Kategorie: Görlitz
Mehr als 210 Jahre Görlitzer Zeitungswesen
Die Geschichte der Zeitungen beginnt nach der Erfindung des Buchdrucks durch Johannes Gutenberg (1445) am Beginn des 17. Jahrhunderts. Um 1615 entstand in Deutschland die “Frankfurter Postzeitung” — wohl eine der ersten Zeitungen überhaupt. Das Blatt, das in ganz Europa abonniert wurde, erschien bis 1866.
Die erste Tageszeitung der Welt erschien allerdings ab 1. Juli 1650 in Leipzig. Hier veröffentlichte der Drucker Timotheus Ritzsch sechsmal die Woche die “Einkommenden Zeitungen” mit einer Auflage von etwa 200 Exemplaren. Ursprünglich benutzte man das Wort “Zeitung” für eine beliebige Nachricht. So ist wohl auch “Einkommende Zeitungen” als eingehende Nachrichten zu verstehen.
Doch blieben bis zum Ende des 18. Jahrhunderts Tageszeitungen eine Ausnahme.
Über das Görlitzer Zeitungswesen hat die Zeitschrift Stadtbild in ihrer Ausgabe Nr. 79 im Januar 2010 einen Aufsatz von Herrn Claus Bernhard veröffentlicht. Herr Bernhard ist Mitglied im Zirkel Görlitzer Heimatforscher.
Von den im 18. Jahrhundert in Görlitz erschienenen Zeitschriften wies das Lausitzische Magazin in seinem Wesen schon Züge einer Zeitung auf. Trotz aller Versuche, die gelehrten Schriften zu verallgemeinern, blieben sie ausschließlich in den Händen der Gebildeten. Eine große Kluft trennte diese Kreise von der sonstigen Bevölkerung, obwohl das Bedürfnis nach besserer Bildung bestand. Weltpolitische Ereignisse wurden kaum wahrgenommen. Dazu bedurfte es auswärtiger politischer Blätter. Die Interessen des einfachen Bürgers und Landmannes in ausreichender Weise zu vertreten und ihnen gleichzeitig Aufklärung und Belehrung in einfacher Form zukommen zu lassen, war der Beweggrund, für einen begrenzten Bezirk, in diesem Fall die Stadt Görlitz, eine eigene Zeitung herauszugeben. Dr. Immanuel Vertraugott Rothe entschloss sich 1799 zu diesem Experiment und schrieb damit Görlitzer Geschichte. Er wurde am 24. August 1768 in Sohra geboren, studierte nach der Absolvierung des Görlitzer Gymnasiums in Leipzig und Wittenberg und promovierte 1792 zum Dr. med.. Noch im gleichen Jahr ließ er sich in Görlitz nieder. Seine Vorliebe zur Schriftstellerei hatte ihn auf den Gedanken gebracht, eine Wochenschrift herauszugeben, in der er sein reiches Wissen seinen Mitbürgern übermitteln konnte. Rothe nannte seine Wochenschrift “Der Anzeiger” mit dem Zusatz “Chronik Lausitz‘scher Angelegenheiten im Jahre 1799, nebst Aufsätze zur Belehrung und Unterhaltung der Leser über gemeinnützige Gegenstände aller Art”. In Nummer 1 waren folgende Rubriken enthalten: Geburten, Hochzeiten, Beförderungen, Kauf- und Handelssachen und unter “Allerhand” die erste Heiratsanzeige. Als Arzt trat Rothe für die Hebung der Volksgesundheit durch eine vernünftige Gesundheitspflege ein, für Verbesserungen im Hebammenwesen, propagierte die Kuhpockenimpfung und verlangte vorbeugende Maßnahmen zur Unfallverhütung. “Der Anzeiger” brachte Rothe nicht den Erfolg, den er sich wünschte.
1803 übertrug er die Leitung an den Görlitzer Buchhändler Traugott Ferdinand Schirach, der das Überleben des Anzeigers sicherte. Dr. Immauel Vertraugott Rothe hielt sich noch einige Zeit in Görlitz auf, verzog dann nach Prachwitz in Schlesien. Seine letzten Lebensjahre verbrachte Rothe in Herrnstadt, wo er am 6. April 1813 starb. Die Görlitzer Zeitungslandschaft wurde im 19. Jahrhundert durch die vielfältigsten Titel immer bunter. Neben ”Eintagsfliegen” bestimmten große Blätter über Jahrzehnte das Görlitzer Zeitungswesen.
Der Anzeiger 1799 bis 1943
Herausgeber: Dr. Immanuel Vertraugott Rothe
Druckerei: Burghart
”Chronik Lausitz‘scher Angelegenheiten, nebst Aufsätzen zur Belehrung und Unterhaltung der Leser über gemeinnützige Gegenstände aller Art“.
Ziel war es, das Blatt “zum allgemeinen Sprachwerkzeug für jeden und zu einem Lausitzer Nationalblatt zu machen, durch Beiträge Aufklärung zu verbreiten, Missbräuche abzustellen, die Einführung nützlicher Einrichtungen vorzubereiten“. Von diesem Vorhaben wurde immer weiter abgerückt, politische Nachrichten wurden so gut wie nicht veröffentlicht. ”Der Anzeiger“ wurde zum reinen Intelligenzblatt. Als einziges Lokalblatt erschienen hier die Verordnungen und Bekanntmachungen. Der häufige Wechsel der Verleger änderte auch den Charakter des Blattes. Um 1840 lag das Hauptaugenmerk auf dem Gebiet der Unterhaltung, historische und lokalgeschichtliche Abhandlungen herrschten vor. Ab 1848 erfolgten für das gesamte deutsche Zeitungswesen umwälzende Veränderungen hin zur politischen Meinungspresse. 1875 erfolgte die Vereinigung mit den “Görlitzer Nachrichten“, 1929 die Vereinigung mit der “Niederschlesischen Zeitung“.
Görlitzer Wegweiser 1832 bis 1842
Herausgeber: Gotthold Heinze & Co
Das Blatt galt als Wochenschrift für die Oberlausitz zur zweckmäßigen Belehrung und Unterhaltung, ab 1834 Volksblatt für die Ober- und Niederlausitz. Es erschienen Nachrichten aus allen Gegenden der Ober- und Niederlausitz, über Stadt- und Dorf-Gemeindesachen, Kirchen und Schulangelegenheiten so- wie das Merkwürdigste, Nützlichste und Neueste aus der Volks- und Naturgeschichte, der Landwirtschaft und der Gewerbekunde, die neuesten Erfindungen und Entdeckungen, Berichte der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften, der Naturforschenden Gesellschaft und der Gewerbevereine, Unterhaltungslektüre durch Aufsätze, Anekdoten, Kuriositäten und historische Erinnerungen, zweckmäßige Beilagen von Steindrucken und Bücheranzeigen. Wegen seiner geschickt gewählten Geschichten aus dem alten und geichzeitigen Görlitz gilt das Blatt auch heute noch als Fundgrube für den Historiker.
