Die Schicksalsfahrt des Geestemünder Heringsdampfers “Friedrich Albert”
Am 10. Februar 1903 meldete die Nordwestdeutsche Zeitung:
Geestemünde: Heringsdampfers “Friedrich Albert”, der hiesigen Herings- und Hochseefischerei-Akt-Ges. gehörig, ist in der Nacht vom 13. zum 14. Januar zum Frischfischfang nach Island in See gegangen und ist bis heute weder zurückgekehrt, noch von irgendeinem anderen Dampfer oder Fahrzeug während dieser Zeit gesehen worden. Es muß daher mit ziemlicher Bestimmtheit angenommen werden, daß der “Friedrich Albert” gleich dem “St. Johann” dem vom 13. bis 17. Januar im größten Teile der Nordsee vorherrschend gewesenen Südweststurm zum Opfer gefallen ist. Der Dampfer hatte 12 Mann Besatzung, darunter in Kapitän Büschen einen tüchtigen erfahrenen Führer…
Am 19. Februar 1903 meldete die Thorner Presse:
Der vermißte Heringsdampfer “Friedrich Albert” ist nach einem Telegramm aus Leith an der Südküste Islands gestrandet und total wrack geworden. Der Steuermann, der erste Maschinist und ein Mann der Besatzung, dessen Name noch nicht festgestellt ist, sind ums Leben gekommen. Die übrigen neun Mann der Besatzung wurden gerettet.
Am 15. April 1903 meldete die Tageszeitung Indiana Tribüne:
Geestemünde: An der Südküste von Island ist der hiesige Heringsdampfer “Friedrich Albert” gestrandet und total wrack geworden. Der Steuermann, der erste Maschinist und ein Matrose unbekannten Namens sind um’s Leben gekommen. Die anderen neun Personen der Besatzung wurden gerettet. Die Namen des ertrunkenen Steuermanns bzw. des Maschinisten sind Rudolph Bojahr und Hermann Stickler, beide von hier.
Auch die in Gleiwitz herausgebrachte Zeitung Der oberschlesische Wanderer berichtete über einen im gleichen Winter vermißten Heringsdampfer. Die “Georg Adolf” ist ebenfalls von einer Fangreise nicht zurückgekehrt und wahrscheinlich untergegangen.
Das Seeamt Bremerhaven
Was war geschehen? Das hat das Seeamt Bremerhaven in einer Untersuchung am 3. Oktober 1903 festgestellt. Die Untersuchung war einfach, komplizierte Tatbestände gab es nicht. An diesem Tag wurden sechs Seeamtssprüche gefällt, es gab keine Schuldsprüche, keine Patente wurden entzogen.
Auf den Zuhörerbänken saßen die Mütter und Frauen der Besatzungsmitglieder von sechs Fischdampfern. Die Seeamtssprüche stehen in den Akten des Seeamtes von Bremerhaven. Die Urteile weichen kaum voneinander ab. Das Schicksal von 65 Seeleuten wurde an diesem Tage geklärt. Ihre Schiffe sind in Orkanen gesunken, die in den Wintermonaten des Jahres 1903 in gnadenloser Heftigkeit den Atlantik aufpeitschten.
Es war der Fischdampfer “St. Johann”, der am 3. Januar den Fischereihafen von Geestemünde verlassen hat, um vor Island zu fischen. Am 13. Januar 1903 hatte der deutsche Fischdampfer “Sophie” vor Island Sichtkontakt mit der “St. Johann”. Dann verlor sich jede Spur, das Schiff galt als verschollen. Aber auch die Fischdampfer “Baltrum” (auf Fangreise nach Island), die “Georg Adolf” (zuletzt unter Island gesichtet), die “Neck” (Fangreise in der Nordsee), die “Kommandant” (zuletzt nördlich von Hornriff gesichtet), die Uranus (Fangreise in der Nordsee) gingen verloren, blieben verschollen.
Der isländische Filmemacher Magnús Magnússon möchte in einem Spielfilm die Geschichte der Männer des Heringsdampfers “Friedrich Albert” erzählen. Seit Jahren ist er in Archiven unterwegs, damit die Geschichte möglichst authentisch wird. Nach mehr als 117 Jahren hat er noch Nachfahren der Seeleute aufspüren können, die 1903 mit dem Heringsdampfer “Friedrich Albert” vor Island gestrandet sind.
Das Schiff und seine Besatzung:
„Friedrich Albert PG 58“ (PG steht für Preußen Geestemünde) Baujahr 1898
Reederei Geestemünder Herings- und Hochseefischerei AG
Unterscheidungssignal KRHV
192,88 Registertonnen, Länge 39,18 m, Breite 6,45 m, Tiefe 3,28 m.
