Kategorie: Geschichte

Straßenumbenennungen in Bremerhaven?

Bundesarchiv, Bild 183-S42619 / CC-BY-SA

Straßenschild in Bremerhaven: Frenssenstraße

Gus­tav Frens­sen, so ist unter “wiki­pe­dia” zu lesen,war ein deut­scher Schrift­stel­ler des völ­ki­schen Natio­na­lis­mus, ab 1932 des Natio­nal­so­zia­lis­mus. Sei­ne Wer­ke gehör­ten zur Mas­sen­li­te­ra­tur des Kai­ser­reichs und der NS-Zeit, die damals ver­brei­te­te kolo­nia­lis­ti­sche, ras­sis­ti­sche und anti­se­mi­ti­sche Wert­vor­stel­lun­gen ver­mit­tel­ten. Nach der Macht­über­nah­me unter­stütz­te er offen die NSDAP. Er unter­schrieb 1933 das Gelöb­nis treu­es­ter Gefolg­schaft für Hit­ler, bejah­te ab 1938 die Aus­gren­zung der Juden und trat für die Eutha­na­sie ein.

Jeder mag sich heu­te von sei­nen eige­nen Wert­vor­stel­lun­gen gelei­tet mit der Zeit von Adolf Nazi beschäf­ti­gen. Ich per­sön­lich bin dank­bar für die “Gna­de der spä­ten Geburt.” Einen Gus­tav Frens­sen jeden­falls hät­te ich nie­mals zu mei­nem Freun­des- oder Bekann­ten­kreis zäh­len mögen. 

Und heu­te wol­len sich vie­le Mit­bür­ger von Herrn Frens­sen distan­zie­ren, ja, jetzt soll sein Name auch von den Leher Stra­ßen­schil­dern gelöscht wer­den. Die Frens­sen­stra­ße soll wohl bereits seit 1925 sei­nen Namen tra­gen. Bei der Ver­ei­ni­gung von Geest­e­mün­de und Lehe hat man offen­bar eini­gen Stra­ßen einen neu­en Namen gege­ben, um Dopp­lun­gen zu ver­mei­den. Die Frens­sen­stra­ße hieß bis dahin Weser­stra­ße – ein Name, den die gro­ße Haupts­stra­ße im Süden der Stadt eben­falls führte.

Wohl mehr zufäl­lig soll jetzt eine Ger­ma­nis­tin im Rah­men ihrer Arbeit auf die Frens­sen­stra­ße auf­merk­sam gewor­den sein. Tja, und nun stürzt man sich par­tei­über­grei­fend seit Wochen auf das Bre­mer­ha­ve­ner Stra­ßen­ver­zeich­nis und lässt von einem eigens ein­ge­setz­ten “Exper­ten­gre­mi­um” 1034 Stra­ßen und Wege auf even­tu­el­le Namen von Per­so­nen mit natio­nal­so­zia­lis­ti­scher Ver­gan­gen­heit über­prü­fen. Das alles soll im Sep­tem­ber abge­schlos­sen sein, dann darf wei­ter dis­ku­tiert werden.

Für mich ist das alles ein Stück aus dem Toll­haus. Wer weiß heu­te noch, wer Frens­sen war? Mir jeden­falls war der Mensch unbe­kannt. Vie­len Mit­bür­gern sicher­lich auch. Dadurch, dass man sei­nen Namen nun wie­der an die Öffent­lich­keit zerrt, wird dem Nazi-Dich­ter eine unge­bühr­li­che Auf­merk­sam­keit zuteil. Scha­de! Manch­mal soll man die Din­ge eben ein­fach ruhen las­sen. Gele­gen­heit für Stra­ßen­um­be­nen­nun­gen gab es ja wohl in der Nach­kriegs­zeit genug. Heu­te für unnö­ti­ge Wech­sel von Stra­ßen­na­men Geld zu ver­schleu­dern hal­te ich schlicht für nicht angebracht.

Also, lasst die Frenssen’s und wie sie alle hei­ßen mögen, in der Mot­ten­kis­te der Geschich­te. Mir wäre lie­ber, man wür­de das ein­ge­spar­te Geld in die Hand neh­men und unse­re Jugend genau­er über Adolf Nazi, sei­ne Scher­gen und sei­ne Unter­stüt­zer und Mit­läu­fer aufklären.

