ren­mes­se nach Nisch­nij-Now­go­rod zum Ein­kauf. Nach­dem sei­ne 3 ältes­ten Söh­ne am 1. August 1883 als Teil­ha­ber der Fir­ma ein­ge­tra­gen wur­den, zog sich Theo­dor Thorer am 27. Mai 1892 in das Pri­vat­le­ben zurück.

In der Fol­ge­zeit zogen sich auch die älte­ren Geschwis­ter aus dem Unter­neh­men zurück, so dass die gesam­te Last des Geschäfts auf den allein ver­blie­be­nen Paul Albert gefal­len ist. Für sei­ne Ver­diens­te bei der wirt­schaft­li­chen Ent­wick­lung im König­reich Sach­sen wur­de Paul Albert Thorer vom Säch­si­schen König mit dem Titel König­li­cher Kom­mer­zi­en­rat geehrt.

In der Fol­ge­zeit ent­wi­ckel­te sich die Fir­ma zu einem wich­ti­gen Unter­neh­men im welt­wei­ten Rauch­wa­ren­han­del mit Nie­der­las­sun­gen in New York und Lon­don und Ver­tre­tun­gen in Ber­lin, Wien, Lon­don, Paris, Mai­land und Brüs­sel. Erwäh­nens­wert wäre noch, dass sich die Fir­ma Theo­dor Thorer gro­ße Ver­diens­te damit erwor­ben hat, mit Ori­gi­nal-Zucht­ma­te­ri­al von Kara­kul-Scha­fen (Per­sia­ner) aus Bucha­ra in der dama­li­gen deut­schen Kolo­nie Süd­west­afri­ka die­se Ras­se ein­zu­bür­gern und zu züch­ten. Dank der guten Bezie­hun­gen des deut­schen Kai­sers zum rus­si­schen Zaren wur­den nach und nach 820 Kara­kul-Mut­ter­scha­fe und Böcke aus Usbe­ki­stan nach Deutsch-Süd­west­afri­ka geliefert.

Nach anfäng­li­chen Rück­schlä­gen ent­wi­ckel­te sich die Per­sia­ner­zucht in Süd­afri­ka sehr erfolg­reich. Das Export­vo­lu­men an Fel­len betrug bis zu 25% der Gesamt­ex­port­ergeb­nis­se des Lan­des. Dies war auch für den Leip­zi­ger Rauch­wa­ren­markt wäh­rend des und nach dem 1. Welt­krieg von außer­or­dent­li­cher Bedeu­tung, da von den ange­stamm­ten Märk­ten Russland/Sowjetunion zunächst kei­ne Waren­ein­käu­fe mehr erfol­gen konn­ten. Die­ses Geschäft begann sich erst Mit­te bis Ende der 20er Jah­re des 20. Jahr­hun­derts zu stabilisieren.

Paul Albert Thorer

Noch heu­te ist die Kara­kul­zucht und ‑hal­tung ein wich­ti­ger Zweig der Land­wirt­schaft von Nami­bia. 1969 erreich­te die nami­bi­sche Pro­duk­ti­on mit 3,5 Mil­lio­nen Fel­len (= 40 % der Welt­pro­duk­ti­on) ihren Höhe­punkt. Es gibt in Nami­bia etwa 2.500 Far­men mit Karakulschafzucht.

In der Fol­ge­zeit wur­de die Fir­ma Rauch­wa­ren­han­del Theo­dor Thorer von den Enkeln, Schwa­ger und Uren­keln des Fir­men­grün­ders Theo­dor Thorer  erfolg­reich weitergeführt.

So schließt sich der Kreis der Kürsch­ner­fa­mi­lie Thorer, der mit Tobi­as Fried­rich Thorer um die Mit­te des 18. Jahr­hun­derts in Gör­litz sei­nen Anfang nahm.

Eine Nach­be­mer­kung zur Kürsch­ner­fa­mi­lie Thorer:
Die Fir­ma Thorer sie­del­te 1945 von  Leip­zig nach Offen­bach über. Sie split­te­te sich nach dem Umzug in zwei Geschäfts­zwei­ge auf: Eine Rauch­wa­ren­zu­rich­te­rei (Ger­be­rei) in Offen­bach und in einen Rauch­wa­ren­han­del, der in Frank­furt am Main sei­nen Sitz hat­te. Dazu gab es zahl­rei­che Filia­len bei­der Zwei­ge in Deutschland

Paul Albert Thorer in Buchara

und im Aus­land (New York, Süd­afri­ka u.v.a.m.) und meh­re­re Betei­li­gun­gen zum Bei­spiel an der legen­dä­ren Hudson’s Bay Com­pa­ny in Kana­da. In den 1990er Jah­ren brach die Pelz­hys­te­rie aus, und kaum eine Frau konn­te es sich mora­lisch noch leis­ten, Pel­ze zu tra­gen. Damit brach auch das Pelz­ge­schäft der Fir­ma Thorer zusam­men, und die­se Fir­ma Thorer & Co wur­de nach fast 400 Jah­ren liquidiert.
Quel­len:
Richard Jecht: Topo­gra­phie der Stadt Görlitz
Thorer: 300 Jah­re Fami­lie Thorer, 1912, Leip­zig Eigen­ver­lag (Ober­lau­sit­zi­sche Biblio­thek der Wis­sen­schaf­ten Görlitz)
Thorer: 325 Jah­re Fami­lie Thorer, 1937, Leip­zig Eigen­ver­lag (Axel Thorer, stell­vertr. Chef­re­dak­teur der Zeit­schrift “BUNTE”)
Nach­druck über die Kürsch­ner­fa­mi­lie Thorer
Text und Bil­der mit freund­li­cher Geneh­mi­gung des Stadt­BILD-Ver­la­ges Gör­litz und Herrn Wolf­gang Stiller

Geheimer Kommerzienrat Oskar Meissner

Geheimer Kommerzienrat
zum 85. Todestag von Oskar Meissner

Die Monats­zeit­schrift Stadt­BILD hat in ihrer Aus­ga­be Nr.  155 vom Juni 2016 einen Auf­satz von Herrn Wolf­gang Stil­ler zum 85. Todes­tag von Oskar Meiss­ner veröffentlicht. 

Geheimer Kommerzienrat Oskar Meissner

Ben­ja­min Oskar Rein­hold Meiss­ner, Fabrik­be­sit­zer, Stadt­rat, Magis­trats­mit­glied, Gehei­mer Kom­mer­zi­en­rat und Stadt­äl­tes­ter, wur­de am 9. Mai 1843 in Frau­stadt (Wscho­wa) geboren.

