Schokoladen- und Zuckerfabrik Mattke und Sydow
1894 gründeten die beiden Kaufleute Wilhelm Mattke und Hermann Sydow auf der Görlitzer Mittelstraße 6 eine Schokoladen- und Zuckerfabrik. Das Görlitzer Monatsjournal StadtBILD hat in seiner Ausgabe Nr. 98 vom September 2011 einen Aufsatz von Herrn Wolfgang Stiller über die Görlitzer Schokoladen- und Zuckerfabrik Mattke und Sydow veröffentlicht:
Am 1. April 1919 beging die Firma Mattke und Sydow, Schokoladen- und Zuckerfabrik Görlitz, ihr 25. Betriebsjubiläum. In einem Artikel der Görlitzer Illustrierten — eine wöchentliche Beilage der Görlitzer Nachrichten — vom 6. April 1919 hieß es dazu:
Die weit über die Grenzen der Stadt hinaus bekannte Schokoladen- und Zuckerfabrik Mattke und Sydow blickt am 1. April (1919) auf 25 Jahre ihres Bestehens zurück. Aus kleinen Anfängen heraus haben es die beiden Gründer Herr Wilhelm Mattke und Herr Herrmann Sydow verstanden, das Unternehmen durch unermüdlichen Fleiß und nie versagende Energie in einer verhältnismäßig kurzen Spanne Zeit auf eine bedeutende, Weltruf genießende Höhe zu bringen.
Mit einer Bonbonkocherei fing es an
Als am 1. April 1894 die Gründung der Görlitzer Firma in dem Hause Mittelstraße 6 erfolgte, ahnte man wohl noch nicht, dass dieses Unternehmen, das mit einer bedeutenden Konkurrenz rechnen musste, sich so schnell zu einem machtvollen Industrieunternehmen entwickeln würde. Mit einem Personal von 15 Arbeitern wurde anfänglich die Bonbonkocherei betrieben. Doch die angestrengte Tätigkeit der Chefs ermöglichte bereits nach einem Jahre des Bestehens der Firma die erste Betriebserweiterung. Der Bonbonkocherei wurde die Herstellung von Fondants, Konfektmischungen und Pralinees angeschlossen, wodurch sich sowohl der Umsatz als auch die Gewinne erheblich vermehrten. Auf dem Grundstück Mittelstraße 6 war die Fabrik nicht mehr erweiterungsfähig. Aus diesem Grunde wurde auf der Pomologischen Gartenstraße ein Grundstück erworben, auf dem sich noch heute (1919) das im Jahre 1898/99 von Herrn Baumeister Meyer errichtete Fabrikgebäude befindet, das durch den Anbau weiterer umfangreicher Gebäude nicht mehr viel von seinem alten Aussehen hat.
Im Frühjahr 1898, also nach noch nicht ganz vierjährigem Bestehen, erfolgte die Grundsteinlegung zu einem neuen Gebäude in der Pomologischen Gartenstraße, das im Marz 1899 bezogen wurde.
Die historisch-biographischen Blätter für Industrie, Handel und Gewerbe brachten bereits im Jahre 1903 eine ausführlich illustrierte Abhandlung über die Firma Mattke und Sydow in der Erkenntnis, welche Rolle noch diese einmal in der einschlägigen Industrie zu spielen bestimmt ist. Schon in dieser Abhandlung wurde der Betrieb als ein mustergültiger hingestellt. Sowohl die technische Anlage als auch ihre sanitären Einrichtungen wurden als mustergültig in Bezug auf Zweckmäßigkeit und Leistungsfähigkeit anerkannt.
Goldmedaille der Niederschlesischen Gewerbe- und Industrieausstellung
Einen Einblick in die Herstellung der von der Firma Mattke und Sydow gelieferten Erzeugnisse konnte man im Jahre 1905 auf der in Görlitz stattfindenden Niederschlesischen Industrie-Ausstellung bekommen. In einem Maurischen Pavillon waren eine große Anzahl Maschinen ausgestellt, die, ständig in Betrieb, das Publikum vertraut machten mit der Fabrikation der verschiedenen Schokoladen und Zuckererzeugnisse.