Görlitzer Fama 1840 bis 1853
Herausgeber: Buchdruckereibesitzer J.G. Dreßler
Es erschienen Lokalnachrichten, Zeitungsnachrichten, Vermischtes sowie die Kirchenliste und die Getreidepreise der Region. Erzählungen, Gedichte, Anekdoten, Ratschläge und Landwirtschaftliches wurden wiedergegeben. Theaterkritiken sollten die Leserschaft für die Bühne interessieren. Über die Tagesgeschichte und die Politik zu berichten, war dem Blatt nicht gestattet. Die Leserschaft kam vornehmlich aus dem Mittelstand, vertreten durch Handwerker, Bauern und Gewerbetreibende, deren Existenz durch die aufstrebende Industrialisierung in Gefahr war. Die “Fama“ mahnte die Erwachsenen, zu einfacher Lebensweise zu finden und gegen Alkoholmissbrauch und Unsitten anzukämpfen.
Görlitzer Tageblatt 1856 bis 1862
Niederschlesische Zeitung ab 1863 bis 1929
Herausgeber: Ottomar Vierling
Druckerei: G. A. Rämisch
Das Blatt galt als politische Rundschau mit Tagesbegebenheiten sowie Lokalem und Vermischtem, Organ für die Publikation der amtlichen Verordnungen und Bekanntmachungen und allgemeiner Anzeiger. Ab 1.1.1863 folgte die Umbenennung in “Niederschlesische Zeitung“. Es ging um die Einführung des Leitartikels zu aktuellen Fragen, Förderung der Bildung und Belehrung zum öffentlichen Wohle. Politisch unabhängig und unparteiisch vertrat die Zeitung den “Standpunkt des gemäßigten und besonnenen Fortschritts“. Sie befasste sich mit sozialen Fragen, wie z.B.: Arbeiterversicherungswesen, politische Gleichheit aller Stände, Ausgleichung der Gegensätze zwischen Arbeitgebern, Arbeitnehmern und ihren Organisationen, kritisierte das Kommunalwesen, deckte Missbräuche auf und wagte positive Vorschläge zum Wohle der Stadt. Ab 1.2.1929 folgte die Vereinigung mit den “Görlitzer Nachrichten und Anzeiger“ zu “Vereinigte Görlitzer Nachrichten und Niederschlesische Zeitung“.
Görlitzer Zeitung für die Lausitz 1862 bis 1867
Herausgeber: Prof. Dr. August Tillich
Druckerei: G. A. Rämisch
Es war Parteiorgan der Konservativen und diente zum “Vermitteln der politischen Bildung und Verfassungsreife”, vor allem unter der Landbevölkerung”. Der Ausbreitung der liberalen und demokratischen Presse sollte ein Riegel vorgeschoben werden. Die Leitartikel dienten den Parteiinteressen und als Kampfmittel gegen die Liberalen. Der Oppositionscharakter des Blattes führte zu Differenzen mit der Stadtverwaltung. Beiträge zu Görlitzer Theaterverhältnissen, aus den Landtagsverhandlungen, Görlitzer Kirchenlisten, Marktpreise und amtliche Bekanntmachungen wurden immer seltener, die Parteiinteressen standen im Vordergrund. Die fehlende finanzielle Grundlage zur Selbständigkeit führte im März 1867 zur Einstellung der Zeitung.
Neuer Görlitzer Anzeiger 1877 bis 1941
Hrsg: Buchdruckereibesitzer Gustav Hoffmann & Emil Reiber
Es wurde die auflagenstärkste Zeitung Niederschlesiens, wurde im gesamten fortschrittlichen Bürgertum und auch in Intelligenzkreisen zur meistgelesenen Tageszeitung, vertrat den liberalen Geist, indes frei von jeder Parteien- Schablone. Man las prompte und gediegene Besprechung der Tagesfragen in ihren Leitartikeln, ausführliche Berichte aus Reichs- und Landtag, reichhaltige und zuverlässige Mitteilungen aus der Lausitz und Schlesien. Man fand Pflege der lokalen Teile, speziell der städtischen Angelegenheiten. Notizen über Handel, Industrie und Verkehr sowie Börsen- und Marktnachrichten, amtliche Erlasse und standesamtliche Nachrichten von Görlitz und Umgebung. Das Feuilleton enthielt gediegene Novellen, naturwissenschaftliche und kulturgeschichtliche Erörterungen. Der Einsatz der damals modernsten Drucktechnik (Setzmaschinen und Rotationsmaschinen) wurde möglich. Ein bekannter Mitarbeiter von 1925 bis 1932 war Johannes Wüsten.
Görlitzer Zeitung — Unabhängiges Organ für Jedermann 1891 bis 1892
Herausgeber: Buchdruckerei H. Kretschmer, Meinhardt & Co.
Sie nahm sich vor, zum Wohle, zur Belehrung und Unterhaltung der Bewohner von Görlitz, der Lausitz und Schlesiens nach dem Motto “Biete jedem etwas, und du befriedigst alle“ beizutragen, Aufklärung über wichtige politische und materielle Zeitfragen zu leisten, täglich Bericht zu erstatten über die den Politiker und Kaufmann interessierenden Tagesdepeschen. Tagesereignisse aus Görlitz, den Nachbarorten, der schlesischen Hauptstadt und der königlichen Residenz Berlin zu bringen, außerdem Börsenberichte, Kursnotierungen und Wetterbeobachtungen. Unterhaltung durch Novellen, Romane, Kunstkritiken und Kunstnotizen, Humoristisches und populär gehaltene Artikel über technische und wissenschaftliche Fragen. Ab Februar 1892 erfolgte die Veröffentlichung der “Offiziellen Görlitzer Fremden-Liste“.
Görlitzer Volkszeitung 1899 bis 1933
Herausgeber: SPD
Eigene Druckerei Luisenstraße 8
Es war die sozialdemokratische Zeitung, Organ für die werktätige Bevölkerung der Oberlausitz, nannte sich “berufene Vertreterin der Arbeiterinteressen, um das Volk über den wahren Zustand der Gesellschaft aufzuklären“, ablehnend “gegenüber dem niederen Klatsch wie Hofberichte und Heiratsgesuche“. 1910 erfolgte die Schaffung einer eigenen Druckerei durch den Aufbau der Genossenschaft “Arbeiterdruckerei“ und des Sparvereins “Görlitzer Volkszeitung“. Ihre Geschichte endete 1933 durch Verbot der Zeitung durch die NSDAP, 13.3.1933 Besetzung der Redaktion und Druckerei durch SA und Polizei. Bekannte Redakteure waren: Paul Löbe, später Reichstagspräsident, Hermann Müller, später Reichskanzler, Paul Taubadel, Reichstagsabgeordneter.