Die Fami­lie ent­stammt einer alt­ein­ge­ses­se­nen Rats­fa­mi­lie in Frau­stadt, die dort seit dem 30-jäh­ri­gen Krieg (1618 — 1648) als Tuch­ma­cher wirk­te. Frau­stadt ist eine Kreis­stadt im Wes­ten der ehe­ma­li­gen Pro­vinz Posen. Im Jah­re 1887 kam die Stadt zum Kreis Lis­sa und 1941 als eige­ner Kreis zur Pro­vinz Nie­der­schle­si­en. Wie aus der Fir­men­chro­nik der Gör­lit­zer Tuch­fa­brik Krau­se & Söh­ne her­vor­geht, kam Oskar Meiss­ner von der Fir­ma “Schle­si­sche Tuch­fa­brik Jere­mi­as Sigis­mund Foers­ter & Co. Grün­berg”. Sie war ein sehr ange­se­he­nes Unter­neh­men. In die­ser Fir­ma war Meiss­ner als Tech­ni­scher Lei­ter tätig. Nach 1860 ent­stan­den die ers­ten Kon­tak­te zwi­schen Oskar Meiss­ner und der Fir­ma Krau­se & Söh­ne in Gör­litz. Zu jener Zeit wur­den aus Frau­stadt, dem Unter­neh­men sei­ner Eltern, Roh­tu­che zur Wei­ter­ver­ar­bei­tung in Gör­litz bezogen.

Geheimer Kommerzienrat Oskar Meissner

Emil Krau­se (*13.5.1828 +17.2.1872), der Sohn des Fir­men­grün­ders Karl Fried­rich Krau­se (*17.5.1795 +17.8.1866), ver­mähl­te sich 1870 mit Ber­tha Meiss­ner (*14.3.1838 Frau­stadt +11.2.1935 Gör­litz), der Schwes­ter von Oskar Meiss­ner. Die­se Fami­li­en­ver­hält­nis­se wur­den noch enger, als wenig spä­ter Oskar Meiss­ner die Anna Krau­se (16.9.1848 +16.10.1934) ehe­lich­te und somit in die Fir­ma Krau­se & Söh­ne einheiratete.

Durch den frü­hen Tod des Fir­men­grün­ders Karl Fried­rich Krau­se 1866 und des­sen Sohn Emil Krau­se 1872 sowie die andau­ern­de Krank­heit des Fir­men­teil­ha­bers Edmund Krau­se (ver­stor­ben 1880) war die Geschäfts­füh­rung der Fir­ma Krau­se & Söh­ne gefähr­det. Daher wur­de Oskar Meiss­ner zu Beginn des Jah­res 1872 in die Füh­rung der Fir­ma beru­fen. Eine wesent­li­che Vor­aus­set­zung dafür war sei­ne soli­de fach­li­che Aus­bil­dung und lei­ten­de Tätig­keit bei der oben beschrie­be­nen Fir­ma F. Foers­ter in Grün­berg. Nach dem Tod sei­nes Schwa­gers Carl Emil Krau­se im Jah­re 1872 über­nahm Oskar Meiss­ner 1872 für sei­ne Schwes­ter Ber­tha (Gat­tin von Carl Emil) die Lei­tung der Fir­ma Kru­se & Söh­ne. Ber­ta war nach dem Tod ihres Gat­ten Carl Emil mit ihren 5 min­der­jäh­ri­gen Kin­dern Firmenerbin.

Mit Beginn des Kai­ser­rei­ches hat­te auch in der Fir­ma ein deut­li­cher Auf­schwung begon­nen. Durch eine ziel­be­wuss­te Moder­ni­sie­rung des Unter­neh­mens durch Oskar Meiss­ner wur­de das Unter­neh­men zu neu­er Blü­te geführt. Unter sei­ner Lei­tung hat­te er das Fabrik­ge­bäu­de erwei­tert und neue Maschi­nen angeschafft.

Beson­de­re Ver­diens­te erwarb sich Meiss­ner für die Sicher­stel­lung der beson­ders wich­ti­gen Was­ser­ver­sor­gung für sei­ne Fir­ma. Durch meh­re­re Ver­trä­ge mit der Stadt konn­te die­ses Vor­ha­ben zwi­schen 1885 bis 1892 in weit­schau­en­der Wei­se gesi­chert wer­den. Dabei wur­de Was­ser teil­wei­se der Nei­ße ent­nom­men und aus einem Brun­nen, wel­cher in der Nähe des Kran­ken­hau­ses an der Ber­li­ner Bahn­stre­cke ange­legt wur­de. Des­sen Was­ser wur­de mit­tels Röh­ren in einen Teich (Pon­te­teich) gelei­tet, der sich gegen­über der Fabrik am Grü­nen Gra­ben befand.

Geheimer Kommerzienrat Oskar Meissner

Die Fir­ma Krau­se & Söh­ne unter der Lei­tung von Oskar Meiss­ner rich­te­te eine Betriebs-Pflicht­spar­kas­se ein. In die­ser konn­ten die Beleg­schafts­an­ge­hö­ri­gen für Zei­ten der Arbeits­lo­sig­keit, der Not und des Alters bestimm­te Bei­trä­ge des Lohns anspa­ren. Alle Beam­ten, Arbei­ter und Arbei­te­rin­nen, die in der Fir­ma fest ange­stellt waren, wur­den ver­pflich­tet, die­ser Betriebs­spar­kas­se bei­zu­tre­ten und all­wö­chent­lich einen bestimm­ten Bei­trag ihres Loh­nes ein­zu­zah­len. Die Ein­la­gen wur­den mit 4% verzinst.

Am 25. März 1899 nahm die Fir­ma Krau­se & Söh­ne die Form einer GmbH an. Als Geschäfts­füh­rer zeich­ne­ten Oskar Meiss­ner und Rudolf Krause.

An der Lunitz, vor dem Okto­gon, stand ein Gaso­me­ter des Gas­wer­kes Gör­litz. Die­ser wur­de nicht mehr benö­tigt und durch die Stadt abge­bro­chen. Im Jah­re 1908 erwarb Meiss­ner das Are­al von der Stadt für sei­ne Fir­mener­wei­te­rung. Laut Kauf­ver­trag han­del­te es sich um eine Flä­che von 1448 m². An die­ser Stel­le befin­det sich jetzt, nach Abriss eini­ger Gebäu­de­tei­le, der Park­platz der Arbeitsagentur.

Im Sep­tem­ber 1912 rück­te Rudolf Krau­se zum allei­ni­gen Geschäfts­füh­rer auf, wäh­rend 0skar Meiss­ner als Teil­ha­ber in der Fir­ma tätig blieb. Meiss­ner blieb bis zu sei­nem Tode ein treu­er Rat­ge­ber für die Geschäfts­füh­rer der Firma.

Nach lang­jäh­ri­ger, erfolg­rei­cher Tätig­keit als Stadt­ver­ord­ne­ter wur­de er im Jah­re 1898 ein unbe­sol­de­tes Mit­glied des Magis­trats der Stadt. Er gehör­te dem Magis­trat bis zum Jah­re 1919 an, also 21 Jah­re. 1912 über­nahm Meiss­ner ehren­amt­lich das Berg­werk­de­zer­nat “Gru­be Stadt Gör­litz” des Magistrats.