Heute vor 107 Jahren

Die Besat­zung des rus­si­schen Kriegs­schif­fes “Potem­kin” meutert

PotemkinDas Lini­en­schiff “Potem­kin” gehör­te zur rus­si­schen Schwarz­meer­flot­te.  Die “Potem­kin” wur­de 1904/1905 in Dienst gestellt, nahm als “Pan­te­lei­mon” am Ers­ten Welt­krieg teil und wur­de von 1923 bis 1925 abgewrackt.

Um von gra­vie­ren­den innen­po­li­ti­schen Pro­ble­men abzu­len­ken, for­cier­te die rus­si­sche Regie­rung einen seit lan­gem schwe­len­den Kon­flikt mit Japan. Für die Füh­rung eines Krie­ges gegen Japan brauch­te die Regie­rung die öffent­li­che Zustim­mung. Auf einem hier­zu anbe­raum­ten Kon­gress in Sankt Peters­burg im Novem­ber 1904 wur­den poli­ti­sche und gesell­schaft­li­che Refor­men gefor­dert, die bei der Regie­rung jedoch kei­ne Zustim­mung fanden.

Arbei­ter muss­ten in den Fir­men, in denen sie beschäf­tigt wur­den, für ein klei­nes Stück Brot meh­re­re Näch­te anste­hen und waren unzu­frie­den. Als man erfuhr, dass das Brot absicht­lich gehor­tet und nur in klei­nen Stü­cken abge­ge­ben wur­de, kam es zu Streiks und Demonstrationen.

Am 22. Janu­ar 1905  mar­schier­ten 150.000 unbe­waff­ne­te Arbei­ter zum Win­ter­pa­last, um ihre For­de­run­gen nach Men­schen­rech­ten, einem Wahl­recht und einem gesetz­ge­ben­den Par­la­ment, wirt­schaft­li­cher Erleich­te­rung und dem Acht­stun­den­tag zu ver­kün­den. Die Men­ge wur­de vor dem Palast von der rus­si­schen Armee zusam­men­ge­schos­sen. Die Empö­rung über zwei­hun­dert Todes­op­fer und vie­le Ver­letz­te führ­te zu einer Soli­da­ri­sie­rung der Arbei­ter und der Bevölkerung.

Den Arbei­ter­streiks in den Städ­ten schlos­sen sich Meu­te­rei­en in der Flot­te an. Auch an Bord der “Potem­kin” waren die Matro­sen am 27. Juni 1905 auf­ge­bracht. Das Schiff befand sich in der Nähe von Odes­sa, als sich die Mann­schaft über das angeb­lich ver­gam­mel­te Essen beschwer­te und in den Hun­ger­streik trat. Der Ers­te Offi­zier droh­te mit Erschie­ßun­gen. Als Ant­wort began­nen die Matro­sen zu meu­tern und töte­ten einen Groß­teil der Offi­zie­re und den Kapi­tän. Einer­seits rich­te­te sich die Meu­te­rei gegen die zaris­ti­schen Offi­zie­re an Bord, ande­rer­seits war die Meu­te­rei auch Teil des poli­ti­schen Klassenkampfes. 

Nach der Erschöp­fung des Koh­len­vor­rats ver­such­ten die Meu­tern­den ver­geb­lich, im rumä­ni­schen Schwarz­meer­ha­fen Con­stan­ta ver­sorgt zu wer­den. Die Matro­sen öff­ne­ten am 8. Juli 1905 die Flut­ven­ti­le,  erga­ben sich den rumä­ni­schen Behör­den, baten um poli­ti­sches Asyl und wur­den inter­niert. Damit war die Meu­te­rei beendet.

Quel­le: wiki­pe­dia

Parlamentsgeschichte am Spreeufer

Dem deutschen Volke — Eine parlamentarische Spurensuche”
Jeden Abend Filmprojektion zur Parlamentsgeschichte am Spreeufer

Vom Don­ners­tag, 28. Juni bis zum Tag der Deut­schen Ein­heit am 3. Okto­ber 2012 fin­det täg­lich mit Ein­set­zen der Dun­kel­heit eine Film‑, Licht und Ton­pro­jek­ti­on an der Fas­sa­de des Marie-Eli­sa­beth-Lüders-Hau­ses an der Spree statt. Der halb­stün­di­ge Film trägt den Titel „Dem deut­schen Vol­ke — Eine par­la­men­ta­ri­sche Spu­ren­su­che. Vom Reichs­tag zum Bun­des­tag“. Er zeigt die Geschich­te des Par­la­men­ta­ris­mus in Deutsch­land und des Ber­li­ner Reichstagsgebäudes.

