Königliche Baugewerkschule und Königliche Maschinenbauschule in Görlitz — Teil 3
Die Königliche Baugewerkschule und Königliche Maschinenbauschule Görlitz befand sich jenseits der Neiße am Friedrichsplatz (heute Partyzantów 4, 59–900 Zgorzelec) in der früheren Görlitzer Oststadt. Aus der Oststadt ist nach dem 2. Weltkrieg das heutige polnische Zgorzelec hervorgegangen. Die Monatszeitschrift StadtBILD hat in ihrer Ausgabe vom März 2013 einen Aufsatz von Wolfgang Stiller veröffentlicht, in dem Historisches über die ehemalige Schule behandelt wird:
Anmerkung: Leser zum Artikel der Baugewerk- und Maschinenbauschule (Teil 1) Zunächst eine Berichtigung. Ein Leser informierte mich, dass der Architekt der Rothenburger Versicherung (Gebäude der Hochschule) nicht der Baugewerkschullehrer Prof. Hugo Behr gewesen ist, sondern der bekannte Görlitzer Architekt Gerhard Röhr. Natürlich hat der Leser Recht, und ich möchte mich für diese Verwechslung entschuldigen.
Ein weiterer Leser meint, dass vor der Ingenieurschule für Maschinenbau in diesem Hause die Ingenieurschule für Schienenfahrzeuge ansässig gewesen sei. Dies konnte ich nicht überprüfen, da mir dazu keine Quellen zur Verfugung stehen.
Nach Erscheinen des Artikels im Teil 1 über die Baugewerk- und Maschinenbauschule informierte mich Frau Starke von der Melanchthonstraße, dass ihr Vater Hans Beckert vom 5.3.1932 bis zum 14.2.1934 an der Technischen Staatslehranstalt für Maschinenwesen in Görlitz studiert habe und sie im Besitz einer Reihe von Dokumenten sei. Bei einem Treff konnte ich die Zeitzeugnisse einsehen, und Frau Starke gab mir die Erlaubnis, darüber zu berichten:
Hans Beckert wurde 1912 geboren, besuchte von 1918 bis 1927 die Volks- bzw. Grundschule und wurde aus der Oberklasse entlassen.
Von 1927 bis 1931 erlernte er bei der Firma Reinhold Hilbrich in der Hotherstraße 1 das Schlosser- und Dreherhandwerk, welches er mit dem Prädikat “sehr gut” beendete, und für sein Gesellenstück erhielt er ein Diplom. Bereits in dieser Zeit nahm er an Abendkursen der Maschinenbauschule teil.
Vom Dezember 1931 bis Februar 1932 war er Volontär bei der Spezialgießerei Trabner und Co, Jauernicker Straße 40. Vom 5.3.1932 bis zum 14.2.1834 besuchte Herr Beckert die Technische Staatslehranstalt für Maschinenwesen in Görlitz am Friedrichsplatz. Das Studium schloss er mit dem Prädikat “Mit Auszeichnung bestanden” ab.
An dieser Anstalt gab es auch die Technische Vereinigung Staatlicher Maschinenbauschüler “Lusatia” Görlitz.
Nach dem Studium war er zunächst vom 19.2.1934 bis 31.7.1935 als Maschinentechniker im technischen Büro Abt. Ziegeleimaschinen der Firma Raupach Maschinenfabrik beschäftigt und wechselte dann am 1.8.1935 zur Wumag, Abt. Maschinenbau. Dort war er als Dampfmaschinen-Konstrukteur und später als Montageingenieur für Dampfturbinen tätig.
Im Oktober 1944 wurde er zur Wehrmacht nach Liegnitz einberufen, Anfang 1945 zum Bau von Schützengräben in Deutsch Ossig eingesetzt und von dort ohne Vorankündigung und Verabschiedung von der Familie an die Front verladen. Die letzte Feldpost kam aus Neuhammer bei Sagan, datiert vom 12.2.1945, erreichte die Familie aber erst Ende Februar 1945.
Bereits beim ersten Kampfeinsatz am 15.2.1945 in Doberpause bei Sagan am Queiß wurde er so schwer verwundet, dass er an den Folgen verstarb. Wo er seine letzte Ruhe fand, ist trotz Nachforschungen nicht bekannt.
Von der Königlichen Maschinenbauschule zur Technischen Staatslehranstalt für Maschinenwesen Görlitz zur höheren Technischen Staatslehranstalt für Maschinenwesen Görlitz. Im Besitz der Familie Starke befindet sich auch die Festschrift zur 40-Jahr-Feier der Höheren Technischen Staatslehranstalt für Maschinenwesen Görlitz 1898 — 1938. Ein einmaliges Dokument über die Geschichte der Anstalt, die nicht einmal in den Görlitzer Archiven vorhanden ist.