Besonders in der entbehrungsreichen Kriegszeit wird man sich manchmal gern des angenehmen frischen Schokoladengeruchs erinnert haben, der einem beim Betreten des Pavillons entgegenströmte. Es war zu jener Zeit wohl die “Attraktion” der Niederschlesischen Gewerbe- und Industrieausstellung. Jung und Alt war entzückt über die Vorführung der Schokoladenfabrikation im Kleinen. Für die sehr anerkennungswerte Ausstellungsleistung wurde die Firma mit der goldenen Medaille ausgezeichnet.
Die Firma expandiert
Eine große Anzahl von Reisenden trug den bereits selbstbegründeten Ruf der Firma noch weiter, und durch Hinzutreten neuer Kunden wurde sehr bald ein Erweiterungsbau notwendig. Bereits im Jahre 1907 wurde an die weitere Vergrößerung der Fabrik durch Anbau eines neuen Flügels herangetreten. Vor allen Dingen wurden durch diesen Bau wesentlich die Kontorräume und Lagerräume ausgebaut, und auch die Fabrikationsräume erfuhren eine wesentliche Vergrößerung. Das Hauptgebäude und das Seitengebäude mit je sieben Stockwerken und ihr Schornstein in Höhe von 42 Metern fallen heute dem Besucher der Landeskrone sowohl von den Aussichtspunkten, als auch auf dem Wege von dort nach Görlitz eindrucksvoll in die Augen.
Eine ganz bedeutende Vergrößerung machte sich schon wieder im Jahre 1912 erforderlich. Die zielbewussten Inhaber der Firma machten nun ganze Arbeit. Durch Hinzukauf verschiedener benachbarter Grundstücke hatten sie sich die Entwicklungsmöglichkeiten ihres Unternehmens auf lange Zeit hinaus gesichert und waren dadurch in der Lage, im Jahre 1912 einen Bau ihren bisherigen Gebäuden anzugliedern, der ihrem Gesamtumfang an Raum nicht nachstehen durfte und der Firma die Gelegenheit dazu gab, das Personal von 600 Personen noch wesentlich zu vermehren.
Wenn auch vielen Görlitzern durch den Besuch der Fabrik die Herstellung Mattke und Sydow‘scher Erzeugnisse bekannt ist, so möchten wir dennoch einen kurzen Rückblick über die einzelnen Abteilungen geben, den wir bei dem leider recht gering zur Verfügung stehenden Platz illustrieren konnten.
Rundgang durch die Schokoladen- und Zuckerfabrik Mattke und Sydow
Die im Foto aufgenommene Fabrikanlage ist in der Hauptsache von dem Baumeister Franz Grunert in Görlitz erbaut, und das Wesen liegt wohl darin, dass er es verstanden hat, alle späteren Bauten den vorangegangenen anzupassen und dadurch wohl von innen als auch von außen ihnen den einheitlichen imposanten Eindruck des Fabrikgebäudes und auch die bereits gerühmte Übersichtlichkeit im Inneren der Einrichtung gewidmet wurde.
Was sonst den alten und erweiterten Fabrikanlagen anhaftet, die labyrinthartigen Gänge, die Unübersichtlichkeit der verschiedenen Räume, das haben die Erbauer dieser Grundstücke vermieden und dadurch die Leistungsfähigkeit der Firma, bedingt durch Raumausnutzung der praktischen Anlage, gewährleistet.
Die gesamte Arbeitstätigkeit unter Ausschluss der sehr großen Lagerräume um etwa 14000 Quadratmeter. Das Kesselhaus erhält Dampfkessel von 350 Quadratmetern Heizflache, und auch eine Dampfmaschine ist in den letzten Jahren durch eine 350 PS Maschine ergänzt, reicht allerdings bei weitem noch nicht aus, um die im Betrieb erforderlichen Kräfte zu erzeugen. Vielmehr ist die Schokoladen- und Zuckerfabrik Mattke und Sydow seit Jahren bedeutender Abnehmer des elektrischen Stromes der Stadt Görlitz.
Bei dem Rundgang durch die Fabrik wird man sich noch der Kühlmaschinen und der Betriebsanlagen der hydraulischen Kakaopressen erinnern und vor allen Dingen der Schokoladenabteilungen, Schoko- Überzieh-Abteilungen, Schokoladenkühlkellern und Zuckermühlen. Auch die Abteilungen, in denen insbesondere Zucker verarbeitet wird, Kocherei, Dampfkocherei und so weiter, werden mit Interesse von jedermann besucht. Den Verkehr zwischen den sieben Stockwerken regeln einige Fahrstühle, die große Lasten von dem Keller in die oberen Stockwerke und von dort in die Packsäle, Expeditionsräume und in die Versandabteilungen befördern.