3fach Expansionsdampfmaschine, 320 PS
Kapitän Georg Büschen
Steuermann Rud. Bojahr (Bestmann ohne Patent)
1. Maschinist H. Stickler
2. Maschinist Carl Merker
Assistent Emil Lange
Heizer Fritz Wutzow
Netzmacher F. Nahrwold
Matrose Richard Richter
Matrose F. Hagemeier, Warber (vermutlich Vater von Ernst Hagemeier)
Matrose August Pittke, Rusbend
Matrose W. Wesemann, Haselhorn
Koch Wilh. Wilke
Die Abreise
Am 13. Januar 1903 liegt der Fischdampfer “Friedrich Albert” an der Kaje in der Geeste. Auf dem erst fünf Jahre alten Heringstrawler werden die letzten Vorbereitungen für die anstehende Fangreise vor Island getroffen. Es ist frühmorgens um 3 Uhr, als der knapp 40 Meter lange Fischdampfer am 14. Januar 1903 ablegt und den Hafen von Geestemünde hinter sich läßt. An Bord sind der 34 Jahre alte Kapitän Georg Buschen, der Steuermann Rud. Bojahr und zehn weitere Seeleute. Eine Dreifach-Expansionsdampfmaschine treibt das Schiff mit 320 PS auf die See hinaus.
Die Strandung
Am 18. Januar stand der Dampfer vor der Südwestspitze von Island vor Kap Portland (heute Dyrhólaey) und begann um 11.30 Uhr mit dem Schleppnetzfischen. Die Ausbeute war nur gering. Die “Friedrich Albert” der “Geestemünder Herings- und Hochseefischerei AG” wollte am nächsten Abend einen anderen Fangplatz aufsuchen.
Für das Seegeiet bei Portland gab es weder verläßlichen Seekarten noch hatte man Angaben über die örtlich vorherrschenden stark auflandigen Strömungsverhältnisse. Die Wassertiefe wurde mit einem Handlot gemessen. Bedingt durch die Winterzeit gab es nur wenige Stunden Tageslicht.
Steuermann Bojahr hatte an diesem Abend Wache. Der zunächst mäßige Wind entwickelte sich später zu einem Sturm aus südlicher Richtung und brachte Schnee, Hagel und Lavasand mit. Gleichzeitiig versetzte eine starke Strömung das Schiff. Irgendwann nach 21 Uhr bemerkte der Steuermann, daß der Dampfer in einen Sog geraten ist, der ihn immer stärker Richtung Küste zieht. Für Gegenmaßnahmen ist es längst zu spät. Gegen 21.45 Uhr kam die “Friedrich Albert” fest und wurde von der anrollenden See quer auf den Strand geworfen.
Unablässig krachte die gewaltige Brandung auf den Heringsdampfer und zerschlug das Rettungsboot. Schutzsuchend kauerten sich die Männer hinter dem Brückenhaus an Deck. Doch als der Maschinenraum überflutet wurde, mußte das Schiff aufgegeben werden. Die Besatzung rettete sich auf den Strand.
Teilweise nur mit Unterwäsche bekleidet, versuchten die Männer zwei Tage lang, festes Land zu erreichen. Doch Sumpf, Lavasand und stark strömendes Gletscherwasser konnten sie nicht überwinden. Sie brachen das Unternehmen ab. Am 23. Januar suchten die Männer noch einmal das Wrack auf. Unter großen Mühen konnten sie zwei Tonnen Hartbrot und etwas Schmalz vom Havaristen bergen. Anschließend unternahmen sie einen weiteren Versuch, bei jetzt stürmischen Wetter das Festland zu erreichen.
Kampf gegen die Kälte
Gegen 9.30 Uhr erreichten die Männer ein großes Gewässer, und sie kamen nicht weiter. So übernachteten sie auf dem vereisten Schneefeld, auf dem sie sich gerade befanden. Jeder Mann bekam morgens und abends eine Handvoll von dem mitgenommenen Hartbrot. In der schrecklich kalten Nacht ließ der Kapitän seine Leute zunächst dicht zusammenrücken, damit sie sich gegenseitig wärmen konnten. Aber an Schlaf war nicht zu denken. Alle 20 Minuten ließ der Kapitän seine Männer Laufschritt machen, damit die Durchblutung intakt blieb und ein Erfrieren im Schlaf verhütet wurde. Am 25. Januar morgens um 6 Uhr aber starb der Maschinist H. Stickler, nachdem er bereits während der Nacht das Bewußtsein verlor.
Die Besatzung hatte sich in diesen Tagen in zwei Gruppen geteilt. Eine Gruppe wollte zurück zum Schiffswrack. Im kalten Wasser stehend starb der Matrose H. Wesemann aus Haselhorn. Am Morgen des 26. Januar setzte die Gruppe den Fußmarsch zum Wrack der “Friedrich Albert” fort. Längst war der Proviant aufgebraucht. Einige Gruppenmitglieder konnten keine Schuhe mehr tragen. Nur ein paar Lappen schützten ihre erfrorenen Füße. Trotz dieser unsagbaren Strapazen erreichten die Überlebenden abends um 6 Uhr wieder die Strandungsstelle. Der Bestmann Rud. Bojahr ging auf das Wrack und starb dort.