Die Einrichtung wurde, wie bereits erwähnt, 1898 auf Anregung des hiesigen “Technischen Vereins“ im neu errichteten Gebäude am Friedrichsplatz gemeinsam mit der Baugewerkschule eingerichtet. Die Stadt musste sich jedoch verpflichten, für die unentgeltliche Unterbringung der Schule zu sorgen und einen erheblichen Betriebskostenzuschuss für den Unterhalt zu zahlen. Der Staat übernahm nur die Kosten für das Lehrpersonal, die Unterhaltung des Inventars und der technischen Einrichtungen.
Die Schule bestand zunächst aus einem 4‑klassigen Werkmeisterunterricht und einer Fortbildung für Maschinenbauer, Schlosser und Schmiede. An dieser Einrichtung wurde bereits 1910 neben dem Direktstudium das Abend- und Sonntagsstudium mit 6 aufsteigenden Klassen mit wöchentlich 10 Unterrichtsstunden eingeführt.
Im Sommer 1905 wurde mit dem Bau des maschinen- und elektrotechnischen Laboratoriums begonnen und dieses am 1.10.1906 eingeweiht. Die Stadt stellte für dessen Bau 50.000,- Mark bereit, und das Ministerium für Handel und Gewerbe bewilligte für die Anschaffung von Maschinen und Apparaten 45.000,- Mark. Weitere Austattungsgegenstände wurden durch Sponsoren zur Verfügung gestellt.
Im August 1914 wurde wegen der Einberufungen die Anstalt geschlossen und im Sommerhalbjahr 1915 der Unterricht im sehr beschränkten Umfange wieder aufgenommen. Teile der Schule wurden vom Landsturmbataillon des IR 19 bis 1916 belegt, und später wurde in den oberen Räumen ein Reservelazarett des DRK eingerichtet. Danach fand vom November 1918 bis April 1919 noch einmal eine militärische Einquartierung durch das Freikorps Faupel statt, so dass erst danach ein ordentlicher Schulbetrieb wieder möglich war. Im Sommersemester 1919 waren es 93 Studenten. In den Jahren von 1924 bis 1930 war in der Einrichtung die Heeresfachschule mit 3 Klassen mit je 20 bis 30 Heeresangehörigen zusätzlich belegt.
Mit der Weltwirtschaftskrise Anfang 1930 wurden viele Schulen aufgelöst, und die Görlitzer Einrichtung sollte das gleiche Schicksal ereilen. Zählte doch die Oberlausitz durch besonders hohe Arbeitslosigkeit zum Notstandsgebiet, und das führte zu sehr geringen Einschreibungen an dieser Anstalt.
Dagegen wehrten sich die Stadt, die hiesige Industrie, Post und Bahn mit Erfolg. Das Reichserziehungsministerium stimmte dem Weiterbetrieb der Anstalt zu, legte aber fest, dass mit Wirkung vom 1.10.1936 die Görlitzer Schule in eine “höhere Technische Staatslehranstalt für Maschinenwesen“ umzugestalten sei mit dementsprechend veränderten Lehrplänen.
Indem 10% der Schulgeldeinnahmen für Studienbeihilfen bzw. Schulgeldbefreiungen für bedürftige Studenten verwendet werden konnten und die Industrie Freistellen und einmalige Unterstützungen zur Verfügung stellte, stiegen die Studienteilnehmerzahlen wieder erheblich an. Ab 1937 waren dies nur an der Abendschule zwischen 112 und 146 Teilnehmer.
Segensreich war von Anfang an die Unterstützung Görlitzer Unternehmen, insbesondere der Firma Richard Raupach, Maschinenfabrik Görlitz. Bereits im April 1914 wurde der Anstalt die “Richard Raupach Stiftung“ mit einem Betrag von 15.000,- Mark übergeben. Aus den Zinsen sollten bedürftige Studenten mit Wohnsitz in Görlitz ein Stipendium erhalten. Anspruch hatten aber in erster Linie Schüler, die in der Firma Raupach gelernt hatten. Im Jahre 1918 errichtete Kommerzienrat Raupach erneut eine Stiftung in Höhe von 20.000,- Mark, die der Förderung und Ausbildung von Kriegsinvaliden zu Werkmeistern und Technikern dienen sollte. Leider ging dieses Vermögen mit der Inflation verloren.
