Aus schweren Holzkisten wurden leichte Pappkartons — Umzugsspedition Max Herzke
Ein Umzug will gut vorbereitet sein: Kartons müssen gepackt, Helfer zum Tragen gefunden und der Transport organisiert werden. Doch trotz bester Planung läuft nur selten alles rund, bis das eigene Hab und Gut sicher im neuen Zuhause verstaut ist.
In Lüneburg befand sich inmitten der Altstadt die Spedition Herzke in der Salzbrücker Straße 24. Doch die Spedition hatte nicht immer hier ihren Sitz; angefangen hatte alles im Jahre 1928 in Bromberg/Posen.
Die Möbelspedition Max Herzke in Bromberg
Infolge des Versailler Vertrages wurde die in der preußischen Provinz Posen gelegene Heimatstadt Bromberg 1919 vom Deutschen Reich abgetrennt und an das neu gegründete Polen abgetreten. Nach 1920 wanderte durch den Wegzug des deutschen Beamtenapparates, des deutschen Militärs und ihrer Familien ein Großteil der deutschen Einwohnerschaft nach Deutschland ab.Die frühere deutsche Mehrheit schrumpfte infolge der Auswanderungswelle und der Enteignung deutschen Besitzes
durch den polnischen Staat zu einer Minderheit. 1928 verließ auch der Speditionsunternehmer F. Wodtke die Stadt Bromberg, um “ins Reich” zu gehen.
Max Herzke (1890–1966), der in seiner Lehrfirma F. Wodtke bisher als Geschäftsführer und Prokurist gearbeitet hat, übernahm die Speditionsfirma. Ein großer Teil der damaligen Aufträge bestand aus Umzügen von Optanten. Bis zum 21. Januar 1945 erfüllte Max Herzke mit 30 Angestellten, 25 Pferden und 36 Wagen seiner Kundschaft jeden Auftragswunsch, der ihn mitunter bis nach Ostpreußen führte. Doch im Frühjahr 1939 verließ auch die Familie Herzke die Stadt Bromberg und fand bei Verwandten im Reich Aufnahme. Dann brach der Zweite Weltkrieg aus, und Polen wurde von den Deutschen besetzt. Max Herzke kehrte nach Bromberg zurück und nahm seinen Betrieb wieder auf. Nun hatte er 36 Wagen und zwei Zugmaschinen, mit denen er seine Speditionsaufträge erledigte, bis die Familie im Januar 1945 Bromberg endgültig verlassen musste.
Max Herzke floh mit seiner Frau Hedwig und seinen Töchtern Rosemarie und Ursula westwärts durch Pommern, über die Oder und quer durch Mecklenburg. Mit nur noch vier Pferden und zwei Wagen erreichten sie nach 56 Tagen Flucht am 17. März 1945 ihre Verwandten in Lüneburg.
Die Möbelspedition Max Herzke in Lüneburg
Da das Wasserwerk der Stadt zerstört worden war, hieß es für Max Herzke nach seiner Ankunft: “Anspannen und Wasser ausfahren.” Hierbei unterstützten ihn tatkräftig seine beiden Töchter, die neben ihrem Vater auf dem Kutschbock gesessen, Wasser ausgefahren und so die Stadt kennengelernt haben.
Schnell wurde der Flüchtling Max Herzke in der Lüneburger Bevölkerung beliebt. In Nacht- und Nebelaktionen half er Lüneburger Bürgern, ihre wertvollen Möbel aus ihren vom britischen Militär beschlagnahmten Wohnungen zu schmuggeln.
Eine unendliche Zahl Menschen – auf der Flucht aus Ostpreußen, Schlesien, Pommern kommend — strömten gen Westen und suchten auch in Lüneburg eine Bleibe. Die Wohnungsnot war unbeschreiblich groß.
So sollten auch Herzkes in Lüneburg zunächst keine eigene Unterkunft finden und quartierten sich bei einem Vetter in der Uelzener Straße ein. Aber es dauerte nicht lange, bis britische Offiziere diese Wohnung für sich in Anspruch nahmen. Nun blieb Herzkes nichts anderes über, als am Lambertiplatz im geliehenen Möbelwagen eines Kollegen zu logieren. Erst im Dezember 1945 konnten sie ein eigenes Zimmer beziehen.
Doch es sollten auch wieder schönere Tage kommen. Kurz nach der Währungsreform heiratete Tochter Ursel 1948 ihren aus Zoppot im Gebiet der Freien Stadt Danzig stammenden Gerhard Gohr. Gerhard Gohr machte in Lüneburg sein Abitur nach und wurde — wie seine Frau und seine Schwägerin – Speditionskaufmann.
