Kategorie: Görlitz

Mehr als 210 Jahre Görlitzer Zeitungswesen

Die Geschich­te der Zei­tun­gen beginnt nach der Erfin­dung des Buch­drucks durch Johan­nes Guten­berg (1445) am Beginn des 17. Jahr­hun­derts. Um 1615 ent­stand in Deutsch­land die “Frank­fur­ter Post­zei­tung”  — wohl eine der ers­ten Zei­tun­gen über­haupt. Das Blatt, das in ganz Euro­pa abon­niert wur­de, erschien bis 1866.

Einkommende Zeitungen Die ers­te Tages­zei­tung der Welt erschien aller­dings ab 1. Juli 1650 in Leip­zig. Hier ver­öf­fent­lich­te der Dru­cker Timo­theus Ritzsch sechs­mal die Woche die “Ein­kom­men­den Zei­tun­gen” mit einer Auf­la­ge von etwa 200 Exem­pla­ren. Ursprüng­lich benutz­te man das Wort “Zei­tung” für eine belie­bi­ge Nach­richt. So ist wohl auch “Ein­kom­men­de Zei­tun­gen” als ein­ge­hen­de Nach­rich­ten zu verstehen.

Doch blie­ben bis zum Ende des 18. Jahr­hun­derts Tages­zei­tun­gen eine Ausnahme. 

Über das Gör­lit­zer Zei­tungs­we­sen hat die Zeit­schrift Stadt­bild in ihrer Aus­ga­be Nr. 79 im Janu­ar 2010 einen Auf­satz von Herrn Claus Bern­hard ver­öf­fent­licht. Herr Bern­hard ist Mit­glied im Zir­kel Gör­lit­zer Heimatforscher.

Von den im 18. Jahr­hun­dert in Gör­litz erschie­ne­nen Zeit­schrif­ten wies das Lau­sit­zi­sche Maga­zin in sei­nem Wesen schon Züge einer Zei­tung auf. Trotz aller Ver­su­che, die gelehr­ten Schrif­ten zu ver­all­ge­mei­nern, blie­ben sie aus­schließ­lich in den Hän­den der Gebil­de­ten. Eine gro­ße Kluft trenn­te die­se Krei­se von der sons­ti­gen Bevöl­ke­rung, obwohl das Bedürf­nis nach bes­se­rer Bil­dung bestand. Welt­po­li­ti­sche Ereig­nis­se wur­den kaum wahr­ge­nom­men. Dazu bedurf­te es aus­wär­ti­ger poli­ti­scher Blät­ter. Die Inter­es­sen des ein­fa­chen Bür­gers und Land­man­nes in aus­rei­chen­der Wei­se zu ver­tre­ten und ihnen gleich­zei­tig Auf­klä­rung und Beleh­rung in ein­fa­cher Form zukom­men zu las­sen, war der Beweg­grund, für einen begrenz­ten Bezirk, in die­sem Fall die Stadt Gör­litz, eine eige­ne Zei­tung her­aus­zu­ge­ben. Dr. Imma­nu­el Ver­trau­gott Rothe ent­schloss sich 1799 zu die­sem Expe­ri­ment und schrieb damit Gör­lit­zer Geschich­te. Er wur­de am 24. August 1768 in Sohra gebo­ren, stu­dier­te nach der Absol­vie­rung des Gör­lit­zer Gym­na­si­ums in Leip­zig und Wit­ten­berg und pro­mo­vier­te 1792 zum Dr. med.. Noch im glei­chen Jahr ließ er sich in Gör­litz nie­der. Sei­ne Vor­lie­be zur Schrift­stel­le­rei hat­te ihn auf den Gedan­ken gebracht, eine Wochen­schrift her­aus­zu­ge­ben, in der er sein rei­ches Wis­sen sei­nen Mit­bür­gern über­mit­teln konn­te. Rothe nann­te sei­ne Wochen­schrift “Der Anzei­ger” mit dem Zusatz “Chro­nik Lausitz‘scher Ange­le­gen­hei­ten im Jah­re 1799, nebst Auf­sät­ze zur Beleh­rung und Unter­hal­tung der Leser über gemein­nüt­zi­ge Gegen­stän­de aller Art”. In Num­mer 1 waren fol­gen­de Rubri­ken ent­hal­ten: Gebur­ten, Hoch­zei­ten, Beför­de­run­gen, Kauf- und Han­dels­sa­chen und unter “Aller­hand” die ers­te Hei­rats­an­zei­ge. Als Arzt trat Rothe für die Hebung der Volks­ge­sund­heit durch eine ver­nünf­ti­ge Gesund­heits­pfle­ge ein, für Ver­bes­se­run­gen im Heb­am­men­we­sen, pro­pa­gier­te die Kuh­po­cken­imp­fung und ver­lang­te vor­beu­gen­de Maß­nah­men zur Unfall­ver­hü­tung. “Der Anzei­ger” brach­te Rothe nicht den Erfolg, den er sich wünschte.

"Der Anzeiger"1803 über­trug er die Lei­tung an den Gör­lit­zer Buch­händ­ler Trau­gott Fer­di­nand Schi­rach, der das Über­le­ben des Anzei­gers sicher­te. Dr. Immau­el Ver­trau­gott Rothe hielt sich noch eini­ge Zeit in Gör­litz auf, ver­zog dann nach Prachwitz in Schle­si­en. Sei­ne letz­ten Lebens­jah­re ver­brach­te Rothe in Herrn­stadt, wo er am 6. April 1813 starb. Die Gör­lit­zer Zei­tungs­land­schaft wur­de im 19. Jahr­hun­dert durch die viel­fäl­tigs­ten Titel immer bun­ter. Neben ”Ein­tags­flie­gen” bestimm­ten gro­ße Blät­ter über Jahr­zehn­te das Gör­lit­zer Zeitungswesen.

Der Anzei­ger 1799 bis 1943
Her­aus­ge­ber: Dr. Imma­nu­el Ver­trau­gott Rothe
Dru­cke­rei: Burg­hart
”Chro­nik Lausitz‘scher Ange­le­gen­hei­ten, nebst Auf­sät­zen zur Beleh­rung und Unter­hal­tung der Leser über gemein­nüt­zi­ge Gegen­stän­de aller Art“.

"Görlitzer Anzeiger" 1848

Ziel war es, das Blatt “zum all­ge­mei­nen Sprach­werk­zeug für jeden und zu einem Lau­sit­zer Natio­nal­blatt zu machen, durch Bei­trä­ge Auf­klä­rung zu ver­brei­ten, Miss­bräu­che abzu­stel­len, die Ein­füh­rung nütz­li­cher Ein­rich­tun­gen vor­zu­be­rei­ten“. Von die­sem Vor­ha­ben wur­de immer wei­ter abge­rückt, poli­ti­sche Nach­rich­ten wur­den so gut wie nicht ver­öf­fent­licht. ”Der Anzei­ger“ wur­de zum rei­nen Intel­li­genz­blatt. Als ein­zi­ges Lokal­blatt erschie­nen hier die Ver­ord­nun­gen und Bekannt­ma­chun­gen. Der häu­fi­ge Wech­sel der Ver­le­ger änder­te auch den Cha­rak­ter des Blat­tes. Um 1840 lag das Haupt­au­gen­merk auf dem Gebiet der Unter­hal­tung, his­to­ri­sche und lokal­ge­schicht­li­che Abhand­lun­gen herrsch­ten vor. Ab 1848 erfolg­ten für das gesam­te deut­sche Zei­tungs­we­sen umwäl­zen­de Ver­än­de­run­gen hin zur poli­ti­schen Mei­nungs­pres­se. 1875 erfolg­te die Ver­ei­ni­gung mit den “Gör­lit­zer Nach­rich­ten“, 1929 die Ver­ei­ni­gung mit der “Nie­der­schle­si­schen Zeitung“.

Gör­lit­zer Weg­wei­ser 1832 bis 1842
Her­aus­ge­ber: Gott­hold Hein­ze & Co

Das Blatt galt als Wochen­schrift für die Ober­lau­sitz zur zweck­mä­ßi­gen Beleh­rung und Unter­hal­tung, ab 1834 Volks­blatt für die Ober- und Nie­der­lau­sitz. Es erschie­nen Nach­rich­ten aus allen Gegen­den der Ober- und Nie­der­lau­sitz, über Stadt- und Dorf-Gemein­de­sa­chen, Kir­chen und Schul­an­ge­le­gen­hei­ten so- wie das Merk­wür­digs­te, Nütz­lichs­te und Neu­es­te aus der Volks- und Natur­ge­schich­te, der Land­wirt­schaft und der Gewer­be­kun­de, die neu­es­ten Erfin­dun­gen und Ent­de­ckun­gen, Berich­te der Ober­lau­sit­zi­schen Gesell­schaft der Wis­sen­schaf­ten, der Natur­for­schen­den Gesell­schaft und der Gewer­be­ver­ei­ne, Unter­hal­tungs­lek­tü­re durch Auf­sät­ze, Anek­do­ten, Kurio­si­tä­ten und his­to­ri­sche Erin­ne­run­gen, zweck­mä­ßi­ge Bei­la­gen von Stein­dru­cken und Bücher­an­zei­gen. Wegen sei­ner geschickt gewähl­ten Geschich­ten aus dem alten und geich­zei­ti­gen Gör­litz gilt das Blatt auch heu­te noch als Fund­gru­be für den Historiker.

