Die Görlitzer Altstadtbrücke
Görlitz, an der wichtigen Handelsstraße Via Regia, der Königsstraße, gelegen, war ein wichtiger Schnittpunkt von West nach Ost und von Nord nach Süd. Das Görlitzer Monatsjournal StadtBILD hat in seinen Ausgaben Nr. 56 vom Februar 2008 und Nr. 57 vom März 2008 einen Aufsatz von Herrn Wolfgang Stiller über die Görlitzer Altstadtbrücke veröffentlicht:
Die Via Regia und die Görlitzer Altstadtbrücke (Neißebrücke)
Der Übergang über die Neiße war nicht nur ein strategischer sondern auch ein wirtschaftlicher Faktor für die Stadt Görlitz. Die Görlitzer Altstadtbrücke (Neißebrücke) hat ohne Zweifel schon vor der Gründung der Stadt bestanden. Mit der Anlage der Stadt mögen das Wehr und die beiden Mühlen (rechts an der Neiße die Dreiraden- und links die Vierradenmühle) erbaut sein.
Die Brücke war aus Holz und erforderte für den Nah- und Fernverkehr fortdauernde Erneuerungen. Hochwasser, Eisgang und Feuersbrünste und starke Abnützung zwangen zu dauernder Fürsorge und Aufwendung hoher Kosten. Mehr als einmal musste das ganze Brückenbauwerk neu aufgebaut werden.
Um sie möglichst vor Witterungseinflüssen zu schützen, war diese in verschiedenen Zeiten mit einem Schindeldach bedeckt, welches dann aber auch die Brücke stark belastete. Ähnlich war es mit dem Pflaster auf der Brücke, welches anstelle des Bohlenbelages verlegt wurde.
Viele Aufzeichnungen über die Görlitzer Altstadtbrücke
Die Nachrichten über die Brücke sind in den verschiedensten Quellen seit 1376 sehr reichlich. Hier einige Beispiele:
Mehrmals fiel die Brücke großen Wasserfluten zum Opfer. Als man 1434 ziemlich mit dem Neubau fertig war, kamen ein Eisgang im Februar und eine Hochflut am 30. Juli und zerstörten die Brücke von neuem. Ein gebauter Prahm und ein Notsteg auf Fässern hielten den Verkehr aufrecht.
1441 legte man die Brücke höher.
In der großen Feuersbrunst vom 12. Juni 1525 brannten nicht nur die nahe gelegenen Gebäude sondern auch die Brücke bis aufs Wasser ab. Nach dem Brande wurde sie innerhalb von 14 Tagen notdürftig wieder hergestellt.
Jetzt beschloss man, die Brücke in Stein zu bauen, aber erst 1536 ließ man in Penzig (Piensk) Steine dafür brechen. Man konnte sich aber mit dem Werkmeister Wendel Roskopf nicht einig werden, welche Stelle für den Brückenbau geeignet sei. Favorisiert wurde schon damals die Lage, wo die spätere Altstadtbrücke ab 1906 gebaut wurde. Der steinerne Bau unterblieb jedoch damals.
Immer wieder Reparaturen
1545 hat man an der Brücke angefangen zu bauen und dieselbe zu fassen, drei Joche wurden erneuert. Der Bau zog sich bis 1547 hin. Die Brücke erhielt ein Dach, und die Seiten blieben offen. Auch wurde die Fahrbahn gepflastert. Das Pflaster wurde jedoch 1576 wieder abgerissen, und es wurden Holzbohlen verlegt.
Am 18. Juli 1622 ist das mittelste Joch der Brücke eingebrochen und in die Neiße gefallen, wobei acht Menschen in große Gefahr gekommen sind. Auch Jacob Böhme, der den Unfall mit angesehen hat, erwähnt ihn im 66. Sendschreiben. Erst am 17. September 1622 konnte man wieder über die Neißebrücke fahren.