Oberlausitzer Frühpost 1932 bis 1934
Oberlausitzer Tagespost ab 1934 bis 1945
Herausgeber: Helmuth Brückner (bis 1934)
Nach der Besetzung der Druckerei der Görlitzer Volkszeitung 1933 in der Luisenstr. 8 wurde die Zeitung dort gedruckt als Organ der NSDAP. Sie war gekennzeichnet durch Verherrlichung des Nationalsozialismus, Hetze gegen alle existierenden Zeitungen. Ab 1. Mai 1934 wurde die “Frühpost“ in “Tagespost“ umbenannt mit der Maßgabe, dass die gesamten Zeitungen der schlesischen Oberlausitz fortan täglich nur in einer Ausgabe zu erscheinen haben. 1933, 1941 und 1943 haben alle anderen Görlitzer Zeitungen ihr Erscheinen eingestellt. Am 5. Mai 1945 erschien die letzte Ausgabe der “Tagespost“.
Zeitungen nach 1945 mit Görlitzer Lokalteil
Amtliche Bekanntmachungen
Es begann mit Amtlichen Bekanntmachungen der Stadt Görlitz, welche von 1945 bis 1950 erschienen. Nach der Wende wurden die amtlichen Bekanntmachungen der Stadt Görlitz als “Amtsblatt“ wiederbelebt. 1991 wurden sie im Görlitzer-Mosaik veröffentlicht. Von 1992 bis 1994 erschienen sie im Görlitzer Wochenspiegel. Ab 1. Februar 1994 wird das “Amtsblatt“ als eigenständige Publikation herausgegeben.
Tageszeitungen
1946 wurden die “Volksstimme“ der SPD und die “Sächsische Volkszeitung“ der KPD zusammengeschlossen zur “Sächsischen Zeitung“. Sie erschien vom 13.4. bis 20.5.1946 in Görlitz. Nach Gründung der SED 1946 wurde die “Sächsische Zeitung“ nur noch zwischen Dresden und Bautzen vertrieben. Für Görlitz war die “Lausitzer Rundschau“ zuständig, welche bis 13.8.1952 in Görlitz erschien. Mit der Schaffung der Bezirke 1952 wurde auch die Presse neu geordnet. Die “Lausitzer Rundschau“ wurde dem Bezirk Cottbus zugeordnet und die “Sächsische Zeitung“, als Organ der Bezirksleitung Dresden der SED, dem Bezirk Dresden. Seit dem 15.8.1952 wurde die “Sächsische Zeitung“ in Görlitz vertrieben. Sie hatte sehr viele Abonnenten. Im Regionalteil berichtete sie über die SED- Parteipolitik in allen gesellschaftlichen Bereichen und propagierte die Linie der Parteiführung für die Stadt und den Landkreis. Sie stützte sich auf zahlreiche “Volkskorrespondenten“. Auch die Tageszeitungen “Die Union“ (CDU) und ”Sächsisches Tageblatt“ (LDP) unterhielten in Görlitz eigene Kreisredaktionen; sie wandten sich vor allem an die Mittelschichten. Im Dezember 1989 trat die Chefredaktion zurück, und die Sächsische Zeitung ändert ihren Untertitel, und die Kopfzeile “Proletarier aller Länder vereinigt Euch“ entfiel. Im Januar 1990 erklärte die Zeitung ihre Unabhängigkeit.
Von 1961 bis 1967 war das “LANDSKRON echo“ die Heimatzeitung für die Stadt und den Kreis Görlitz. 1991 erschien der “Wochenspiegel“, in welchem von 1992 bis 1994 das Görlitzer Amtsblatt veröffentlicht wurde. 1994 erfolgte die Umbenennung in “Wochenkurier“, und die amtlichen Mitteilungen des Landratsamtes erscheinen hier. Während der politischen Umwälzung nach 1989 erschien die “Görlitzer Zeitung“, die den Veränderungsprozess kritisch begleitete und furchtlos Skandale aufdeckte. Sie musste bald ihr Erscheinen einstellen. Seit 1993 gibt es den “Niederschlesischen Kurier“ für die Stadt und den Landkreis Görlitz als Ergänzung zum “Oberlausitzer Kurier“. Mit Schaffung des Niederschlesischen Oberlausitz-Kreises wurde die Zeitung kurzzeitig in “Görlitzer Kurier“ umbenannt. Aber der Name “Niederschlesischer Kurier“ hat sich durchgesetzt.
Das Meinungsmonopol einer einzigen regionalen Tageszeitung mit Kreisteil wird von vielen Einwohnern bedauert. Zahlreiche Leserbriefe tragen jedoch dazu bei, unterschiedliche Standpunkte vorzutragen.
Claus Bernhard, Zirkel Görlitzer Heimatforscher
Bildnachweise:
Bild 1: wikipedia.org
Bild 4: Staatsbibliothek Berlin
Bilder 2,3, 5 und 6: StadtBILD Ausgabe Nr. 79 aus 1/2010
Bild 7: Titelseite Sächsische Zeitung Ausgabe 30.4.2011
Bild 8: Titelseite Amtsblatt Görlitz Ausgabe 18 aus 8/2012
Bild 9: Titelseite Niederschlesischer Kurier Ausgabe 37/2010
100 Jahre Sparkasse auf der Berliner Strasse in Görlitz
Als am 15. Mai 1850 beschlossen wurde, in Görlitz eine Sparkasse zu gründen, hat noch niemand dabei an ein großes Gebäude gedacht. Sparkassen unterlagen zu dieser Zeit sehr strengen Geschäftsbeschränkungen. Sie hatten in erster Linie die Aufgabe, ärmeren Bevölkerungsschichten eine sichere Möglichkeit zu eröffnen, kleinste Kapitaleinlagen zur Risikovorsorge im Alter oder bei Krankheit verzinslich zurückzulegen.
So wurde die Sparkasse Görlitz im Parterre der Pfandleihanstalt in der Langenstraße eingerichtet, und sie eröffnete am 6. Februar 1851 ihre Pforten. Doch in der Regel waren Sparkassen im Rathaus untergebracht. Und auch die Sparkasse Görlitz bezog um das Jahr 1860 ihren Geschäftsräume im Rathaus am Untermarkt. Das machte auch deswegen Sinn, weil es damals üblich war, dass ein Beamter der Stadt die Leitung der Sparkasse innehatte. Später waren oftmals auch Notare Sparkassenleiter.