Die anderen Leute bauten aus den Wrackteilen ein Boot, um damit die reißenden eiskalten Gletscherströme zu überqueren. Am Nachmittag des 29. Januar begann man mit der Überfahrt und setzte die Wanderung nach Norden fort. Am nächsten Tag, es war der elfte Tag nach der Strandung der “Friedrich Albert”, hatten alle erfrorene Hände und Füße. Trotzdem gingen sie unter quälenden Schmerzen weiter, bis sie am 30. Januar mit letzter Kraft das Gehöft Ormstadur erreichten, das 50 Kilometer vom Wrack entfernt liegt.
Die Rettung
Es waren sehr arme Leute, die den Schiffbrüchigen nun ein Dach über den Kopf boten und ihnen Essen und Trinken reichten. Der Bauer und seine Frau versorgten die erfrorenen Glieder der Schiffbrüchigen. Zwei Tage später kam ein Arzt, der die Schiffbrüchigen medizinisch versorgte. Tags darauf wurden sie zur weiteren Behandlung in den kleinen Ort Breidabölsstad gebracht. Die Matrosen Hagemeier und Pittke müssen wegen Erfrierungen ärztlich behandelt und dem Heizer Wutzo beide erfrorenen Beine abgenommen werden.
Am 1. Februar erreichten alle den Ort Skapterfjeld. Von hier traten die ersten vier Leute auf Islandpferden die achttägige Reise nach Reykjavik an. Über Stavanger und Hamburg erreichten sie am 1. März 1903 wieder Geestemünde.
Ein Gedenkstein in Vik auf Island
Die deutsche Hochseefischerei ist mit Island untrennbar verbunden. Zwischen 1898 und 1952 gingen vor Island 83 deutsche Fischdampfer verloren, und über 1.200 Seeleute haben ihr Leben verloren. Die einen erlitten tödliche Unfälle auf ihren Schiffen, andere gingen bei schweren Stürmen über Bord, kamen bei Strandungen und Schiffsuntergängen ums Leben oder sind mit ihren Schiffen verschollen.
Bei Strandungen an der Südküste Islands gelang es den Seeleuten häufig, das Land zu erreichen. Damit waren sie aber nicht gerettet. Die Strände aus Lavageröll erstrecken sich über eine Länge von etwa 200 Kilometer, und die isländischen Gehöfte lagen bis zu 20 Kilometer von der Küste entfernt. Gletscherströme stellen ein zusätzliches Hindernis dar. Die Katastrophe der “Friedrich Albert” führte 1905 zum Bau von Schutzhütten, die Nahrungsmittel und Brennmaterial sowie Ausrüstung zur medizinischen Versorgung enthielten.
In Vik an der Südspitze Islands erinnert eine Gedenkstätte an die Verunglückten und an die beispiellose Hilfsbereitschaft der Isländer.
Filmprojekt
Der isländische Filmemacher Einar Magnús Magnússon ist der Geschichte der Männer des Heringsdampfers “Friedrich Albert” seit sechs Jahren auf der Spur. In einer achtteiligen Fernsehserie soll die Geschichte des 1903 vor Island gestrandeten Geestemünder Heringsdampfers erzählt werden. Der Filmemacher will am 22. Januar 2021 eine Expedition zu dem Ort machen, an dem die “Friedrich Albert” am 19. Januar 1903 auf Grund lief. Er möchte die schweren Bedingungen kennenlernen, mit denen die Schiffbrüchigen vor mehr als 100 Jahren zu kämpfen hatten. Vom Wrack des Heringsdampfers “Friedrich Albert” soll heute allerdings nichts mehr zu sehen sein.
Nähere Informationen zum Film sind auf der Internetseite www.schwarzersand.com zu sehen.
Quellen:
H. Wölbing und J. Rösemann Die Islandfischerei in den Jahren 1885 bis 1995 Seefunkkameradschaft e. V. Bremen
H, Gabcke: Bremerhaven in zwei Jahrhunderten 1827–1918, Seite 170
J. Rabbel: Neun Mann entkommen dem Tod Nordsee-Zeitung vom 11.08.2018
J. Rabbel: Eine Geschichte, die bewegt Nordsee-Zeitung vom 29.08.2018
J. Rabbel: In eisiger Kälte ums Überleben gekämpft Nordsee-Zeitung vom 4.1.2021
J. Rabbel: Seeleute 1903 gerettet: Filmemacher sucht Nachfahren in Bremerhaven nord24.de vom 11.08.2018
Erik Hoops Ein Gedenkstein in Vik auf Island Deutsches Schiffahrtsmuseum Info Nr. 05/02 vom 13.03.2002