Weiterhin Schlimmes hatte die Brücke bei der Belagerung 1641 erfahren. Erst wurde versucht, sie durch schweres Geschützfeuer unbrauchbar zu machen, und schließlich wurde sie durch Feuerwerk angezündet…
Am 17. Dezember 1642 war die Altstadtbrücke wieder vollständig befahrbar. 1659 wurde die Brücke ganz neu gebaut und mit einem Schindeldach versehen, das Gleiche geschah nochmals 1777.
1813 wurde nach der Schlacht bei Bautzen von den zurückweichenden Preußen und Russen früh am 23. Mai die Neißebrücke angezündet. Erst am 3. Juni 1813 war diese wieder befahrbar.
Am Abend des 1. September 1913 versuchten die flüchtenden Truppen erneut, die Brücke durch Feuer zu zerstören, jedoch blieb ein Teil der Brücke unversehrt. Bei einem neuen Vorstoß am 6. bis 9. November arbeiteten die Franzosen rastlos an der Fertigstellung der Brücke. Erst am 6. Oktober war sie leidlich wiederhergestellt, doch an ihrer endgültigen Instandsetzung wurde noch wochenlang gearbeitet.
Abriss und Neuaufbau
Die Stadt Görlitz, die der Brücke einen Großteil ihres wirtschaftlichen Emporkommens verdankte, musste natürlich für ihre Unterhaltung sorgen und bedeutende Kosten fortlaufend dafür aufbringen. Da war es ein Segen für die Stadt und eine bedeutende Erleichterung für die Stadtkasse, dass Ende 1830 die Brücke in den Besitz der Provinz Schlesien überging.
Jetzt erfüllte sich auch der Traum, an den man schon 1536 geglaubt hatte, eine massive Brücke zu erbauen. Die Provinz Schlesien erteilte auch den Auftrag, im Jahre 1906/1907 eine neue Bogenbrücke aus Stahl zu errichten.
Im Neuen Görlitzer Anzeiger vom 18. Juli 1907 ist nachzulesen: Görlitz den 17. Juli 1907: Der letzte Wagen hat heut früh 1/2 8 Uhr die alte Neißebrücke passiert. Es war ein beladener Wagen der Vierradenmühle, der die letzte Fahrt über diesen althistorischen Verkehrsweg ausführte. Die alte Brücke ist jetzt für den Verkehr gesperrt worden, und man hat mit ihrem Abbruch begonnen.
Als Ersatz für die hölzerne Brücke hat die Provinzialverwaltung Schlesiens bekanntlich eine neue eiserne Brücke erbaut, die heute (Mittwoch) dem Verkehr übergeben worden ist. Nachdem im Herbst 1905 die entsprechenden Vorarbeiten, Errichtung des zum Bau notwendigen umfangreichen Bauzaunes usw. ausgeführt worden waren, wurde am 29. Januar 1906 mit dem Bau einer neuen Brücke begonnen und nach ca. 18 Monaten Bauarbeit der imposante Brückenbau beendet.
640 Tonnen Eisen für die Görlitzer Altstadtbrücke
Die Pfeiler wurden nach dem Projekt der Brückenbauanstalt in Grünberg auf pneumatischer Gründung gebaut. Die Eisenkonstruktion nach dem Projekt der Provinzialverwaltung ist ebenfalls von der Firma Beuchelt erbaut worden.
Die Lichtweite der Brücke beträgt zwischen den Geländern 14 1/2 Meter, die Stützweite 84 Meter. Die zu beiden Seiten
der neuen Neißebrücke angebauten Fußwege sind jeder 3,75 Meter breit; die Fahrbahn zwischen den Bordsteinen misst sieben Meter.
Das System der Hauptträger sind die Fachwerkbögen mit Spanngurt. Die respektable Zahl von 640 Tonnen beträgt das Eisengewicht der Neißebrücke. Die Baukosten der neuen Neißebrücke betragen ungefähr 450 000,- Mark.
Die neue Brücke liegt 90 cm höher als die daneben stehende alte Brücke. Es ist dabei berücksichtigt worden, dass selbst bei einem höheren Wasserstand, als er bei dem Hochwasser im Jahre 1897 zu verzeichnen war, die neue Brücke hochwasserfrei ist. An der alten Brücke mussten schon wiederholt größere Reparaturen ausgeführt werden.