Satzungsgemäß ist bei einer Sparkasse die Erzielung von Gewinnen also nicht der Hauptzweck des Geschäftsbetriebes. Und so dauerte es natürlich noch viele Jahre, bis ein Bedürfnis nach größeren Geschäftsräumen entstand. Aber um das Jahr 1909 herum war es dann soweit. Die Kassengeschäfte haben um ein Vielfaches zugenommen, und damit auch der Personalbedarf – ein neues Gebäude war nun erforderlich.
Da war es eine glückliche Fügung, dass das ehemalige Städtische Krankenhaus von der Berliner Straße in das neue Klinikum an
der Girbigsdorfer Straße umzog. Zwischen 1909 und 1913 wurde auf dem nun frei gewordenen Grundstück ein, wie es damals üblich war, imposantes und repräsentatives Sparkassengebäude errichtet. Dieses Gebäude rundete die Postplatzbebauung auf eine gediegene und zeitgemäße Weise ab. Die robuste Fassade
aus mächtigen Natursteinquadern, die gebündelten schmalen Fensterachsen, die vertikale Gliederung durch kräftige Pfeiler vom Erdboden bis zum Dach zeigten Gemeinsamkeiten mit anderen stilbildenden Bauten jener Jahre. Insbesondere der beherrschende Treppenhausturm an der rechten Fassadenseite mit breitem Portal, mit der metallverkleideten viereckigen Kuppel und der mächtigen Fahnenstange mit dem vergoldeten Löwen aus dem Stadtwappen war bedeutsam für das Gesamtbild des Postplatzes. Zeittypische Baumaterialen (Naturstein, Farbglas, Kupferblech, Holz, Bunzlauer Keramik) und die leuchtend weiße Fensterrahmen brachten neue Akzente in das nun abgerundete Platzensemble. Seit das Haus am 1. September 1913 eröffnet wurde, ist es ununterbrochen Sitz der Sparkasse.
Anfangs wurden natürlich nicht alle Räumlichkeiten von der Sparkasse benötigt. So zogen hier, auf der Berliner Straße 64, auch das Gericht, das Standesamt und ein Bestattungsunternehmen ein. Und ab 1922 residierte hier auch eine Filiale der “Schlesische Landesbank”, die sich “Görlitzer Stadtbank” nannte.
1993 wurde das Sparkassengebäude innen komplett umgebaut und erhielt auf der Rückseite weitere Anbauten. Während dieser Zeit wurden die Sparkassengeschäfte in dem heute nicht mehr vorhandenen Wilhelmstheater weitergeführt.
Wie alle Sparkassen in Deutschland unterliegt auch die Görlitzer Sparkasse einem stetigen Wandel. Am 1. Januar 1939 wurde die Oberlausitzer Provinzialsparkasse teilweise in die Stadtsparkasse eingegliedert. Ab 1951 wurden die DDR-Sparkassen in die Staatsbank eingegliedert. Gleichzeitig wurden alle Konten von Betrieben mit mehr als zehn Mitarbeitern auf die Staatsbank übertragen. Den Sparkassen verblieb die Aufgabe, Sparbeiträge einzuwerben. So wurde auch aus der Sparkasse Görlitz eine untergeordnete Filialkasse.
Wurde schon zwischen 1933 und 1945 die Zahl der Sparkassen durch Fusionen stark ausgedünnt, setzte sich dieser Trend auch
in den 1990er Jahren fort. Im Jahr 1992 fusionierte die Stadtsparkasse Görlitz mit den Kreissparkassen Niesky und Weißwasser zur Niederschlesischen Sparkasse. Schließlich entstand aus einer weiteren Fusion der Niederschlesischen Sparkasse mit der Kreissparkasse Löbau-Zittau am 1. September 2005 die heutige Sparkasse Oberlausitz-Niederschlesien.
Und am heutigen 1. September 2013 kann die Sparkasse auf 100 erfolgreiche Jahre auf der Berliner Straße zurückblicken.
Quellen:
Der Postplatz, Neue Stadtbild Schriftenreihe Band 1, Seite 33
sz-online vom 30.08.2013
„Tag des offenen Denkmals 2013“ in Görlitz
“Tag des offenen Denkmals 2013“ am 8. September 2013
Bereits zum 20. Mal findet dieser Tag als Veranstaltungshöhepunkt des Görlitzer Jahresprogrammes statt.
Oberbürgermeister Siegfried Deinege wird am Sonntag, dem 8. September, um 9:30 Uhr, am Platz vor dem Waidhaus bei der Peterskirche den Tag eröffnen.
Auch dieses Jahr freuen sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Denkmalschutzbehörde der Stadt Görlitz auf viele Besucherinnen und Besucher zum „Tag des offenen Denkmals“. Er steht unter dem speziellen Motto „ Jenseits des Guten und Schönen — unbequeme Denkmale?“ Das Auseinandersetzen mit der Baugeschichte, aber auch das Sammeln von Erkenntnissen, wie man mit der Sanierung von Denkmalen umgehen kann, wie sich Denkmale verändert haben und welche Entdeckungen dabei zu Tage getreten sind, sind Aspekte, die die Denkmalstaginteressierten bewegen. Es ist – zur Freude der Organisatoren und der Denkmalinhaber — immer deutlicher zu beobachten, dass sich ein namentlicher Denkmaltourismus entwickelt hat. Besucher wählen gezielt an diesem Tag eine Stadt aus und erkunden diese.
In Görlitz werden Vorträge, spezielle Führungen und die Veranstaltungen des „Patrimonium Gorlicense“ sehr gern angenommen. Auch dieses Jahr werden zwei spezielle Führungen zur Wandmalerei Obermarkt 34 zu den Zeiten 11:30 Uhr und 16:00 Uhr stattfinden. Die kostenfreien Teilnehmerkarten gibt es am 8. September ab 10:00 Uhr am Informationsstand der Denkmalschutzbehörde, Untermarkt 20. In diesem Zusammenhang wird um Verständnis gebeten, dass zum Schutz der Wandmalerei die Teilnehmerzahl auf 25 Personen je Führung begrenzt ist. Auch wird der Pferdebahnwagen von 1882 wieder zum Einsatz gebracht.
Im Programmheft, das für 1 Euro angeboten wird, können sich die Besucher einen Überblick verschaffen, Informationen zu den einzelnen Denkmalen und zum Programm des „Patrimonium Gorlicense“ entnehmen.
19. Internationales Straßentheaterfestival Görlitz
Das Gerhart Hauptmann Theater in der wunderschönen Europastadt Görlitz-Zgorzelec lädt wieder ein zum Internationalen Straßentheaterfestival ViaThea vom 1. — 3. August 2013.