Der Film beginnt mit der Kai­ser­zeit Ende des 19. Jahr­hun­derts, ver­folgt die par­la­men­ta­ri­sche Ent­wick­lung in der Wei­ma­rer Zeit, führt durch die dun­kels­te Epo­che nach der Macht­über­nah­me durch die Natio­nal­so­zia­lis­ten bis hin zur Tei­lung Deutsch­lands, zeigt deren Über­win­dung und die Voll­endung der deut­schen Ein­heit bis hin­ein in die Gegen­wart. Der Film zeich­net nach, wie das Reichs­tags­ge­bäu­de im Lau­fe die­ser Zeit als Par­la­ments­sitz erbaut, zer­stört, wie­der instand­ge­setzt, ver­hüllt und umge­baut wur­de, um schließ­lich 1999 als gesamt­deut­scher Par­la­ments­sitz wie­der aufzuleben.

Eine Vor­füh­rung dau­ert ca. 30 Minu­ten. An jedem Abend des Som­mers wird der Film zwei Mal hin­ter­ein­an­der gezeigt. Der Zuschau­er­be­reich befin­det sich auf dem Fried­rich-Ebert-Platz, am süd­li­chen Spree­ufer. Der Besuch ist kostenfrei.

Deut­scher Bundestag
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Heute vor 80 Jahren

Franz von Papen wird Reichskanzler

417px-Bundesarchiv_Bild_102-13534,_Franz_von_PapenAm 1. Juni 1932 wur­de Papen durch den Reichs­prä­si­den­ten Paul von Hin­den­burg als Nach­fol­ger von Hein­rich Brü­ning zum Reichs­kanz­ler ernannt und bil­de­te nach sei­ner Ernen­nung eine Min­der­heits­re­gie­rung, die als „Kabi­nett der Baro­ne“ bezeich­net wur­de, weil sie­ben von zwölf Regie­rungs­mit­glie­dern Adli­ge waren. Die neue Regie­rung, die ein rei­nes Prä­si­di­al­ka­bi­nett ohne Aus­sicht auf par­la­men­ta­ri­sche Mehr­hei­ten war, streb­te eine Ver­fas­sungs­än­de­rung an. Das Amt des Reichs­prä­si­den­ten soll­te mit dem neu zu schaf­fen­den Amt eines preu­ßi­schen Staats­prä­si­den­ten ver­schmol­zen wer­den. Am Ende der Ver­fas­sungs­re­form soll­te nach Papens Vor­stel­lung die Wie­der­ein­füh­rung der Mon­ar­chie stehen. 

Reichs­prä­si­dent Hin­den­burg unter­zeich­ne­te am 14. Juli 1932 eine Not­ver­ord­nung mit­tels derer Papen am 20. Juli 1932 die amtie­ren­de preu­ßi­sche Regie­rung absetz­te. Nach dem Wahl­sieg der NSDAP bei der Reichs­tags­wahl vom 31. Juli 1932 ver­dop­pel­ten die Natio­nal­so­zia­lis­ten ihre Sit­ze. Hit­ler ver­lang­te von Papen die Kanz­ler­schaft und ver­schie­de­ne Schlüs­sel­mi­nis­te­ri­en für eine Koali­ti­ons­be­tei­li­gung. Als ihm dies von Hin­den­burg ver­wei­gert wur­de, kün­dig­te er jeg­li­che Unter­stüt­zung für die Regie­rung Papen auf. Wäh­rend sei­ner gesam­ten Amts­zeit regier­te Papen mit den Not­ver­ord­nun­gen des Reichs­prä­si­den­ten und war von sei­nem Ein­ver­ständ­nis abhängig. 

Papen ver­starb am 2. Mai 1969 in Ober­sas­bach und wur­de auf dem Fried­hof in Wal­l­er­fan­gen begraben.

Quel­le: Wiki­pe­dia

Heute vor 45 Jahren

In Rhön­dorf stirbt Kon­rad Ade­nau­er, der ers­te deut­sche Bundeskanzler.

Bundeskanzler Konrad Adenauer

Kon­rad Her­mann Joseph Ade­nau­er, gebo­ren am 5. Janu­ar 1876 in Köln, war von 1949 bis 1963 ers­ter Bun­des­kanz­ler der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land sowie von 1951 bis 1955 zugleich Bun­des­mi­nis­ter des Auswärtigen.