Bereicherung des Landschaftsbildes
Wenn die nach dem Hochwasser im Jahre 1897 noch mehr gestützten Pfeiler der alten Brücke abgebrochen sein werden, wird sich das großartige Bauwerk von den daneben gelegenen Straßen und den in der Nähe den Lauf der Neiße überbrückenden Fußstegen noch vorteilhafter präsentieren.
An der neuen Neißebrücke wurde beim Bau an der Breslauer Straße (Seite an der Dreiradenmühle, polnische Seite) errichteten Pfeiler (rechts) ein ca. 1 Meter hohes Reliefbild in Bronze eingelassen. Das künstlerisch ausgeführte Bild stellte die Kirche zum Heiligen Geist und das daran gebaute Wohnhaus, wie zwei andere Gebäude, die wegen des Brückenbaues abgebrochen wurden, dar.
Ferner waren darauf das zur Dreiradenmühle gehörige Betriebsgebäude mit verziertem Giebel sowie ein Teil der alten Neißebrücke mit Geländer aufgenommen. Das Reliefbild sollte für alle Zeiten die Passanten der Brücke an das verschwundene Stück Alt-Görlitz erinnern. Besitzer der Brücke blieb bis 1913 die Provinzialverwaltung Schlesien, die diese danach wiederum an die Stadt Görlitz abgab.
Richard Jecht schreibt in seiner Topographie über die neu erbaute Brücke: „Die Entfernung der alten Holzbrücke mag eine Notwendigkeit gewesen sein, das beschauliche, malerische Gepräge, das die Brücke dem Gelände an der Neiße gab, hat freilich arg gelitten. Man hätte steinerne Bögen anwenden sollen und hätte dadurch die alte Schönheit erhalten und vielleicht verstärken können.“
Sprengung und später Wiederaufbau
Im Mai 1945 wurde die Brücke gesprengt und hinterließ an den umliegenden Gebäuden sowie an der Peterskirche erhebliche Schäden.
59 Jahre sollten vergehen, bis ein neues Bauwerk an gleicher Stelle wieder errichtet werden konnte. Wenn auch wiederum von der Planung bis deren Realisierung viele Jahre ins Land gegangen sind, so konnte in den Jahren Mai 2003 bis Oktober 2004 die neue Altstadtbrücke errichtet werden.
Die Brückenkonstruktion wurde von der Stahl- und Brückenbau Niesky GmbH gefertigt. Die Erd- und Betonarbeiten hat die Alpine Bau Deutschland GmbH ausgeführt.
Die Stützweite beträgt 79,99 Meter. Da sich die Brückenkonstruktion in deren Mitte verjüngt, ergeben sich unterschiedliche Breiten für ihre lichte Breite. Die lichte Weite zwischen den Geländern beträgt an den Brückenlagern 10 Meter und in ihrem Scheitel 8,50 Meter. Die Breiten der Bürgersteige betragen an den Brückenlagern 3,25 Meter und in deren Scheitel 2,52 Meter. Die Fahrbahn ist durchgängig 4,75 Meter breit. Das Gewicht der Brücke beträgt 410 Tonnen.
Die Baukosten betrugen 3.061.722, 52 € davon 1.141.896,44 € Förderung aus dem Programm Interreg und 1.530.861,26 € durch das Land Sachsen (Gesamtfördermittel 2.672.757,60 €). Damit verblieben bei der Stadt Görlitz 388.964,90 € Eigenmittelanteil. Bauherr, Eigentümer und Baulastträger der Altstadtbrücke ist die Stadt Görlitz.
Nun erfüllte sich der Wunsch von Richard Jecht, indem die neue Brücke im flachen kühnen Bogen die Neiße überbrückt und den herrlichen Blick auf die Kulisse der Altstadt mit der Peterskirche wieder unverbaut zulässt. Möge sie für alle Zeiten als Symbol des Friedens und der Völkerverständigung dienen.
Nachdruck über die Görlitzer Altstadtbrücke
Text und Bilder mit freundlicher Genehmigung des StadtBILD-Verlages Görlitz und Herrn Wolfgang Stiller