Im Nach­ruf des Magis­trats zu sei­nem Able­ben am 1.6.1931 heißt es hier­zu: “In die­ser Tätig­keit hat Herr Meiß­ner mit nie ermü­den­der Arbeits­kraft und einem unbeug­sa­men Wil­len zur Pflicht­er­fül­lung in her­vor­ra­gen­der Wei­se an der Umstel­lung des Berg­wer­kes Kohl­furt zu einem kauf­män­ni­schen Betrie­be gear­bei­tet und aus die­sem Wer­ke ein Unter­neh­men geschaf­fen, des­sen Segen für die Stadt sich beson­ders in der Kriegs- und Nach­kriegs­zeit erwie­sen hat. Auch in ande­ren Ämtern hat er bis ins hohe Alter sei­ne Arbeits­freu­dig­keit und sei­nen vor­bild­li­chen Bür­ger­sinn bewie­sen. Meiss­ner erwarb sich hohe Ver­diens­te um das Wohl der Stadt. Sei­ne auf­rech­te Per­sön­lich­keit, sein ver­bind­li­ches Wesen und sei­ne der Stadt geleis­te­te Arbeit wer­den im Krei­se des Magis­trats unver­ges­sen bleiben.”

Im Jah­re 1894 errich­te­te Meiss­ner Lin­den­weg 4 sei­ne Fami­li­en­vil­la und erwarb das Grund­stück Lin­den­weg 7, wel­ches um 1860 bebaut wor­den ist. Auf die­sem Grund­stück wohn­ten laut Adress­buch die Töch­ter von 0skar Meissner.

Zu sei­nem 70. Geburts­tag 1913 wur­de dem Kom­mer­zi­en­rat Oskar Meiss­ner im Auf­tra­ge des Minis­ters für Han­del und Gewer­be der Cha­rak­ter eines “Gehei­men Kom­mer­zi­en­ra­tes” ver­lie­hen. In Aner­ken­nung für sei­ne hohen Ver­diens­te für die Stadt Gör­litz wur­de ihm aus die­sem Anlass von den städ­ti­schen Kör­per­schaf­ten das Prä­di­kat “Stadt­äl­tes­ter” zuerkannt.

Am 1. Juni 1931 ver­starb Oskar Meiss­ner nach schwe­rem Lei­den im Alter von 88 Jah­ren in der chir­ur­gi­schen Kli­nik von Dr. Boe­ters, Kon­sul­platz. Er wur­de in der Fami­li­en­gruft auf dem Fried­hof unter gro­ßer Anteil­nah­me von Stadt und Beleg­schaft beigesetzt.

Geheimer Kommerzienrat Oskar Meissner

Oskar Meiss­ner war auch Mit­glied der Frei­mau­rer­lo­ge zu Gör­litz “Zur gekrön­ten Schlan­ge”. In die­ser Loge hat Meiss­ner eine Stif­tung für hilfs­be­dürf­ti­ge Kin­der und Wit­wen von Frei­mau­rern und hilfs­be­dürf­ti­ge Frei­mau­rer gegrün­det. Jähr­lich wur­den min­des­tens 150,- Mark gestif­tet, so dass sich bis zum Jah­re 1920 ein Kapi­tal von 14.706,72 Mark ange­sam­melt hat.

Sein 85. Todes­tag im Juni 2016 soll­te uns Anlass sein, einer in der Öffent­lich­keit bis­lang wenig bekann­ten Per­sön­lich­keit, die sich gro­ße Ver­diens­te für das Auf­blü­hen des Wirt­schafts­le­bens und für die Sor­ge des Gemein­wohl unse­rer Stadt erwor­ben hat, zu gedenken.

Die Töch­ter von Oskar Meiss­ner, Mar­ga­re­te und Eli­sa­beth, ehe­lich­ten eben­falls zwei Brü­der: Mar­ga­re­te Meiss­ner (*17.4.1873 +17.8.1971) den Amts­ge­richts­rat Otto Pohl (*9.2.1866 +15.10.1947) und Eli­sa­beth Meiss­ner (*8.2.1871 +27.11.1960) den preu­ßi­schen Gene­ral­leut­nant Lorenz Pohl (*11.11.1855 +7.3.1935. Die bei­den Schwes­tern von Meiss­ner leb­ten bis zu ihrem Tod wei­ter­hin im Grund­stück Lin­den­weg 7. Sie sind eben­falls in der Fami­li­en­gruft auf dem Fried­hof bestat­tet.
Nach­druck
Text und Bil­der mit freund­li­cher Geneh­mi­gung des Stadt­BILD-Ver­la­ges Gör­litz und Herrn Wolf­gang Stiller.

Der Görlitzer Tuchfabrikant Carl Samuel Geißler

Der Görlitzer Tuchfabrikant Carl Samuel Geißler

Die Monats­zeit­schrift Stadt­BILD hat in ihrer Aus­ga­be Nr.  65 vom Novem­ber 2008 einen Auf­satz von Herrn Wolf­gang Stil­ler über den bekann­ten Gör­lit­zer Tuch­fa­bri­kant Carl Samu­el Geiß­ler (28.3.1775 bis 4.2.1878) ver­öf­fent­licht. Carl Samu­el Geiß­ler leb­te in der Furt­stra­ße. Er war ein Bru­der von Ernst Fried­rich Geiß­ler, Besit­zer der Vierradenmühle.

Der Görlitzer Tuchfabrikant Carl Samuel Geißler

Preußische Zucht und Ordnung — Es war um 1850 schwierig, Görlitzer Bürger zu werden

Carl Samu­el Geiß­ler war könig­li­cher Kom­mer­zi­en­rat und von 1835 bis 1877 mit einer 2 jäh­ri­gen Unter­bre­chung Stadt­rat bzw. Stadt­ver­ord­ne­ter, Stadt­äl­tes­ter und Trä­ger des Roten Adler Ordens 4. Klas­se. Carl Samu­el Geiß­ler hat­te 8 Kin­der, dar­un­ter 5 Mädchen.

Sei­ne Toch­ter Agnes The­re­se Geiß­ler (23.2.1825 — 13.12. 1907) ver­lieb­te sich in einen Chris­ti­an Franz Adolph Webel (6.2.1823 — 8.5.1875), Sohn eines Buch­händ­lers und Dru­cke­rei­be­sit­zers in Leip­zig. Zwei sehr inter­es­san­te Lie­bes­brie­fe, die Adolph 1847 an sei­ne Gelieb­te schrieb, sind in mei­nem Besitz. Nun soll­te ja gehei­ra­tet wer­den, und Adolph woll­te Bür­ger von Gör­litz wer­den. Der zukünf­ti­ge Schwie­ger­va­ter Carl Samu­el Geiß­ler schrieb dar­auf­hin am 12. Juli 1847 nach­fol­gen­den Brief an Adolph Webel nach Leipzig:

Der Görlitzer Tuchfabrikant Carl Samuel Geißler

Aus Ihrem Geehr­ten erse­he ich Ihren fes­ten und erns­ten Ent­schluss, daher auch der mei­ne fest­steht, und zu ihrem und Agnes wei­te­rem Gedei­hen, als Vater nur herz­lich Glück wün­schen kann.

