Eine Serie widmet der DeichSPIEGEL der “ehemaligen Kaiserstraße in alten und neuen Ansichten”. Dank vieler Freunde in Facebook, die mich mit alten Bildern und Anekdoten unterstützen, kann ich Euch heute ein paar Motive aus der Kaiserstraße/Ecke Schleusenstraße zeigen.
Am 24. August 1897 wurde die damals weithin bestaunte Große Kaiserschleuse eingeweiht. Und nur drei Tage später erhielt die Schleusenstraße ihren Namen. Ja, die Schleusenstraße tat ihrem Namen alle Ehre und schleuste die Seeleute zur Kaiserstraße. Die war bei den Seeleuten sehr beliebt, schließlich pulsierte hier in den rund 30 Kneipen zwischen dem Hindenburgplatz (heute Bürgermeister-Martin-Donandt-Platz) und dem Ebertplatz (heute Waldemar-Becke-Platz) das Leben.
Eine Chronistin erzählte, wie sie als zehnjähriges Mädchen ihren Onkel besuchte, wenn er mit seinem Schiff im Neuen Hafen lag. Sie musste das Zollhäuschen in der Schleusenstraße passieren, da hinter den Häusern westlich der Kaiserstraße die Zollgrenze verlief. In der Schleusenstraße gab es einen Durchgang durch den Grenzzaun. Der Zollbeamte soll immer sehr unfreundlich gewesen sein. Sie hatte große Angst, dass der Zöllner die Süßigkeiten, die sie von ihrem Onkel bekam, beschlagnahmen würde. Lieber aß sie die Süßigkeiten an Ort und Stelle auf bremischen Gebiet sofort auf.
Schon früh wurde in der Schleusenstraße mit Geld gehandelt. Die Nähe zum Hafen versprach wahrscheinlich einen lukrativen Handel mit ausländischen Währungen. Leider konnte ich über diese Privatbank der frühen Bremerhavener Jahre keine Informationen finden.
An der Schleusenstraße gab es auch ein Zollhäuschen. Nach dem Krieg zogen hier die Zollbeamten aus und die amerikanischen Soldaten ein. Die passten während der Besatzungszeit jetzt auf, dass aus dem Hafen nichts “mitgenommen” wurde. In der Zeit vom Ende des Krieges 1945 bis zur Währungsreform 1948 blühte wie in allen deutschen Städten auch hier in Bremerhaven der Schwarzhandel. Die Menschen hungerten, weil es für Geld nichts zu kaufen gab.
Es war die Zeit der “Zigarettenwährung”, für eine Schachtel Zigaretten bekam man auch ohne Lebensmittelmarken nahezu alle Lebensmittel. Also versuchte man, als Hafenarbeiter auf den Schiffen Zigaretten zu ergattern und diese durch das Tor in der Schleusenstraße zu schmuggeln. In den 1950er Jahren wurde der Zollzaun verlegt, und das Zollhäuschen verschwand.
1972, als diese Aufnahme der Fleischerei Lutze in der Kaiserstraße entstand, war es mit der Zigarettenwährung zum Glück schon lange vorbei. Noch ging es aufwärts in Deutschland, das “Wirtschaftswunder” sollte erst im Herbst 1973 sein Ende finden, ausgelöst durch die erste Ölkrise aufgrund des Jom-Kippur-Krieges. Aber soweit war es 1972 eben noch nicht. Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit und steigende Sozialausgaben waren noch unbekannte Erscheinungen. Noch konnte man also bei der Fleischerei Lutze fröhlich seine Steaks und Rinderrolladen kaufen.
Ja, und auf dem Hinterhof der Schlachterei haben die Kinder die Holzspäne für den Räucherofen umgeschichtet und sich damit einen “Heiermann” verdient. Schöne heile Welt! Wirklich schöne heile Welt?
Das obige Gebäude wurde irgendwann um die Jahrhundertwende 1899/1900 als Bergmann‘s Hotel erstellt. Wie lange das Hotel betrieben wurde, vermochte ich nicht herauszufinden.
Diese Aufnahme stammt aus dem Jahre 1972, es zeigt, dass der “Lebensmittellieferant” der Kaiserstraße sein Domizil bereits bezogen hat. Damals ging es noch nicht so hektisch zu wie heute. Vielleicht konnte man zu dieser Zeit sogar auch noch “Anschreiben lassen”, bezahlt wurde am Freitag, wenn Vater die Lohntüte heimbrachte.
Die wenigen Discounter, die es gab, haben den Einzelhandel noch nicht verdrängt. Man erledigte seine Einkäufe üblicherweise beim “Kaufmann an der Ecke”. Nur wenige Frauen waren berufstätig, die Hausfrauen fanden noch Zeit für ein Schwätzchen. Allerdings waren die Menschen damals auch noch nicht so wohlhabend wie heute. So dunkel wie die Bilder werden zumindest noch die 1950er Jahre gewesen sein.
Auf diesem Bild ist noch eine Einzelhandelsdrogerie zu sehen, wie sie es heute nicht mehr gibt. Drogisten fertigten selbst Zahncreme, Zahnpulver, Backpulver, Hautcreme, Schuhputzcreme oder Blechputzmittel aus verschiedenen Zutaten an. Als es zu Beginn der Automobilzeit noch keine Tankstellen gab, kaufte man seinen Treibstoff in kleinen Fässern oder größeren Flaschen in einer Drogerie.
Auch Kondome holte “Mann” sich verschämt und hinter vorgehaltener Hand flüsternd in der Drogerie. Als die Fotografie aufkam, deckten sich Fotografen in der Drogerie mit den benötigten Materialien für die Entwicklung der Bilder ein.
Etwa ab Anfang der 1970er Jahre verschwanden die klassischen Drogerie-Fachgeschäft aus dem Straßenbild – mit kleineren Sortimenten aber deutlich niedrigeren Preisen machten ihnen Drogeriemärkte das Überleben unmöglich.
Aber auch für die Lebensmittel-Einzelhändler wurden die Zeiten schwierig. Supermärkte und Discounter schossen wie Pilze aus dem Boden und verdrängten die Kolonialwarengeschäfte und Tante-Emma-Läden aus die Innenstadt. Mehr und mehr waren die Kunden auf ein Auto angewiesen, um “auf der grünen Wiese” ihre Einkäufe tätigen zu können. Irgendwann musste auch “Seithe” sein Geschäft schließen. In das Ladenlokal zog “Otto‘s Schnellrestaurant” ein.
Später sollte erneut ein Wechsel stattfinden, man stillte seinen Hunger jetzt im “Café-Bistro Endstation”. Heute stillt auch hier niemand mehr seinen Hunger, das Ladenlokal steht leer.
Quellen:
Du kommst aus Bremerhaven, wenn…
kaiserstrasse.jimdo.com