Das internationale Straßentheaterfestival verwandelt seit 1995 für drei Tage im Sommer die Europastadt Görlitz/Zgorzelec in eine Kunststadt! Straßen und Plätze der deutsch-polnischen Grenzstadt bieten internationalen Künstlern und Theatergruppen für Ihre Inszenierungen von höchster künstlerischer Qualität eine große Theaterbühne unter freiem Himmel. Sie zeigen mitreißende, faszinierende und abwechslungsreiche Präsentationen aus den Bereichen darstellender und bildender Kunst. Masken- und Figurentheater, Stelzen, Walk Act, Tanztheater, Musik, Großproduktion, Artistik, Paraden, Cirque Nouveau und Physical Theater. ViaThea entwickelte sich in 18 Jahren zu einem anerkannten internationalen Festival und fördert und ermöglicht Kunst im öffentlichen Raum sowie Begegnungen von Zuschauern und Künstlern.
Quelle:
viathea.de
Die Befreiungskriege 1813/1815 – für Görlitz der Erinnerung wert
Die Monatszeitschrift StadtBILD hat in ihrer Ausgabe Nr. 118 vom Mai 2013 einen Aufsatz von Dr. Ernst Kretzschmar über die Befreiungskriege 1813/1815 veröffentlicht.
Vor genau 100 Jahren, also 1913, gab es in Görlitz wichtige Jubiläen und Einweihungen. Es war das letzte Friedensjahr, Höhepunkt der bisher unübertroffenen höchsten Blütezeit der Stadt. Man bewunderte die Neubauten: die Stadtsparkasse Berliner Straße, das Kaufhaus “Zum Strauß“ am Demianiplatz, die zwei Realgymnasien in der Südstadt und das Krematorium auf dem Städtischen Friedhof. Die Garnison, das Infanterie-Regiment Nr. 19, beging das 100. Regimentsjubiläum. In den Schaufensterauslagen der Buchhandlungen, in den vier örtlichen Tageszeitungen, im Schulunterricht und in den Militär-Traditionsverbänden rückte ein Thema in den Mittelpunkt — die Erinnerung an die siegreichen Befreiungskriege 1813/1815, mit denen die napoleonische Fremdherrschaft über weite Teile Europas ein Ende nahm. Ratsarchivar Professor Dr. Richard Jecht veröffentlichte 1913 eine gut lesbare und faktenreiche Überblicksdarstellung “Görlitz in der Franzosenzeit1806/1815”. Die 2. Auflage (1934) ist noch heute im Besitz zahlreicher Görlitzer Familien. Er verarbeitete zeitgenössische Tagebücher und Briefe, amtliche Dokumente aus dem Ratsarchiv sowie Presseberichte.
Besonders aufschlussreich ist auch das Buch von Johann Maaß “Kriegsdrangsale von Görlitz und der benachbarten Städte und Dörfer. Wanderungen über die verödeten Gefilde Sachsens und der Oberlausitz“ (1815/1816) mit einer kurz nach Kriegsende zusammengetragenen Aufstellung über Zerstörungen und Verluste der einzelnen Gemeinden, die in ihrer nüchternen Konkretheit erschüttert. Danach hinterließ das Jahr 1813 in Görlitz mit seinen etwa 9000 Einwohnern und 1100 Häusern 158 elternlose Kinder, 32 abgebrannte und 212 zerstörte Häuser und 1798 Tote in den Militärlazaretten. Die Stadt hatte in diesem einen Jahr 201.303 kranke und verwundete Soldaten zu verpflegen und 552.950 Mann Einquartierung. In zwei Kriegsjahren musste die Stadt fast 700.000 Taler Kriegskosten aufbringen. Aus beiden Büchern erfährt man viel über die Schicksale der Bevölkerung zwischen dem Sieg der preußischen Truppen an der Katzbach und der Völkerschlacht bei Leipzig, über Durchzüge und Stationierungen französischer, preußischer und russischer Truppen mit den damit verbundenen Belastungen, Aufenthalte bekannter Persönlichkeiten und die Stimmung der Einwohner.
Berichtet wird über Napoleon I. und seine Heerführer, über Zar Alexander I. und Preußenkönig Friedrich Wilhelm III., über Blücher, Yorck, Stein und Arndt. Auch städtische Repräsentanten wie Bürgermeister Sohr und zahlreiche Örtlichkeiten in Stadt und Land kommen vor. Danach ist nie wieder eine vertiefende wissenschaftliche Darstellung zum Thema Görlitz 1813/1815 erschienen. Die Veröffentlichungen über die Kriege 1866, 1870/1871 sowie über die zwei Weltkriege verdrängten die Ereignisse der Befreiungskriege aus dem gemeinsamen Gedächtnis.
Nur für politische Durchhalteappelle 1918 und 1945 waren Persönlichkeiten und Taten der legendären Kriege gegen Napoleon noch einmal gefragt. Weit wichtiger für die Zukunft der Stadt wurden die diplomatischen Folgen der Befreiungskriege. Der Wiener Kongreß bemühte sich um ein neues Kräftegleichgewicht in Europa nach dem Sieg über Napoleon. Sachsen als Verbündeter des Franzosenkaisers wurde durch den Verlust der Niederlausitz und der östlichen Oberlausitz hart getroffen. Für Görlitz als Mittelpunkt der preußischen Oberlausitz verband sich damit nach Anfangsschwierigkeiten ein eindrucksvoller und nachhaltiger politischer, wirtschaftlicher und kultureller Aufstieg bis 1914, der weitere 75 Jahre trotz aller Erschütterungen nachwirkte. Vor allem dadurch prägten sich die Befreiungskriege in das Selbstverständnis der Görlitzer ein.
Noch heute sind im Stadtbild die materiellen und geistigen Spuren dieses Wiederaufstiegs preußischer Prägung überall sichtbar, trotz der Rückgliederung an Sachsen durch die Besatzungsmacht 1945. Auch einige Straßennamen mit Bezug auf die Befreiungskriege (Fichtestraße, Arndtstraße, Theodor-Körner-Straße, Sohrstraße) und Gedenktafeln am Obermarkt (Napoleon, Zar Alexander L), an der Langenstraße (Arndt) und der Steinstraße (Freiherr vom Stein) sind für Einheimische und Touristen aufschlussreiche Denkanstöße.