Hof­fend, daß Sie sich mit ernst­li­chem Eifer bemü­hen wer­den, in den Geschäfts­kreis tätig bei­zu­tra­gen, vor­wärts schrei­ten zu suchen, wie es selbst bei mir und jedem täti­gen Geschäfts­man­nes Pflicht ist, den Sor­gen­trä­ger durch das Leben ver­än­dern, wo dann auch Fleiß und Mühe nicht unbe­lohnt blei­ben wird.

Herr­mann Oet­tel das freund­schaft­li­che Wort zu geben, mit Ihrer oben ange­führ­ten Bit­te, hal­te ich für Pflicht und Artig­keit. Wegen dem nun zu erlan­gen­den Bür­ger­recht haben Sie nun die nöti­gen Attes­te, als Tauf‑, Lehr‑, Mili­tär- und Füh­rungs­at­test Ihres letz­ten Her­ren bei­zu­fü­gen, und durch Gesuch ein­zu­rei­chen, haben Sie sol­ches aus­ge­fer­tigt, kön­nen Sie es an mich über­schi­cken, da ich es selbst abge­ben will. Inlie­gend ein For­mu­lar, in wel­cher Art Sie es unge­fähr anfer­ti­gen kön­nen. Glück­auf mit fro­hem Mut grüßt Ihnen freund­schaft­lich C.S.Geißler”.

Der Görlitzer Tuchfabrikant Carl Samuel Geißler

Am 11.04 1848 wur­de dann gehei­ra­tet. Im Jah­re 1854 gelang­te das Grund­stück Brü­der­stra­ße 13 in den Besitz von Adolph Webel und Frau Agnes The­re­se Webel geb. Geiß­ler (Ein­gang Schwar­ze Gas­se 4).

Bei Richard Jechts “Topo­gra­phie der Stadt Gör­litz” ist auf Sei­te 384 nach­fol­gen­des ver­merkt: “Brü­der­stra­ße 13 (Über­bau­ung der Schwar­ze Gas­se). Die Brau­hö­fe Brü­der­stra­ße 13 (Hyph. Nr. 13) und Brü­der­gas­se 12 (Hyph. Nr. 10) haben seit 1770 einen gemein­sa­men Über­bau über dem Schwar­zen Gäss­chen; damit kam man über­ein, als der Advo­kat und Käm­me­rer und Hei­de­ver­wal­ter Georg Geiß­ler Nr.13 bau­te, dass ihm die obe­ren zwei Fens­ter, dem Besit­zer der Nr. 12, dem Schöp­pen Georg Loch­mann, aber die unte­ren zwei Fens­ter ein­ge­räumt wur­den. Den Dach­bo­den soll­te jeder zur Hälf­te haben. So ist der Besitz­stand noch heu­te (1934).

Der Görlitzer Tuchfabrikant Carl Samuel Geißler

Die Besit­zer las­sen sich bis 1427 nach­wei­sen, u.a. 1755 wohn­te als Mie­ter in die­sem Haus der Buch­dru­cker Sig­mund Ehren­fried Rich­ter (Anm. Carl Samu­el Geiß­ler hei­ra­te­te eine Ama­lie The­re­se Rich­ter (1798 — 1876), und sein Bru­der Ernst Fried­rich hei­ra­te­te auch eine Emi­lie Rich­ter (1812 – 1901), ob die Ehe aus die­ser Fami­lie stammt, konn­te ich noch nicht ermitteln.

Wei­ter schreibt Richard Jecht: 1854 – 1908 war es im Besitz von Adolph Webel und Frau Agnes The­re­sa Webel, geb. Geiß­ler. Ab 1908 ist Besit­zer der Kauf­mann Lou­is Karger.”

Adolph Webel

Die Fami­lie Adolph Webel rich­te­te in die­sem Grund­stück ein Tex­til­ge­schäft ein. Vor­ste­hen­de Annon­ce aus dem Neu­en Gör­lit­zer Anzei­ger (NGA Nr. 294 Sei­te 2092 vom 15.12.1878) zeigt das Ange­bot in die­sem Geschäft. Jetzt befin­det sich in die­sem Laden die “Schle­si­sche Schatztruhe”.

Nachbemerkung:

Aus der Ehe von Adolph Webel mit Agnes The­re­se Geiß­ler gin­gen drei Söh­ne her­vor. Einer der bekann­tes­ten war Stadt­rat Felix Webel (1848 — 1918). Felix Webel begrün­de­te sein Tex­til­ge­schäft auf dem Post­platz 14/15 (Webel­haus und Bras­se­rie). In zwei­ter Ehe war Felix Webel mit Hele­ne Reh­feld, ver­wit­we­te Rös­ler (1852 – 1943), vermählt.

Felix Webel und seine 2. Ehefrau Helene Rehfeld

Carl Samu­el Geiß­ler war der Groß­va­ter von Hele­ne. Deren Eltern waren Emma The­re­se Reh­feld, gebo­re­ne Geiß­ler (1822 –1896) und der Fabrik­be­sit­zer Karl Reh­feld (1814 – 1889).
Nach­druck
Text und Bil­der mit freund­li­cher Geneh­mi­gung des Stadt­BILD-Ver­la­ges Gör­litz und Herrn Wolf­gang Stiller.

Wie ein hydraulischer Widder den Schlossteich am Tauchritzer Wasserschloss bewässert

 

Die Monats­zeit­schrift Stadt­BILD hat in ihrer Aus­ga­be Nr.  35/36 vom Dezem­ber 2005 einen Auf­satz von Herrn Wolf­gang Stil­ler über die Instal­la­ti­on eines hydrau­li­schen Wid­ders zur Bewäs­se­rung des Schloss­tei­ches am Tauch­rit­zer Was­ser­schloss ver­öf­fent­licht:Tauchritzer WasserschlossDas Tauch­rit­zer Schloss ist in sei­ner heu­ti­gen Form vor etwa 300 Jah­ren errich­tet wor­den. Sei­ne Ursprün­ge gehen bis in das Jahr1306 zurück, wo es erst­ma­lig urkund­lich erwähnt wurde.

Die Grün­dung des Her­ren­hau­ses erfolg­te auf Eichen­pfäh­len, die dem Bau die not­wen­di­ge Stand­si­cher­heit geben. Damit die Eichen­pfäh­le nicht ver­rot­ten, müs­sen die­se stän­dig im Was­ser ste­hen. Aus die­sem Grund befin­det sich um das Schloss ein Was­ser­gra­ben, der sichert, dass das Grund­was­ser immer eine gewis­se Höhe erreicht und damit die Eichen­pfäh­le immer im Was­ser stehen.

Der Schloss­teich wur­de stän­dig durch den Mühl­gra­ben gespeist. Durch den Weg­fall der Vor­flut durch den Tage­bau­be­trieb wur­de der Mühl­gra­ben durch geho­be­nes Gru­ben­was­ser gespeist. Mit Still­le­gung des Tage­baus gab es die­se Mög­lich­keit nicht mehr. Die­sem geschütz­ten Bau­werk droh­te nun tat­säch­lich der Verfall.