Ade­nau­er gehör­te zu den Begrün­dern der CDU, deren Par­tei­chef er von der Grün­dung bis 1966 war. Als Vor­sit­zen­der des Par­la­men­ta­ri­schen Rates wie als ers­ter Bun­des­kanz­ler und Außen­mi­nis­ter der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land präg­te er eine gan­ze Ära. Der zum Amts­an­tritt 73-jäh­ri­ge setz­te Bonn als Bun­des­haupt­stadt durch, stand für eine Poli­tik der West­bin­dung und der Euro­päi­schen Eini­gung und eine akti­ve, auch mili­tä­ri­sche Rol­le der Bun­des­re­pu­blik in der NATO. Ade­nau­er stand wirt­schafts­po­li­tisch für das Sys­tem der Sozia­len Markt­wirt­schaft. Er ver­folg­te einen anti­kom­mu­nis­ti­schen Kurs im Inland wie gegen­über der Sowjet­uni­on und ihren Verbündeten.

Kon­rad Ade­nau­er starb am 19. April 1967 nach kur­zer Grip­pe und drei Herz­in­fark­ten im Alter von 91 Jah­ren in sei­nem Haus in Rhöndorf.

Quel­le: wiki­pe­dia

Heute vor 25 Jahren

Wil­ly Brandt tritt als SPD-Vor­sit­zen­der zurück

Bundesarchiv_B_145_Bild-F031406-0017,_Erfurt,_Treffen_Willy_Brandt_mit_Willi_StophAm 23. März 1987 tritt Wil­ly Brandt vom Amt des SPD-Par­tei­vor­sit­zen­den zurück. Der als Her­bert Ernst Karl Frahm in Lübeck gebo­re­ne Poli­ti­ker enga­gier­te sich schon sehr früh in der sozia­lis­ti­schen Arbei­ter­be­we­gung. 1934 leg­te er sich den Deck­na­men Wil­ly Brandt zu, den er ab 1947 auch offi­zi­ell trägt. 1964 wur­de er als Nach­fol­ger Erich Ollen­hau­ers zum SPD-Vor­sit­zen­den gewählt. Mit­te der 80er-Jah­re geriet sei­ne unan­ge­foch­te­ne Posi­ti­on ins Wan­ken. Kri­ti­siert wur­de sein man­geln­des Enga­ge­ment für den SPD-Kanz­ler­kan­di­da­ten Johan­nes Rau. Brandts Ent­schei­dung, die par­tei­lo­se grie­chi­sche Jour­na­lis­tin Mar­ga­ri­ta Mathio­pou­los zur SPD-Pres­se­spre­che­rin zu beru­fen, beschleu­nig­te das Ende sei­ner Ära. Er blieb bis zum Par­tei­tag im Juni 1987 im Amt und wur­de Ehren­vor­sit­zen­der sei­ner Par­tei.
(Säch­si­sche Zeitung/db)

Streik auch bei den Waggonbauern

Nach dem Ende der zwei­ten Tarif­run­de für die Beschäf­tig­ten im öffent­li­chen Dienst will die Gewerk­schaft Ver­di ver­mut­lich mor­gen oder am Frei­tag  ankün­di­gen, wo und wann es erneut Warn­streiks geben wird. Ohne Eini­gung oder Schlich­tung käme es schließ­lich zum Streik. Dazu müss­te die Gewerk­schaft aller­dings vor­her in einer Urab­stim­mung ihre Mit­glie­der befragen. 

Schon immer in der Geschich­te haben Arbei­ter ver­sucht, ihren For­de­run­gen durch einen Streik Nach­druck zu ver­lei­hen. Mit dem Schlacht­ruf „Wir sind hung­rig!“ sol­len bereits am 4. Novem­ber 1159 v. Chr. die mit dem Bau der Königs­grä­ber in The­ben im Alten Ägyp­ten beschäf­tig­ten Arbei­ter die Arbeit nie­der­ge­legt haben, weil sie seit acht­zehn Tagen nicht ent­lohnt wor­den waren.

Aber so weit muss man gar nicht zurück­schau­en. In sei­ner März­aus­ga­be die­sen Jah­res berich­tet die “Stadt­BILD” über einen lan­gen Streik der Gör­lit­zer Wag­gon­bau­er vor genau hun­dert Jahren:

So etwas hat­te Gör­litz noch nicht erlebt. Die Wag­gon­bau­er streik­ten. Sieb­zehn Wochen lang nahm die Stadt dar­an Anteil, die einen mit Sym­pa­thie für die Arbei­ter die ande­ren mit Unbe­ha­gen über die “unein­sich­ti­gen ProIe­ten”.