Gör­lit­zer Fama 1840 bis 1853
Her­aus­ge­ber: Buch­dru­cke­rei­be­sit­zer J.G. Dreßler

Görlitzer Fama mit AnzeigerEs erschie­nen Lokal­nach­rich­ten, Zei­tungs­nach­rich­ten, Ver­misch­tes sowie die Kir­chen­lis­te und die Getrei­de­prei­se der Regi­on. Erzäh­lun­gen, Gedich­te, Anek­do­ten, Rat­schlä­ge und Land­wirt­schaft­li­ches wur­den wie­der­ge­ge­ben. Thea­ter­kri­ti­ken soll­ten die Leser­schaft für die Büh­ne inter­es­sie­ren. Über die Tages­ge­schich­te und die Poli­tik zu berich­ten, war dem Blatt nicht gestat­tet. Die Leser­schaft kam vor­nehm­lich aus dem Mit­tel­stand, ver­tre­ten durch Hand­wer­ker, Bau­ern und Gewer­be­trei­ben­de, deren Exis­tenz durch die auf­stre­ben­de Indus­tria­li­sie­rung in Gefahr war. Die “Fama“ mahn­te die Erwach­se­nen, zu ein­fa­cher Lebens­wei­se zu fin­den und gegen Alko­hol­miss­brauch und Unsit­ten anzukämpfen.

Gör­lit­zer Tage­blatt 1856 bis 1862
Nie­der­schle­si­sche Zei­tung ab 1863 bis 1929
Her­aus­ge­ber: Otto­mar Vier­ling
Dru­cke­rei: G. A. Rämisch

Das Blatt galt als poli­ti­sche Rund­schau mit Tages­be­ge­ben­hei­ten sowie Loka­lem und Ver­misch­tem, Organ für die Publi­ka­ti­on der amt­li­chen Ver­ord­nun­gen und Bekannt­ma­chun­gen und all­ge­mei­ner Anzei­ger. Ab 1.1.1863 folg­te die Umbe­nen­nung in “Nie­der­schle­si­sche Zei­tung“. Es ging um die Ein­füh­rung des Leit­ar­ti­kels zu aktu­el­len Fra­gen, För­de­rung der Bil­dung und Beleh­rung zum öffent­li­chen Woh­le. Poli­tisch unab­hän­gig und unpar­tei­isch ver­trat die Zei­tung den “Stand­punkt des gemä­ßig­ten und beson­ne­nen Fort­schritts“. Sie befass­te sich mit sozia­len Fra­gen, wie z.B.: Arbei­ter­ver­si­che­rungs­we­sen, poli­ti­sche Gleich­heit aller Stän­de, Aus­glei­chung der Gegen­sät­ze zwi­schen Arbeit­ge­bern, Arbeit­neh­mern und ihren Orga­ni­sa­tio­nen, kri­ti­sier­te das Kom­mu­nal­we­sen, deck­te Miss­bräu­che auf und wag­te posi­ti­ve Vor­schlä­ge zum Woh­le der Stadt. Ab 1.2.1929 folg­te die Ver­ei­ni­gung mit den “Gör­lit­zer Nach­rich­ten und Anzei­ger“ zu “Ver­ei­nig­te Gör­lit­zer Nach­rich­ten und Nie­der­schle­si­sche Zeitung“.

Gör­lit­zer Zei­tung für die Lau­sitz 1862 bis 1867
Her­aus­ge­ber: Prof. Dr. August Til­lich
Dru­cke­rei: G. A. Rämisch

Es war Par­tei­or­gan der Kon­ser­va­ti­ven und dien­te zum “Ver­mit­teln der poli­ti­schen Bil­dung und Ver­fas­sungs­rei­fe”, vor allem unter der Land­be­völ­ke­rung”. Der Aus­brei­tung der libe­ra­len und demo­kra­ti­schen Pres­se soll­te ein Rie­gel vor­ge­scho­ben wer­den. Die Leit­ar­ti­kel dien­ten den Par­tei­in­ter­es­sen und als Kampf­mit­tel gegen die Libe­ra­len. Der Oppo­si­ti­ons­cha­rak­ter des Blat­tes führ­te zu Dif­fe­ren­zen mit der Stadt­ver­wal­tung. Bei­trä­ge zu Gör­lit­zer Thea­ter­ver­hält­nis­sen, aus den Land­tags­ver­hand­lun­gen, Gör­lit­zer Kir­chen­lis­ten, Markt­prei­se und amt­li­che Bekannt­ma­chun­gen wur­den immer sel­te­ner, die Par­tei­in­ter­es­sen stan­den im Vor­der­grund. Die feh­len­de finan­zi­el­le Grund­la­ge zur Selb­stän­dig­keit führ­te im März 1867 zur Ein­stel­lung der Zeitung.

Neu­er Gör­lit­zer Anzei­ger 1877 bis 1941
Hrsg: Buch­dru­cke­rei­be­sit­zer Gus­tav Hoff­mann & Emil Reiber

Es wur­de die auf­la­gen­stärks­te Zei­tung Nie­der­schle­si­ens, wur­de im gesam­ten fort­schritt­li­chen Bür­ger­tum und auch in Intel­li­genz­krei­sen zur meist­ge­le­se­nen Tages­zei­tung, ver­trat den libe­ra­len Geist, indes frei von jeder Par­tei­en- Scha­blo­ne. Man las promp­te und gedie­ge­ne Bespre­chung der Tages­fra­gen in ihren Leit­ar­ti­keln, aus­führ­li­che Berich­te aus Reichs- und Land­tag, reich­hal­ti­ge und zuver­läs­si­ge Mit­tei­lun­gen aus der Lau­sitz und Schle­si­en. Man fand Pfle­ge der loka­len Tei­le, spe­zi­ell der städ­ti­schen Ange­le­gen­hei­ten. Noti­zen über Han­del, Indus­trie und Ver­kehr sowie Bör­sen- und Markt­nach­rich­ten, amt­li­che Erlas­se und stan­des­amt­li­che Nach­rich­ten von Gör­litz und Umge­bung. Das Feuil­le­ton ent­hielt gedie­ge­ne Novel­len, natur­wis­sen­schaft­li­che und kul­tur­ge­schicht­li­che Erör­te­run­gen. Der Ein­satz der damals moderns­ten Druck­tech­nik (Setz­ma­schi­nen und Rota­ti­ons­ma­schi­nen) wur­de mög­lich. Ein bekann­ter Mit­ar­bei­ter von 1925 bis 1932 war Johan­nes Wüsten.

Gör­lit­zer Zei­tung — Unab­hän­gi­ges Organ für Jeder­mann 1891 bis 1892
Her­aus­ge­ber: Buch­dru­cke­rei H. Kret­schmer, Mein­hardt & Co.

Sie nahm sich vor, zum Woh­le, zur Beleh­rung und Unter­hal­tung der Bewoh­ner von Gör­litz, der Lau­sitz und Schle­si­ens nach dem Mot­to “Bie­te jedem etwas, und du befrie­digst alle“ bei­zu­tra­gen, Auf­klä­rung über wich­ti­ge poli­ti­sche und mate­ri­el­le Zeit­fra­gen zu leis­ten, täg­lich Bericht zu erstat­ten über die den Poli­ti­ker und Kauf­mann inter­es­sie­ren­den Tages­de­pe­schen. Tages­er­eig­nis­se aus Gör­litz, den Nach­bar­or­ten, der schle­si­schen Haupt­stadt und der könig­li­chen Resi­denz Ber­lin zu brin­gen, außer­dem Bör­sen­be­rich­te, Kurs­no­tie­run­gen und Wet­ter­be­ob­ach­tun­gen. Unter­hal­tung durch Novel­len, Roma­ne, Kunst­kri­ti­ken und Kunst­no­ti­zen, Humo­ris­ti­sches und popu­lär gehal­te­ne Arti­kel über tech­ni­sche und wis­sen­schaft­li­che Fra­gen. Ab Febru­ar 1892 erfolg­te die Ver­öf­fent­li­chung der “Offi­zi­el­len Gör­lit­zer Fremden-Liste“.