Elek­tri­sche Pum­pen, die Tag und Nacht für den erfor­der­li­chen Was­ser­aus­gleich zu sor­gen hät­ten, wären schon wegen der enor­men Ener­gie­kos­ten zu unwirt­schaft­lich und durch nie­man­den zu bezah­len. Es muss­te also nach einer Lösung gesucht wer­den, eine Was­ser­he­be­an­la­ge zu instal­lie­ren, die jahr­zehn­te­lang ohne Ener­gie­kos­ten betrie­ben wer­den kann. So wur­de im Jah­re 2003 der hydrau­li­sche Wid­der installiert.

Der hydrau­li­sche Wid­der arbei­tet ohne Fremd­ener­gie nur mit der Kraft des flie­ßen­den Was­sers, wel­ches ihm aus der Pli­eß­nitz zuge­führt wird. Die Anla­ge hebt stünd­lich etwa 18 m³ Was­ser in 13 Meter Höhe. Der Aus­lauf des geho­be­nen Was­sers erfolgt in den Mühl­gra­ben, und somit wird ein kon­stan­ter Was­ser­spie­gel im Schloss­teich gesichert.

Das Prin­zip des hydrau­li­schen Wid­ders ist von dem Fran­zo­sen Mont­gol­fier, der auch den ers­ten Fes­sel­bal­lon bau­te, im Jah­re 1796 ent­deckt wor­den. Die Anla­ge in Tauch­ritz ist die größ­te Anla­ge, die je gebaut wurde.

Sind Sie neu­gie­rig gewor­den? Dann besu­chen Sie doch ein­mal das Was­ser­schloss in Tauch­ritz! Erläu­te­run­gen zum Wid­der kön­nen Sie an der Schau­ta­fel nach­le­sen oder ein Ori­gi­nal in der Aus­stel­lung 250 Jah­re Tage­bau Berz­dorf – Berz­dor­fer See des Ver­eins Ober­lau­sit­zer Berg­leu­te in dem ehe­ma­li­gen Bahn­hof Hagen­wer­der besich­ti­gen.
Autor:
Ver­ein Ober­lau­sit­zer Berg­leu­te e. V. | Wolf­gang Stil­ler, Gör­litz
Nach­druck
Text und Bil­der mit freund­li­cher Geneh­mi­gung des Stadt­BILD-Ver­la­ges Gör­litz und Herrn Wolf­gang Stil­ler, Görlitz

220. Geburtstag Samuel Timotheus Thorer

Die Monats­zeit­schrift Stadt­BILD hat in ihrer Aus­ga­be Nr.  142 vom April 2015 zum 220. Geburts­tag des Gör­lit­zer Arz­tes und Autors Samu­el Timo­theus Thorer einen Auf­satz von Herrn Wolf­gang Stil­ler veröffentlicht:

220. Geburtstag Samuel Timotheus Thorer

Samu­el Fürch­te­gott Timo­theus Thorer, prak­ti­scher Arzt, Ope­ra­teur, Geburts­hel­fer, Homöo­path und Sekre­tär, spä­ter Mit­ar­bei­ter der Ober­lau­sit­zi­schen Gesell­schaft der Wis­sen­schaf­ten, wur­de am 25.4.1795 in Gör­litz als Sohn des Kürsch­ner­meis­ters Karl Hein­rich Thorer (24.8.1758 Gör­litz — 25.4.1833 Gör­litz) und des­sen Gat­tin Eleo­no­re Sophie geb. Schüß­ler geboren.

220. Geburtstag Samuel Timotheus Thorer

Er besuch­te das Gym­na­si­um in Gör­litz und nahm 1815 in Leip­zig das Medi­zin­stu­di­um auf. Sei­ne wich­tigs­ten Leh­rer waren Plat­ner, Hein­roth und Wendt. Er besuch­te Vor­le­sun­gen in Phi­lo­so­phie, Ana­to­mie, Botanik,Zoologie und Mine­ra­lo­gie, hat­te Vor­le­sun­gen in Che­mie und Phy­sik, Pharmakologie,Therapie, Chir­ur­gie und Gebur­ten­hil­fe besucht. Bei Hein­roth besuch­te er Vor­trä­ge über phy­si­ka­li­sche Krankheiten.

Ende 1817 ging er nach Ber­lin und absol­vier­te sein wei­te­res Stu­di­um bei so berühm­ten Medi­zi­nern wie Hufe­land, Horn und Sie­bold. In Ber­lin leg­te er das medi­zi­nisch-chir­ur­gi­sche Examen ab und wur­de am 18.9.1818 Dok­tor mit der Dis­ser­ta­ti­on “de abortu”.

Im Som­mer 1819 nach Able­gen des Staats­examens kam er erneut nach Gör­litz und ließ sich  als prak­ti­scher Arzt, Ope­ra­teur und Geburts­hel­fer nie­der. Sei­ne beson­de­re Nei­gung hat­te die Homöo­pa­thie, mit der er sich ernst­haft und tief­grün­dig gemein­sam mit dem Wund­arzt Schul­ze zu Gru­na beschäf­tig­te. Gemein­sam mit wei­te­ren Ärz­ten grün­de­te er 1832 den Ver­ein der Homöo­pa­thie der Ober­lau­sitz und Nie­der­schle­si­ens, des­sen Ver­eins­vor­sit­zen­der Thorer war. Die­sem gehör­ten unter ande­ren an: Dr. Mül­ler, Lie­gnitz; Dr. Schind­ler, Grei­fen­berg; Engel­hard aus Löbau, Fieiik in Lau­ban, Neu­mann aus Glo­gau, Schu­bert aus Hirsch­berg, Weigel aus Schmie­de­berg, Rück­ert aus Herrn­hut, Tiet­ze und Ger­na aus Ebers­bach bei Löbau und Schul­ze zu Gruna.

220. Geburtstag Samuel Timotheus Thorer

Zweck des Ver­eins war es, Erfah­run­gen der Homöo­pa­thie zu sam­meln und zu ver­all­ge­mei­nern. Der Ver­ein gab dazu meh­re­re Schrif­ten und Bücher her­aus, deren Inhalt vor­wie­gend von Thorer geprägt war. So unter ande­rem erschien der ers­te Band 1834. Wei­te­re Bän­de folg­ten 1835, 1836, 1839 und 1899. Sei­ne unzäh­li­gen Schrif­ten kennt jeder Stu­dent, der Homöo­pa­thie stu­diert. Sein prak­ti­scher Bei­trag posi­tio­nier­te ihn unter die eif­rigs­ten Nach­fol­ger von Hahnemann.

Sein umfang­rei­ches Inter­es­se für die Natur­wis­sen­schaf­ten ließ ihn am 20.9.1820 Mit­glied der Ober­lau­sit­zi­schen Gesell­schaft der Wis­sen­schaf­ten wer­den. Hier berei­cher­te er des­sen Archiv und die Samm­lun­gen mit meh­re­ren anti­qua­ri­schen Bei­trä­gen. Er wur­de als­bald Mit­glied von deren Verwaltung.