1945 verschwand der Name Hardenbergstraße von der Kreuzkirche. Insbesondere in der Oststadt erinnerten bis 1945 in der Nähe der Kasernen Straßennamen an preußische Militärs aus der Zeit der Befreiungskriege: Courbière, Scharnhorst, Gneisenau, Yorck, Blücher, Kleist, Clausewitz, Lützow — in dieser Fülle wohl selten in einer anderen Stadt. In seinem Buch “Meine Wanderungen und Wandelungen mit dem Reichsfreiherrn Heinrich Karl Friedrich von Stein” erwähnte Ernst Moritz Arndt auch seinen Aufenthalt in Görlitz (3. Auflage 2005 bei der Weidmannschen Verlagsbuchhandlung Hildesheim).
Von einem langen Nachhall der Befreiungskriege ist heute in Görlitz kaum noch etwas zu spüren, obwohl es ja unübersehbare aktuelle Bezüge gäbe. Nur die Schrecknisse von 1945 brachten noch einmal das unmittelbare Kriegserlebnis in die Stadt und die Landschaft. Das wirkte nach bis heute. 1913 erschien eine Gedenkmünze des Deutschen Reiches zur Erinnerung an den Sieg über die Fremdherrschaft 100 Jahre zuvor. Auch für 2013 bemühten sich die Numismatiker um eine ähnliche Gedenkprägung durch die Bundesrepublik Deutschland, wohl auch ermutigt durch die gelungene Gedenkmünze zum 300. Geburtstag Friedrichs des Großen 2012.
Von Regierungsseite gab es kein Entgegenkommen. Man verwies auf das Bündnis mit dem westlichen EU-Partner und brachte daher ein anderes Münzmotiv heraus. Darauf sind zwei Strichmännchen mit einiger Mühe erkennbar, bei denen es sich um de Gaulle und Adenauer handeln soll, die seinerzeit das historische Nachbarschaftsabkommen unterzeichneten. In Görlitz erschien kürzlich beim “Regio Kultur-Verlag Görlitz” das illustrierte Heft “Spurensuche — Napoleon I. in der Region Görlitz” von Michael Gürlach. Darin sind zahlreiche Gedenkstätten abgebildet, darunter auch der Findling mit der Jahreszahl 1813 im Stadtpark. Die Steintafel, die früher an der Fassade Obermarkt 29 zu sehen war, ist nach der Sanierung des Hauses in eine Ecke der Eingangshalle verbannt; die eingetiefte Inschrift mit den Namen der prominenten Gäste (Napoleon I., Alexander I.) ist kaum noch lesbar, weil die Färbung entfernt wurde.
Die Freiheitskämpfer von damals haben wahrlich mehr verdient, auch in Görlitz. Aber die überregionale Presse und andere Medien haben schon wieder die gut honorierten Hinterfrager und Aufarbeiter in Stellung gebracht. Sie sollen den Deutschen einschärfen, die Kriege hätten gar keine Freiheit gebracht (im Gegensatz zu den USA und Frankreich, versteht sich), und der Aufschwung der nationalen Bewegung für ein einheitliches Deutschland habe schlimme Folgen gehabt. Und schließlich seien Nation, Volk, Vaterland und Unabhängigkeit gar nicht mehr zeitgemäß. Dennoch wird im Herbst das restaurierte Völkerschlachtdenkmal in Leipzig 100 Jahre nach seiner Einweihung wieder eröffnet. In unserer Geschichte behalten die Befreiungskriege 1813/1815 dennoch ihren unverlierbaren Platz als Beispiele ehrenhaften patriotischen Handelns und nationalen Selbstbewusstseins. Die Zeit wird kommen, dass man dies wieder versteht und beherzigt. Ich wünschte mir, dass wir, stellvertretend für alle Freiheitskämpfer von 1813, Theodor Körner ehren — an seinem Gedenkstein auf der Landeskrone und an seinem 200. Todestag. Er fiel am 26. August 1813 als Kämpfer des Lützowschen Freikorps. Quelle: Mit freundlicher Genehmigung des StadtBILD-Verlages Görlitz
Heute vor 105 Jahren
Am 9. Mai 1908 stürzte das Dach der Görlitzer Stadthalle ein. Zur Erinnerung an dieses traurige Ereignis hat die Monatszeitschrift StadtBILD hat in ihrer Ausgabe Nr. 59 vom Mai 2008 einen Aufsatz von Herrn Dr. Ernst Kretzschmar veröffentlicht:
Sanft knirschte der frische Kies unter den Schuhsohlen der zwei Männer, die am 9. Mai 1908 mit eiligen Schritten zur steinernen Neißebrücke unterwegs waren. Sie wollten sich die neueste ehenswürdigkeit anschauen — die Musikhalle, in der man bei den letzten Ausbauarbeiten war. Es hatte viel Hin und Her um die neue Stadthalle gegeben. Die Görlitzer hatten diesen gräßlichen Zirkusschuppen “Musikstall” getauft. Er war längst zu ärmlich für die Schlesischen Musikfeste geworden. Aber das neue Haus mit seinen zwei Sälen, seiner Gaststätte und seinem Konzertgarten mochte zu kostspielig für Görlitzer Verhältnisse sein. Erst 1906 hatten die Stadtverordneten die veranschlagten 810.000 Mark genehmigt. Eine Lotterie erbrachte 300.000 Mark, Spenden gingen ein. Mittlerweile wurde alles teurer, man beschleunigte das Bautempo, und nun waren es nur noch Wochen bis zur Eröffnung.
Es war gerade eine Viertelstunde nach drei als ein sonderbares, kräftiges Rauschen ertönte. Sekunden später folgte ein donnerndes Getöse, als hätte eben ein Blitz einen Parkbaum getroffen. Ein gewaltiger graubrauner Staubpilz wuchs aus dem Gebäude, verfinsterte den Himmel und umhüllte die Mauern. Mit Schreien des Entsetzens sprangen Bauarbeiter aus Türen und Fenstern zu ebener Erde. Einer jagte zum Feuermelder am Park und zog den Alarmhebel.
Nach wenigen Minuten war die erste Feuerwehr da. Langsam senkte sich die Staubwolke. Fassungslos sahen Spaziergänger, dass der obere Teil der Umfassungsmauer fehlte. Auch die Dachfiguren waren verschwunden.
Um vier Uhr nachmittags hatte sich eine aufgeregte Menschenmenge angesammelt. Was war geschehen? Was tat sich dort unten in den Trümmern? Weitere Feuerwehren rückten an — 40 Mann Freiwillige Feuerwehr, 20 Mann Werkfeuer-Wehr und 80 Arbeiter aus der Waggonfabrik. Später kam noch eine Kompanie Pioniere. Rettungswagen fuhren durch die schmale Gasse inmitten der Tausende, die Stunde um Stunde warteten. Zeitungsreporter tauchten auf, dann die Fotografen mit ihren Apparaten.