Streik in der Görlitzer WaggonfabrikDie orga­ni­sier­te Arbei­ter­be­we­gung war stark gewor­den. Man muss­te mit ihr rech­nen. 1911 hat­te der sozi­al­de­mo­kra­ti­sche Ver­ein in Gör­litz 4511 Mit­glie­der, dar­un­ter 996 Frau­en, und in den Gewerk­schaf­ten hat­ten sich 7568 Werk­tä­ti­ge zusam­men­ge­schlos­sen. Schon Ende 1911 hat­ten die Anstrei­cher in der „Akti­en­ge­sell­schaft zur Fabri­ka­ti­on von Eisen­bahn-Mate­ri­al zu Gör­litz“ mit einem Streik gegen die Sen­kun­gen der Akkord­löh­ne pro­tes­tiert. Anfang 1912 ver­här­te­ten sich die Kon­flik­te. Die gewerk­schaft­lich orga­ni­sier­ten Beschäf­tig­ten ver­lang­ten von der Betriebs­di­rek­ti­on, die Arbeits­zeit von wöchent­lich 58 auf 54 Stun­den zu sen­ken, die Anfangs­löh­ne zu erhö­hen und Ver­tre­ter der Arbei­ter­or­ga­ni­sa­tio­nen zu den Ver­hand­lun­gen der Werk­lei­tung mit dem Arbei­ter­aus­schuss hinzuzuziehen. 

Die Direk­ti­on zeig­te wenig Ent­ge­gen­kom­men. Sie woll­te höchs­tens einer Sen­kung der Arbeits­zeit auf 57 Stun­den zustim­men. In einer Ver­samm­lung im “Kon­zert­haus” lehn­ten die Arbei­ter die­ses Ange­bot als eine Zumu­tung ab. 

Am 2. April 1912 tra­ten 1170 Beschäf­tig­te des Betrie­bes in den Streik. 376 Arbei­ter betei­lig­ten sich nicht. Bei­de Sei­ten setz­ten alle Mit­tel ein, die sich ihnen boten. Die Unter­neh­mer woll­ten zur Abschre­ckung vor jeder­mann bewei­sen, dass sie immer noch unein­ge­schränk­te “Her­ren im Hau­se” waren. Auch den Arbei­tern ging es um mehr als nur um sozia­le Zuge­ständ­nis­se, obwohl ihre Lebens­ver­hält­nis­se beschei­den genug waren. So wie sie gegen das unde­mo­kra­ti­sche Drei­klas­sen­wahl­recht bei den Wah­len zum preu­ßi­schen Land­tag ankämpf­ten, woll­ten sie auch im Betrieb nicht mehr gedul­di­ge Unter­ta­nen blei­ben. Von bos­haf­ten Nadel­sti­chen bis zu rück­sichts­lo­ser Gewalt reich­te die Ska­la der Metho­den, die den Unter­neh­mern zu Gebo­te standen.

Da wur­den den Streik­teil­neh­mern im Hand­um­dre­hen ihre werk­ei­ge­nen Gar­ten­par­zel­len gekün­digt.
Da ver­wei­ger­te man an der Niko­lai­schu­le und an der Cott­bu­ser Schu­le den Kin­dern von Strei­ken­den die unent­gelt­li­chen Lehr­mit­tel. Da beleg­te die Poli­zei Streik­pos­ten mit 15 Mark Geld­stra­fe wegen “Ver­kehrs­be­hin­de­rung”. Und da han­del­te sich der Boh­rer Räh­misch wegen sei­ner deut­li­chen Kri­tik an Streik­bre­chern die Ver­ur­tei­lung zu einem Monat Gefäng­nis ein.

Dage­gen geiz­te die Betriebs­lei­tung nicht mit Geld­zu­wen­dun­gen an “ein­sich­tig” Arbei­ter; an Prä­mi­en für unter­neh­mer­treue Meis­ter und zu Arbeits­ju­bi­lä­en von Beschäf­tig­ten, die außer­halb der Streik­front geblie­ben waren. Beka­men zunächst die ande­ren Gör­lit­zer Betrie­be eine War­nung zu hören, sie sol­len die aus der Wag­gon­fa­brik ent­las­se­nen Arbei­ter gefäl­ligst nicht bei sich beschäf­tig­ten, so folg­te am 22. Juni 1912 die Aus­sper­rung für den gesam­ten Bezirk Niederschlesien. 

