Das “Städtische Waisen- und Armenhaus Lehe” an der Wurster Straße wird abgerissen
Geplant war es schon vor vielen Jahren. Doch jetzt wird es ernst: Der ungenutzte Altbau des historischen Marie-von-Seggern-Heim an der Wurster Straße wird abgerissen. Damit verschwindet wieder ein Stück Leher Stadtgeschichte.
Am 1. November 1866 wurde in Lehe die kirchliche und bürgerliche Armenpflege getrennt. Die bürgerliche Armenpflege gab sich am 22. September 1866 unter anderem den Grundsatz: “Es soll der Noth der einheimischen Armen nach Kräften abgeholfen und den auswärtigen Armen, welche nach den gesetzlichen Bestimmungen der Fleckensgemeinde anheimfallen, die erforderliche Fürsorge und Pflege zu Theil werden.”
Das erste Armenhaus des Fleckens Lehe wurde bereits in den Jahren 1868/1869 am Leher Altmarkt gebaut. Am 1. Mai 1869 trat der erste Armenhausverwalter seinen Dienst an – der Beginn der geschlossenen Armenpflege in Lehe. Doch schon bald wurde das Gebäude an den Militärfiskus vermietet, der es als Kaserne nutzte. Später wurde das Gebäude dann zum Leher Rathaus umgebaut.
Die Armen wurden vorübergehend in einem angemieteten Privathaus untergebracht, bis am 2. Dezember 1872 für 50.000 Goldmark das neue Armenhaus an der Wurster Straße (damals Ritzebüttler Chaussee) bezogen werden konnte. Für 15 Groschen am Tag durften sich die Ärmsten des Fleckens Lehe dort aufwärmen und Obdach und Pflege finden. Dem Armenhaus war ein Hospital angegliedert. Das war damals eine Pflegeeinrichtung, die für ärmere Bevölkerungskreise eine begrenzte medizinische Versorgung darstellte. Wohlhabendere Bürger gingen zu ihrem Hausarzt.
Die Nutzung des Armenhauses änderte sich im Laufe der Jahre. So wurde es auch als Waisenhaus und Hospital verwendet. Und bis vor einigen Jahren pflegte das Marie-von Seggern-Heim in diesem Haus alte und pflegebedürftige Menschen.
Aber auch das ist längst Geschichte. Hinter dem alten Gemäuer wurde ein neues Pflegeheim gebaut, es trägt ebenfalls den Namen Marie-von Seggern-Heim. Der Altbau wurde dem Verfall preisgegeben. Obdachlose wärmen sich hier auf und Jugendliche sollen dabei beobachtet worden sein, wie sie Türen und Fenster eingeschlagen haben sollen. Nun will der derzeitige Eigentümer ab April oder Mai das Gebäude abreißen lassen. Auf dem dann frei gewordenen Grundstück soll ein Zentrum für demenziell erkrankte Menschen gebaut werden.
Quellen:
August Meyer: Armenhaus wurde Rathaus, Niederdeutsches Heimatblatt Nr. 271 vom Juli 1972
August Meyer: Hilfe für Arme, Kranke und Kinder in Lehe, Niederdeutsches Heimatblatt Nr. 276 vom Dezember 1972
Susanne Schwan: Letzte Tage fürs Armenhaus, Nordsee-Zeitung vom 21.3.2016
Obdach und Pflege für 15 Groschen am Tag, Nordsee-Zeitung vom 29.2.2016