Endlich stieg ein Bauführer auf einen Feuerwehrwagen und gab knapp Auskunft, was man bis jetzt wissen konnte. Stuckateure hatten auf dem Hochgerüst an der Saaldecke gearbeitet, als plötzlich das Dach des Mittelbaus eingestürzt war und die Gerüste hinabgerissen hatte. Die herabstürzende Dachkonstruktion hatte den Saalboden eingedrückt, die Trümmer füllten nun die Keller. Logen und Ränge waren zerstört,
die Außenmauern eingerissen. Fünf Arbeiter waren durch den Schutt erschlagen oder erstickt, acht weitere verletzt worden. Zum Glück waren einige Beschäftigte schon mit dem Nachmittagszug abgefahren, um am Wochenende bei ihren Familien zu sein, sonst hätte die Katastrophe mehr Menschenleben gefordert. Architekt und Bauleiter waren in Untersuchungshaft, hieß es.
Der Abend wurde trübe und regnerisch. Die Regenströme eines Gewitters schlugen gegen die einsturzgefährdeten Wände. Zerborstene Balken, verbogene Stahlträger und Steinklumpen vermengten sich zu einer gespenstischen Kraterlandschaft. Erst am Sonntagabend wurden die Rettungsarbeiten eingestellt.
Zeitungen berichteten vom Fortgang der Untersuchungen, vom Prozess gegen die Verantwortlichen, der 60.000 Mark kostete und mit Freispruch endete, und von der um zwei Jahre verspäteten glanzvollen Eröffnung am 27. Oktober 1910.
Hatten die Stadtväter anfangs mit den Baukosten geknausert, waren nun am Ende 1.140.000 Mark zusammengekommen. Für die Bauarbeiter gab es ein Bankett im großen Saal. Beim Eröffnungskonzert aber blieben die hohen Herrschaften unter sich. Verstohlen blickte mancher befrackte Ehrengast zur Saaldecke hoch. Dass sie jetzt standhielt, war mit Menschenopfern erkauft. In der Zeitung jedoch las man von kostbaren Garderoben und von jubilierendem Chorgesang.
Dr. Ernst Kretzschmar
(Aus: Geschichten aus Alt-Görlitz, 1983)
Text und Bilder mit freundlicher Genehmigung des StadtBILD-Verlages Görlitz
Die Geburtsstunde des Fernsehens
Einer der Fernsehpioniere, Robert Lemke, bemerkte einmal rückblickend: “Es wird immer ein Rätsel bleiben, wie jemand das Fernsehen erfinden konnte, obwohl es doch damals gar kein Programm gab.”
Tja, ein vernünftiges Programm gibt es auch heute, Jahrzehnte später, nicht. Aber reichlich öffentlich-rechtliche Fernseh-Sendeanstalten. Hier, besonders beim ZDF, tummeln sich dann die sogenannten altgedienten Politiker aller Couleur. Wer sich für seine Partei verdient gemacht hat, bekommt ein schönes Pöstchen.
In den vergangenen Tagen wurde das ZDF 50 Jahre und feierte sich selbst, zum Beispiel in einer zweiteiligen Jubiläumsshow mit Maybrit Illner. Es gab eine “Zeitreise durch die Fernsehgeschichte“, und alle, die wieder mal gesehen werden wollten, kamen zum Gratulieren. Aber auch zum offiziellen Sendebeginn des ZDF, am 1. April 1963, konnten nur wenige Fernsehteilnehmer erreicht werden. Viele Menschen besaßen gar kein Empfangsgerät für den UHF-Frequenzbereich.
Der damalige NWDR startete das Deutsche Fernsehen (heute “Das Erste”) am 25. Dezember 1952 in den Luftschutzbunkern auf dem Heiligengeistfeld in Hamburg. In der DDR begannen die ersten Sende- und Empfangsversuche am 20. Dezember 1951. Dann vergingen mehr als 10 Jahre bis zum Sendebeginn des ZDF.
Mit der tatsächlichen Geburtsstunde des Fernsehens, die bereits 80 Jahre zurückliegt, hat sich Wolfhard Besser mit seinem Aufsatz “Wie das Fernsehzeitalter Ost in Görlitz begann” beschäftigt. Der Aufsatz wurde in der Ausgabe Nr. 76 vom Oktober 2009 der Monatszeitschrift StadtBILD veröffentlicht:
Relativ kurze Zeit nach der offiziellen Einführung des Rundfunks in Deutschland 1923 gelang es Manfred von Ardenne, mit der Entwicklung der Braunschen Röhre 1930 erste Bilder darzustellen und zu übertragen. Im Frühjahr 1934 begann der Probebetrieb des ersten öffentlichen Fernsehsenders, der in Berlin-Witzleben stand, durch Bildabtastung mittels Nipkow-Scheibe. Die Entwicklung des Fernsehens in Deutschland schritt soweit voran, dass zu den Olympischen Spielen 1936 Direktübertragungen von den Sport-Wettkämpfen in eigens dazu eingerichteten Fernsehstuben in Berlin möglich wurden. Zu weiter entfernt liegenden Gegenden reichte die Ausstrahlung des Programms nicht. Es mussten noch über 20 Jahre ins Land gehen, bis auch in Görlitz Fernsehen empfangen werden konnte.
Die technische Entwicklung des Fernsehens machte weitere Fortschritte, so dass schon 1938 auf der Funkausstellung in Berlin eine verbesserte Übertragungstechnik vorgestellt werden konnte. Der 2. Weltkrieg unterbrach die Entwicklung, die erst wieder Ende der 40er, Anfang der 50er Jahre aufgenommen werden konnte — in Ost- wie in Westdeutschland.
1950 bereits begann der Nordwestdeutsche Rundfunk (NWDR) in Hamburg mit Fernsehversuchssendungen, um dann ab dem 25. Dezember 1952 ein ständiges Programm einzuführen. Auch in Ostberlin waren die Techniker und Wissenschaftler soweit vorangekommen, dass sie ein Versuchsprogramm starten konnten.
Das in Berlin-Adlerhof gegründete und seit 1950 im Aufbau befindliche Fernsehzentrum nahm am 21. Dezember 1952 sein Versuchsprogramm auf, vorerst wieder nur in Berlin zu empfangen, abgestrahlt zunächst vom Stadthaus am Molkenmarkt, später dann auch von den Müggelbergen.
Aus einem bescheidenen Studio in Adlershof sendete das “Fernsehzentrum Berlin” mehrmals wöchentlich ein zweistündiges Programm, an das man noch keine hohen Ansprüche stellen konnte, 13 Stunden in der Woche. Es fehlten einschlägige Erfahrungen und technische Voraussetzungen. Das Areal des Fernsehzentrums wurde zügig ausgebaut; weitere Fernsehsender kamen dazu, erst in Leipzig, dann folgte Dresden. Das Versuchsprogramm gestaltete sich inzwischen auch abwechslungsreicher und weckte somit Interesse, obwohl Fernsehgeräte fast nicht erschwinglich waren.