Gör­lit­zer Volks­zei­tung 1899 bis 1933
Her­aus­ge­ber: SPD
Eige­ne Dru­cke­rei Lui­sen­stra­ße 8

Es war die sozi­al­de­mo­kra­ti­sche Zei­tung, Organ für die werk­tä­ti­ge Bevöl­ke­rung der Ober­lau­sitz, nann­te sich “beru­fe­ne Ver­tre­te­rin der Arbei­ter­inter­es­sen, um das Volk über den wah­ren Zustand der Gesell­schaft auf­zu­klä­ren“, ableh­nend “gegen­über dem nie­de­ren Klatsch wie Hof­be­rich­te und Hei­rats­ge­su­che“. 1910 erfolg­te die Schaf­fung einer eige­nen Dru­cke­rei durch den Auf­bau der Genos­sen­schaft “Arbei­ter­dru­cke­rei“ und des Spar­ver­eins “Gör­lit­zer Volks­zei­tung“. Ihre Geschich­te ende­te 1933 durch Ver­bot der Zei­tung durch die NSDAP, 13.3.1933 Beset­zung der Redak­ti­on und Dru­cke­rei durch SA und Poli­zei. Bekann­te Redak­teu­re waren: Paul Löbe, spä­ter Reichs­tags­prä­si­dent, Her­mann Mül­ler, spä­ter Reichs­kanz­ler, Paul Taub­a­del, Reichstagsabgeordneter.

Ober­lau­sit­zer Früh­post 1932 bis 1934
Ober­lau­sit­zer Tages­post ab 1934 bis 1945
Her­aus­ge­ber: Hel­muth Brück­ner (bis 1934)

Verbot der VolkszeitungNach der Beset­zung der Dru­cke­rei der Gör­lit­zer Volks­zei­tung 1933 in der Lui­sen­str. 8 wur­de die Zei­tung dort gedruckt als Organ der NSDAP. Sie war gekenn­zeich­net durch Ver­herr­li­chung des Natio­nal­so­zia­lis­mus, Het­ze gegen alle exis­tie­ren­den Zei­tun­gen. Ab 1. Mai 1934 wur­de die “Früh­post“ in “Tages­post“ umbe­nannt mit der Maß­ga­be, dass die gesam­ten Zei­tun­gen der schle­si­schen Ober­lau­sitz fort­an täg­lich nur in einer Aus­ga­be zu erschei­nen haben. 1933, 1941 und 1943 haben alle ande­ren Gör­lit­zer Zei­tun­gen ihr Erschei­nen ein­ge­stellt. Am 5. Mai 1945 erschien die letz­te Aus­ga­be der “Tages­post“.

Zei­tun­gen nach 1945 mit Gör­lit­zer Lokal­teil
Amt­li­che Bekanntmachungen

Es begann mit Amt­li­chen Bekannt­ma­chun­gen der Stadt Gör­litz, wel­che von 1945 bis 1950 erschie­nen. Nach der Wen­de wur­den die amt­li­chen Bekannt­ma­chun­gen der Stadt Gör­litz als “Amts­blatt“ wie­der­be­lebt. 1991 wur­den sie im Gör­lit­zer-Mosa­ik ver­öf­fent­licht. Von 1992 bis 1994 erschie­nen sie im Gör­lit­zer Wochen­spie­gel. Ab 1. Febru­ar 1994 wird das “Amts­blatt“ als eigen­stän­di­ge Publi­ka­ti­on herausgegeben.

NS-Propaganda 1933

Tages­zei­tun­gen
1946 wur­den die “Volks­stim­me“ der SPD und die “Säch­si­sche Volks­zei­tung“ der KPD zusam­men­ge­schlos­sen zur “Säch­si­schen Zei­tung“. Sie erschien vom 13.4. bis 20.5.1946 in Gör­litz. Nach Grün­dung der SED 1946 wur­de die “Säch­si­sche Zei­tung“ nur noch zwi­schen Dres­den und Baut­zen ver­trie­ben. Für Gör­litz war die “Lau­sit­zer Rund­schau“ zustän­dig, wel­che bis 13.8.1952 in Gör­litz erschien. Mit der Schaf­fung der Bezir­ke 1952 wur­de auch die Pres­se neu geord­net. Die “Lau­sit­zer Rund­schau“ wur­de dem Bezirk Cott­bus zuge­ord­net und die “Säch­si­sche Zei­tung“, als Organ der Bezirks­lei­tung Dres­den der SED, dem Bezirk Dres­den. Seit dem 15.8.1952 wur­de die “Säch­si­sche Zei­tung“ in Gör­litz ver­trie­ben. Sie hat­te sehr vie­le Abon­nen­ten. Im Regio­nal­teil berich­te­te sie über die SED- Par­tei­po­li­tik in allen gesell­schaft­li­chen Berei­chen und pro­pa­gier­te die Linie der Sächsische ZeitungPar­tei­füh­rung für die Stadt und den Land­kreis. Sie stütz­te sich auf zahl­rei­che “Volks­kor­re­spon­den­ten“. Auch die Tages­zei­tun­gen “Die Uni­on“ (CDU) und ”Säch­si­sches Tage­blatt“ (LDP) unter­hiel­ten in Gör­litz eige­ne Kreis­re­dak­tio­nen; sie wand­ten sich vor allem an die Mit­tel­schich­ten. Im Dezem­ber 1989 trat die Chef­re­dak­ti­on zurück, und die Säch­si­sche Zei­tung ändert ihren Unter­ti­tel, und die Kopf­zei­le “Pro­le­ta­ri­er aller Län­der ver­ei­nigt Euch“ ent­fiel. Im Janu­ar 1990 erklär­te die Zei­tung ihre Unabhängigkeit.

Von 1961 bis 1967 war das “LANDSKRON echo“ die Hei­mat­zei­tung für die Stadt und den Kreis Gör­litz. 1991 erschien der “Wochen­spie­gel“, in wel­chem von 1992 bis 1994 das Görlitzer AmtsblattGör­lit­zer Amts­blatt ver­öf­fent­licht wur­de. 1994 erfolg­te die Umbe­nen­nung in “Wochen­ku­rier“, und die amt­li­chen Mit­tei­lun­gen des Land­rats­am­tes erschei­nen hier. Wäh­rend der poli­ti­schen Umwäl­zung nach 1989 erschien die “Gör­lit­zer Zei­tung“, die den Ver­än­de­rungs­pro­zess kri­tisch beglei­te­te und furcht­los Skan­da­le auf­deck­te. Sie muss­te bald ihr Erschei­nen ein­stel­len. Seit 1993 gibt es den “Nie­der­schle­si­schen Niederschlesischer KurierKurier“ für die Stadt und den Land­kreis Gör­litz als Ergän­zung zum “Ober­lau­sit­zer Kurier“. Mit Schaf­fung des Nie­der­schle­si­schen Ober­lau­sitz-Krei­ses wur­de die Zei­tung kurz­zei­tig in “Gör­lit­zer Kurier“ umbe­nannt. Aber der Name “Nie­der­schle­si­scher Kurier“ hat sich durchgesetzt.

Das Mei­nungs­mo­no­pol einer ein­zi­gen regio­na­len Tages­zei­tung mit Kreis­teil wird von vie­len Ein­woh­nern bedau­ert. Zahl­rei­che Leser­brie­fe tra­gen jedoch dazu bei, unter­schied­li­che Stand­punk­te vorzutragen.

Claus Bern­hard, Zir­kel Gör­lit­zer Heimatforscher

Bild­nach­wei­se:
Bild 1: wikipedia.org

Bild 4: Staats­bi­blio­thek Ber­lin
Bil­der 2,3, 5 und 6: Stadt­BILD Aus­ga­be Nr. 79 aus 1/2010
Bild 7: Titel­sei­te Säch­si­sche Zei­tung Aus­ga­be 30.4.2011
Bild 8: Titel­sei­te Amts­blatt Gör­litz Aus­ga­be 18 aus 8/2012
Bild 9: Titel­sei­te Nie­der­schle­si­scher Kurier Aus­ga­be 37/2010

100 Jahre Sparkasse auf der Berliner Strasse in Görlitz

Als am 15. Mai 1850 beschlos­sen wur­de, in Gör­litz eine Spar­kas­se zu grün­den, hat noch nie­mand dabei an ein gro­ßes Gebäu­de gedacht.  Spar­kas­sen unter­la­gen zu die­ser Zeit sehr stren­gen Geschäfts­be­schrän­kun­gen. Sie hat­ten in ers­ter Linie die Auf­ga­be, ärme­ren Bevöl­ke­rungs­schich­ten eine siche­re Mög­lich­keit zu eröff­nen, kleins­te Kapi­tal­ein­la­gen zur Risi­ko­vor­sor­ge im Alter oder bei Krank­heit ver­zins­lich zurückzulegen.

So wur­de die Spar­kas­se Gör­litz im Par­terre der Pfand­leih­an­stalt in der Lan­gen­stra­ße ein­ge­rich­tet, und sie eröff­ne­te am 6. parsamkeitFebru­ar 1851 ihre Pfor­ten. Doch in der Regel waren Spar­kas­sen im Rat­haus unter­ge­bracht. Und auch die Spar­kas­se Gör­litz bezog um das Jahr 1860   ihren Geschäfts­räu­me  im Rat­haus am Unter­markt. Das mach­te auch des­we­gen Sinn, weil es damals üblich war, dass ein Beam­ter der Stadt die Lei­tung der Spar­kas­se inne­hat­te. Spä­ter waren oft­mals auch Nota­re Sparkassenleiter.