220. Geburtstag Samuel Timotheus Thorer

In der Gesell­schaft hat­te er den Vor­sitz in zahl­rei­chen Aus­schüs­sen inne und ver­fass­te zahl­rei­che Bei­trä­ge im Neu­en Lau­sit­zi­schen Maga­zin (NLM). Er war auch der Her­aus­ge­ber einer neu­en Fol­ge der “Scrip­to­res rer­um Lusa­ti­carum” und der Wie­der­auf­nah­me der topo­gra­phi­schen Arbei­ten und Ver­ar­bei­tung der Geschich­te und Lan­des­kun­de unse­rer Provinz.

Am 25. Juni 1846 ver­starb Thorer nach lan­ger Krank­heit, und er wur­de am 28.6.1846 mit gro­ßer Anteil­nah­me der Bevöl­ke­rung auf dem Nico­lai­fried­hof bei­gesetzt. Aus Anlass sei­nes Todes ver­öf­fent­li­che die Ober­lau­sit­zi­sche Gesell­schaft der Wis­sen­schaf­ten eine Denk­schrift, und ein Freund wid­me­te ihm ein schö­nes Gedicht.
Nach­druck
Text und Bil­der mit freund­li­cher Geneh­mi­gung des Stadt­BILD-Ver­la­ges Gör­litz
und Herrn Wolf­gang Stiller.

Friedrich Wilhelm Graf von Reden (1752 — 1815) Berghauptmann und Bergwerksminister

Die Monats­zeit­schrift Stadt­BILD hat in ihrer Aus­ga­be Nr.  144 vom Juni 2015 einen Auf­satz von Herrn Wolf­gang Stil­ler über den Berg­haupt­mann und Berg­werks­mi­nis­ter Fried­rich Wil­helm Graf von Reden (1752 – 1815) veröffentlicht. 

Friedrich Wilhelm Graf von Reden

Fried­rich Wil­helm von Reden wur­de am 23. März 1752 in Hameln gebo­ren. Unter dem Einfluss sei­nes Onkels Claus von Reden, Berg­haupt­mann im Kur­fürs­ten­tum Han­no­ver, wur­de sehr früh sein Inter­es­se für den Berg­bau geweckt. Im 16. Lebens­jah­re begann er sei­ne Aus­bil­dung im Berg­bau unter ande­rem an den Uni­ver­si­tä­ten Göt­tin­gen und Hal­le. Die­se Aus­bil­dung schloss Reden mit dem Staats­examen für höhe­re Ver­wal­tungs­be­am­te ab. Auf sei­nen anschlie­ßend durch­ge­führ­ten Rei­sen nach Hol­land, Bel­gi­en, Frank­reich und Eng­land lern­te er die Nut­zung von Stein­koh­le anstel­le von Holz als Heiz­ma­te­ri­al für die Roh- und Schmie­de­ei­sen­er­zeug­nis­se ken­nen, und er mach­te sich mit der Wir­kung der neu­en Dampf­ma­schi­nen vertraut.

1776 wur­de in Preu­ßen Fried­rich Anton von Hei­nitz (1725 — 1802) als Berg­werks­mi­nis­ter beru­fen. Bereits im Jah­re 1777 hol­te Hei­nitz den erst 25 jäh­ri­gen Reden nach Ber­lin und schick­te ihn zunächst an die Berg­aka­de­mie nach Frei­berg. 1778 wur­de Reden zum Ober­ber­grat ernannt. Auf sei­nen Dienst­rei­sen 1779 mit Minis­ter Hei­nitz nach Schle­si­en soll­ten dem König Fried­rich II. Vor­schlä­ge zur bes­se­ren Orga­ni­sa­ti­on der schle­si­schen Berg­be­hör­den und zu einer Neu­auf­nah­me des dor­ti­gen Berg­baus unter­brei­tet wer­den, denn eine sol­che Ent­schei­dung konn­te nur der König tref­fen, da Berg­wer­ke und Hüt­ten der Kro­ne gehör­ten. Reden wur­de dar­auf­hin als kom­mis­sa­ri­scher Direk­tor des schle­si­schen Ober­berg­am­tes in Bres­lau ein­ge­setzt. Auf sei­ne For­de­rung hin wur­de sogar das staat­li­che Hüt­ten­we­sen dem Ober­berg­amt unter­stellt. Damit über­nahm Reden die Auf­sicht über alle Berg­wer­ke und Hüt­ten Schle­si­ens. Er behielt die­ses Amt 23 Jah­re bis zu sei­ner Beru­fung nach Ber­lin. Trotz erheb­li­cher Schwie­rig­kei­ten, ent­spre­chen­de Fach­kräf­te, ins­be­son­de­re Berg­leu­te, aus dem Mans­fel­der Revier zu gewin­nen, gelang es ihm 1774, in Tar­no­witz (Tar­now­skie Gory) den alten Blei­erz­berg­bau wie­der auf­zu­neh­men. Als 1786 auch eine neue Blei­hüt­te in Betrieb genom­men wur­de, war Preu­ßen frei von Impor­ten die­ses Metalls. Neben dem Eız­berg­bau för­der­te Reden ins­be- son­de­re den Stein­koh­len­berg­bau. Sei­ne dabei in Eng­land erwor­be­nen Kennt­nis­se nutz­te er konsequent.

Um die­se neue Ener­gie­quel­le nicht nur in den Hüt­ten zur Anwen­dung zu brin­gen, son­dern auch in der pri­va­ten Indus­trie anzu­wen­den, gewähr­te Reden für den Umbau von Feu­er­stät­ten auf Stein­koh­le staat­li­che För­der­mit­tel. Eben­falls stell­te er ent­spre­chen­de Kon­struk­ti­ons­zeich­nun­gen zur Ver­fü­gung. Reden ließ die Trans­port­we­ge für die Anfahrt der Koh­le erheb­lich ver­bes­sern. Die Ver­sor­gung von Ber­lin und Bres­lau mit schle­si­scher Stein­koh­le regel­te er auch. Er ver­bes­ser­te die Schiff­fahrt auf der Oder und rich­te­te Zwi­schen­la­ger ein. Auf sei­ne Anre­gung wur­den Kanä­le zum Trans­port von Koh­le und ande­ren Berg­bau­pro­duk­ten errich­tet, unter ande­rem der 1804 errich­te­te Klod­nitz­ka­nal, der Hin­den­burg (Zabrze) und Glei­witz (Gli­wice) mit der Oder ver­band, und 100 Jah­re spä­ter wur­de mit dem Oder-Havel-Kanal eine Ver­bin­dung nach Ber­lin her­ge­stellt. Die­se Erfol­ge wirk­ten sich auch erheb­lich posi­tiv auf die preu­ßi­schen Staats­finan­zen aus.