Gute Beziehung zwischen Chefs und Personal
Es ist selbstverständlich, dass auch eine Fabrik wie Mattke und Sydow durch den Mangel an Rohstoffen in den letzten Jahren des Krieges nicht voll beschäftigt war und dass es nur der Umsicht der Chefs zu verdanken war, wenn sie auf so lange Zeit hinaus ihren Betrieb in so starkem Umfange erhalten konnten.
Die Rüstigkeit der Herren Mattke und Sydow wird hoffentlich der Firma die noch bevorstehenden wirtschaftlichen Kämpfe überwinden helfen, und dem so glänzend geschlossenen ersten Vierteljahrhundert wird hoffentlich ein nicht minder glänzendes zweites Vierteljahrhundert folgen. Stets ein wohltätiges Herz für das Personal beweisend, werden die Angestellten und Arbeiter heute mit ihren Glücks- und Segenswünschen vertreten sein und die angenehmen Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer auch für die nächsten 25 Jahre sichern. Gerade das ist ja für das Blühen und Gedeihen eines Unternehmens von höchstem Nutzen. Nur die auf gegenseitiges Vertrauen begründete Zusammenarbeit bringt beiden Teilen, dem Arbeiter wie dem Unternehmer, den gewünschten Erfolg.Dass dies bei der Firma der Fall war, gereicht ihr zu hoher Ehre. Wir aber wünschen der Firma, dass sie unter ihrer bewährten Leitung noch viele Jahre den Ruf unserer Stadt als Industriestadt in die Welt tragen möge und dass ihre weitere angestrengte Tätigkeit von demselben Erfolg gekrönt sein möge, der heute den Jubilaren die innere Befriedigung geben muss und die Freude, auch ihrerseits an dem wirtschaftlichen Aufbau unseres schwer geprüften Vaterlandes durch rastlose Tätigkeit mit ihrem weiten Blick und mit ihrer Erfahrung beizutragen.“
Die deutsche Wiedervereinigung nicht überstanden
Wie im obigen Artikel vermerkt, wurden Glück- und Segenswünsche für die nächsten 25 Jahre ausgesprochen. Die Schokoladen- und Zuckerfabrik Mattke und Sydow konnte im Jahre 1944 ihr 50. Betriebsjubiläum begehen. Nach 1945 wurde diese in einen volkseigenen Betrieb umgewandelt und konnte auch bis zur politischen Wende 1989 sich erfolgreich am Markt präsentieren. Besonders attraktiv waren ihre Erzeugnisse in Weißblechdosen als Exportschlager im westlichen Ausland einschließlich der USA.
Die politische Wende überstand die Firma jedoch nicht, die Konkurrenz auf dem Markt war inzwischen zu groß, und es wurde durch die Treuhand alles getan, unliebsame Konkurrenten vom Markt zu nehme. So ist es auch geschehen.
Das Grundstück wurde von einem Investor erworben, denkmalgerecht saniert und durch Um- und Einbauten eine vorbildliche soziale Einrichtung geschaffen, die durch die Volkssolidarität Kreisverband Görlitz/Zittau als Mieter in der Pomologischen Gartenstraße 10 betrieben wird. In diesem Grundstück sind nun vorhanden:
— häusliche Alten- und Krankenpflege, Sozialstation
— ambulanter und stationärer Mittagstisch
— betreutes Wohnen in Görlitz und Zittau für Senioren
— Kurzzeitpflege für pflegebedürftige Personen im Verhinderungsfalle der pflegenden Angehörigen
— Wohngemeinschaft für Menschen mit Demenz.
Dem angeschlossen ist ein separater Parkplatz für die Senioren im betreuten Wohnen. Wünschen wir dieser sozialen Einrichtung für ihr erfolgreiches Wirken für Kranke, Behinderte und Senioren weiterhin viel Erfolg und Schaffenskraft! Damit wurde zugleich ein gutes Beispiel geschaffen, wie man stillgelegte Fabrikanlagen für eine sinnvolle neue Nutzung umgestalten kann.
Nachdruck über die Schokoladen- und Zuckerfabrik Mattke und Sydow
Text und Bilder mit freundlicher Genehmigung des StadtBILD-Verlages Görlitz und Herrn Wolfgang Stiller