Sat­zungs­ge­mäß ist bei einer Spar­kas­se die Erzie­lung von Gewin­nen also nicht der Haupt­zweck des Geschäfts­be­trie­bes. Und so dau­er­te es natür­lich noch vie­le Jah­re, bis ein Bedürf­nis nach grö­ße­ren Geschäfts­räu­men ent­stand. Aber um das Jahr 1909 her­um war es dann soweit. Die Kas­sen­ge­schäf­te haben um ein Viel­fa­ches zuge­nom­men, und damit auch der Per­so­nal­be­darf –  ein neu­es Gebäu­de war nun erforderlich.

Da war es eine glück­li­che Fügung, dass das ehe­ma­li­ge Städ­ti­sche Kran­ken­haus von der Ber­li­ner Stra­ße in das neue Kli­ni­kum an

Görlitzer Stadtplan 1850

der Gir­bigs­dor­fer Stra­ße umzog. Zwi­schen 1909 und 1913 wur­de auf dem nun frei gewor­de­nen Grund­stück ein, wie es damals üblich war, impo­san­tes und  reprä­sen­ta­ti­ves Spar­kas­sen­ge­bäu­de errich­tet. Die­ses Gebäu­de run­de­te die Post­platz­be­bau­ung auf eine gedie­ge­ne und zeit­ge­mä­ße Wei­se ab. Die robus­te Fassade

Sparkasse Görlitz

aus mäch­ti­gen Natur­stein­qua­dern, die gebün­del­ten schma­len Fens­ter­ach­sen, die ver­ti­ka­le Glie­de­rung durch kräf­ti­ge Pfei­ler vom Erd­bo­den bis zum Dach zeig­ten Gemein­sam­kei­ten mit ande­ren stil­bil­den­den Bau­ten jener Jah­re. Ins­be­son­de­re der beherr­schen­de Trep­pen­haus­turm an der rech­ten Fas­sa­den­sei­te mit brei­tem Por­tal, mit der metall­ver­klei­de­ten vier­ecki­gen Kup­pel und der mäch­ti­gen Fah­nen­stan­ge mit dem ver­gol­de­ten Löwen aus dem Stadt­wap­pen war bedeut­sam für das Gesamt­bild des Post­plat­zes. Zeit­ty­pi­sche Bau­ma­te­ria­len (Natur­stein, Farb­glas, Kup­fer­blech, Holz, Bunz­lau­er Kera­mik) und die leuch­tend wei­ße Fens­ter­rah­men brach­ten neue Akzen­te in das nun abge­run­de­te Platz­ensem­ble. Seit das Haus am 1. Sep­tem­ber 1913 eröff­net wur­de, ist es unun­ter­bro­chen Sitz der Sparkasse.

Stadtbank Görlitz

Anfangs wur­den natür­lich nicht alle Räum­lich­kei­ten von der Spar­kas­se benö­tigt. So zogen hier, auf der Ber­li­ner Stra­ße 64, auch das Gericht, das Stan­des­amt und ein Bestat­tungs­un­ter­neh­men ein. Und ab 1922 resi­dier­te hier auch eine Filia­le der “Schle­si­sche Lan­des­bank”, die sich “Gör­lit­zer Stadt­bank” nannte.

1993 wur­de das Spar­kas­sen­ge­bäu­de innen kom­plett umge­baut und erhielt auf der Rück­sei­te wei­te­re Anbau­ten. Wäh­rend die­ser Zeit wur­den die Spar­kas­sen­ge­schäf­te in dem heu­te nicht mehr vor­han­de­nen Wil­helms­thea­ter weitergeführt.

Wie alle Spar­kas­sen in Deutsch­land unter­liegt auch die Gör­lit­zer Spar­kas­se einem ste­ti­gen Wan­del. Am 1. Janu­ar 1939 wur­de die Ober­lau­sit­zer Pro­vin­zi­al­spar­kas­se teil­wei­se in die Stadt­spar­kas­se ein­ge­glie­dert. Ab 1951 wur­den die DDR-Spar­kas­sen in die Staats­bank ein­ge­glie­dert. Gleich­zei­tig wur­den alle Kon­ten von Betrie­ben mit mehr als zehn Mit­ar­bei­tern auf die Staats­bank über­tra­gen. Den Spar­kas­sen ver­blieb die Auf­ga­be, Spar­bei­trä­ge ein­zu­wer­ben. So wur­de auch aus der Spar­kas­se Gör­litz eine unter­ge­ord­ne­te Filialkasse.

Wur­de schon zwi­schen 1933 und 1945 die Zahl der Spar­kas­sen durch Fusio­nen stark aus­ge­dünnt, setz­te sich die­ser Trend auch

Währungsunion in Görlitz

in den 1990er Jah­ren fort. Im Jahr 1992 fusio­nier­te die Stadt­spar­kas­se Gör­litz mit den Kreis­spar­kas­sen Nies­ky und Weiß­was­ser zur Nie­der­schle­si­schen Spar­kas­se. Schließ­lich ent­stand aus einer wei­te­ren Fusi­on der Nie­der­schle­si­schen Spar­kas­se mit der Kreis­spar­kas­se Löbau-Zit­tau am 1. Sep­tem­ber 2005 die heu­ti­ge Spar­kas­se Ober­lau­sitz-Nie­der­schle­si­en.

Und am heu­ti­gen 1. Sep­tem­ber 2013 kann die Spar­kas­se auf 100 erfolg­rei­che Jah­re auf der Ber­li­ner Stra­ße zurückblicken.

Quel­len:
Der Post­platz, Neue Stadt­bild Schrif­ten­rei­he Band 1, Sei­te 33
sz-online vom 30.08.2013

Tag des offenen Denkmals 2013“ in Görlitz

Tag des offe­nen Denk­mals 2013“ am 8. Sep­tem­ber 2013

Bereits zum 20. Mal fin­det die­ser Tag als Ver­an­stal­tungs­hö­he­punkt des Gör­lit­zer Jah­res­pro­gram­mes statt.

Ober­bür­ger­meis­ter Sieg­fried Dei­nege wird am Sonn­tag, dem 8. Sep­tem­ber, um 9:30 Uhr, am Platz vor dem Waid­haus bei der Peters­kir­che den Tag eröffnen.

Tag des offenen Denkmals 2013

Auch die­ses Jahr freu­en sich die Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter der Denk­mal­schutz­be­hör­de der Stadt Gör­litz auf vie­le Besu­che­rin­nen und Besu­cher zum „Tag des offe­nen Denk­mals“. Er steht unter dem spe­zi­el­len Mot­to „ Jen­seits des Guten und Schö­nen — unbe­que­me Denk­ma­le?“ Das Aus­ein­an­der­set­zen mit der Bau­ge­schich­te, aber auch das Sam­meln von Erkennt­nis­sen, wie man mit der Sanie­rung von Denk­ma­len umge­hen kann, wie sich Denk­ma­le ver­än­dert haben und wel­che Ent­de­ckun­gen dabei zu Tage getre­ten sind, sind Aspek­te, die die Denk­mals­tag­in­ter­es­sier­ten bewe­gen. Es ist – zur Freu­de der Orga­ni­sa­to­ren und der Denk­mal­in­ha­ber — immer deut­li­cher zu beob­ach­ten, dass sich ein nament­li­cher Denk­mal­tou­ris­mus ent­wi­ckelt hat. Besu­cher wäh­len gezielt an die­sem Tag eine Stadt aus und erkun­den diese.
In Gör­litz wer­den Vor­trä­ge, spe­zi­el­le Füh­run­gen und die Ver­an­stal­tun­gen des „Patri­mo­ni­um Gor­li­cen­se“ sehr gern ange­nom­men. Auch die­ses Jahr wer­den zwei spe­zi­el­le Füh­run­gen zur Wand­ma­le­rei Ober­markt 34 zu den Zei­ten 11:30 Uhr und 16:00 Uhr statt­fin­den. Die kos­ten­frei­en Teil­neh­mer­kar­ten gibt es am 8. Sep­tem­ber ab 10:00 Uhr am Infor­ma­ti­ons­stand der Denk­mal­schutz­be­hör­de, Unter­markt 20. In die­sem Zusam­men­hang wird um Ver­ständ­nis gebe­ten, dass zum Schutz der Wand­ma­le­rei die Teil­neh­mer­zahl auf 25 Per­so­nen je Füh­rung begrenzt ist. Auch wird der Pfer­de­bahn­wa­gen von 1882 wie­der zum Ein­satz gebracht.
Im Pro­gramm­heft, das für 1 Euro ange­bo­ten wird, kön­nen sich die Besu­cher einen Über­blick ver­schaf­fen, Infor­ma­tio­nen zu den ein­zel­nen Denk­ma­len und zum Pro­gramm des „Patri­mo­ni­um Gor­li­cen­se“ entnehmen.

