Flussbadeanstalten an Ilmenau und Neiße

Jetzt, wo der Som­mer bald dem Herbst wei­chen wird, den­ke ich zurück an mei­ne Kind­heit. Erin­ne­run­gen an hei­ße August­ta­ge in der zwei­ten Hälf­te der 50er Jah­re tau­chen auf, Tag­träu­me an Bege­ben­hei­ten, die ich längst in schwar­zen Löchern der Zeit ver­schüt­tet wähnte:

Wie oft war ich mit mei­nem Bru­der in die­sen Jah­ren in der Bade­an­stalt. Ja, damals hieß es noch “Bade­an­stalt”. Es gab kei­ne Hal­len­bä­der und auch kei­ne Frei­bä­der mit Schwimm­be­cken. Nein, man bade­te in der Ilmen­au, so wie es schon unse­re Eltern und Groß­el­tern taten. Im Nach­lass mei­nes Groß­va­ters fand ich vor vie­len Jah­ren ein paar schö­ne alte Fotos.

Hier sieht man die Flussbadeanstalt Halvensleben für Damen und HerrenAn der Ilmen­au gab es die Fluss­ba­de­an­stal­ten Hal­vens­le­ben und – wei­ter fluss­auf­wärts –Koop. Auf dem Bild sieht man die “Hal­vens­le­ben­s­che Fluss­ba­de­an­stalt für Damen und Her­ren”. Die Gebäu­de auf dem Bild waren in den 1950er Jah­ren aller­dings nicht mehr vor­han­den. Aber es gab noch eine Boots­ver­mie­tung und Falt­boot­fah­rer – Was­ser­wan­de­rer – fan­den hier eine Mög­lich­keit zu über­nach­ten. Mit dem Motorboot "Ilmenau" fuhr man zum Kaffeetrinken zum Petersberg oder zu Roten SchleuseIm Som­mer leg­te hier täg­lich das moto­ri­sier­te Aus­flugs­boot “Ilmen­au” an und nahm sei­ne Pas­sa­gie­re auf. Man fuhr zu den an der Ilmen­au lie­gen­den Ausflugslokalen. 

längst vergessenene Damenbadeanstalt in Lüneburg an der IlmenauSo zogen wir also wäh­rend der Feri­en­zeit mit­tags los. Bar­fuß natür­lich, damit die Schu­he geschont wer­den. Wie oft stie­ßen wir unse­re Zehen an den schie­fen Plat­ten der Bür­ger­stei­ge blu­tig. Oder ein ros­ti­ger Nagel ver­irr­te sich in unse­ren Fuß. 

Wer einen alten auf­ge­bla­se­nen Auto­rei­fen besaß, der konn­te sich glück­lich schät­zen. Der wur­de sich über die Schul­ter gehängt, die Tasche mit den Badeu­ten­si­li­en (man­gels Bade­ho­se nahm ich die Turn­ho­se) in die Hand und zehn Pfen­ni­ge Ein­tritts­geld gut ver­wahrt in der Hosen­ta­sche. Nach einer hal­ben Stun­de Fuß­weg erreich­ten wir die Bade­an­stalt Hal­vens­le­ben an der Ilmen­au in Lüne­burg. Auf einer Wie­se berei­te­ten wir unse­re Woll­de­cke aus, und dann ging es gleich ab zum Was­ser. Die Ilmen­au war hier aller­dings so tief, dass nur schwimm­tüch­ti­ge Was­ser­rat­ten hin­ein durf­ten. Natür­lich sprang auch ich – obwohl des Schwim­mens nicht mäch­tig — in die Ilmen­auf­lu­ten, den ret­ten­den Auto­rei­fen dabei fest umklammert. 

Wer schwim­men konn­te, spar­te sich das Ein­tritts­geld. Er schlich sich ein­fach auf der ande­ren Fluss­sei­te an das Ufer und durch­quer­te schwim­mend den Fluss. Die­sen ver­ließ er am Steg der Badeanstalt. 

Bereits Anfang der 1960er Jah­re nahm die Ver­schmut­zung der schnell flie­ßen­den Ilmen­au durch Indus­trie­ab­wäs­ser der­art zu, dass nach und nach alle Fluss­ba­de­an­stal­ten schlie­ßen mussten.