Hochofenanlage

Aus Anlass der Krö­nungs­fei­er­lich­keí­ten für König Fried­rich Wil­helm II. (1744 — 1797 — König ab 1786) wur­de Reden im Okto­ber 1786 in den Gra­fen­stand erho­ben und zum Gehei­men Ober­fi­nanz­rat ernannt. Im Jah­re 1786 setz­te Reden die Bestel­lung einer Dampf­ma­schi­ne in Eng­land durch. 1787 kam die­se in Schle­si­en für die Was­ser­hal­tung unter Tage in Tar­no­witz (Tar­now­skie Gow) zum Ein­satz. 1789 weil­te er erneut fast ein Jahr in Eng­land und mach­te sich dort mit den Fort­schrit­ten im Hüt­ten­we­sen und Maschi­nen­bau ver­traut. Nach erfolg­rei­chen Ver­su­chen mit der Ver­ko­kung von Stein­koh­le grün­de­te er die Glei­wit­zer (Gli­wice) Hüt­te mit Koks­hoch­ofen­be­trieb, deren Bau er per­sön­lich leitete.Im Jah­re 1776 wur­de dort der ers­te Koks­hoch­ofen auf dem euro­päi­schen Kon­ti­nent angeblasen.

Reden-Kanal

Wei­ter­hin ent­stan­den eine Gie­ße­rei, ein Draht- und Walz­werk und ein Blech­ham­mer sowie eine mus­ter­gül­ti­ge Maschi­nen­fa­brik. Damit konn­te zunächst in Tar­no­witz und seit 1794 auch in Glei­witz begon­nen wer­den, Dampf­ma­schi­nen zu pro­du­zie­ren. Die­se wur­den für die Was­ser­hal­tung, För­de­rung der Erze und des Abraums im Berg­bau sowie auch zum Antrieb der Hoch­ofen­ge­blä­se und ver­ein­zelt auch in der Ber­li­ner Eisen­in­dus­trie eingesetzt.

Reden sorg­te auch für die erfor­der­li­che Infra­struk­tur beim Rüders­dor­fer Kalk­ab­bau, indem er einen Stich­ka­nal vom Kalk­see zu den Rüders­dor­fer Kalk­brü­chen bau­en ließ, der 1806 eröff­net wur­de und jetzt unter Denk­mal­schutz steht. Ab dem Jah­re 1790 muss­te Reden zusätz­li­che Auf­ga­ben über­neh­men, die außer­halb von Schle­si­en lagen. 1795 erfolg­te die Ernen­nung zum Berg­haupt­mann. Im Jah­re 1802 nahm er nach dem Tod von Hei­nitz als Ober­berg­haupt­mann und Lei­ter des Berg­werks- und Hüt­ten Depar­te­ments in Ber­lin sei­ne Tätig­keit auf, dem folg­te 1796 sei­ne Ernen­nung zum Berg­werks­mi­nis­ter und ab 1804 als “Wirk­li­cher Gehei­mer Staats­mi­nis­ter.” Mit die­sem Amt muss­te er nun sei­ne Auf­merk­sam­keit allen preu­ßi­schen Pro­vin­zen wid­men. Sei­nem Wir­ken ist zu dan­ken, dass im Jah­re 1805 in Ber­lin die könig­li­che Eisen­gie­ße­rei als Able­ger der könig­li­chen Eisen­hüt­ten­wer­ke Schle­si­ens ihre Pro­duk­ti­on auf­nahm. Die­ses Werk bil­de­te die Keim­zel­le des Maschi­nen­baus in Berlin.

Im Jah­re 1806 erfolg­te in sei­nem Leben eine ers­te Zäsur:

Nach der Nie­der­la­ge Preu­ßens im napo­leo­ni­schen Krie­ge glaub­te Reden dem Staat am bes­ten damit zu die­nen, wenn er im Amt ver­bleibt, um so eine Des­or­ga­ni­sa­ti­on und Aus­plün­de­rung der Berg­wer­ke und Hüt­ten zu ver­hin­dern. (Preu­ßen war von Okt. 1806 — Dez. 1808 von Frank­reich besetzt) Es wur­de jedoch ver­langt, dass Reden eine eid­li­che Ver­pflich­tung für die inzwi­schen ein­ge­rich­te­te fran­zö­si­sche Ver­wal­tung abge­ben muss­te. Die­sen Eid ver­wei­ger­te er zunächst, muss­te aber ein­se­hen, dass sei­ne Ver­wei­ge­rung dem König und dem Staat erheb­li­chen Scha­den brin­gen könn­te. So gab Reden am 9.11.1806 die Ver­pflich­tung ab.

Friederike von Reden

Fried­rich Wil­helm III. fand die geleis­te­te Eidespflicht dem Fein­de gegen­über mit der Dienst- und Unter­ta­nen­pflicht unver­ein­bar. Dies hat­te zur Fol­ge, dass kurz nach dem Abschluss des Til­si­ter Frie­dens­ver­tra­ges vom 9.7.1807 der König fast alle Minis­ter, so auch Reden, ohne Pen­si­on ent­ließ. Die Mit­ar­bei­ter des Ber­li­ner Berg­werks- und Hüt­ten-Depar­te­ments und vor allem Kol­le­gen aus Schle­si­en setz­ten sich in einem 12 Sei­ten umfas­sen­dem Schrei­ben für ihren Minis­ter Reden ein. Sie schil­der­ten sein Ver­dienst für den schle­si­schen Berg­bau und gin­gen aber auch auf die fran­zö­si­sche Besat­zung ein, indem Reden den Ver­fall des Berg­baus- und Hüt­ten­be­trie­bes abwen­den konn­te. Damit hat das Berg- und Hüt­ten-Wesen zwar gelit­ten, ist aber nicht zu Grun­de gerich­tet wor­den. Dies hat der Staat aus­drück­lich zu danken.

Die Ent­las­sung wur­de jedoch nicht rück­gän­gig gemacht. Graf Reden zog sich auf Schloss Buch­wald (Buko­wiec) im Hirsch­ber­ger Tal zurück, wel­ches er 1785 erwor­ben hat­te. Der Land­schafts­park war öffent­lich zugäng­lich. Nach Kennt­nis die­ses Schrei­bens wur­de Graf Reden inso­fern reha­bi­li­tiert, indem ihn der König für sei­ne her­vor­ra­gen­den Ver­diens­te um das preu­ßi­sche Berg- und Hüt­ten­we­sen am 8.11.1810 mit dem Roten-Adler-Orden aus­zeich­ne­te. Eine Ver­wen­dung im Staats­dienst fand jedoch nicht mehr statt. Am 3. Juli 1815 ver­starb Graf Reden, und er wur­de unter gro­ßem berg­män­ni­schem Prunk im Park sei­nes Gutes beigesetzt.

1852 wur­de ihm zu Ehren und im Bei­sein Fried­rich Wil­helms IV. in Königs­hüt­te (Chor­zow) ein Denk­mal errich­tet Der Sockel trug die Inschrift: “Dem Begrün­der des schle­si­schen Berg­baus. Die dank­ba­ren Gru­ben- und Hüt­ten-Gewer­ke und die Knapp­schaf­ten Schle­si­ens 1852”.