Streik in der Görlitzer Waggonfabrik

Nun soll­te das Unter­neh­men Karl Kacz­ma­rek neue Arbeits­kräf­te her­an­schaf­fen. Von den Gewerk­schaf­ten als Streik­bre­cher-Orga­ni­sa­ti­on bekämpft, warb die­se Agen­tur über­all in Deutsch­land hart­ge­sot­te­ne Vögel, die für Geld bereit waren, in bestreik­ten Betrie­ben zu arbei­ten. Bis zu 150 Mann wur­den von aus­wärts geholt und in der Wag­gon­fa­brik ein­ge­setzt. Sie kos­te­ten, die groß­zü­gi­ge Ver­pfle­gung ein­ge­rech­net, je Tag bis zu 15 Mark, wäh­rend die Unter­neh­mer um jeden Pfen­nig Lohn­er­hö­hung (Anfangs­lohn 27 Pfen­nig je Stun­de) mit ihren Arbei­tern feilschten. 

Die “Kacz­ma­reks” spiel­ten sich in den Geschäf­ten und Gast­stät­ten als gro­ße Her­ren auf. Obwohl eini­ge im Schnaps­rausch Fens­ter ein­war­fen und mit Revol­vern und Dol­chen her­um­fuch­tel­ten, sah die Poli­zei kei­nen Grund zum Ein­grei­fen. Selbst den Geschäfts­leu­ten und Gewer­be­trei­ben­den wur­de das zu bunt, und in einer Reso­lu­ti­on stell­ten eini­ge von ihnen fest, dass die Anwe­sen­heit der Kacz­ma­rek-Trup­pe “nicht zuletzt die Geschäfts­welt schwer schä­digt”. Die Strei­ken­den Iie­ßen sich trotz­dem nicht ins Bocks­horn jagen. 

Streik in der Görlitzer Waggonfabrik

Es war eine schwe­re Belas­tungs­pro­be für die Fami­li­en, 17 Wochen Streik durch­zu­hal­ten. Aber es bewähr­te sich die Kraft der Gemein­schaft. Die orga­ni­sier­ten Arbei­ter hal­fen mit Spen­den, so die Ver­bän­de der Metall­ar­bei­ter, die Braue­rei- und Müh­len­ar­bei­ter, der Holz­ar­bei­ter und der Buch­dru­cker. Auch Geschäfts­in­ha­ber und Hand­wer­ker für die ja die Arbei­ter wich­ti­ge und treue Kun­den waren, stan­den den Strei­ken­den ver­ständ­nis­voll und hilfs­be­reit zur Sei­te. Streik­pos­ten bewach­ten die Zufahrt­stra­ßen zum Werk, den Bahn­hof und die Orts­ein­gän­ge. Wie Schat­ten beglei­te­ten sie die Arbeits­kräf­te­wer­ber der Betriebs­lei­tung auf ihren Fahr­ten. So lie­ßen sich man­che Arbeits­su­chen­den davon abhal­ten, aus Unkennt­nis ihren strei­ken­den Gör­lit­zer Kol­le­gen Schwie­rig­kei­ten zu bereiten.

In den engen Arbei­ter­woh­nun­gen, in den Kel­ler­lä­den und an den Stra­ßen­ecken gab es vor allem die­ses Gesprächs­the­ma — nicht nach­zu­ge­ben und die gerech­te Sache durch­zu­set­zen. Arbei­ter­frau­en mit ihren Kin­dern gin­gen zu den Streik­pos­ten, brach­ten ihnen Ver­pfle­gung und spra­chen ihnen Mut zu. 