19. Internationales Straßentheaterfestival Görlitz

Das Ger­hart Haupt­mann Thea­ter in der wun­der­schö­nen Euro­pa­stadt Gör­litz-Zgor­zel­ec lädt wie­der ein zum Inter­na­tio­na­len Stra­ßen­thea­ter­fes­ti­val Via­Thea vom 1. — 3. August 2013. 

viathea

Das inter­na­tio­na­le Stra­ßen­thea­ter­fes­ti­val ver­wan­delt seit 1995 für drei Tage im Som­mer die Euro­pa­stadt Görlitz/Zgorzelec in eine Kunst­stadt! Stra­ßen und Plät­ze der deutsch-pol­ni­schen Grenz­stadt bie­ten inter­na­tio­na­len Künst­lern und Thea­ter­grup­pen für Ihre Insze­nie­run­gen von höchs­ter künst­le­ri­scher Qua­li­tät eine gro­ße Thea­ter­büh­ne unter frei­em Him­mel. Sie zei­gen mit­rei­ßen­de, fas­zi­nie­ren­de und abwechs­lungs­rei­che Prä­sen­ta­tio­nen aus den Berei­chen dar­stel­len­der und bil­den­der Kunst. Mas­ken- und Figu­ren­thea­ter, Stel­zen, Walk Act, Tanz­thea­ter, Musik, Groß­pro­duk­ti­on, Artis­tik, Para­den, Cir­que Nou­veau und Phy­si­cal Thea­ter. Via­Thea ent­wi­ckel­te sich in 18 Jah­ren zu einem aner­kann­ten inter­na­tio­na­len Fes­ti­val und för­dert und ermög­licht Kunst im öffent­li­chen Raum sowie Begeg­nun­gen von Zuschau­ern und Künst­lern.
Quel­le:
viathea.de

Die Befreiungskriege 1813/1815 – für Görlitz der Erinnerung wert

Die Monats­zeit­schrift Stadt­BILD hat in ihrer Aus­ga­be Nr.  118 vom Mai 2013 einen Auf­satz von Dr. Ernst Kretz­schmar über die Befrei­ungs­krie­ge 1813/1815 veröffentlicht.

Vor genau 100 Jah­ren, also 1913, gab es in Gör­litz wich­ti­ge Jubi­lä­en und Ein­wei­hun­gen. Es war das letz­te Frie­dens­jahr, Höhe­punkt der bis­her unüber­trof­fe­nen höchs­ten Blü­te­zeit der Stadt. Man bewun­der­te die Neu­bau­ten: die Stadt­spar­kas­se Ber­li­ner Stra­ße, das Kauf­haus “Zum Strauß“ am Demia­ni­platz, die zwei Real­gym­na­si­en in der Süd­stadt und das Kre­ma­to­ri­um auf dem Städ­ti­schen Fried­hof. Die Gar­ni­son, das Infan­te­rie-Regi­ment Nr. 19, beging das 100. Regi­ments­ju­bi­lä­um. In den Schau­fens­ter­aus­la­gen der Buch­hand­lun­gen, in den vier ört­li­chen Tages­zei­tun­gen, im Schul­un­ter­richt und in den Mili­tär-Tra­di­ti­ons­ver­bän­den rück­te ein The­ma in den Mit­tel­punkt — die Erin­ne­rung an die sieg­rei­chen Befrei­ungs­krie­ge 1813/1815, mit denen die napo­leo­ni­sche Fremd­herr­schaft über wei­te Tei­le Euro­pas ein Ende nahm. Rats­ar­chi­var Pro­fes­sor Dr. Richard Jecht ver­öf­fent­lich­te 1913 eine gut les­ba­re und fak­ten­rei­che Über­blicks­dar­stel­lung “Gör­litz in der Franzosenzeit1806/1815”. Die 2. Auf­la­ge (1934) ist noch heu­te im Besitz zahl­rei­cher Gör­lit­zer Fami­li­en. Er ver­ar­bei­te­te zeit­ge­nös­si­sche Tage­bü­cher und Brie­fe, amt­li­che Doku­men­te aus dem Rats­ar­chiv sowie Presseberichte.

Beson­ders auf­schluss­reich ist auch das Buch von Johann Maaß “Kriegs­drangsa­le von Gör­litz und der benach­bar­ten Städ­te und Dör­fer. Wan­de­run­gen über die ver­öde­ten Gefil­de Sach­sens und der Ober­lau­sitz“ (1815/1816) mit einer kurz nach Kriegs­en­de zusam­men­ge­tra­ge­nen Auf­stel­lung über Zer­stö­run­gen und Zar Alexander I.Ver­lus­te der ein­zel­nen Gemein­den, die in ihrer nüch­ter­nen Kon­kret­heit erschüt­tert. Danach hin­ter­ließ das Jahr 1813 in Gör­litz mit sei­nen etwa 9000 Ein­woh­nern und 1100 Häu­sern 158 eltern­lo­se Kin­der, 32 abge­brann­te und 212 zer­stör­te Häu­ser und 1798 Tote in den Mili­tär­la­za­ret­ten. Die Stadt hat­te in die­sem einen Jahr 201.303 kran­ke und ver­wun­de­te Sol­da­ten zu ver­pfle­gen und 552.950 Mann Ein­quar­tie­rung. In zwei Kriegs­jah­ren muss­te die Stadt fast 700.000 Taler Kriegs­kos­ten auf­brin­gen. Aus bei­den Büchern erfährt man viel über die Schick­sa­le der Bevöl­ke­rung zwi­schen dem Sieg der preu­ßi­schen Trup­pen an der Katz­bach und der Völ­ker­schlacht bei Leip­zig, über Durch­zü­ge und Sta­tio­nie­run­gen fran­zö­si­scher, preu­ßi­scher und rus­si­scher Trup­pen mit den damit ver­bun­de­nen Belas­tun­gen, Auf­ent­hal­te bekann­ter Per­sön­lich­kei­ten und die Stim­mung der Einwohner.

Berich­tet wird über Napo­le­on I. und sei­ne Heer­füh­rer, über Zar Alex­an­der I. und Preu­ßen­kö­nig Fried­rich Wil­helm III., über Napoleon I.Blü­cher, Yorck, Stein und Arndt. Auch städ­ti­sche Reprä­sen­tan­ten wie Bür­ger­meis­ter Sohr und zahl­rei­che Ört­lich­kei­ten in Stadt und Land kom­men vor. Danach ist nie wie­der eine ver­tie­fen­de wis­sen­schaft­li­che Dar­stel­lung zum The­ma Gör­litz 1813/1815 erschie­nen. Die Ver­öf­fent­li­chun­gen über die Krie­ge 1866, 1870/1871 sowie über die zwei Welt­krie­ge ver­dräng­ten die Ereig­nis­se der Befrei­ungs­krie­ge aus dem gemein­sa­men Gedächtnis.

Nur für poli­ti­sche Durch­hal­te­ap­pel­le 1918 und 1945 waren Per­sön­lich­kei­ten und Taten der legen­dä­ren Krie­ge gegen Napo­le­on noch ein­mal gefragt. Weit wich­ti­ger für die Zukunft der Stadt wur­den die diplo­ma­ti­schen Fol­gen der Befrei­ungs­krie­ge. Der Wie­ner Kon­greß bemüh­te sich um ein neu­es Kräf­te­gleich­ge­wicht in Euro­pa nach dem Sieg über Napo­le­on. Sach­sen als Preußenkönig Friedrich Wilhelm III.Ver­bün­de­ter des Fran­zo­sen­kai­sers wur­de durch den Ver­lust der Nie­der­lau­sitz und der öst­li­chen Ober­lau­sitz hart getrof­fen. Für Gör­litz als Mit­tel­punkt der preu­ßi­schen Ober­lau­sitz ver­band sich damit nach Anfangs­schwie­rig­kei­ten ein ein­drucks­vol­ler und nach­hal­ti­ger poli­ti­scher, wirt­schaft­li­cher und kul­tu­rel­ler Auf­stieg bis 1914, der wei­te­re 75 Jah­re trotz aller Erschüt­te­run­gen nach­wirk­te. Vor allem dadurch präg­ten sich die Befrei­ungs­krie­ge in das Selbst­ver­ständ­nis der Gör­lit­zer ein.

Noch heu­te sind im Stadt­bild die mate­ri­el­len und geis­ti­gen BlücherSpu­ren die­ses Wie­der­auf­stiegs preu­ßi­scher Prä­gung über­all sicht­bar, trotz der Rück­glie­de­rung an Sach­sen durch die Besat­zungs­macht 1945. Auch eini­ge Stra­ßen­na­men mit Bezug auf die Befrei­ungs­krie­ge (Fich­te­stra­ße, Arndt­stra­ße, Theo­dor-Kör­ner-Stra­ße, Sohr­stra­ße) und Gedenk­ta­feln am Ober­markt (Napo­le­on, Zar Alex­an­der L), an der Lan­gen­stra­ße (Arndt) und der Stein­stra­ße (Frei­herr vom Stein) sind für Ein­hei­mi­sche und Tou­ris­ten auf­schluss­rei­che Denkanstöße.