Darüber hinaus gab es für die Schule die “Louis Queißner Stiftung“, die “Eintracht Stiftung“ und die “Weinberg Stiftung“. Weitere Firmen, Private und Gemeinden stellten einmalige oder laufende Beträge zur Verfügung, so dass ein Schulstiftungsvermögen von 11.000,- Mark entstehen konnte. Aus dessen Zinsen in Höhe von 800,- Mark konnten weitere Unterstützungen an Bedürftige gewährt werden.
Als ein ganz wichtiges Ziel gestaltete sich an dieser Einrichtung die Begabtenförderung, indem Jugendliche aus nicht vermögenden Verhältnissen ein Studium aufnehmen konnten. Die Schulbibliothek umfasste 40.000 Lehrbücher und Fachzeitschriften zur kostenlosen Ausleihe. Im Verlaufe der 40 Jahre (1898–1938) sind in 69 Semestern 1843 Studierende eingetreten, davon haben 1302 Studierende das Reifezeugnis erhalten, das sind 70 % der Eingetretenen. Den Firmen, die in uneigennütziger Weise die Staatslehranstalt und ihre Studierenden durch Gewährung von Beihilfen und der kostenlosen Überlassung von Maschinen und Einrichtungen unterstützt hatten, wurde aus Anlass des 40-jährigen Bestehens der Schule insbesondere gedankt.
Das waren unter anderem folgende Görlitzer Einrichtungen und Unternehmen: Stadt Görlitz; Stadtwerke Görlitz; Industrie- und Handelskammer Görlitz; Wumag Abteilung Waggonbau und Abteilung Maschinenbau; Richard Raupach, Maschinenfabrik Görlitz; Roscher Maschinenfabrik Görlitz; Wiesner, Maschinenfabrik Görlitz; Fischer, Feuerlöschgerätefabrik Görlitz; Christoph & Unmack, Maschinenfabrik Niesky; Sauerstoffwerk Görlitz; Ernst Bulow & Co, Metallwarenfabrik Görlitz; Ernst Bentzin, Werkstätten für photographische Apparate Görlitz; Arnade, Koffer und Lederwarenfabrik Görlitz; Mauksch, Furnier- und Sägewerk Görlitz; Paul Tesch, Autozentrale Görlitz; Nordmann & Sohn, Heiz- und Kochgeräte Görlitz und andere.
Hier trugen die Unternehmen noch Verantwortung für die Ausbildung des Nachwuchses. Als bedeutsam ist folgende Feststellung zu werten. Die verhältnismäßig kurze Ausbildungszeit für das Ingenieurstudium zwang die verantwortlichen Lehrstätten, den Unterricht auf das unbedingt notwendige Maß zu beschränken. Der junge Ingenieur muss mit dem wissenschaftlichen Rüstzeug ausgestattet werden, mit dem er überall die an ihn herantretenden Aufgaben meistern kann. Für den Unterricht ist deshalb nicht Ausweitung, sondern Beschränkung und Vertiefung die Forderung. Bei der heute verzweigten Technik wäre es grundfalsch, Sondergebiete zu fördern. Es hat sich vielmehr der Unterricht auf die Grundlagen und Hauptfachgebiete zu beschränken. Aufgeschrieben wurde dieses 1938 — könnten daraus Schlussfolgerungen gezogen werden, von welchem Ballast heute Studierende befreit werden könnten?
Autor: Wolfgang Stiller, Dresdener Str. 28, 02826 Görlitz
Nachdruck mit Genehmigung des StadtBILD-Verlages Görlitz
Nach Veröffentlichung des ersten Aufsatzteiles bat mich Herr Wolfgang Stiller per E‑Mail, auch die Teile 2 und 3 seines Aufsatzes zu veröffentlichen. Bisher ließen sich keine Dokumente finden, ob und wie die Schule während des Zweiten Weltkrieges von 1939 bis 1945 funktionierte. Besonders interessiert ist der Verein Oberlausitzer Bergleute e. V. an Mitteilungen und Zeitdokumenten der Bergvorschule (1901 – 1904 an dieser Einrichtung), da es auch in den Görlitzer Archiven dazu kein Material gibt.
Seit 1945 steht der Stadt Görlitz durch die Grenzfestlegung nach dem 2. Weltkrieg diese Bildungseinrichtung nicht mehr zur Verfügung. Heute beherbergt dieses an der Ulica Partyzantów 4 (ehemalige Friedrichsplatz) gelegene alte Gebäude der früheren Baugewerke- und Maschinenbauschule das Gimnazjum Łużyckie (Gymnasium) und das Liceum Ogólnokształcące im. Braci Śniadeckich (Allgemeinbildendes Lyzeum).
Königliche Baugewerkschule – Teil 1
Königliche Baugewerkschule – Teil 2