 

Die­se Fluss­ba­de­an­stal­ten gab es damals über­all in Deutsch­land, so auch in Gör­litz an der Nei­ße. In der Stadt­BILD Aus­ga­be vom August 2011 fin­det man die abge­druck­ten Jugend­er­in­ne­run­gen des Herrn A. Bischof, der sei­ne Jugend­jah­re in Gör­litz verbrachte:

Viadukt und Fußgängerstege um 1910Für uns Gör­lit­zer begann die Nei­ße oft schon ein gan­zes Stück fluss­ab­wärts, denn es war ein belieb­ter Sonn­tags­aus­flug, eine Wan­de­rung durch das roman­ti­sche Nei­ße­tal zu unter­neh­men. Man fuhr mit der Eisen­bahn zum Bei­spiel bis zur Hal­te­stel­le Roh­nau oder bis Rosen­thal und wan­der­te dann an der Nei­ße fluss­ab­wärts bis zum Klos­ter Mari­en­thal. Dort konn­te man in der Gast­stät­te gut spei­sen. Nach Hau­se ging es wie­der mit der Bahn.

Wanderweg an der Neiße um 1910Zu den belieb­ten Frei­zeit­be­schäf­ti­gun­gen in den 20er und 30er Jah­ren gehör­ten also Spa­zier­gän­ge am Nei­ßeu­fer, meist von der Ober­müh­le bis zum Wein­berg­haus, Kahn­fahr­ten und — an war­men Tagen — natür­lich das Baden. Käh­ne ver­schie­de­ner Grö­ße konn­te man aus­lei­hen am lKahnstation amViadukt um 1920inken Ufer ober­halb des Weh­res an der Ober­müh­le. Wer sich das Rudern spa­ren woll­te, konn­te sich auch sta­ken las­sen.

Badeanstalt an der Weinlache um 1920Es gab zwei Bade­an­stal­ten, ein­mal die grö­ße­re Anla­ge an der Wein­la­che unter­halb des Wein­ber­ges und dann das Städ­ti­sche Frei­bad am rech­ten Ufer zwi­schen dem Via­dukt und der Rei­chen­ber­ger Brü­cke. Das Wein­la­chen­bad war grö­ßer, idyl­li­scher und hat­te eine schö­ne Lie­ge­wie­se. Das Frei­bad war ein­fa­cher, besaß zwei Steg­an­la­gen, eine für zivi­le Nut­zung und eine für das Mili­tär. Dort wur­de den Sol­da­ten Kahnstation an der Obermühle um 1910das Schwim­men bei­gebracht, wobei wir Jungs gern zusa­hen, denn man­che Sol­da­ten waren was­ser­scheu und stell­ten sich ziem­lich blöd an. Natür­lich woll­ten wir mög­lichst bald Schwim­men ler­nen, um die Bade­freu­den unein­ge­schränkt genie­ßen zu kön­nen. Also war es unser Ziel, früh­zei­tig das Frei­schwim­mer-Zeug­nis zu erhal­ten. Der Bade­meis­ter Ull­rich im Frei­bad war ein guter Schwimmlehre.

Auf der Neiße herrschte reger Bootsverkehr um 1910Als ich als Sex­ta­ner an das Reform-Real­gym­na­si­um kam, wur­den wir Was­ser­be­geis­ter­ten für den Schü­ler-Ruder­klub “Aska­nia” gewor­ben. Die­ser ver­füg­te über ein Dut­zend Pad­del­boo­te, Einer und Zwei­er, die zunächst in einem Schup­pen bei der Fuß­gän­ger­brü­cke unter­ge­bracht waren. Spä­ter konn­ten wir unse­re Boo­te im Tur­bi­nen­haus an der Alt­stadt­brü­cke lagern. Das hat uns nicht so gut gefal­len, denn der schö­ne­re Teil der Nei­ße begann eigent­lich ober­halb des Weh­res der Ober­müh­le, obgleich die Fahrt vor­bei an den alten Ger­ber­häu­sern auch roman­tisch war.