1945 ver­schwand der Name Har­den­berg­stra­ße von der Kreuz­kir­che. Ins­be­son­de­re in der Ost­stadt erin­ner­ten bis 1945 in Ludwig Graf Yorck von Wartenburgder Nähe der Kaser­nen Stra­ßen­na­men an preu­ßi­sche Mili­tärs aus der Zeit der Befrei­ungs­krie­ge: Cour­biè­re, Scharn­horst, Gnei­se­nau, Yorck, Blü­cher, Kleist, Clau­se­witz, Lüt­zow — in die­ser Fül­le wohl sel­ten in einer ande­ren Stadt. In sei­nem Buch “Mei­ne Wan­de­run­gen und Wan­de­lun­gen mit dem Reichs­frei­herrn Hein­rich Karl Fried­rich von Stein” erwähn­te Ernst Moritz Arndt auch sei­nen Auf­ent­halt in Gör­litz (3. Auf­la­ge 2005 bei der Weid­mann­schen Ver­lags­buch­hand­lung Hildesheim).

Von einem lan­gen Nach­hall der Befrei­ungs­krie­ge ist heu­te in Freiherr vom SteinGör­litz kaum noch etwas zu spü­ren, obwohl es ja unüber­seh­ba­re aktu­el­le Bezü­ge gäbe. Nur die Schreck­nis­se von 1945 brach­ten noch ein­mal das unmit­tel­ba­re Kriegs­er­leb­nis in die Stadt und die Land­schaft. Das wirk­te nach bis heu­te. 1913 erschien eine Gedenk­mün­ze des Deut­schen Rei­ches zur Erin­ne­rung an den Sieg über die Fremd­herr­schaft 100 Jah­re zuvor. Auch für 2013 bemüh­ten sich die Numis­ma­ti­ker um eine ähn­li­che Gedenk­prä­gung durch die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land, wohl auch ermu­tigt durch die gelun­ge­ne Gedenk­mün­ze zum 300. Geburts­tag Fried­richs des Gro­ßen 2012.

Von Regie­rungs­sei­te gab es kein Ent­ge­gen­kom­men. Man ver­wies auf das Bünd­nis mit dem west­li­chen EU-Part­ner und brach­te Ernst Moritz Arndtdaher ein ande­res Münz­mo­tiv her­aus. Dar­auf sind zwei Strich­männ­chen mit eini­ger Mühe erkenn­bar, bei denen es sich um de Gaul­le und Ade­nau­er han­deln soll, die sei­ner­zeit das his­to­ri­sche Nach­bar­schafts­ab­kom­men unter­zeich­ne­ten. In Gör­litz erschien kürz­lich beim “Regio Kul­tur-Ver­lag Gör­litz” das illus­trier­te Heft “Spu­ren­su­che — Napo­le­on I. in der Regi­on Gör­litz” von Micha­el Gür­lach. Dar­in sind zahl­rei­che Gedenk­stät­ten abge­bil­det, dar­un­ter auch der Find­ling mit der Jah­res­zahl 1813 im Stadt­park. Die Stein­ta­fel, die frü­her an der Fas­sa­de Ober­markt 29 zu sehen war, ist nach der Sanie­rung des Hau­ses in eine Ecke der Ein­gangs­hal­le ver­bannt; die ein­ge­tief­te Inschrift mit den Namen der pro­mi­nen­ten Gäs­te (Napo­le­on I., Alex­an­der I.) ist kaum noch les­bar, weil die Fär­bung ent­fernt wurde.

Die Frei­heits­kämp­fer von damals haben wahr­lich mehr ver­dient, auch in Gör­litz. Aber die über­re­gio­na­le Pres­se und ande­re Medi­en haben schon wie­der die gut hono­rier­ten Hin­ter­fra­ger und Auf­ar­bei­ter in Stel­lung gebracht. Sie sol­len den Deut­schen ein­schär­fen, die Krie­ge hät­ten gar kei­ne Frei­heit gebracht (im Gegen­satz zu den USA und Frank­reich, ver­steht sich), und der Auf­schwung der natio­na­len Bewe­gung für ein ein­heit­li­ches Deutsch­land habe schlim­me Fol­gen gehabt. Und schließ­lich sei­en Nati­on, Volk, Vater­land und Unab­hän­gig­keit gar nicht mehr zeit­ge­mäß. Den­noch wird im Herbst das restau­rier­te Völ­ker­schlacht­denk­mal in Leip­zig 100 Jah­re nach sei­ner Theodor KörnerEin­wei­hung wie­der eröff­net. In unse­rer Geschich­te behal­ten die Befrei­ungs­krie­ge 1813/1815 den­noch ihren unver­lier­ba­ren Platz als Bei­spie­le ehren­haf­ten patrio­ti­schen Han­delns und natio­na­len Selbst­be­wusst­seins. Die Zeit wird kom­men, dass man dies wie­der ver­steht und beher­zigt. Ich wünsch­te mir, dass wir, stell­ver­tre­tend für alle Frei­heits­kämp­fer von 1813, Theo­dor Kör­ner ehren — an sei­nem Gedenk­stein auf der Lan­des­kro­ne und an sei­nem 200. Todes­tag. Er fiel am 26. August 1813 als Kämp­fer des Lüt­zow­schen Frei­korps. Quel­le: Mit freund­li­cher Geneh­mi­gung des Stadt­BILD-Ver­la­ges Görlitz

Heute vor 105 Jahren

Am 9. Mai 1908 stürz­te das Dach der Gör­lit­zer Stadt­hal­le ein. Zur Erin­ne­rung an die­ses trau­ri­ge Ereig­nis hat die Monats­zeit­schrift Stadt­BILD hat in ihrer Aus­ga­be Nr.  59 vom Mai 2008 einen Auf­satz von Herrn Dr. Ernst Kretz­schmar veröffentlicht:

Sanft knirsch­te der fri­sche Kies unter den Schuh­soh­len der zwei Män­ner, die am 9. Mai 1908 mit eili­gen Schrit­ten zur stei­ner­nen Nei­ße­brü­cke unter­wegs waren. Sie woll­ten sich die neu­es­te ehe­ns­wür­dig­keit anschau­en — die Musik­hal­le, in der man bei Stadthalle Görlitzden letz­ten Aus­bau­ar­bei­ten war. Es hat­te viel Hin und Her um die neue Stadt­hal­le gege­ben. Die Gör­lit­zer hat­ten die­sen gräß­li­chen Zir­kus­schup­pen “Musik­stall” getauft. Er war längst zu ärm­lich für die Schle­si­schen Musik­fes­te gewor­den. Aber das neue Haus mit sei­nen zwei Sälen, sei­ner Gast­stät­te und sei­nem Kon­zert­gar­ten moch­te zu kost­spie­lig für Gör­lit­zer Ver­hält­nis­se sein. Erst 1906 hat­ten die Stadt­ver­ord­ne­ten die ver­an­schlag­ten 810.000 Mark geneh­migt. Eine Lot­te­rie erbrach­te 300.000 Mark, Spen­den gin­gen ein. Mitt­ler­wei­le wur­de alles teu­rer, man beschleu­nig­te das Bau­tem­po, und nun waren es nur noch Wochen bis zur Eröff­nung.
Es war  gera­de eine Vier­tel­stun­de nach drei als ein son­der­ba­res, kräf­ti­ges Rau­schen ertön­te. Sekun­den spä­ter folg­te ein don­nern­des Getö­se, als hät­te eben ein Blitz einen Park­baum getrof­fen. Ein gewal­ti­ger grau­brau­ner Staub­pilz wuchs aus dem Gebäu­de, ver­fins­ter­te den Him­mel und umhüll­te die Mau­ern. Mit Schrei­en des Ent­set­zens spran­gen Bau­ar­bei­ter aus Türen und Fens­tern zu ebe­ner Erde. Einer jag­te zum Feu­er­mel­der am Park und zog den Alarmhebel.

Nach weni­gen Minu­ten war die ers­te Feu­er­wehr da. Lang­sam senk­te sich die Staub­wol­ke. Fas­sungs­los sahen Spa­zier­gän­ger, dass der obe­re Teil der Umfas­sungs­mau­er fehl­te. Auch die Dach­fi­gu­ren waren verschwunden.

Um vier Uhr nach­mit­tags hat­te sich eine auf­ge­reg­te Men­schen­men­ge ange­sam­melt. Was war gesche­hen? Was tat sich dort unten in den Trüm­mern? Wei­te­re Feu­er­weh­ren rück­ten an — 40 Mann Frei­wil­li­ge Feu­er­wehr, 20 Mann Werk­feu­er-Wehr und 80 Arbei­ter aus der Wag­gon­fa­brik. Spä­ter kam noch eine Kom­pa­nie Pio­nie­re. Ret­tungs­wa­gen fuh­ren durch die schma­le Gas­se inmit­ten der Tau­sen­de, die Stun­de um Stun­de war­te­ten. Zei­tungs­re­por­ter tauch­ten auf, dann die Foto­gra­fen mit ihren Apparaten.