Karl Würz­burg, der spä­te­re bekann­te Arbei­ter­funk­tio­nar und Ehren­bür­ger der Stadt, war damals gera­de 7 Jah­re alt, als sein Vater streik­te. Er wur­de Augen­zeu­ge, wie berit­te­ne Poli­zei ver­such­te, von der Son­nen­stra­ße her Streik­bre­cher zum Betriebs­tor an der Brun­nen­stra­ße zu beglei­ten, und wie Arbei­ter­frau­en sich mit Holz­pan­ti­nen und Pflas­ter­stei­nen gegen die Ord­nungs­hü­ter zur Wehr setz­ten (sie­he Zeich­nung ganz oben). Fast täg­lich gab es in den vier Gör­lit­zer Zei­tun­gen streit­ba­re Arti­kel über Ereig­nis­se und Aus­sich­ten des Streiks, und die Unter­neh­mer der Wag­gon­fa­brik kamen sel­ten dabei gut weg. Sogar bür­ger­li­che Krei­se rie­ten zum Ein­len­ken, weil sie fürch­te­ten, Unzu­frie­den­heit und Kampf­wil­len könn­ten sich wei­ter aus­brei­ten und das sowie­so
gespann­te sozia­le Kli­ma ver­schlim­mern. Es war ihnen schon fatal genug, dass die Sozi­al­de­mo­kra­tie im Janu­ar bei den Reichs­tags­wah­len den Abge­ord­ne­ten­sitz für den Wahl­kreis GörIitz/Lauban gewon­nen hat­te. So etwas war bis dahin noch nie passiert. 

Streik in der Görlitzer Waggonfabrik

Das Ergeb­nis der Kämp­fe war mager, flüch­tig betrach­tet. Die Wochen­ar­beits­zeit wur­de auf 55 Stun­den gesenkt. Die Grund­löh­ne stie­gen im Durch­schnitt um 3 bis 5 Pfen­ni­ge. Die wöchent­li­che Lohn­zah­lung am Frei­tag wur­de zuge­si­chert, eben­so das Ver­ei­ni­gungs­recht der Arbei­ter. Ver­samm­lun­gen im Betrieb blie­ben ver­bo­ten. Etwa 500 Streik­teil­neh­mer sol­len wie­der ein­ge­stellt wor­den sein. Alle Betei­lig­ten waren um Erfah­rung rei­cher. Die Arbei­ter hat­ten, unter Opfern zwar, ihre Kraft gespürt und Fort­schrit­te durch­ge­setzt. Die Unter­neh­mer hat­ten zur Kennt­nis neh­men müs­sen, dass mit den Herr­schafts­me­tho­den des 19. Jahr­hun­derts nichts mehr aus­zu­rich­ten war. In den Arbei­ter­vier­teln leb­te die Erin­ne­rung an das Jahr 1912 jahr­zehn­te­lang. Unüber­seh­bar hat­te sich auch in Gör­litz gezeigt, dass die “klei­nen Leu­te” eine gro­ße Macht sein können. 

Dr. Ernst Kretz­schmar
Aus: Aller­lei aus AIt-Gör­litz,
Gör­litz­in­for­ma­ti­on 1988

(Die Gör­lit­zer, damals im Lesen “zwi­schen
den Zei­len” geübt, ent­deck­ten im
Text aktu­el­le Bezüge) 

Quel­le für Text und Bil­der: “Stadt­BILD März 2012” mit freund­li­cher Geneh­mi­gung vom Stadt­BILD-Ver­lag, Gör­litz.

Heute vor 105 Jahren

Deutsch­land been­det „Hot­ten­tot­ten­krieg“

Am 6. März 1907 hebt Kai­ser Wil­helm II. trotz andau­ern­der Unru­hen den Kriegs­zu­stand in Deutsch-Süd­west­afri­ka (heu­te Nami­bia) zum 31. März auf. Damit endet nach vier Jah­ren einer der blu­tigs­ten Krie­ge der deut­schen Kolo­ni­al­ge­schich­te. Im soge­nann­ten „Hot­ten­tot­ten­krieg“ star­ben rund 90 000 Ein­hei­mi­sche und etwa 1 500 Ange­hö­ri­ge der deut­schen Kolo­ni­al­trup­pen.
Adolf-LüderitzAm 24. April 1884 hat­te das Deut­sche Reich die Erwer­bun­gen des Bre­mer Kauf­manns Franz Adolf Edu­ard Lüde­ritz um Angra Peque­na (Lüde­ritz­bucht) zum deut­schen Schutz­ge­biet Deutsch-Süd­west­afri­ka erklärt und 1885 den Besitz­an­spruch auf ganz Nami­bia aus­ge­dehnt. Seit Dezem­ber 1903 kam es immer wie­der zu Auf­stän­den (Here­ro-Auf­stand 1904). Die deut­sche Regie­rung erklär­te die  Fort­set­zung des Krie­ges zur „natio­na­len Fra­ge“.
(Säch­si­sche Zeitung/db)

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