Kahnstation mit Mühle und Wehr, 1930Reiz­vol­ler für uns war die Nei­ße ober­halb der Ober­müh­le und an den Leschwit­zer Wie­sen, wo unser Ruder­klub ein Stück Land gepach­tet hat­te. Dort konn­te man pri­ma baden. Manch­mal pad­del­ten wir bis zum Leschwit­zer Wehr, an dem Baden beson­de­ren Spaß machte. 

Auch im Win­ter konn­te ein Spa­zier­gang am Nei­ßeu­fer reiz­voll sein. Wenn man bis zum Wein­berg­haus ging, gab es dort einen Glüh­wein zum Auf­wär­men. Im Som­mer bot die tra­di­ti­ons­rei­che Aus­flugs­gast­stät­te “Nei­ße-Insel” ange­neh­men Auf­ent­halt im Frei­en unter einem herr­li­chen Baum­be­stand. Am Abend wur­de getanzt, bei Live-Musik und Illu­mi­na­ti­on. Die Besu­cher kamen mit dem Boot oder über die eiser­ne Fuß­gän­ger­brü­cke, die bei­de Nei­ßeu­fer ver­band. Ich erin­ne­re mich, dass zu den Wein­la­che-Fes­ten die gan­ze Neiß­epar­tie fest­lich beleuch­tet war. 

Noch eine Gast­stät­te an der Nei­ße muss erwähnt wer­den, die “Eis­kel­ler-Bau­de”, idyl­lisch und bei­na­he etwas ver­steckt direkt unter­halb der Akti­en­braue­rei gele­gen. Für uns Jun­gen war aber das unmit­tel­bar dane­ben lie­gen­de Boots­haus inter­es­san­ter, das damals dem Was­ser­sport­ver­ein “Wed­di­gen” gehör­te, mit einem gro­ßen Boots­kel­ler unter der Gast­stät­te und einem brei­ten Steg. Ganz in der Nähe lei­te­te die Akti­en­braue­rei Abwas­ser in die Nei­ße ein. Es war warm und roch ange­nehm nach Malz und war ein Tum­mel­platz für Fische und Angler.

Der Weg der Nei­ße durch Gör­litz. Am obe­ren Bild­rand die­ser alten Luft­auf­nah­me aus den 20er Jah­ren ist die Ruh­mes­hal­le zu erken­nen. Der Via­dukt und die eiser­ne Fuß­gän­ger­brü­cke sind nicht zu sehen. Dar­un­ter die Rei­chen­ber­ger Brü­cke. Dann die Fuß­gän­ger­brü­cke Lin­den­weg-Pra­ger Stra­ße, die Alt­stadt­brü­cke und die Fuß­gän­ger­brü­cke zwi­schen dem Niko­lai-Gra­ben und der Stra­ße “Auf den Blei­chen”. So vie­le Mög­lich­kei­ten gab es damals, die Nei­ße tro­cke­nen Fußes zu überqueren. 

Soweit der Bericht von Herrn A. Bischof.

Nach dem Zwei­ten Welt­krieg war auch die Nei­ße­ba­de­an­stalt nicht mehr nutz­bar. Unter­halb des Wein­ber­ges ver­sam­mel­ten sich damals scha­ren­wei­se die Bür­ger und bau­ten sich in zahl­lo­sen frei­wil­li­gen Ein­sät­zen mit Spa­ten, Hacke, Schau­fel und Lore ihr neu­es Volks­bad. Schon 1950 zog das Bad so vie­le Bade­lus­ti­ge an, dass es schon bald um eine Kahn­sta­ti­on erwei­tert wur­de. Natür­lich kam auch ein Imbiss hin­zu und Spiel­ge­rä­te und Strand­kör­be, wie es sie an den Ost­see­strän­den gibt. Lei­der wur­de in den 1980er Jah­ren die Was­ser­qua­li­tät so schlecht, dass auch hier der Bade­be­trieb schließ­lich ein­ge­stellt wer­den muss­te. Aber die älte­ren Gör­lit­zer erin­nern sich noch heu­te gern an jene Zeit zurück.

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