End­lich stieg ein Bau­füh­rer auf einen Feu­er­wehr­wa­gen und gab knapp Aus­kunft, was man bis jetzt wis­sen konn­te. Stu­cka­teu­re Stadthalle Görlitzhat­ten auf dem Hoch­ge­rüst an der Saal­de­cke gear­bei­tet, als plötz­lich das Dach des Mit­tel­baus ein­ge­stürzt war und die Gerüs­te hin­ab­ge­ris­sen hat­te. Die her­ab­stür­zen­de Dach­kon­struk­ti­on hat­te den Saal­bo­den ein­ge­drückt, die Trüm­mer füll­ten nun die Kel­ler. Logen und Rän­ge waren zer­stört,
die Außen­mau­ern ein­ge­ris­sen. Fünf Arbei­ter waren durch den Schutt erschla­gen oder erstickt, acht wei­te­re ver­letzt wor­den. Zum Glück waren eini­ge Beschäf­tig­te schon mit dem Nach­mit­tags­zug abge­fah­ren, um am Wochen­en­de bei ihren Fami­li­en zu sein, sonst hät­te die Kata­stro­phe mehr Men­schen­le­ben gefor­dert. Archi­tekt und Bau­lei­ter waren in Unter­su­chungs­haft, hieß es.

Der Abend wur­de trü­be und reg­ne­risch. Die Regen­strö­me eines Gewit­ters schlu­gen gegen die ein­sturz­ge­fähr­de­ten Wän­de. Zer­bors­te­ne Bal­ken, ver­bo­ge­ne Stahl­trä­ger und Stein­klum­pen ver­meng­ten sich zu einer gespens­ti­schen Kra­ter­land­schaft. Erst am Sonn­tag­abend wur­den die Ret­tungs­ar­bei­ten eingestellt.

Zei­tun­gen berich­te­ten vom Fort­gang der Unter­su­chun­gen, vom Pro­zess gegen die Ver­ant­wort­li­chen, der 60.000 Mark kos­te­te und mit Frei­spruch ende­te, und von der um zwei Jah­re ver­spä­te­ten glanz­vol­len Eröff­nung am 27. Okto­ber 1910.

Hat­ten die Stadt­vä­ter anfangs mit den Bau­kos­ten geknau­sert, waren nun am Ende 1.140.000 Mark zusam­men­ge­kom­men. Für die Bau­ar­bei­ter gab es ein Ban­kett im gro­ßen Saal. Beim Eröff­nungs­kon­zert aber blie­ben die hohen Herr­schaf­ten unter sich. Ver­stoh­len blick­te man­cher befrack­te Ehren­gast zur Saal­de­cke hoch. Dass sie jetzt stand­hielt, war mit Men­schen­op­fern erkauft. In der Zei­tung jedoch las man von kost­ba­ren Gar­de­ro­ben und von jubi­lie­ren­dem Chor­ge­sang.
Dr. Ernst Kretz­schmar
(Aus: Geschich­ten aus Alt-Gör­litz, 1983
)

Text und Bil­der mit freund­li­cher Geneh­mi­gung des Stadt­BILD-Ver­la­ges Görlitz

Die Geburtsstunde des Fernsehens

Einer der Fern­seh­pio­nie­re, Robert Lem­ke, bemerk­te ein­mal rück­bli­ckend: “Es wird immer ein Rät­sel blei­ben, wie jemand das Fern­se­hen erfin­den konn­te, obwohl es doch damals gar kein Pro­gramm gab.” 

Tja, ein ver­nünf­ti­ges Pro­gramm gibt es auch heu­te, Jahr­zehn­te spä­ter, nicht. Aber reich­lich öffent­lich-recht­li­che Fern­seh-Sen­de­an­stal­ten. Hier, beson­ders beim ZDF, tum­meln sich dann die soge­nann­ten alt­ge­dien­ten Poli­ti­ker aller Cou­leur. Wer sich für sei­ne Par­tei ver­dient gemacht hat, bekommt ein schö­nes Pöstchen.

In den ver­gan­ge­nen Tagen wur­de das ZDF 50 Jah­re und fei­er­te ZDFsich selbst, zum Bei­spiel in einer zwei­tei­li­gen Jubi­lä­ums­show mit May­brit Ill­ner. Es gab eine “Zeit­rei­se durch die Fern­seh­ge­schich­te“, und alle, die wie­der mal gese­hen wer­den woll­ten, kamen zum Gra­tu­lie­ren. Aber auch zum offi­zi­el­len Sen­de­be­ginn des ZDF, am 1. April 1963, konn­ten nur weni­ge Fern­seh­teil­neh­mer erreicht wer­den. Vie­le Men­schen besa­ßen gar kein Emp­fangs­ge­rät für den UHF-Frequenzbereich.

Luftschutzbunker in HamburgDer dama­li­ge NWDR star­te­te das Deut­sche Fern­se­hen (heu­te “Das Ers­te”) am 25. Dezem­ber 1952 in den Luft­schutz­bun­kern auf dem Hei­li­gen­geist­feld in Ham­burg. In der DDR began­nen die ers­ten  Sen­de- und Emp­fangs­ver­su­che am 20. Dezem­ber 1951. Dann ver­gin­gen mehr als 10 Jah­re bis zum Sen­de­be­ginn des ZDF.

Mit der tat­säch­li­chen Geburts­stun­de des Fern­se­hens, die bereits 80 Jah­re zurück­liegt, hat sich Wolf­hard Bes­ser mit sei­nem Auf­satz “Wie das Fern­seh­zeit­al­ter Ost in Gör­litz begann” beschäf­tigt. Der Auf­satz wur­de in der Aus­ga­be Nr. 76 vom Okto­ber 2009 der Monats­zeit­schrift Stadt­BILD veröffentlicht:

Rela­tiv kur­ze Zeit nach der offi­zi­el­len Ein­füh­rung des Rund­funks in Deutsch­land 1923 gelang es Man­fred von Arden­ne, mit der Ent­wick­lung der Braun­schen Röh­re 1930 ers­te Bil­der dar­zu­stel­len und zu über­tra­gen. Im Früh­jahr 1934 begann der Pro­be­be­trieb des ers­ten öffent­li­chen Fern­seh­sen­ders, der in Ber­lin-Witz­le­ben stand, durch Bild­ab­tas­tung mit­tels Nip­kow-Schei­be. Die Ent­wick­lung des Fern­se­hens in Deutsch­land schritt soweit vor­an, dass zu den Olym­pi­schen Spie­len 1936 Direkt­über­tra­gun­gen von den Sport-Wett­kämp­fen in eigens dazu ein­ge­rich­te­ten Fern­seh­stu­ben in Ber­lin mög­lich wur­den. Zu wei­ter ent­fernt lie­gen­den Gegen­den reich­te die Aus­strah­lung des Pro­gramms nicht. Es muss­ten noch über 20 Jah­re ins Land gehen, bis auch in Gör­litz Fern­se­hen emp­fan­gen wer­den konnte.

Die tech­ni­sche Ent­wick­lung des Fern­se­hens mach­te wei­te­re Fort­schrit­te, so dass schon 1938 auf der Funk­aus­stel­lung in Ber­lin eine ver­bes­ser­te Über­tra­gungs­tech­nik vor­ge­stellt wer­den konn­te. Der 2. Welt­krieg unter­brach die Ent­wick­lung, die erst wie­der Ende der 40er, Anfang der 50er Jah­re auf­ge­nom­men wer­den konn­te — in Ost- wie in Westdeutschland.

1950 bereits begann der Nord­west­deut­sche Rund­funk (NWDR) in Ham­burg mit Fern­seh­ver­suchs­sen­dun­gen, um dann ab dem 25. Dezem­ber 1952 ein stän­di­ges Pro­gramm ein­zu­füh­ren. Auch in Ost­ber­lin waren die Tech­ni­ker und Wis­sen­schaft­ler soweit vor­an­ge­kom­men, dass sie ein Ver­suchs­pro­gramm star­ten konnten.

Das in Ber­lin-Adler­hof gegrün­de­te und seit 1950 im Auf­bau befind­li­che Fern­seh­zen­trum nahm am 21. Dezem­ber 1952 sein Ver­suchs­pro­gramm auf, vor­erst wie­der nur in Ber­lin zu emp­fan­gen, abge­strahlt zunächst vom Stadt­haus am Mol­ken­markt, spä­ter dann auch von den Müggelbergen.