Pfiffige Görlitzer Rundfunktechniker machten sich Gedanken, wie man auch in der Neißestadt das Programm aus Adlershof empfangen könnte. Aufgrund der Ausbreitungsweise von Fernsehsignalen ist es nur möglich, sie von einem starken Sender aus in einem Umkreis von etwa 100 km mittels einer aufwändig installierten Antenne einzufangen. Theoretisch hätte die Abstrahlung der Signale von Dresden bis Görlitz reichen müssen. Aber das Oberlausitzer Bergland und die im Neißetal liegende Stadt sind Hindernisse in der Ausbreitung der Fernsehwellen.
Da ist nur die Landeskrone ein hoher Punkt, wo noch Fernsehempfang möglich wäre, sagten sich Görlitzer Enthusiasten 1955/56. So begannen u. a. zwei Betriebsfunktechniker aus dem VEB Görlitzer Maschinenbau und dem VEB Bekleidungswerk Görlitz mit dem Experiment. Und siehe, auf dem Görlitzer Hausberg konnte man die Signale aus Dresden empfangen. Die Gaststättenleitung der Landeskrone konnte wohl überzeugt werden, ein Fernsehgerät anzuschaffen; vermutlich witterte sie einen höheren Umsatz an Getränken und Speisen.
Seit Jahresanfang 1956 war das Fernsehen aus Adlershof kein Versuchsprogramm mehr. Es nannte sich von nun an Deutscher Fernsehfunk (DFF). Zu diesem Zeitpunkt registrierte die Deutsche Post 13 000 Empfangsgeräte in der gesamten DDR. Da es sich in Görlitz herumgesprochen hatte, dass auf der Landeskrone Fernsehen möglich war, pilgerten viele Görlitzer bei besonderen Angeboten am zeitigen Abend auf den Hausberg. Das Gerät stand dann am Kopfende der großen Gaststätten-Veranda, die heute nur noch zu besonderen Anlässen genutzt wird.
Sehr voll wurde der Gastraum bei der neu eingeführten Unterhaltungssendung “Da lacht der Bär“. Sie kam in der Regel vierwöchentlich meist mittwochs aus dem alten Friedrichstadt-Palast. Da saßen nun einige zehn Dutzend Gäste in eigens aufgestellten Stuhlreihen und verfolgten das schwarz-weiße Geschehen auf dem kleinen Bildschirm, soweit das überhaupt gelang. Für die hintersten Reihen stellte die Fernsehübertragung oft nur einen gemeinschaftlichen Rundfunkempfang dar. An anderen Tagen, wenn Adlershof keine so publikumswirksamen Programme sendete, stand das Empfangsgerät im Turmzimmer.
In dieser Zeit wurde das DDR-Territorium immer mehr fernsehmäßig erschlossen, so dass fast im ganzen Land das Programm des DFF gesehen werden konnte. Aber es gab auch Gebiete, die aufgrund der geografischen Lage schlecht zu versorgen waren, wie das Görlitzer Neißetal. Deshalb suchte das zuständige Ressort “Rundfunk und Fernsehen im DDR-Ministerium für Post und Fernmeldewesen“ einen Ausweg. Der lag zunächst in der Erprobung eines Kleinsenders. Die Wahl fiel auf die Landeskrone. Also errichteten Funktechniker dort im Laufe des Jahres 1956 einen Kleinsender für Versuchszwecke. Während normale Fernsehsender eine Leistung von mindestens 1 kW haben, verfügte der Versuchssender auf der Landeskrone nur über 200 Watt. Dazu musste der große Aussichtsturm der Landeskrone als Fernsehsenderstandort ausgerüstet werden. Außer diesem Kleinsender wurde noch ein UKW-Sender installiert, der bereits am 24.12.1956 seinen Probebetrieb aufnahm und schon ab 1.1.1957 auf der Frequenz 95,2 MHz das Programm von Radio DDR ausstrahlen konnte.
Auch dies war eine funktechnische Neuerung, denn zu dieser Zeit begann der DDR-Rundfunk sein UKW-Sendernetz auszubauen. UKW Görlitz war erst der fünfte Sender dieser Art von Radio DDR. In der Görlitzer Region konnte man bis zu diesem Zeitpunkt nur den schwachen Mittelwellensender Reichenbach mit seinem abgestrahlten Programm des Berliner Rundfunks einigermaßen gut zu empfangen, das ja nicht gerade für den Görlitzer Raum gedacht war, aber das sorbische Siedlungsgebiet aus dem damaligen Sorbischen Studio Görlitz (Heinzelstraße 4) mit Sendungen in sorbischer Sprache versorgte.
Am 15. September 1957 war es dann soweit: Von der Landeskrone aus wurden die ersten Fernsehsignale ausgestrahlt. Die Görlitzer konnten von nun an fernsehen, sofern ein Fernsehgerät für den Einzelnen erschwinglich war. Auch der Autor dieser Erinnerungen ließ sich von diesem neuen Medium begeistern und bestellte im HO-Rundfunk-Fachgeschäft in der Berliner Straße ein Gerät mit Eintragung in eine Warteliste. Es sollte ein Apparat der Marke “Raduga” mit 33er Bildröhre sein. Heute kaum vorstellbar, wie klein der Bildschirm gewesen wäre, wenn es nicht eines Tages das Angebot gab, auf den neuen Typ “Nordlicht“ mit 43er Bildröhre aus dem Fernsehgerätewerk Calbe/Saale auszuweichen für 1.800 Mark; auf Abzahlung bei 280 DDR-Mark Monatsverdienst! Zwölf Kanäle besaß der Fernseher, aber nur einer davon war für den Kleinsender Landeskrone bestimmt. Alle anderen blieben zunächst unbenutzt. Zwar konnte man später auch das polnische und tschechische Fernsehen empfangen, aber ohne Ton, denn die osteuropäischen Länder hatten ein anderes Übertragungssystem gewählt, so dass nur der Bildempfang möglich war. Trotzdem schaute man mal in das tonlose Programm hinein. Sonntagnachmittags sendete z.B. Telewizja Polska eine englische Abenteuerserie über Robin Hood. Man sah eben mal etwas andere bewegte Bilder. Wolfhard Besser
Quellen: Programmzeitschriften “Unser Rundfunk“ (1957/58) und ”FF-dabei“ (1974) Deutsches Rundfunkarchiv Potsdam, Bundesarchiv und privat