Die­ses Denk­mal wur­de nach 1922 und 1945 in Fra­ge gestellt. Im Jah­re 2002 erfolg­te in Chor­zow (Königs­hüt­te) eine Neu­ein­wei­hung, aller­dings nun mit pol­ni­scher Beschrif­tung. Auf sei­ner und sei­ner Gat­tin letz­ter Wir­kungs­stät­te Schloss Buch­wald (Buko­wiec) wer­den aus Anlass sei­nes 200. Todes­ta­ges Gedenk­ver­an­stal­tun­gen stat­tfin­den und der wie­der auf­ge­fun­de­ne Grab­stein Redens neu auf­ge­stellt Er wird heu­te noch lie­be­voll als der Vater der Ober­schle­si­schen Indus­trie verehrt.

Der preu­ßi­sche Ober­berg­haupt­mann Fried­rich Wil­helm Graf von Reden ver­mähl­te sich am 9. August 1802 mit der um 22 Jah­re jün­ge­ren Frie­de­ri­ke, gebo­re­nen Frei­in Rie­de­sel zu Eisen­ach, genannt auch Frit­ze. (*12.5.1774 Wol­fen­büt­tel, + 14.5.1854 in Buchwald/Rgb). Die­se Ehe blieb aber kin­der­los. Wegen ihres sozia­len Enga­ge­ments wur­de sie auch die Mut­ter des Hirsch­ber­ger Tals genannt und von der Bevöl­ke­rung bis heu­te hoch ver­ehrt. Nach dem Tode ihres Man­nes fand sie im pie­tis­ti­schen Glau­ben ihren neu­en Lebens­in­halt. Sie rich­te­te Sup­pen­kü­chen ein und sorg­te sich um das Wohl der Armen.

Tiroler Haus

Schloss Buch­wald wur­de zum geis­ti­gen Zen­trum des schle­si­schen Adels (hier tra­fen sich unter ande­ren Gene­ral­feld­mar­schall von Gnei­se­nau, Eli­sa Rad­zi­will (ers­te gro­ße Lie­be von Kai­ser Wil­helm I.), Mari­an­ne von Ora­ni­en-Nas­sau (Prin- zes­sin der Nie­der­lan­de und Preu­ßen), sowie die Ange­hö­ri­gen der Fürs­ten­häu- ser Reuß und Schaff­gotsch). Mit dem König Fried­rich Wil­helm IV. ver­band sie eine enge Freund­schaft. Kurz vor dem Tod von Graf Reden wur­de die Buch­wal­der Bibel­ge­sell­schaft begrün­det, und Frie­de­ri­ke wur­de auf Lebens­zeit zu deren Prä­si­den­tin eingesetzt.

Die­se Gesell­schaft ent­wi­ckel­te sich zu einem sozia­len Hilfs­werk in Schle­si­en, das vor allem die Not der schle­si­schen Weber lin­dern half. Frie­de­ri­ke von Reden ist es auch zu dan­ken, das Exu­lan­ten­dorf Zil­ler­thal-Erd­manns­dorf (Mys­la­ko­wie­ce) im Rie­sen­ge­bir­ge gegrün­det zu haben. Sie grün­de­te 1837 das “Comi­tee für Zil­ler­tha­ler” dem sie selbst vor­stand. Fried­rich Wil­helm III. gestat­te­te ihr auf Bit­ten 422 Zil­ler­tha­ler Inkli­nan­ten, die wegen ihres pro­tes­tan­ti­schen Glau­bens aus dem Tiro­ler Zil­ler­tal ver­trie­ben wur­den, eine neue Ansied­lung in Schle­si­en zu grün­den. Nach Geneh­mi­gung durch den König wur­de den Inkli­nan­ten Acker­land zur Ver­fü­gung gestellt. Der König ließ die Zil­ler­tha­ler Höfe nach einem vor­ab erstell­ten Mus­ter­haus erbau­en. So ent­stan­den Nieder‑, Mit­tel- und Hoch­zil­ler­thal. Die Zil­ler­tha­ler Pro­tes­tan­ten wur­den am 12. Novem­ber 1837 in Schmie­de­berg (Kowa­ry) in die evan­ge­li­sche Lan­des­kir­che aufgenommen.

Kirche Wang um 1900

Die Umset­zung der nor­we­gi­schen Stabs­kir­che Wang aus dem 12./13. Jahr­hun­dert ist eine der größ­ten Leis­tun­gen der Gräfin von Reden. 1840 erwarb der Dresd­ner Kunst­pro­fes­sor Chris­ti­an Clau­sen die zum Abriss vor­ge­se­he­ne Kir­che. Er selbst konn­te aber die Kos­ten einer Über­füh­rung nicht tra­gen und bot die­se dem preu­ßi­schem König Fried­rich Wil­helm IV. an. Die­ser war bereit, die Kos­ten zu über­neh­men, und hat­te die Absicht, die Kir­che auf der Pfau­en­in­sel am Ber­li­ner Wann­see auf­zu­stel­len. Die­sen Stand­ort fand die Gräfin von Reden höchst unpas­send. Sie über­zeug­te den König von der Not­wen­dig­keit, ein Got­tes­haus für die Rie­sen­ge­birgs­dör­fer Krumm­hü­bel (Kar­pacz) und Brü­cken­berg (Kar­pacz Gór­ny) zu errich­ten. 1743 war bereits vor­ge­se­hen, dort eine Kir­che zu errich­ten, was aber wegen Geld­man­gel schei­ter­te. Die Gräfin konn­te den König über­zeu­gen. Leo­pold Graf von Schaff­gotsch stell­te das Grund­stück zur Ver­fü­gung. Die Kos­ten für den Kauf und die Umset­zung belie­fen sich auf 23.000,- Taler. Fried­rich Wil­helm bewil­lig­te der Gräfin 40.000,- Taler, wovon sie den Über­schuss für sozia­le Zwe­cke verwendete.

Am 28. Juli 1844 erfolg­te in Anwe­sen­heit des Königs die Wei­he der Kir­che. Spä­ter wur­den noch durch August Stü­ler der Kirch­turm und ein Pfarr- und Schul­haus errich­tet. Nach dem Tod der Gräfin Reden ließ Fried­rich Wil­helm IV. ihr zu Ehren an der Kir­che Wang ein Denk­mal errich­ten. Im Mai 2014 war ihr 240. Geburts­tag und 160. Todes­tag.
Autor:
Ver­ein Ober­lau­sit­zer Berg­leu­te e. V. | Wolf­gang Stil­ler, Görlitz 

Quel­len:
Fest­schrift zum XII. All­ge­mei­nen Deut­schen Berg­manns­ta­ge, Bres­lau 1913 Bd. 5 Eleo­no­re Fürs­tin Reuss: Gräfin Frie­de­ri­ke Reden. Ein Lebens­bild. Ber­lin 1888 Archi­ve Autor und Verein 

Nach­druck von Text und Bil­dern im Deich­SPIE­GEL
mit freund­li­cher Geneh­mi­gung des Stadt­BILD-Ver­la­ges Gör­litz und Herrn Wolf­gang Stiller.