Aus einem beschei­de­nen Stu­dio in Adlers­hof sen­de­te das “Fern­seh­zen­trum Ber­lin” mehr­mals wöchent­lich ein zwei­stün­di­ges Pro­gramm, an das man noch kei­ne hohen Ansprü­che stel­len konn­te, 13 Stun­den in der Woche. Es fehl­ten ein­schlä­gi­ge Erfah­run­gen und tech­ni­sche Vor­aus­set­zun­gen. Das Are­al des Fern­seh­zen­trums wur­de zügig aus­ge­baut; wei­te­re Fern­seh­sen­der kamen dazu, erst in Leip­zig, dann folg­te Dres­den. Das Ver­suchs­pro­gramm gestal­te­te sich inzwi­schen auch abwechs­lungs­rei­cher und weck­te somit Inter­es­se, obwohl Fern­seh­ge­rä­te fast nicht erschwing­lich waren.

Pfiffi­ge Gör­lit­zer Rund­funk­tech­ni­ker mach­ten sich Gedan­ken, wie man auch in der Nei­ße­stadt das Pro­gramm aus Adlers­hof emp­fan­gen könn­te. Auf­grund der Aus­brei­tungs­wei­se von Fern­seh­si­gna­len ist es nur mög­lich, sie von einem star­ken Sen­der aus in einem Umkreis von etwa 100 km mit­tels einer auf­wän­dig instal­lier­ten Anten­ne ein­zu­fan­gen. Theo­re­tisch hät­te die Abstrah­lung der Signa­le von Dres­den bis Gör­litz rei­chen müs­sen. Aber das Ober­lau­sit­zer Berg­land und die im Nei­ße­tal lie­gen­de Stadt sind Hin­der­nis­se in der Aus­brei­tung der Fernsehwellen.

Da ist nur die Lan­des­kro­ne ein hoher Punkt, wo noch Fern­seh­emp­fang mög­lich wäre, sag­ten sich Gör­lit­zer Enthu­si­as­ten 1955/56. So began­nen u. a. zwei Betriebs­funk­tech­ni­ker aus dem VEB Gör­lit­zer Maschi­nen­bau und dem VEB Beklei­dungs­werk Gör­litz mit dem Expe­ri­ment. Und sie­he, auf dem Gör­lit­zer Haus­berg konn­te man die Signa­le aus Dres­den emp­fan­gen. Die Gast­stät­ten­lei­tung der Lan­des­kro­ne konn­te wohl über­zeugt wer­den, ein Fern­seh­ge­rät anzu­schaf­fen; ver­mut­lich wit­ter­te sie einen höhe­ren Umsatz an Geträn­ken und Speisen.

Seit Jah­res­an­fang 1956 war das Fern­se­hen aus Adlers­hof kein Ver­suchs­pro­gramm mehr. Es nann­te sich von nun an Deut­scher Fern­seh­funk (DFF). Zu die­sem Zeit­punkt regis­trier­te die Deut­sche DFFPost 13 000 Emp­fangs­ge­rä­te in der gesam­ten DDR. Da es sich in Gör­litz her­um­ge­spro­chen hat­te, dass auf der Lan­des­kro­ne Fern­se­hen mög­lich war, pil­ger­ten vie­le Gör­lit­zer bei beson­de­ren Ange­bo­ten am zei­ti­gen Abend auf den Haus­berg. Das Gerät stand dann am Kopf­en­de der gro­ßen Gast­stät­ten-Veran­da, die heu­te nur noch zu beson­de­ren Anläs­sen genutzt wird.

Sehr voll wur­de der Gast­raum bei der neu ein­ge­führ­ten Unter­hal­tungs­sen­dung “Da lacht der Bär“. Sie kam in der Regel vier­wö­chent­lich meist mitt­wochs aus dem alten Fried­rich­stadt-Palast. Da saßen nun eini­ge zehn Dut­zend Gäs­te in eigens auf­ge­stell­ten Stuhl­rei­hen und ver­folg­ten das schwarz-wei­ße Gesche­hen auf dem klei­nen Bild­schirm, soweit das über­haupt gelang. Für die hin­ters­ten Rei­hen stell­te die Fern­seh­über­tra­gung oft nur einen gemein­schaft­li­chen Rund­funk­emp­fang dar. An ande­ren Tagen, wenn Adlers­hof kei­ne so publi­kums­wirk­sa­men Pro­gram­me sen­de­te, stand das Emp­fangs­ge­rät im Turmzimmer.

In die­ser Zeit wur­de das DDR-Ter­ri­to­ri­um immer mehr fern­seh­mä­ßig erschlos­sen, so dass fast im gan­zen Land das Pro­gramm des DFF gese­hen wer­den konn­te. Aber es gab auch Gebie­te, die auf­grund der geo­gra­fi­schen Lage schlecht zu ver­sor­gen waren, wie das Gör­lit­zer Nei­ße­tal. Des­halb such­te das zustän­di­ge Res­sort “Rund­funk und Fern­se­hen im DDR-Minis­te­ri­um für Post und Fern­mel­de­we­sen“ einen Aus­weg. Der lag zunächst in der Erpro­bung eines Klein­sen­ders. Die Wahl fiel auf die Lan­des­kro­ne. Also errich­te­ten Funk­tech­ni­ker dort im Lau­fe des Jah­res 1956 einen Klein­sen­der für Ver­suchs­zwe­cke. Wäh­rend nor­ma­le Fern­seh­sen­der eine Leis­tung von min­des­tens 1 kW haben, ver­füg­te der Ver­suchs­sen­der auf der Lan­des­kro­ne nur über 200 Watt. Dazu muss­te der gro­ße Aus­sichts­turm der Lan­des­kro­ne als Fern­seh­sen­der­stand­ort aus­ge­rüs­tet wer­den. Außer die­sem Klein­sen­der wur­de noch ein UKW-Sen­der instal­liert, der bereits am 24.12.1956 sei­nen Pro­be­be­trieb auf­nahm und schon ab 1.1.1957 auf der Fre­quenz 95,2 MHz das Pro­gramm von Radio DDR aus­strah­len konnte.

Auch dies war eine funk­tech­ni­sche Neue­rung, denn zu die­ser Zeit begann der DDR-Rund­funk sein UKW-Sen­der­netz aus­zu­bau­en. UKW Gör­litz war erst der fünf­te Sen­der die­ser Art von Radio DDR. In der Gör­lit­zer Regi­on konn­te man bis zu die­sem Zeit­punkt nur den schwa­chen Mit­tel­wel­len­sen­der Rei­chen­bach mit sei­nem abge­strahl­ten Pro­gramm des Ber­li­ner Rund­funks eini­ger­ma­ßen gut zu emp­fan­gen, das ja nicht gera­de für den Gör­lit­zer Raum gedacht war, aber das sor­bi­sche Sied­lungs­ge­biet aus dem dama­li­gen Sor­bi­schen Stu­dio Gör­litz (Hein­zel­stra­ße 4) mit Sen­dun­gen in sor­bi­scher Spra­che versorgte.

Am 15. Sep­tem­ber 1957 war es dann soweit: Von der Lan­des­kro­ne aus wur­den die ers­ten Fern­seh­si­gna­le aus­ge­strahlt. Die Gör­lit­zer konn­ten von nun an fern­se­hen, sofern ein Fern­seh­ge­rät für den Ein­zel­nen erschwing­lich war. Auch der Autor die­ser Erin­ne­run­gen ließ sich von die­sem neu­en Medi­um begeis­tern und bestell­te im HO-Rund­funk-Fach­ge­schäft in der Ber­li­ner Stra­ße ein Gerät mit Ein­tra­gung in eine War­te­lis­te. Es soll­te ein Appa­rat der Mar­ke “Radu­ga” mit 33er Bild­röh­re sein. Heu­te kaum vor­stell­bar, wie klein der Bild­schirm gewe­sen wäre, wenn es nicht eines Tages das Ange­bot gab, auf den neu­en Typ “Nord­licht“ mit 43er Bild­röh­re aus dem Fern­seh­ge­rä­te­werk Calbe/Saale aus­zu­wei­chen für 1.800 Mark; auf Abzah­lung bei 280 DDR-Mark Monats­ver­dienst! Zwölf Kanä­le besaß der Fern­se­her, aber nur einer davon war für den Klein­sen­der Lan­des­kro­ne bestimmt. Alle ande­ren blie­ben zunächst unbe­nutzt. Zwar konn­te man spä­ter auch das pol­ni­sche und tsche­chi­sche Fern­se­hen emp­fan­gen, aber ohne Ton, denn die ost­eu­ro­päi­schen Län­der hat­ten ein ande­res Über­tra­gungs­sys­tem gewählt, so dass nur der Bild­emp­fang mög­lich war. Trotz­dem schau­te man mal in das ton­lo­se Pro­gramm hin­ein. Sonn­tag­nach­mit­tags sen­de­te z.B. Tele­wiz­ja Pol­ska eine eng­li­sche Aben­teu­er­se­rie über Robin Hood. Man sah eben mal etwas ande­re beweg­te Bil­der. Wolf­hard Besser

Quel­len: Pro­gramm­zeit­schrif­ten “Unser Rund­funk“ (1957/58) und ”FF-dabei“ (1974) Deut­sches Rund­funk­ar­chiv Pots­dam, Bun­des­ar­chiv und privat