Nun ging es auch mit dem Betrieb wieder aufwärts. Ein Möbelwagen-Anhänger wurde gekauft, der erst von einer geliehenen Zugmaschine, dann von einem gekauften Militärlastwagen gezogen wurde.
Nach sieben Jahren ohne eigenen festen Wohnsitz verbesserte sich 1950 auch die Wohnsituation. Die Firma Max Herzke mietete sich in das 1604 erbaute und durch einen Luftangriff schwer beschädigte ehemalige Pfarrhaus der St. Michaeliskirche an der Salzbrücker Straße ein. Im Folgejahr war es der Familie Gohr-Herzke möglich, der Klosterkammer Hannover das rund 5000 Quadratmeter große Grundstück abzukaufen.
In den 1950er Jahren machte die Firma Umzüge für Flüchtlinge, die anfangs in notdürftigen Unterkünften lebten, inzwischen aber in anderen Teilen des Bundesgebietes Anstellung und Wohnung gefunden hatten. Auch ausgebombte Hamburger, die zurück in ihre Heimatstadt wollten, nahmen Herzkes Dienste in Anspruch. Es gab so viele Aufträge, dass im Unternehmen Tag und Nacht gearbeitet werden musste.
In den 1960er Jahren begann der Aufstieg der Firma Max Herzke unaufhaltsam zum größten Umzugsunternehmen der Stadt Lüneburg. Drei Lastzüge mit Anhänger, die sozusagen das Lüneburger Stadtbild prägten, waren mittlerweile im Einsatz. Aber es ging noch höher hinauf: Während der sechziger und siebziger Jahre kaufte das Unternehmen die Möbelspeditionen Wille, C. L. Schröder und Bahncke auf. In ihren besten Jahren betrieb die Firma fünf Züge und beschäftigte zwanzig Mitarbeiter.
Nachdem Tod Max Herzke im Jahre 1966 leiteten seine Töchter das Speditionsgeschäft, mit dem sie seit Kindertagen gut vertraut waren. Noch 1985 waren in dem damaligen Familienbetrieb zehn Arbeiter beschäftigt, die mit zwei Lastkraftwagen mit Hängern Möbel jeder Art im Inland und ins Ausland beförderten.
Ursula Gohr-Herzke begleitete ihren Mann Gerhard Gohr oft ins Ausland, wie etwa nach Frankreich oder Süditalien. Gerhard Gohr hat auch das Firmenemblem entworfen, das den Eingang und die Lastzüge schmückt. Das Erkennungszeichen ist ein Herz mit den Initialen des Firmengründers Max Herzke, weil dieser schon 1955 mit viel Herz bei der Sache war, wenn es hieß, den Lüneburger Bürgern bei Umzügen zu helfen.
Im Jahr 2003 starb Max Herzkes ältere Tochter Rosemarie von Renner. Kinder und Enkelkinder hatten andere Berufe ergriffen. So verkaufte Ursula Gohr-Herzke die Möbelwagen und legte die Firma still.
Noch steht der Name Max Herzke am Haus an der Salzbrücker Straße 24, doch besteht auch für die Eheleute Gohr-Herzke kein Zweifel, dass auch dies bald Geschichte sein wird. Vor Weihnachten hatte ich Gelegenheit, mit der mittlerweile über 90 Jahre alten Frau Ursula Gohr-Herzke ein kurzes Telefongespräch führen zu dürfen. Mit netten Worten erzählte sie mir, dass keine Umzüge mehr getätigt werden und die Max Herzke GmbH nur noch das firmeneigene Vermögen verwalte. “Wenn wir mal nicht mehr sind, dann ist auch das vorbei”, erzählte mir Ursula Gohr-Herzke. Und dann wird im Lüneburger Telefonverzeichnis wieder ein Traditionsname gelöscht werden.
Gerhard Gohr und Ursula Gohr-Herzke sind schon vor langer langer Zeit in Lüneburg angekommen. Zweimal waren sie inzwischen in Bromberg zu Besuch, doch sind sie nach eigenem Bekunden Lüneburger geworden und möchten Lüneburger bleiben.
Quellen:
“Wir fingen ganz von vorne an!” Siedlungsbau und Flüchtlingsintegration im Großraum Hamburg 1945 – 1965
mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers Thomas Schürmann
”Das Ostpreußenblatt” vom 16.11.1985, Seite 11